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Stille entstand und ich wünschte mir, ich könnte die spitze Bemerkung einfach wieder zurücknehmen. Doch nun hing der unüberhörbare Vorwurf zwischen uns in der Leitung und ich wünschte mir von ganzem Herzen, ich könnte Dawson sehen. In seine grünen Augen blicken und einschätzen, wie er meine Vorhaltung aufnahm.
„Ja, wollte ich", sagte er kaum hörbar und mein Herz setzte kurz aus. Er wollte es. Aber nun vielleicht nicht mehr. Gut möglich, dass ich zu viel Zeit hatte verstreichen lassen und er das Interesse verloren hatte, was immer zu klären oder meine Vorhaltung zu unverblümt gewesen war.
„Ich weiß nur nicht... wo ich überhaupt anfangen soll. Du weißt, reden... Das ist nicht meine Stärke", fuhr Dawson zögernd fort. Das klang mal nicht, als ob er die Lust auf eine Aussprache verloren hatte. Nur erahnte ich an seinem unsicheren Tonfall bereits, dass er mit dem Rücken zur Wand stand und wieder nicht vorwärts oder rückwärts kam. Er brauchte eine Brücke und die wollte ich ihm wirklich gerne bauen. Wenn ich ihm mitteilte, was ich zu klären hatte, diente ihm das unter Umständen als Zünder, mir zu sagen, was ihn bewegte.
„Dawson, dann lass mich..."
„Nein, bitte, Riley, unterbrich mich nicht. Für mich ist das Ganze ohnehin schon schwierig. Gib mir nur einen Moment. Ich hab schon geschlafen und wenn ich deine Stimme höre... keine Ahnung. Mein Kopf ist gerade völlig leer."
Einen Augenblick war es ganz still in der Leitung bis auf ein leichtes Hintergrundrauschen und ein Knarzen und Rascheln, als Dawson sich anders hinsetzte. Dann war es wieder still, bis Dawson einmal tief durchatmete.
„In der Nacht nach dem Unfall... ich wollte mich nicht mit dir streiten. Eigentlich verstehe ich bis jetzt nicht, warum du mitten in der Nacht einfach abgehauen bist. Ich hatte gedacht, wir wären endlich dort angekommen, wo wir beide hingehören. Für mich hat sich alles richtig angefühlt, bis du plötzlich weggerannt bist. Was hab ich falsch gemacht, Riley? Wenn es daran liegt, dass ich auf deine Annäherung nicht eingegangen bin... ich wollte dich nicht zurückweisen oder so. Ich hatte nur Angst, dass ich irgendwas falsch verstehe und sich Dinge entwickeln, die du am nächsten Tag bereust."
Wortlos hielt ich mein Telefon ans Ohr und wartete, dass Dawson weiterredet. Scheinbar hatte er aber gesagt, was er zu sagen hatte und ich konnte nicht behaupten, dass mich seine Worte nicht berührten. Sie brachten genau zum Ausdruck, was ich in dem Augenblick gefühlt hatte, als er mich im Arm hielt. Gleichzeitig war das, was er da von sich gab eine völlige Themaverfehlung und Dawson schien den Umstand nicht einmal zu bemerken.
„Darum ging es doch überhaupt nicht. Sondern um Leroy! Darum, dass du seine Bitte ablehnst und nicht einmal mit Abraham reden willst! Wie kannst du dermaßen kaltschnäuzig sein?", fuhr ich auf. Mit meinem harschen Ton aktivierte ich sofort seinen Defense-Mode und entsprechend angefressen klang sein Ton.
„Ich bin kein bisschen kaltschnäuzig. Wenn jemand weiß, wie es ist, sein Herz an leblose Dinge zu hängen, dann ich. Ich hab Jahre vergeudet, bis ich kapiert habe, was im Leben wirklich wichtig ist. Was die Izzie anbelangt, kann ich aber nichts für Leroy tun. Das ist nicht meine Entscheidung. Sie gehört der Familie Smith. Sam. Abraham. Meiner Tochter. Glaub mir, ich würde eine Menge tun, um mich mit dir zu versöhnen. Um dich glücklich zu machen. Aber in dieser Sache, Riley, es tut mir leid. Da bin ich machtlos. Mal abgesehen davon, dass unser ursprünglicher Prototyp völlig im Arsch ist."
Noch immer konnte ich nicht ganz zu dem aufschließen, was Dawson da von sich gab. Für mich ergab, was er von sich gab, einfach überhaupt keinen Sinn.
„Was hat denn jetzt das blöde Motorrad mit Lailas Knochenmarkspende zu tun?" Dass ich genervt klang, konnte ich nicht verhindern.
„Ich hab keine Ahnung, Wovon du sprichst, Riley." Dawson hörte sich matt und erschöpft an.
„Von Laila. Leroys Schwester. Davon, dass wir ein Team mitbringen wollten, das Speichelproben möglicher Spender nimmt. Davon, dass du das rundheraus abgelehnt hast!", rief ich so laut ins Telefon, dass es an schreien grenzte.
„Riley, jetzt komm mal runter. Davon weiß ich nichts", schlug er einen versöhnlichen Ton an, der mich noch mehr auf die Bäume brachte. Nicht minder laut als zuvor blökte ich ihn an: „Aber du hast doch gesagt..."
Wieder fing er mich mit sanfter Stimme ein, bevor ich komplett die Fassung verlor.
„Schhh... Häschen, ganz ruhig. Ich glaub... Das alles ist nur ein Missverständnis. Ein ganz blödes, zugegeben. Von diesem Team höre ich zum ersten Mal. In der Nacht, also ich dachte, du willst mir wegen dem Motorrad auf den Sack gehen, obwohl ich Leroy klipp und klar gesagt habe, dass wir nicht verkaufen. Darum ging es dir aber nicht, oder?"
Weil ich noch immer an der Tatsache festhing, dass er mich gerade fast liebevoll „Häschen" genannt hatte, schüttelte ich den Kopf. Dann fiel mir auf, wie blöd das war. Er konnte es durch das Telefon gar nicht sehen!
„Nein. Lee hatte mich gebeten, dich um Hilfe zu bitten. Für seine Schwester", begann ich eine holprige Erklärung. „Ihr geht es sehr schlecht. Eine Stammzellenspende könnte ihr helfen, aber es gibt keinen passenden Spender in der weltweiten Datenbank. Wir versuchen seit Monaten jemanden zu finden." Wie immer traten mir Tränen in die Augen, wenn ich an Laila dachte und redete tapfer weiter, bevor meine Stimme von Wasser erstickt wurde. „Aber das ist unglaublich schwierig. Manchmal glaube ich, jeder denkt nur noch an sich. Wenn es um das Thema Stammzellen geht, denken viele an diese Spende aus dem Beckenkamm, wo man in Vollnarkose ist. Dabei reicht in vielen Fällen schon eine Blutspende aus."
„Verstehe. Mir war nicht klar, dass es so einfach sein kann", gab Dawson bedächtig von sich. „Nur was ich nicht begreife, Riley. Wir kennen uns seit Jahren. Du weißt mehr über mich als die meisten Leute, die ich kenne. Trotzdem hast du angenommen, ich würde die Bitte ablehnen. Du denkst, ich würde ein Mädchen sterben lassen, obwohl es die Chance gibt, ihr zu helfen? Du musst wirklich schlecht von mir denken, wenn du das einfach hinnimmst, ohne dass es dir komisch vorkommt. Ohne nachzufragen."
Seine Stimme klang tief verletzt und in mir stieg ein Gefühl auf, dass ich in der Intensität noch nie gefühlt hatte. Ich schämte mich abgrundtief für die Schlüsse, die ich voreilig gezogen hatte und für die Charakterschwäche, die ich Dawson zwangsläufig unterstellt hatte.
„Tut mir leid, dass ich dir Unrecht getan habe", wisperte ich leise. „Ich hätte dir vertrauen sollen. Mit dir reden und nicht einfach hinnehmen dürfen. Weglaufen war der falsche Weg. Layla und Leroy habe ich damit kein Stück weitergeholfen. Was soll ich denn jetzt nur machen?", schluchzte ich haltlos. „Sie wird sterben, Dawson. Weil ich mich wie ein Kleinkind verhalten habe."
„Riley, komm schon. Das ist nicht wahr. Ob sie es schafft oder nicht hängt von ganz vielen Dingen ab und nicht nur von dir alleine. Noch lebt sie, noch ist nichts verloren. Lass uns jetzt klären, wie das mit diesem Team laufen soll. Und was genau meine Rolle ist. Dann können wir die verlorene Zeit vielleicht aufholen."
An diesem Punkt erwischte Dawson mich eiskalt. Bisher hatte sich alles, was ich zu tun hatte, darauf beschränkt, das jeweilige Datum der Typisierungsaktionen auf meinem Insta-Account zu veröffentlichen und auf dem Wege für zusätzliche Werbung zu sorgen. Dann erschienen Leroy und ich vor Ort und damit war einiges an Zulauf garantiert.
„Das weiß ich leider nicht ganz genau", gab ich zähneknirschend zu. „Ich sollte nur bei dir nachfragen, ob er ein Team mitbringen darf, das bei der Veranstaltung Infomaterial verteilt oder typisiert. Um alles andere kümmert sich üblicherweise Lee selber. Ob er das vom Krankenhaus aus kann. Also, das weiß ich grade überhaupt nicht."
Wieder fielen Tränen auf meine Oberschenkel. Ich fühlte mich hilflos und nutzlos. Ahnungslos. Überfordert. Ich fühlte mich als sei ich wieder vierzehn und hätte vom Leben keinen Schimmer. Wenn ich ehrlich war, stimmte das. Ich kannte mehr Schwimmhallen von innen, als ich zählen konnte und hatte mehr Stunden meines Lebens im Training verbracht, als im Unterricht. Ohne Stacey und Lio als Anker, die mich im echten Leben festhielten, wäre ich schon längst in ein Paralleluniversum abgetaucht. In dem sich wie bei Justin alles um Training, Ernährung und Körperoptimierung drehte.
„Mach dir keine Sorgen, ich ruf morgen bei der Organisation an und kläre das, wie wir zu einem Team bei der Präsentation kommen. Leroy muss sich damit jetzt nicht befassen, er soll sich ausruhen und wieder auf die Beine kommen."
Besorgt runzelte ich meine Stirn. Dawsons Angebot war mehr als nett und eine große Hilfe, aber für mich hörte sich das nach der falschen Reihenfolge an.
„Und du meinst nicht, dass du mit Abraham darüber reden solltest, bevor du..."
„Lass das mal meine Sorge sein, wie ich die Sache angehe", unterbrach er mich. „Ich ruf dich morgen an und sag dir, wie es gelaufen ist, okay?"
Sein Ton blieb ruhig und gelassen, als er mir antwortete. Ganz der überlegene Dawson, der mir die Welt erklärte. Dafür hätte ich ihn gerne erwürgt, sofort sträubte sich mein Nackenfell. Gleichzeitig war es ein Stück Normalität, das ich verloren geglaubt hatte.
„Danke", brachte ich leise hervor und lauschte auf die Stille zwischen mir und Dawson.
„Schon gut", murmelte er.
Vermutlich wäre ein guter Moment gewesen, sich jetzt zu verabschieden, gute Nacht zu sagen, aber ich brachte es nicht übers Herz. Ich brachte es nicht übers Herz, diese haarfeine Verbindung zwischen uns zu kappen. Mir kam es vor, als würde Dawson das genauso wenig wollen, denn er machte ebenfalls keine Anstalten, mir auf Wiedersehen zu sagen. Nach einer Weile sagte Dawson schließlich: „Wir hören uns morgen, okay? Wann passt es dir?"
Meine Traurigkeit mischte sich mit einem Funken Hoffnung, der meinen Tränenfluss zudrehte und meine Schwermütigkeit etwas auflockerte.
„Eigentlich immer, aber irgendwie auch nicht", gab ich vage zurück und ärgerte mich, wie blöd ich klang. „Ich kann dich einfach zurückrufen, falls du mich nicht erreichst."
„Oder ich schreib dir, sobald es was Neues gibt?", schlug mir Dawson vor.
„Nein, bitte, ich möchte lieber deine Stimme hören." Als mir bewusst wurde, was ich soeben von mir gegeben hatte, hielt ich vor Schreck den Atem an und fluchte innerlich über meine unbedachten Worte. Das war nun wirklich nicht der richtige Augenblick für Lippenbekenntnisse. Mit klopfendem Herzen wartete ich, was Dawson antworten würde.
„Ich freu mich schon darauf, wieder mit dir zu telefonieren", kam es von Dawson zurück. „Schlaf gut, Riley!"
„Du auch." Keine besonders einfallsreichte Erwiderung, mein Gehirn war aber gerade in den Ausnahmezustand gewechselt und zu einhundert Prozent damit beschäftigt, zu der neuen Entwicklung aufzuschließen. Wir würden telefonieren und er freute sich darauf. Wenn das mal kein guter Grund für Herzklopfen war.
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