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Am Mittwoch, als ich nach dem Duschen aus dem Zimmer trat, um mich auf die oberste Stufe zu setzen, musste ich zu meinem Leidwesen feststellen, dass dort bereits jemand saß. Nun war es nicht unbedingt so, dass ich die vergangenen Tage meine Mitmenschen gemieden hatte, aber Gespräche hatte ich trotzdem nicht gesucht.

„Hey", begrüßte ich Lio einsilbig und hoffte, er würde aus meinem sparsamen Wortgebrauch schließen, wie wenig Lust ich auf Gequatsche hatte. Meine Rechnung schien aufzugehen, denn der ungeladene Besucher hob lediglich die Hand, prostete mir mit dem Bier zu, mit dem er sich anscheinend unten in der Küche versorgt hatte. Eine Weile saßen wir so nebeneinander und eigentlich war es cool, nicht allein zu sein. Lio schien es nicht besonders viel auszumachen, dass ich schwieg und vor mich hinstarrte.

„Wo ist Chad?", erkundigte ich mich, als die Stille begann seltsam zu werden.

„Mit Sam und Izzie spazieren gegangen."

Mehr als ein „achso" fiel mir nicht ein und wieder breitete sich Schweigen zwischen uns aus, in der ich nachdenklich meine beinahe leere Flasche zwischen den Handflächen hin und her rollte.

„Sie kommt nicht zurück oder?", fragte ich, bevor ich es mir noch dreimal anders überlegte. Meine Stimme klang nervös. Irgendwie dünner und brüchiger als normalerweise. Lio schien es zu merken. Aufmerksam musterte Lio mich, Licht fing sich in seinen hellen Augäpfeln, ehe er wieder geradeaussah, ohne meine Tonlage, die an Stimmbruch erinnerte, zu kommentieren.

„Nein."

„Ist sie bei ihm? Bei diesem Leroy?"

Lio schnaubte. Ein Geräusch, dass Hund nicht einordnen konnte und mit einer deutlichen Zurechtweisung in Form eines einzelnen „Wuff" ahndete.

„Du bist ein verdammter Idiot, Dawson", brummte Lio neben mir.

„Erzähl mir was Neues!", gab ich zurück. Die Erwiderung meines Freundes fiel deutlich heftiger aus als erwartet.

„Nein, Mann! Jetzt mal im Ernst! Über was machst du dir dauernd Gedanken? Über Leroy? Über Thomas? Wie blöd kannst du sein? Riley hat null Interesse an irgendwelchen Typen. Sie hat zwei Homecoming-Bälle sausen lassen, bei denen sie Wochen vorher unter der Hand als Ballkönigin gehandelt wurde. Was macht sie? Einen Korb nach dem anderen verteilen! Wir haben ewig an sie hingelabert, aber sie ist sturer als ein Maultier. Sturer als Du! Sie meinte, sie hätte keine Lust mit einem Typen zum Ball zu gehen, der ihr auf der Rückbank betrunken an die Wäsche will. Aber wenn der Richtige fragte, würde sie schon mit ihm hingehen!"

Giftig sah Lio mich an. „Und seit ich weiß, dass ihr vor zwei Jahren zusammen wart, kann ich mir in etwa vorstellen, dass die dumme Nuss dachte, du kämst zum Ball nach Hause und würdest sie fragen."

Wie vor den Kopf geschlagen sah ich Lio an. „Wann war denn dieser Ball?"

„Ende September? Wieso?"

Ohne seine Frage zu beachten, zog ich mein Smartphone aus der Seitentasche meiner Hose und wischte durch den Chatverlauf mit Riley, der vor langem abrupt abgebrochen war. Dabei ging es mir nicht um einen Wortlaut. Den kannte ich auswendig. „Ich vermisse Dich so schrecklich." Wie sollte man einen solchen Satz vergessen? Wie jedes Mal, wenn ich an diese eine Zeile dachte, zog sich mein Herz schmerzvoll zusammen. Wohlmöglich tat es heute noch mehr weh, denn das Datum, dass mir entgegensprang, war der 27. September.

Am 28.September hatte sie gegen elf am Vormittag geschrieben: „Vergiss, was ich gestern geschrieben habe. Ich war betrunken." Das war entweder eine fette Lüge oder mein Schokohäschen hatte allein zu Hause gesessen und getrunken. Um die Hoffnung beraubt, dass der, auf den sie wartete, kommen würde und sie ausführte. Dass ich kommen würde.

„Wo ist sie jetzt, Lio?", flüsterte ich rau und kämpfte den Drang nieder, sofort aufzuspringen. „In Salt Lake?"

„Das kann ich dir nicht sagen, Dawson." Er klang bedauernd, aber eine gewisse Härte hatte sich in seine Stimme geschlichen.

„Weil du es nicht weißt, oder weil du nicht willst?", hakte ich unbeirrt nach und erntete ein verständnisloses Kopfschütteln.

„Weil Riley nicht alles stehen und liegen lässt, damit ich dir dann stecke, wo sie ist."

Wortlos starrte ich meinen langjährigen Freund an und versuchte zu verstehen, warum er sich hinter Riley stellte und nicht zu mir hielt.

Die niederschmetternde Erklärung bekam ich sofort äußerst offen präsentiert. „Sicher werde ich dir nicht dabei helfen, ihr wieder wehzutun."

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