35

Als ich aus dem Bad trat, konnte ich noch immer nicht ganz begreifen, dass Riley in meinem Bett lag. Ihre Tränen, als wir das gemeinsame Zimmer von Leroy und ihr betraten, hatten meinen gesunden Menschenverstand ganz offensichtlich ertränkt. Ich half ihr, ihre persönlichen Sachen zu packen und nun lag sie hier. Mitten in meinem Bett. Eingewickelt in die dünne Decke, war sie wohl von ihrer Erschöpfung übermannt worden. Beim Einschlafen hatte sie sich in der Decke verheddert und nun lag sie nur halb zugedeckt da. Eines ihrer langen schlanken Beine lag auf dem Stoff und ging dann in einen wohlgeformten Hintern in dunklen Shorts und die sanfte Biegung ihrer Wirbelsäule über.

Schlechterdings blieb weder rechts von ihr noch links wirklich viel Platz für mich. Ein Einzelbett, selbst ein etwas breiteres wie dieses, war definitiv nicht für Damenbesuch ausgelegt.

Vorsichtig setzte ich mich auf den Bettrand und legte mich neben sie. Als hätte sie meine Anwesenheit im Schlaf gespürt, drehte sie sich in meine Richtung und ich erstarrte, als sie ihren Arm über meinen Brustkorb legte und dann ihr Gesicht gegen meinen Oberarm schmiegte.
Ich wendete den Kopf in ihre Richtung und betrachtete ihr Profil im Zwielicht. Jemand hatte wohl die Infrarotlampe in meinem Brustkorb wieder angeschaltet und mein Herz hüpfte aufgeregt wie ein junges Küken bei der ersten Fütterung.
Rileys Bedürftigkeit nach Nähe machte mich schwächer als ihre Tränen. Die hatten mich noch genervt, weil sie mich manipuliert und rückgradlos fühlen ließen. Rileys Nähe stellte diese Emotionen völlig auf den Kopf. Ich hatte das irrwitzige Gefühl, dass ich für sie wichtig war und sie meine Anwesenheit brauchte. Das war viel zu schön, um diesen Augenblick zu beenden und ihren Arm beiseite zu schieben.
Ich schloss stattdessen die Augen und genehmigte mir den Moment der Schwäche. Einen weiteren auf der immer länger werdenden Liste.

In den frühen Morgenstunden erwachte ich fröstelnd. Rileys schlanker Körper lag nicht mehr an meinen gekuschelt, sie hatte rigoros die Decke an sich gerissen und kühle Luft strich über meinen Körper.

Ich stand leise auf, holte mir ein T-Shirt. Auf dem Weg zum Bett war ich nicht mehr sicher, ob mich wirklich der Luftzug geweckt hatte. Riley schniefte unterdrückt vor sich hin und gelegentlich holte sie zittrig Atem. Als würde sie ein Schluchzen zurückhalten.

„Riley? Bist du wach?", fragte ich flüsternd in die Dunkelheit.

„Ja", kam es gepresst von ihr. Vergessen war mein Shirt und die Gänsehaut, als ich mich neben ihr ausstreckte und sie sacht an ihrer Schulter berührte.

„Was ist los? Du weinst!"

Sehr klug kombiniert, lobte ich mich voller Ironie. Das wusste sie mit Sicherheit bereits selber. Mit einem weiteren Schniefen drehte sie sich auf den Rücken und starrte an die Decke.

„Ich bin ein schlechter Mensch", behauptete sie dann zwischen zwei Atemzügen, die in ein erneutes abgrundtiefes Schluchzen übergingen.

„Kann ich mir schwer vorstellen. Wie kommst du darauf?"

Sie drehte sich raschelnd ganz zu mir um.

„Weil ich froh bin, dass dir nichts passiert ist. Dass es Leroy ist, der... im Krankenhaus liegt und nicht du." Wieder schluchzte sie. „Dabei ist er ein wirklich guter Freund."

Sie schlang ihre Arme um meinen Hals und drückte ihr tränennasses Gesicht in meine Halsbeuge. Rileys Lippen lagen sanft auf meiner Haut, bevor sie sie sanft auf die Stelle unter meinem Ohrläppchen drückte.

„Dann sind wir beide wohl schlechte Menschen. Ich möchte im Augenblick nicht unbedingt mit ihm tauschen, Riley", gab ich leise zu und genoss das Gefühl, das ihre Lippen in mir auslösten mit geschlossenen Augen.

„Das alles ist nur meine Schuld", wimmerte sie leise. „Hätte ich ihn nicht gefragt..." Ihr warmer Atem kitzelte meinen Hals. Ihre Lippen wanderten weiter. Fest hielt ich die Augen geschlossen, kniff die Lider zusammen, bewegte nicht einmal den kleinen Zeh, um sie nicht zu verschrecken, während ihre Lippen über meinen Kiefer und weiter zu meinem Mundwinkel wanderten.  Ich fühlte diesen Moment der Verbundenheit zwischen ihr und mir intensiv wie schon lange nichts anderes mehr. Ich war unendlich dankbar, dass ich hier war, gesund und munter. Das hatte ich ihr zu verdanken, nur ihr, und ein anderer bezahlte den Preis dafür.

„Es war seine Entscheidung", äußerte ich, was ich mir unentwegt selbst einredete. „Er kannte die Gefahren besser als jeder andere."

„Ja, aber er hat es nicht einfach so gemacht, Dawson. Er wollte sich damit einen Gefallen von mir erkaufen", murmelte sie an meinem Mund.

Wieder begann sie zu schluchzen, der Augenblick der Verbundenheit zerstört.  „Ich habe versprochen, mit dir über seine Bitte zu sprechen. Sonst wäre er nicht gefahren."

„Er hatte mich doch bereits gefragt und ich habe ihm gesagt, dass es für uns nicht in Frage kommt. Warum schickt er dich nochmal vor?", fragte ich angesäuert.

Riley rückte von mir ab und stützte sich auf den Ellbogen. „Wann habt ihr darüber gesprochen?"

„Er rief mich kurz nach seiner ersten Testfahrt an. Und gestern hat er nochmal angefragt."

„Und beide Male hast du ihm ein nein als Antwort gegeben?" Sie klang empört. „Wie kannst du so hartherzig sein?"

„Ich bin nicht hartherzig, Riley und mal abgesehen davon ist es nicht allein meine Entscheidung."

„Und das hast du Leroy so gesagt? Kein Wunder, dass er völlig unkonzentriert war!" Ein Schluchzen stieg aus ihrer Kehle auf. „Das alles ist nur deine schuld!", schrie sie plötzlich aufgebracht.

„Nein, wenn dann ist es deine. Du hast ihn gefragt!", verteidigte ich mich.

In der darauf folgenden Stille, die uns umgab, hörte man nur Rileys hastigen Atem.

„Du bist so ein Arschloch, Dawson. Warum ist mir das nicht früher aufgefallen?"

Kalt wie Eiswürfel fielen ihre Worte.

„Ich bin kein Arschloch. Du neigst nur leider dazu dumme und voreilige Entscheidungen zu treffen."

Antwort bekam ich auf diese Aussage keine mehr. Riley stürmte ins Bad, hämmerte die Tür zu, sodass die geschmackvollen Bilder an den Wänden wackelten. Als sie wieder herauskam, kochte sie noch immer vor Wut. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, stopfte sie ihre Schlafsachen in den Rucksack, riss an der Kordel, um ihn zu verschließen und klickte energisch die beiden Verschlüsse des Deckelfaches zu.

„Wohin willst du?", fragte ich, als sie die Tür des Zimmers öffnete.

„Weg. Nur weg von Dir!"

Was für eine kluge Entscheidung.

Die Tür schloss sich leise, was in Anbetracht ihrer schäumenden Wut beachtlich war.

Gegen drei am Nachmittag räumte ich das Hotelzimmer, gab die Maschine am Frachtschalter ab und erntete einen mitleidigen Blick des Mitarbeiters. Die Izzie war ein Wrack. Den Transporter durfte ich am Flughafen stehen lassen. Razor hatte mir angeboten, ihn zu dem Moretti Händler zurückzubringen, bei dem Leroy ihn geliehen hatte.

Ziellos lief ich durch den Flughafen und bemühte mich, die vier Stunden bis zum Start totzuschlagen. Von Riley fehlte jede Spur. Ich schrieb ihr, wo sie blieb und sah die beiden Häkchen, die blau wurden, weil sie die Nachricht gelesen hatte, erhielt aber keine Antwort. Als ich erneut nachfragte und an unsere Flugzeit erinnerte, wurde die Nachricht nicht einmal zugestellt und ihr Profilbild war nicht mehr für mich sichtbar. Sie hatte mich offensichtlich blockiert.

Und der ganze Zirkus, weil wir die Izzie nicht hergeben wollten? Jetzt war sie doch ohnehin im Arsch. Kein Grund mehr sich so künstlich aufzuregen.

Ich checkte schließlich ohne Riley ein. Ein gutes Gefühl hatte ich dabei aber nicht. Der Sitzplatz neben mir war zehn Minuten vor dem Start noch immer leer. Verdammtes Mädchen!

Nervös versuchte ich Riley anzurufen, kassierte Anschiss von der Stewardess und stellte, gerade als ich mein Handy wegsteckte, mit Erleichterung fest, dass Riley das Flugzeug betrat.

Statt zu mir zu kommen, folgte sie jedoch der Flugbegleiterin in die andere Richtung. Das sture Weib hatte sich tatsächlich ein Upgrade besorgt, nur um nicht neben mir sitzen zu müssen! Ich grinste in mich hinein, schließlich saß ich in diesem Fall am längeren Hebel. Spätestens am Zielflughafen, würde sie sich mit mir auseinandersetzen müssen, denn immerhin fuhr sie mein Auto. Okay, das war arschig. Aber wenn sie sich benehmen durfte wie ein Kleinkind, dann wollte ich das gleiche Recht haben.

Mir meiner Sache sehr sicher sprach ich Riley nach der Landung am Ausstieg an und bat sie, das Auto schon mal zu holen, damit wir mein Motorrad und die Izzie aufladen konnten. Sie schenkte mir auf diese Aufforderung hin lediglich ein frostiges Lächeln. Und drückte mir den Schlüssel in die Hand.

„Gute Fahrt", sagte sie leidenschaftslos. Sprachlos sah ich hinter ihr her. Was zur Hölle sollte das denn werden?

Riley stolzierte davon, blickte sich suchend um. Dann steuerte sie auf einen jungen, dunkelhaarigen Typen zu, der sie als erstes gleich mal anerkennend von oben bis unten abcheckte. Dann begann er zu strahlen. Er nickte, gestikulierte und schließlich war es Riley die nickte.

Was wurde das denn jetzt? Der Typ entblößte seinen Bauch und lachend schüttelte Riley den Kopf, als er ihr einen Stift gab. Noch immer grinsend schrieb sie etwas auf seine nackte Haut und ließ ihn dann ein Selfie machen, das ich vermutlich abends in ihrem Profil wiederfinden würde. Jetzt wusste ich wenigstens, wie diese bekloppten Fotos zustande kamen.

Der Typ lief schlussendlich wie ein Dackel neben Riley her und aus der Entfernung beobachtete ich, wie er ihr den Schalter der Autovermietung zeigte. Langsam dämmerte mir, dass ich wohl allein nach Hause fahren würde. Da es schon nach Mitternacht war, als ich den Truck zu Hause abstellte, verschob ich das Abladen der Motorräder auf den nächsten Morgen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top