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Wenn ich einen Beweis gebraucht hatte, dass ich Riley nicht guttat, dann bekam ich ihn am nächsten Morgen. Sie war verletzt und traurig. Trotzdem behauptete sie, dass ihr klar war, wie wenig der Kuss zu bedeuten hatte. Wen sie versuchte damit zu belügen, blieb unklar. Ich hatte den Funken Hoffnung in ihren Augen gesehen. Ich hatte die Leidenschaft geschmeckt, mit der sie noch immer für mich brannte. Das einzig richtige war, ihr aus dem Weg zu gehen.

Mit schwerem Kopf fuhr ich nach Hause und legte mich nochmal hin. Für mich stand ohne Zweifel fest, dass ich sonst heute nicht funktionieren würde. Gegen Mittag tappte ich nach unten in die Küche und stieß dort auf eine gutgelaunte Sam, die mich nachsichtig belächelte.

„Nimm die", sagte sie und legte zwei weiße Tabletten auf den Esstisch. Daneben stellte sie ein Glas Wasser.

„Danke", murmelte ich und nahm die riesigen Dinger, die ich mit Wasser runterspülte.

„Ich hab die Frachtpapiere fertig gemacht", informierte sie mich und stellte eine Tasse Kaffee vor mir ab, die dem Weg der Tabletten und des Wassers folgten.

„Ist Abraham heute irgendwann im Büro?", erkundigte ich mich.

„Er wollte vorm Abendessen noch mal reinschauen. Warum?"

Ich fuhr mir durch die Haare und dann mit den Fingern die Maserung des Tisches entlang.

„Wegen der Bürgschaft", beantwortete ich Sams Frage. „Ich möchte, dass Izzie es bei mir schön hat."

Sam blickte mit sanften Augen zu mir. Dann legte sie ihre Hand über meine. „Sie hat es dort oben schön, Grady, und nicht nur dort. Wo du bist ist für sie ihr zu Hause. Sie hat ihren Dad hier. Das ist viel mehr, als andere Kinder haben. Und für sie ist kein eigenes Zimmer wichtig, sondern dass du sie liebst. Dass du Zeit für sie hast und Teil ihres Lebens bist."

Sams Daumen bewegte sich langsam über meinen Handrücken. „Für sie ist wichtig, dass du glücklich bist."

Dann grinste sie und sah zum Fenster, das offenstand. Fröhliches Bellen und Quietschen erklang aus dem Garten. „Und der dämliche Köter ist wichtig."

Ich stand auf und ging zum Fenster. Izzie tobte mit Hund über die Wiese.

„Hast du die Einkaufsliste fertig?"

„Klar. Wie jeden Samstag."

Sam schob einen Bogen Druckerpapier über den Tisch. „Das ist die Liste für die Werkstatt. Und das ist meine." Ein kürzerer Zettel folgte und ich nahm beide an mich.

„Kann ich die Kleine mitnehmen, oder meinst du, es ist ihr schon zu heiß im Auto?"

Sam schlang einen Arm um mich und lehnte ihren Kopf gegen meinen Oberarm. „Nimm sie ruhig mit. Sie liebt es, mit dir einzukaufen."

„Klar, ich kauf ihr Gummibärchen. Im Gegensatz zu anderen", frotzelte ich und legte einen Arm um Sams Schulter.

Sam zwickte mich lächelnd in die Seite. „Ich weiß. Sie hat es mir gesagt."

Ein paar Minuten standen wir zusammen und starrten aus dem Fenster, sahen unserer Kleinen beim Spielen mit Hund zu.

„Sie ist süß", stellte Sam leise fest.

„Ist ja auch unser Mädchen", bestätigte ich.

„Ich meinte nicht Izzie. Ich rede von Riley."

Sofort versteifte ich mich und machte mich abwehrbereit.

„Ich mag sie", redete Sam unbeirrt weiter. „Ich freu mich schon, wenn ich mit ihr die Collagen für die Schautafeln machen kann. Lio hat mir gestern Fotos auf seinem Handy gezeigt. Sie hat an ihrer Uni einen Vortrag über Ernährung im Leistungssport gehalten. Dafür hat sie jede Grafik und jedes Schaubild selbst gestaltet. Du kannst dir nicht vorstellen, wie toll die waren."

Was das betraf lag Sam falsch. Ich kannte Rileys Trainingstagebücher und ihre Rezeptsammlung. Ich wusste, wie ihre Geburtstagskarten aussahen. Ich hatte Geschenke bekommen, die in von ihr gestaltetem Weihnachtspapier eingewickelt waren und gesehen, wie sie winzige Blumen auf Staceys Fingernägel zauberte und riesige Kaffeebohnen an die Wand der Küche in Lios Elternhaus. Ich hatte eine klare Vorstellung, was Riley zu Wege brachte, wenn sie ihre Stifte zur Hand nahm. Schon immer war ich fest davon ausgegangen, dass sie etwas Künstlerisches studieren würde. Ernährungswissenschaft, das war für Riley zu trocken und zu theoretisch. Aber es schien ihr dennoch zu gefallen. Mit ihrem Enthusiasmus hatte sie Chad bereits genervt.

„Geld?", fragte ich und wechselte damit knallhart das Thema.

„Nimm es aus der Kasse."

Mit Izzie fuhr ich in die Stadt. Nicht in die kleine, die unserer Werkstatt am nächsten lag, sondern in eine richtige, wo es KFC und Starbucks gab. Wo es einen Super Store mit einer unendlichen Auswahl an Lebensmitteln gab und außerdem eine Drogerie, die Capsaicin-Salbe verkaufte und einen Spielwarenladen, wo ich für Izzie Straßenkreide erstand. In dem Bürofachmarkt ein paar Straßen weiter kaufte ich Kopierpapier. Mein Blick fiel auf das Hochglanzpapier daneben. Und dann auf das seidenmatte, gestrichene Papier. Von beiden kaufte ich fünfzig Blatt. Außerdem verschiedene Stifte, davon einige, die eine extrabreite Spitze hatten und welche mit Pinselspitze. Dann erstand ich für Izzie noch Wachsmalkreiden und eine Rolle mit Papiertischdecke. Zufrieden lud ich alles in den Pickup.

Izzie verfolgte den Einkauf mit Neugier und ich merkte wie ihr langsam die Energie ausging. Das war gut so. Müde blieb sie immer viel ruhiger im Wagen sitzen, wenn ich diesen mit den frischen Lebensmitteln befüllte, die Sam geordert hatte.

Ein paar Dinge, die sie aufgeschrieben hatte, musste ich erst suchen, weil sie diese noch nie gefordert hatte und ich hatte eine deutliche Vorstellung, wie sie auf der Liste gelandet waren. Sicherlich hatte Riley da ihre Hände im Spiel gehabt.

Auf dem Heimweg schlief Izzie im Auto ein. Ihre kleinen Hände umklammerten Boris auf der rechten und eine Tüte Marshmallows zum Grillen auf der linken Seite.

Wie jeden Samstag befüllte ich erst Sams Kühlschrank und die Speisekammer für sie und Izzie, dann fuhr ich zur Werkstatt und lud dort die Bestellung aus.

Für mich brachte ich Bier, Chips und Kekse in den ersten Stock. Meine eiserne Reserve gewissermaßen.

Skeptisch sah mir Sam zu, wie ich das Papier und die Stifte in meiner Schreibtischschublade verstaute.

„Du denkst wirklich, dass das nötig ist? Wir haben doch Papier und Stifte wie Sand am Meer."

„Aber nicht solche", beschied ich Sam, die mich mit schräggelegtem Kopf musterte.

„Du magst sie sehr, oder?", fragte Sam und ihre Stimme klang weich und teilnahmsvoll.

Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals. Warum eigentlich? Ich schluckte.

„Grady, sei kein Idiot!", bat sie, als ich keine Antwort gab. „Ihr seid wie... keine Ahnung. Romeo und Julia."

Ich lachte. „Dem Tod geweiht?"

Einen Moment überlegte sie.

„Nein, wie, keine Ahnung Heathcliff und Catherine?"

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Streitsüchtig?" Definitiv.

„Du weißt was ich meine!" Sie warf in einer Geste der Verzweiflung die Hände in die Luft.

„Bennet und Darcy", sagte sie und als ich Luft holte, unterbrach sie mich. „Sag es nicht! Egal was du denkst!"

Ich schmunzelte. Mit Bennet und Darcy konnte ich leben. Elisabeth war intelligent, zynisch und eine Kämpferin und er ein Schnösel, der sich zu wichtig nahm.

„Was ist das?" Sam besah sich die Tischdecke auf der Papprolle.

„Zeig ich dir, wenn Izzie wach ist."

Mit meiner Tochter auf dem Schoß verbrachte ich den späten Nachmittag im Garten. Wir hatten den alten Gartentisch mit der Papierdecke überspannt und Izzie malte mit Feuereifer. Vögel, Hunde, Katzen, Hasen. Marienkäfer. Bäume. Häuser. Alle sahen gleich bunt und fröhlich aus und bestanden im Wesentlichen aus Kreisen und wilden Strichen.

Mein Teil der Decke füllte sich mit Skizzen zu Motorrädern. Zufrieden sah ich auf eine Variante der Izzie, die mir am besten gefiel. Angelehnt an das Design von Ducati hatte ich ihr eine weniger schlanke Form verpasst. Sie war ein wenig kurviger und der Motor war unter einer hübschen Verkleidung verborgen, die Belüftung erfolgte über vergitterte Aussparungen, die glänzend verchromt waren. Was man nicht sah, war die Drosselung, die ich plante. Das war ein Mädchenmotorrad und keine Rennmaschine.

„Ist das ein neues Motorrad, Daddy?"

Izzie lag halb auf dem Tisch ihre Beine hingen runter, die Knie schwebten einige Zentimeter über ihrem Stuhl.

„Nein. Nur ein Special."

„Für Mummy?"

„Nein, für... egal."

„Für Riley wäre es schön. Es passt zu ihren Haaren." Izzie musterte mich mit ihren grünen Augen. Wie ein Spiegel meiner eigenen waren sie. Darauf war ich schon stolz.

„Vielleicht. Wenn sie überhaupt ein Motorrad will."

„Wenn sie es nicht mag, dann nehme ich das. Die Farbe ist schön."

Ich verwuschelte der Kleinen die Haare. Sie hatte recht. Es war schön. Und die Farbe passte perfekt zu Rileys goldenem Hautton und den braunen Haaren. Keine Ahnung, was mich geritten hatte. Ich konnte meiner Ex schlecht ein individuelles Motorrad bauen, ohne von einer Flut Fragen ertränkt zu werden.

„Komm, Schatz. Es wird Zeit für dich. Ich bring dich heim."

Anstandslos nahm Izzie meine Hand. „Kann ich noch Rapunzel gucken?"

„Das musst du mit Donna klären. Sie passt heute auf dich auf, bis Mummy kommt."

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