28

Nach dem Abendessen war Riley noch nicht zurück. Da ich mich für ihr Verschwinden mitverantwortlich fühlte, bat ich Lio, sie anzurufen und sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Ich hatte den Schmerz in ihren wunderschönen Augen gesehen und im Nachhinein tat es mir leid, wie ich sie vor den anderen behandelt hatte. Lio tat mir den Gefallen, doch sie ging nicht ans Telefon. Nur Hund begann wie ein Verrückter ums Auto zu springen und das bei jedem Versuch, Riley zu erreichen. Offenbar hegte Hund eine tiefe Abneigung gegen Rileys Klingelton. Im Ansatz konnte ich das nachvollziehen, denn der Sänger, den Riley ausgesucht hatte, wäre sicher nicht meine erste Wahl gewesen.

Zu sehen, dass ihr Handy im Auto lag, hatte mich in meinen Panikmodus versetzt, der sich erst abschaltete, als Hund sie in einem nahen Waldabschnitt aufstöberte. Vor Erleichterung, dass sie bis auf ihre Tränenspuren in Ordnung war, hätte ich sie am liebsten in die Arme geschlossen. Der Blick aus diesen traurigen Augen machte mich einfach schwach. Oder wütend. Dazwischen gab es nicht viel.

Ich fuhr Riley zu Sam und nach einem weiteren schwachen Moment, als unsere Hände sich streiften und ich sie bat, nicht nach Hause zu fahren, sondern zu bleiben, trat ich die Flucht an und verschanzte mich mit Izzie im Kinderzimmer.

Keine Ahnung, was mich geritten hatte. Die Vorstellung, sie um mich zu haben, war beängstigend. Innerhalb von nur Stunden hatte sie meine Schutzmechanismen umgangen und ich war einmal komplett ausgeflippt, hatte sie kurz darauf am liebsten umarmen wollen und sie schließlich berührt. Ihre Hand hatte warm in meiner gelegen, ihr unverwechselbarer Duft nach Shampoo und Chlor hatte mich in der Dunkelheit eingehüllt. In der Minute war ich sicher, es würde weitaus mehr wehtun, sie wegzuschicken, als Abstand zu halten. Also bat ich Riley, zu bleiben.

Jetzt in der Dunkelheit fragte ich mich, ob ich nicht immer noch zum SVV neigte. Nur auf einer anderen, einer nicht für Außenstehende sichtbaren Ebene.

Als Sam das Kinderzimmer betrat, ließ sie die Tür einen Spalt weit offen und ein schmaler Lichtstreifen aus dem Gang fiel ins Zimmer und legte sich wie ein Spotlight über die Disneytapete. Sam kam über den flauschigen Teppich lautlos zu uns geschlendert und beugte sich über Izzies Gitterbettchen. Sanft strich sie durch Izzies feines, weiches Haar. „Schlaf gut, meine Süße", flüsterte sie zärtlich und obwohl ich wütend auf Sam war, musste ich lächeln. Sie war eine großartige Mum. Das stand völlig außer Zweifel.

„Warum hast du das getan?", flüsterte ich leise.

„Ich sage Izzie jeden Abend gute Nacht", gab Sam scheinheilig zurück. Ich spürte, wie mein Blutdruck stieg. Trotzdem überwand ich mich zu einem freundlichen Ton. Mit Sam zu streiten, hatte mich heute schon einmal in eine mehr als unangenehme Situation gebracht. Wenn ich nur daran dachte, dass sie die Geschichte mit Cindy vor Riley ausgepackt hatte, wurde mir ganz anders.

„Du weißt, genau, was ich meine", gab ich genervt von mir.

„Du meinst meine Konfrontationstherapie?" Schelmisch lächelte Sam mich an. Ob ich mit Notwehr durchkäme, wenn ich sie jetzt und hier erwürgte?

Izzie hob verschlafen ihren Kopf. „Was ist Komforttheorie?", fragte sie. Okay. Mord vor Kinderaugen, war keine Option.

„Komforttheorie?", Sam lachte. „Nun, das ist, wenn Dad seinen Hintern aus der Komfortzone heben muss und sein Leben in die Hand nehmen." Sie streichelte Izzies Hand und ich sah Sam säuerlich an.

„Ich brauche keine Konfrontationstherapie und keine Komforttheorie. Alles war gut, wie es war." Störrisch verschränkte ich bei dieser Lüge die Arme vor der Brust. Nichts war gut gewesen und jetzt war es noch schlechter.

„Wie du meinst", Sam zuckte mit den Achseln. „Gute Nacht, Dawson!"

„Du kannst doch nicht..." begann ich, wusste aber, dass es vergeblich war, weiter zu sprechen, wenn Sam bereits die Tür schloss und mich in der Dunkelheit zurückließ.

„Bist du böse mit Mummy?", fragte Izzie leise und kniete sich mit dem Schlafsack in ihr Bettchen. Die knubbeligen Fingerchen umschlossen die Querstrebe des Gitters und beruhigend strich ich über die Hände der Kleinen.

„Nein, Schätzchen, alles ist gut. Mummy und ich sind nicht ganz einer Meinung. In zwei Wochen ist alles wieder wie immer", erklärte ich ihr. „Und jetzt musst du schlafen, meine Süße."

Sie kuschelte sich wieder auf ihr Kissen und umarmte Boris, den kleinen Eisbären, den sie so sehr liebte, dass wir ihn nicht waschen durften und er inzwischen eher wie ein Graubär aussah.

„Gute Nacht, Daddy", nuschelte Izzie und mit einem letzten Blick auf das Mädchen, das friedlich ihre Augen geschlossen hatte, verließ ich auf Zehenspitzen das Zimmer und lief leise die Treppe runter.

Wie angewurzelt blieb ich stehen. Ich weiß, es war nicht okay und ich hätte mich bemerkbar machen sollen, aber als ich sah, wie Riley den Saum ihres Shirts umfasste und es völlig unverstellt und ohne jede Scham über den Kopf zog, war ich wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Geblendet und gelähmt.

In dunkler Spitze hätte sie nicht aufregender aussehen können, als in der zartgelben Wäsche die sie trug. Einfach geschnitten und mit einem kleinen Schleifchen am BH hob sich der Stoff von ihrer gebräunten Haut ab. Ich ging zwei Stufen weiter nach unten, begegnete ihrem Blick. Ihre Wangen röteten sich und erschrocken hob sie ihr Schlafshirt vor die Brust. Das half jetzt nichts mehr, stellte ich fest. Ihr Bild war wie eine Droge bereits einmal durch mein System geschwappt und meine körperliche Reaktion auf sie war nicht mehr zu stoppen. Hier war ein zügiger und geordneter Rückzug angebracht, bevor Riley etwas bemerkte, das sie sicher noch mehr in Verlegenheit gebracht hätte und mich erst recht. Eine Entschuldigung stammelnd, deren Wortlaut ich später nicht einmal mehr erinnerte, ergriff ich die Flucht.

War die Ampel am Eisenwarenladen rot gewesen? Hatte ich dort gehalten? Keine Ahnung. Ich war in Gedanken überhaupt nicht im Auto, sondern nur bei dem Mädchen mit den sanften Rundungen. Riley spärlich bekleidet, hatte eine Flut von schmerzhaften Erinnerungen heraufbeschworen. Erinnerungen an weiche Haut, den zarten Duft von Weichspüler und leise Seufzer. An Küsse, die mich schwindelig gemacht hatten vor heißer Begierde und meine Beherrschung buchstäblich auf eine harte Probe gestellt hatten.

Ich hatte für sie eine Gefängnisstrafe riskiert. Das ganze Leben, das ich kannte, hatte ich für sie aufs Spiel gesetzt. Einfach weil ich mit ihr zusammen sein wollte. Weil sie mich magisch anzog und ich jeden Atemzug mit ihr an meiner Seite hatte verbringen wollen. Ich hatte ihr vertraut wie niemandem sonst. Wie hatte das alles nur so schieflaufen können?

Wie immer an heißen Tagen glich der Raum über der Werkstatt einem muffigen Backofen, als ich ihn betrat. Ich ließ die Tür hinter mir offen und riss die Fenster auf, um Durchzug zu machen, dann nahm ich mir eine Dose Bier aus dem Minikühlschrank. Bevor ich die Dose jedoch öffnete, schüttete ich noch eine Flasche kaltes Wasser in mich hinein. Dann setzte ich mich auf die oberste Treppenstufe und sah hinunter in den Garten, der inzwischen als wirklich gepflegt durchging. Wurde langsam zur Gewohnheit hier zu sitzen und Bier zu trinken.

Noch immer mit dem Kopf bei Riley nippte ich an dem eiskalten Bier und versuchte die Gedanken an das wieso und warum zur Ruhe zu bringen. Meine Gedanken ließen sich aber nicht vorschreiben, in welche Richtung sie driften durften. So landete ich wieder und wieder in derselben Sackgasse: Bei dem Moment, als für mich meine ganze Welt zusammenbrach. Als ich erkannte, welch negativen Einfluss ich auf Riley hatte. Ich hatte sie nie unsittlich berührt, obwohl ich oft genug an der Grenze meiner Beherrschung gestanden hatte. Sie war so unglaublich sexy. Ihre strammen Brüste, der perfekt trainierte Körper, diese unglaublich straffen Schenkel. Und obwohl sie unberührt war, küsste sie leidenschaftlich und sinnlich. Sie war die pure Versuchung gewesen. Trotzdem hatte ich lieber den Schmerz einer Dauerlatte ertragen, als diese moralische und rechtliche Grenze zu übertreten. Ich hatte nie im Sinn gehabt, ihr zu schaden. Dafür war sie mir zu wichtig.

Nach dem ich ihr vom Ritzen erzählt hatte, hatte ich es tagelang bereut. Sie war jung, stand beim Sport, dem Training, der Schule und den unentwegt abwesenden Eltern dauernd unter enormem Leistungsdruck. Ich hatte schreckliche Angst ausgestanden, sie auf schlechte Ideen gebracht zu haben. Das sie vielleicht in diese Negativspirale reinrutschen könnte, in der ich über Jahre feststeckte. Mädchen in der Pubertät, sagte man zumindest, waren sensibel, beeindruckbar. Beeinflussbar.

Zu welchen falschen Entscheidungen ich Riley verleitet hatte, konnte ich lange selbst nicht begreifen. Sie hatte sich entblößt. Ihren perfekten, wunderschönen und unberührten Körper geopfert für ein lebloses Ding. Das Motorrad hatte das Leben meines Vaters genommen, Riley auf eine kranke, verdrehte Art ihre Unschuld und mir jede Hoffnung auf eine Zukunft mit Riley. Ich hatte mir geschworen, mich von ihr fernzuhalten, sie vor mir zu schützen. Sie nie mehr in Versuchung zu führen oder in sittliche Gefahr zu bringen. Und nun war sie hier, sah noch immer aus wie das Mädchen, das ich liebte, duftete wie sie, ihre Haut unter meinen Fingern hatte sich angefühlt wie damals und war noch ebenso weich wie früher.

Ich ließ das Bier durch meine Kehle rinnen. Zwei Wochen. Das war zu schaffen, trotz der kurzen Hosen und der verdammten bauchfreien Tops, die ihre kleinen Brüste so sexy betonten. Ich musste einfach konsequent in ihr Gesicht sehen, dann würde mir all die nackte Pfirsichhaut gar nicht auffallen und es würde mich nicht in den Fingern jucken, Riley zu berühren.

Wenn das mal kein brillanter Plan war!

***

Es wurde eine Lesenacht gewünscht und ihr sollt eine haben!
Was denkt ihr über Samstag?
Um 19.00 Uhr starten wir mit einem Kapitel und dann gibt es um 20.00 Uhr und 21.00 Uhr jeweils ein weiteres.
Freu mich schon drauf :)

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