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Berta brachte uns, auf unsere Bitte hin, gegen halb acht Izzie vorbei und während wir uns die Köpfe heiß diskutierten, tollte Izzie mit Hund durch den Garten. Als Sam gegangen war, um Izzie, die neben Hund im Garten eingeschlafen war, ins Bett zu verfrachten, schnappte ich mir das Telefon und rief bei Chad und Lio an.
Lio war Feuer und Flamme für das Projekt. Er sicherte sofort zu, uns in seinem Urlaub zwei Wochen unter die Arme zu greifen. Chad hingegen zögerte.
„Du weißt, ich bin körperlich nicht belastbar. Vielleicht bin ich euch eher im Weg."
Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie er gerade durch die Einliegerwohnung im Haus seiner Großmutter in Cincinnati tigerte.
„Du bist nicht im Weg und du musst nicht unbedingt körperlich arbeiten, um zu helfen. Du kannst dich um Izzie kümmern. Telefonate führen. Angebote der Caterer einholen. Die Facebookseite pflegen. Kluge Ratschläge geben. Den Überblick über das Ganze behalten."
„Ich weiß nicht, Mann. Was ist mit meiner Diät? Und mit der Dialyse?"
„Ich kann dich zum Krankenhaus fahren und dich dort abholen. Und deine Diät... naja, da müssen wir eben alle durch."
Sein Zögern machte mich nervös. „Lass mich bitte nicht hängen, Mann. Wir brauchen hier jemanden mit deinem Organisationstalent. Einen, der einen kühlen Kopf behält. Ich wüsste keinen besseren als dich."
„Fein, gut. Dann versuchen wir es", lenkte er schließlich ein.
„Gut, ich buch dir einen Flug und schick dir die Tickets per Mail."
„Ich kann mit dem Auto..."
„Dafür würdest du drei Tage brauchen und dann zwei zur Erholung. Dann einen Tag für die Dialyse und schwupp ist eine Woche rum und noch nix passiert. Du fliegst."
Zehn Minuten zermürbende Diskussion später, gab Chad auf und um kurz nach Mitternacht bezahlte ich online seinen Flug für den übernächsten Morgen.
Pünktlich um zehn stand ich in der Ankunftshalle und wartete auf Chad, neben dessen Flug auf der riesigen Tafel die Information blinkte, dass sein Flieger gelandet war. Mit einem edlen schwarzen Trolley, der definitiv seiner Granny gehörte und einem passenden Bordcase rumpelte der Blonde rücksichtslos durch die Absperrung. Dabei schnitt er einem Pärchen den Weg ab und eine Dame mit Kaffeebecher konnte diesen nur knapp vor seinem Ellbogen retten.
Wenn Chad mal auf ein Ziel fokussiert war, lenkte ihn so schnell nichts ab. Nicht mal eine Schimpftirade unzufriedener Passantinnen auf High Heels.
Augenblicklich stand nur ich in seinem Fokus. Mit einem fetten Grinsen im Gesicht steuerte er auf mich zu, breitete die Arme aus und umarmte mich kumpelhaft mit viel Schulterklopfen. Als wir nebeneinander dem Ausgang zustrebten, musterte ich Chad unauffällig von der Seite. Er war blass, hatte Augenringe, seine Augen wirkten erschöpft und ein wenig stumpf.
„Ich seh das", knurrte Chad. Okay. Offenbar war meine Betrachtung auffälliger als geplant gewesen. „Wenn du was wissen willst, frag mich einfach. Im Gegensatz zu anderen spreche ich über meine Probleme!" Ich schnaubte belustigt.
„Also? Wie geht es dir?", stellte ich direkt meine Frage.
„Ich will nicht drüber reden", knurrte Chad.
Ich konnte ein dämliches Grinsen nicht unterdrücken, obwohl ich mich redlich bemühte. „Schön, dass wir das klären konnten."
Dann sagte ich spontan: „Du hast mir gefehlt, Chad."
Erschrocken und übermäßig theatralisch presste mein Kindergartenfreund seine Hand auf die Brust. „Ach du Scheiße! Seit wann hast du Gefühle für mich?"
Obwohl Chad das nicht böse meinte, igelten sich meine spontan gezeigten Emotionen ein und entsprechend stachelig reagierte ich.
„Halt einfach die Fresse, okay?", gab ich genervt von mir.
Da versuchte man einmal aus sich rauszugehen und wurde verarscht.
„Bist mal wieder sehr emotionsflexibel heute", neckte Chad mich. Und so seltsam es war, selbst diese ärgerliche Angewohnheit, mich aufzuziehen, hatte mir gefehlt. Langsam entspannte ich mich wieder.
„Was ist das denn für eine Straße?", murrte Chad, als wir die Auffahrt Richtung Werkstatt entlangholperten. „Die Zufahrt mal wieder mit Kies zu bedecken ist doch kein Hexenwerk, oder?"
Innerlich gab ich meinem Beifahrer recht. Viele Dinge, die wir in Rekordzeit zu bewältigen hatten, waren seit langem überfällig. Nur hatte sich nie jemand darum gekümmert. Wir waren an der Maschine festgehangen wie an einem klebrigen Netz und jede unserer Bewegungen hatte uns nur noch mehr in Planung und Bau verstrickt. Abraham als Chef hatte ein Händchen für Motorräder und was Drumherum geschah, erledigte sich von selbst oder es blieb eben wie es war. Ob der Hof chaotisch aussah, ob es in die Küche reinregnete, das Telefon kaputt war oder Hund in die Scherbe eines Blinkers getreten war, Abraham quittierte es mit einem Achselzucken und im nächsten Moment hatte er das Problem vergessen oder verdrängt. In der Hinsicht tickte er ähnlich wie ich. Mir fehlte bis dato nur die Perfektion jahrelanger Übung. Bei mir tauchten unerwünschte Erinnerungen oder Aufgaben mit schöner Regelmäßigkeit wieder auf und marterten mich vorzugsweise dann, wenn es am unpassendsten war. Die Erinnerung an eine splitterfasernackte Riley bei Tempo Zweihundert bildete da keine echte Ausnahme.
Als wir im Hof hielten, beobachtete ich Chads Reaktion. Er war noch nie hier gewesen und somit ließ sich von seinem Gesicht sehr gut ablesen, welchen ersten Eindruck wir machten. Der sah nach Chads Mine zu urteilen nicht richtig gut aus, obwohl wir gestern einen großen Teil der Unfallautos bereits in den Hinterhof geschleppt hatten.
„Wie viel Zeit meintest du, haben wir? Sechs Monate?", erkundigte sich Chad spitz.
„Wochen, Chad. Sechs Wochen und keinen Tag mehr."
„Das ist... verrückt. Also fangen wir an!" Er steuerte auf die Bürotür zu und ich übernahm die Vorstellungsrunde, während Sam in die Küche eilte, mit Kaffee und Sandwiches zurückkam und uns dann alle ins Besprechungszimmer lotste. Chad warf mir einen leidenden Blick zu. Salzarm war da natürlich nichts und Salami enthielt Phosphate. Dennoch nahm Chad aus Höflichkeit Brot und ein wenig Kaffee. Dann stürzten wir uns in die Besprechung.
Die Anregung, die Einfahrt zu kiesen, um einen guten ersten Eindruck zu erzielen, übernahmen wir einhellig auf die Agenda und Abraham versprach sofort einen Bekannten in „keine-ahnung-noch-nie-gehört-den-Ort" zu kontaktieren, da dieser irgendwas mit Straßenbau zu tun hatte.
Schließlich hatte jeder seine Aufgaben auf einer Abhakliste mit Deadline, damit die Abstimmung passte. Mir gehörte der Garten. Rourke bemitleidete mich fürs Hecke schneiden, Unkrauthacken, mähen, vertikutieren, Bäume schneiden und Holz häckseln. Doch ich war mit meinem Los, Bewegung an der frischen Luft zu haben, recht zufrieden. Ich begann früh, solange es draußen kühl war, mittags häckselte ich im Schatten der Bäume Holz und morgens verteilte ich die Hackschnitzel unter der Hecke. So arbeitete ich mich einmal von vorne nach hinten durch. Etwas zu tun, das so gar nichts mit Motoren und Karossen gemein hatte, tat unglaublich gut und fühlte sich fast wie Urlaub an, obwohl ich jeden Abend erschöpft bis in die Knochen war.
Chad machte sich derweil nützlich, wo er nur konnte. Er kochte, er pflegte die Homepage. Er fuhr mit Sam zum Caterer und zum Getränkegroßhandel. Er kümmerte sich um Pavillons und Stehtische. Um Hund. Um Izzie. Und um gute Stimmung. Einfach um alles und ich war unglaublich froh, ihn hier zu haben.
Als er mir Freitagabend ein gebügeltes Hemd überreichte, war ich zugegebenermaßen doch perplex. „Was soll ich damit?"
„Ist für morgen Abend", äußerte er knapp.
„Ich geh da nicht hin", antwortete ich kurzangebunden.
„Tust du", konterte er sofort. „Du musst damit abschließen. Wer schon Sandalen trägt, kann keine Stiefel anziehen."
Genervt knirschte ich mit den Zähnen.
„Aha", sagte ich. „Und das heißt jetzt was genau?"
„Dass du morgen endgültig mit Riley abschließen sollst und dann ein heißes Mädel abschleppst. Und in zwei Jahren schenkst du ihr einen Ring und kriegst eine Fußballmannschaft Kinder."
„Warum in die Ferne schweifen? Ich habe das heißeste Mädel weit und breit direkt vor der Nase. Und eine erste Feldspielerin hab ich mit ihr schon", frotzelte ich.
„Dann ist da doch noch was zwischen euch? Also zwischen Sam und dir?", erkundigte sich Chad lauernd.
„Nope. Aktuell nicht. Warum?"
„Och, nur so."
Klar. Nur so. Das konnte er mal jemandem erzählen, der an Märchen glaubte und sein scheinbar unbeteiligtes Achselzucken nicht einzuordnen wusste.
„Also, was ist? Gehst du hin?", schlug Chad einen Bogen zurück zu Moretti und seiner dämlichen Gala.
„Nein", murrte ich ungehalten und nahm ihm das Hemd ab. Missmutig stapfte ich die Treppe hoch und hängte das ordentlich gebügelte Hemd in meinen Schrank. Da konnte es von mir aus bis zum Tage meines jüngsten Gerichtes hängen. Dann nahm ich mir ein Bier aus meinem Kühlschrank und setzte mich auf die Treppe. Lang währte der Frieden nicht. Ich hatte vielleicht die Hälfte aus der Dose getrunken, wenn überhaupt, als mein Telefon klingelte. Niemand anders als Sam. Toll! Dann hatte Chad bereits bei ihr gepetzt. Kurz zog ich in Erwägung nicht hinzugehen, mich einfach tot zu stellen, dann entschied ich, dass Feigheit mir nur Fragen einbringen würde, ob es mir gut ging. Nach dem Gequatsche über Riley wusste ich das aber gerade selber nicht genau.
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