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„Nein." Wenn Sam glaubte, dieses eine Wort könne sie als ein vielleicht interpretieren, dann war sie auf dem Holzweg.

„Das ist wichtig für Dad! Nein, wichtig für uns alle. Unsere Firma steht und fällt gerade mit Morettis Wohlwollen. Du musst mitkommen. Bitte, Grady!" Sams Ton nahm etwas Bettelndes an, das mich früher veranlasst hätte, sofort jeden ihrer Wünsche im Bett bedingungslos zu erfüllen. Doch im harten Licht der Küchenbeleuchtung ging es nicht um körperliche Bedürfnisse, sondern um mein Seelenheil und mein Überleben.

Was an „nein" war nicht zu verstehen? Warum diskutierten wir seit einer halben Stunde? Wir drehten uns im Kreis wie ein Zahnriemen. Das gab doch keinen Sinn.

„Sam, ich bin hier, um zu arbeiten, nicht um auf Partys zu gehen", versuchte ich erneut zu erklären.

Ein ungutes Blitzen trat in Sams Augen.

„Nur deshalb?", fragte sie leise. „Nicht etwa wegen unserer Tochter? Nicht, weil Dad dir trotz des abgebrochenen Studiums einen Job geboten hat, nach dem andere sich die Finger lecken? Nicht, weil wir ein Team und eine Familie sind? Nicht, weil du Riley aus dem Weg gehen möchtest?"

Shit. Sie hatte mich mit dem Rücken an der Wand und drückte mir mit ihren Fragen langsam die Kehle zu. Die Enttäuschung und die Wut in ihren Augen lösten eine diffuse Sorge bei mir aus, eine unsichtbare Grenze übertreten zu haben. Ihre nächsten Sätze bestätigten das Gefühl.

„Fein. Dann wissen wir ja nun, wo du stehst. Nur solltest du nicht vergessen, was mein Dad alles für dich getan hat, seit du hier angefangen hast zu arbeiten. Er hat nie Fragen gestellt. Nicht mal, als du vor zwei Jahren mit nichts als deinen Klamotten am Leib hier aufgetaucht bist. Wenn du meine Meinung hören willst: Ich denke, du bist ihm diese Veranstaltung schuldig."

Schuldig?

„Ich denke nicht, dass ich Abraham etwas schuldig bin. Seit zwei Jahren arbeite ich ohne längeren Urlaub und nie unter fünfzig Wochenstunden. Ich leiste mehr als jeder Angestellte hier. Dich eingeschlossen", legte ich Sam dar. Ich war ziemlich entschlossen, mich aus der Affäre zu ziehen. Meine Argumente waren aber nicht wirklich überzeugend, denn sie starrte mich ungläubig an. Ein bisschen wie ein lästiges Insekt, das über ihr Essen krabbelte und das sie jeden Moment zerquetschen würde.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass Dad oder ich dich darum gebeten haben, dein komplettes Leben in dieser Werkstatt zu vergeuden. Das hast du ganz alleine entschieden. Mach uns nicht für deine Fehler verantwortlich, Grady!", schleuderte Sam mir wütend entgegen.

„Fehler? Du findest es ist ein Fehler, wenn ich für euch hart arbeite? Für meine Tochter, für dich. Für deinen Dad? Gut, dann wissen wir ja nun beide, wer wo steht." Zu allem entschlossen kreuzte ich meine Arme vor der Brust. „Ich nehme meinen Jahresurlaub. Jetzt."

Sam wurde blass. „Das kannst du nicht machen!", stieß sie hervor und kam mit dem Besen in der Hand einen Schritt auf mich zu. Die Blässe ihrer Wangen machte hektischen rötlichen Flecken Platz. Tränen stiegen in ihre Augen. „Vor der Präsentation sind noch hundert Dinge zu erledigen, das weißt du doch!", quiekte sie empört und leicht hysterisch.

„Dann würde ich vorschlagen, du lässt deinen Angestellten einfach seine Arbeit machen und schickst mich nicht auf eine beschissene Gala. Ich gehöre nicht auf solche Veranstaltungen."

„Wir brauchen Kontakte, wenn wir die Maschine an den Mann bringen wollen. Wenn nur einer aus dem Rennstall unsere Maschine kauft, dann wird sich das rumsprechen wie ein Lauffeuer! Mir geht es um die Werkstatt. Um unsere Angestellten, um die Familie. Ob du dich nun dazuzählst oder nicht! Und mir ist scheißegal, ob du Schiss hast, Riley dort zu begegnen."

Dieser letzte Satz, der kurz und präzise auf den Punkt brachte was ich in Hinblick auf Riley empfand, war wie ein Schwinger in den Magen. Wir hatten nie über Riley gesprochen. In all den vielen Monaten nicht.

„Unsinn", widersprach ich schwach. „Mit Riley hat das nichts zu tun!" Das entlockte Sam ein unfrohes Lachen.

„Natürlich geht es darum. Riley hat Semesterferien. Und wenn Leroy Fitz zusammen mit Moretti auf der Gala ist, dann ist Riley garantiert dabei. Sie weiß nämlich im Gegensatz zu dir, was sie dem Italiener und der Firma, die ihren schicken Audi finanziert, schuldig ist."

Langsam aber sicher brachte mich das Thema an die Grenzen meiner Geduld und darüber hinaus.

„Den Scheiß muss ich mir jetzt nicht anhören. Bilde dir kein Urteil über Dinge, von denen du nichts weißt."

Wütend stapfte ich aus der Küche und ins Büro. Dort füllte ich nach einem kurzen Blick in den Kalender einen der Urlaubszettel aus und knallte ihn auf Sams Tisch.

In der Tür vom Büro fing sie mich ab.

„Grady, komm schon, jetzt sei kein solcher Arsch. Du bist doch sonst nicht so störrisch und uneinsichtig."

Protestierend hob ich die Stimme. „Ich bin kein Arsch! Ich will nur nicht auf diese Gala."

Sie seufzte schwer. „Das habe ich gehört. Du warst laut genug, damit ein Tauber es verstanden hätte. Bitte tu mir nur den Gefallen und denk über meine Argumente nach. Dad braucht dich dort. Du bist der Kopf der Entwicklungsabteilung."

„Ich bin die komplette Entwicklungsabteilung, nicht nur der Kopf!", gab ich zu bedenken und Sam lachte.

„Sollen wir dein Ego ein bisschen streicheln?"

Sie kam einen Schritt näher und fuhr mit der Hand über meinen Brustkorb, dabei sah mich von unten beschwörend an. „Wenn es untragbar ist, dann geh nicht hin. Aber nimm dir Zeit, die Sache wenigstens gründlich zu durchdenken."

Geschlagen nickte ich. „Ich verspreche aber nichts!", erklärte ich mit Nachdruck.

„Das verlange ich doch nicht. Ich verlasse mich einfach auf deinen gesunden Menschenverstand und hoffe, dass du zum richtigen Ergebnis kommst. Wir sehen uns morgen, ja?"

Seufzend griff ich nach dem Urlaubszettel, knüllte ihn in meiner Faust zusammen und warf ihn in Sams Papierkorb. Ein drei Punkte Wurf aus dieser Entfernung, wenn man mich fragte. Aber Sam hatte mit ihrem Besen bereits kehrtgemacht und widmete sich summend dem Küchenboden. Keine Ahnung, was ich mit mir anfangen sollte, jetzt, wo unser Prototyp fertig war. Wenn ich an Sams blasses Gesicht nach meiner Eröffnung mir Urlaub zu nehmen dachte, lag die Vermutung nahe, dass sie einige Dinge im Hinterkopf hatte, die erledigt werden mussten.

Ich folgte ihr in die Küche. Als ich sie ansprach, zuckte sie vor Schreck zusammen. „Himmel! Was schleichst du dich so an? Ich dachte du wärst bereits gegangen!", fluchte sie verhalten.

„Wie du siehst bin ich noch da", gab ich amüsiert zurück. „Gibt es eine To-do-Liste, was für die Präsentation vorzubereiten ist?"

Wie vorausgesehen: Es gab eine Liste, die Sam mir aushändigte. Schon beim Überfliegen wurde mir schwindelig.

„Weiß Abraham, was du da alles planst?", erkundigte ich mich. Sam verdrehte die Augen. „Vielleicht nicht ganz so detailliert?" Zerknirscht sah sie mich an. Ich fuhr mir durch die Haare. Überlegte, wie ich in nette Worte kleiden sollte, dass das nicht machbar war.

„Das wird nichts, oder?", kam Sam mir zuvor. Plötzlich hatte sie wieder Tränen in den Augen. Manchmal war sie emotionaler als ich es ertragen konnte. „Ich wollte doch nur, dass es so toll wird wie beim ersten Mal."

Tränen rollten über ihre Wangen. „Mum hat damals alles organisiert. Es gab Pavillons im Garten, Luftballons, am Abend Fackeln. Granny hat sich um Häppchen und Getränke gekümmert. Später gab es ein Barbecue und..." Sams Stimme wurde von Schluchzen überdeckt. Mein Blick fiel durchs Fenster in den Garten. Von Pavillons und gepflegtem Rasen waren wir Meilen entfernt.

„Der Garten ist ein Schlachtfeld. Wo willst du denn da Pavillons aufbauen?"

Schniefend legte sie mir dar, was sie für einen guten Plan hielt.

„Die alten Autos müsste man in den Hinterhof schleppen. Dann könnten wir mähen und die Hecke schneiden. Berta und ich könnten das Unkraut unter der Hecke mit Rindenmulch abdecken."

Ich begann zu lachen. „Sam, dazu müsstest du den Mulch kniehoch aufschütten!"

„Hast du eine bessere Idee?", schnauzte sie mich an, und wischte zusammen mit den Tränen ihre dunkle Wimperntusche durchs Gesicht. Mühsam unterdrückte ich ein Grinsen, weil sie jetzt aussah, als sei sie auf Kriegspfad. „Ich wollte eben einen Rundweg wie damals." Aus geröteten Augen starrte Sam geschlagen auf das Papier in ihren Händen, bei dem es sich eher um ihre Weihnachtswunschliste als um ein realisierbares Projekt handelte. Selbst mit einer Task Force und zwanzig Rentieren hätte nicht einmal der Weihnachtsmann ihre Träume ermöglichen können.

Es sei denn, man kannte jemanden, der mehr Dinge gleichzeitig koordinieren konnte als zehn Heinzelmännchen erledigten. Nur gut, dass ich das Universalgenie für einen solchen Wahnsinn in der Hinterhand hatte. Jemanden, der immer einen kühlen Kopf bewahrte, wenn es heiß herging. Der einzige Schwachpunkt bei meiner Gleichung war Sam. Es stand zu befürchten, dass sie heißer war als Chads Kopf kühl. Es war davon auszugehen, dass er einen guten Teil seiner Zeit damit verbringen würde, Sam zu becircen. Aber lieber ein Chad, der flirtete, als kein Chad und wenn wir Sams Ideen ein wenig aussiebten und zurückstutzten, dann war ihr Plan durchführbar.

„Komm, setz dich mal." Ich zog ihr einen Stuhl unter dem Tisch hervor und sie ließ sich matt fallen. Hoffnungsvoll sah sie mich an und die Situation erinnerte mich eklatant an die Gewaltaktion, vor Izzies Geburt ein ganzes Haus zu renovieren. Die Bruchbude, die wir im Akkord renovieren mussten, war ihr Elternhaus gewesen, bevor sie es von Leuten zurückgekauft hatte, die das Häuschen hatten verwahrlosen lassen. Jetzt kam sie mit dieser überzogenen Aktion einer Präsentation um die Ecke.

Der gemeinsame Nenner dieser wahnwitzigen Pläne war ihre Mutter. Verständnis regte sich in mir. Mein Vater war meine Achillesferse. Sams wunder Punkt war ihre zu früh verstorbene Mutter.

„An sich gefällt mir dein Plan. Nur würden wir viel Zeit sparen, wenn wir den Rundweg so gestalten, dass wir nicht den ganzen Garten auf Vordermann bringen müssen, sondern nur einen Teil. Die Leute könnten durch den Hof und dann an den beiden Motorrädern vorbei durch die Werkstatt in die Küche gehen, wo wir das Buffet aufbauen. Anschließend können sie im Garten an Tischchen im Schatten essen."

Einen Moment kaute Sam auf ihrer Unterlippe. Man sah ihr an, dass sie den Vorschlag genau durchdachte und auf Schwachpunkte prüfte.

„Den Weg könnten wir mit Stempen und dicken Seilen markieren. Wie bei den teuren Clubs", schlug sie vor.

„Von mir aus. Den Weg draußen vom Garten zurück zum Ausgang könnten wir mit Schautafeln säumen. Das würde den Blick vom Hinterhof ablenken."

Sam nickte euphorisch. Vor Begeisterung hatte sie rote Wangen, ihre Augen leuchteten. Dann fiel ihre Begeisterung zusammen wie die Käsesoufflees, an denen ich mich kürzlich versucht hatte. „In so kurzer Zeit ist das wohl trotzdem nicht machbar. Und die Einladungen sind schon raus. Auf Insta, Twitter und Facebook haben wir das Datum bereits verbreitet. Wir werden uns wohl darauf beschränken müssen, die Leute in die Werkstatt zu lotsen und dort Häppchen und Getränke reichen."

Beruhigend strich ich ihr über den Unterarm.

„Machbar ist das bestimmt. Wir werden nur Hilfe brauchen. Viel Hilfe. Ich kann mal bei Chad und Lio anfragen. Und du horchst mal bei Berta nach. Terence ist immer knapp bei Kasse, vielleicht unterstützt er uns an den Wochenenden gegen ein paar Dollar extra."

„Vor zwei Stunden wolltest du nicht auf eine Gala und jetzt planst du selber eine?", fragte Sam fassungslos.

„Planen und hingehen sind zwei Paar Schuhe, Sam!"

Mit der Aussage ließ sie mich vom Haken. Wer sie so gut kannte wie ich, konnte aber genau erahnen, dass wir mit dem Thema noch nicht durch waren.

Lange saßen wir noch in der Küche, polierten Sams Liste auf, brachten Erledigungen in eine andere Reihenfolge und markierten mit bunten Farben, wen wir für welche Aufgabe als geeignet ansahen.

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