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„Du hättest dir keinen Drachen, sondern lieber eine Schlange tätowieren lassen sollen, damit jeder gewarnt ist, wie falsch du bist", zischte Dawson Sam gerade an, als Lio und ich die Küche betraten.

„Witzig, wenn gerade du das sagst! Wer hat betrunken mit Cindy rumgemacht und dann den falschen Namen gestöhnt?", gab Sam bissig zurück und nahm Dawson damit zumindest für einen Moment den Wind aus den Segeln. Mit offenem Mund und sehr schuldbewusst starrte er Sam an. Mit diesem Konter schien Dawson nicht gerechnet zu haben und ehrlich gesagt, ging der vor Publikum weit unter die Gürtellinie. Buchstäblich.

Ich spürte, wie meine Wangen sich röteten, und verräterische Wärme langsam zu meinen Ohren kroch und in die entgegengesetzte Richtung über meinen Hals krabbelte. Lio nahm die Sache natürlich viel gelassener und schnaubte lediglich amüsiert. Ohnehin hätte man glühende Wangen bei seiner dunklen Haut nicht wahrgenommen, eine Tatsache, um die ich ihn gerade sehr beneidete, wo ich mal wieder leuchtete wie eine verdammte Signalampel.

„Wer ist Cindy? Ist die hübsch?", erkundigte sich Lionel. Ich zog den Kopf ein und die Schultern hoch, weil ich schon mit einer lauten Erwiderung von Dawson rechnete. Doch der war völlig auf Sam fixiert, die boshaft lächelte. Drohend baute sich Dawson vor Sam auf. „Noch ein Wort von dir...!"

„Als ob ich was sagen müsste! Jeder, der Cindy sieht, weiß sofort, warum du mit ihr im Bett gelandet bist. Wobei ich sagen muss, das Original gefällt mir deutlich besser. Wenn Cindy das Grundmodell ist, wäre Riley ein Sport-Coupé."

Sie zwinkerte mir zu und ich machte große Augen. Er hatte doch wohl nicht wirklich? Nein, ich hatte es nicht falsch verstanden. Sie meinte...

„Bah, ist ja echt ekelhaft, Dawson!", stieß ich impulsiv aus und er schoss zu mir herum. Seine hellbraunen Haare wirbelten um seinen Kopf wie in den Sturm geraten und seine Augen hatten alles Weiche verloren. Niemand wäre auf die Idee gekommen, seine Augen mit Moos zu vergleichen. Sturmtosende irische See schwappte mir entgegen.

„Findest du? Ich bin dir jedenfalls nicht fremdgegangen!"

Mein Herz blieb eine Schrecksekunde lang stehen. Mühsam versuchte ich zu verarbeiten, was er gerade allen Anwesenden mitgeteilt hatte. Nämlich, dass wir mal ein Paar gewesen waren. Eine Information, die wir -oder möglicherweise nur ich?- geheim gehalten hatten. Ein Blick in Lios schockiertes Gesicht bestätigte mir aber, dass er bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung gehabt hatte. Sam hingegen grinste selbstgefällig, was nur einen Schluss zuließ: Sie es sehr wohl geahnt. Vielleicht wegen dieser Cindy-Sache. Wie auch immer die jetzt genau gelaufen war.

Nachdem mein Herz wieder einen Takt, wenngleich einen deutlich zu schnellen, gefunden hatte, setzte ich zu einer Entgegnung an. „Ich habe dich nicht betrogen."

Selbst in meinen Ohren klang das lahmer als ein alter Gaul und ganz und gar nicht überzeugend. Wie bei unserem letzten Streit zuckte Dawson prompt wieder mit den Achseln. „Das kann jeder behaupten."

„So, wie jeder mit Unterstellungen rumwerfen darf, ohne nur die geringsten Beweise zu haben?" Meine Stimme zitterte vor Empörung.

„Ich muss nichts beweisen, Riley. Ich weiß, was ich gesehen habe und das reicht." Seine Stimme war leise und sein Unterton geradezu boshaft.

„Einen Scheiß hast du gesehen, du Blindgänger!", begehrte ich auf. „Die Fotos beweisen gar nichts, Dawson. Dass ich noch Jungfrau bin, kann ich aber sehr wohl beweisen. Nur wirst du nie wieder nah genug an mich herankommen, damit du dich davon überzeugen kannst!"

In der Stille, die auf diese Eröffnung folgte, hätte man eine Feder zu Boden fallen hören. Dawson starrte mich einfach nur ungläubig an und ich starrte erbost zurück.

„Ich könnte für dich nachsehen, Dawson", durchbrach jemand hinter mir die absolute Stille, dessen Stimme mir vage bekannt vorkam. Sie gehörte Chad, den ich vor längerem in Dawsons Studentenwohnheim kurz gesehen hatte und als eher schmächtigen Kerl mit blonden Haaren, Augenringen, sowie einer spitzen Nase in Erinnerung hatte.

Wenn es um dreckige Witze ging, konnte Chad es offensichtlich problemlos mit Lio aufnehmen, was wohl erklärte, warum die beiden einen Draht zueinander hatten. Lionel brach neben in schallendes Gelächter aus. Meinen Humor traf die Aussage nicht, wohl aber den der anderen beiden Mitarbeiter, die unser Streit angelockt hatte. Auch die lachten. Plötzlich begann meine tapfere Fassade zu bröckeln. Ich war müde, hungrig und wütend. Verletzt, weil Dawson vor all den mir Fremden schmutzige Wäsche wusch und nicht einmal den Anstand hatte, auf meine Aussage zu reagieren.

Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wollte einfach nur noch raus hier. Weg von all den Unbekannten, vor denen ich gerade intimste Details ausgebreitet hatte. Weg von Chad, der es lustig fand, Witze darüber zu machen und weg von Lio, der mich hätte verteidigen sollen. Weg von Sam, die mich ungläubig ansah, fast als sei es ein Frevel, mit achtzehn unberührt zu sein und am weitesten wollte ich von Dawson weg, dem die Tatsache, wie unrecht er mir getan hatte, völlig egal schien. Dass er auf Knien um Verzeihung bat, erwartete ich nicht. Aber einen kleinen Hinweis, ob ihm klar war, dass er und nur er, alles in den Dreck gezogen hatte, was ich für ihn getan hatte, den wünschte ich mir schon.

Mit zwei Schritten drängte ich mich zwischen Dawson und dem schweren Holztisch durch, der den Raum dominierte und steuerte auf die Tür neben den Küchenfenstern zu. Wenn auf dieser Seite der Küche Fenster waren, führte die Tür dazwischen ganz klar ins Freie. Problemlos ließ sie sich öffnen, schwang dann nach innen auf. Brütende Hitze schlug mir entgegen und einen Moment fühlte ich mich, als würde ich gegen eine Wand aus Wärme laufen, die mich bremste. Dann setzte ich zügig einen Fuß vor den anderen, flog über die Wiese, um den Garten zu durchqueren.

„Riley, warte!", rief Dawson. Ich schnaubte, die Situation kam mir bekannt vor. Nur war dies ein anderer Garten an einem anderen Ort, der Waldrand vor mir deswegen aber nicht weniger attraktiv.

„Verdammt! Warte! Wo willst du denn hin?", brüllte mein Verfolger, aber ich dachte gar nicht daran, langsamer zu werden. Ich rannte auf den Jägerzaun zu, der das Grundstück umgab, stützte mich ab und sprang darüber. Eine Spitze der schräg aneinander genagelten, halbierten Rundhölzer hinterließ einen sehr schmerzhaften Abdruck in meinem Handteller. Doch davon ließ ich mich nicht aufhalten.

Ohne zu zögern, rannte ich auf die Bäume zu und folgte dem Weg zwischen niedrigem Gebüsch hindurch und dann immer weiter, bis ich aufs Geratewohl abbog. Einmal links, einmal rechts, zweimal links. Schnaufend blieb ich stehen, versuchte zu Atem zu kommen. Dann schlug ich mir die Hände vors Gesicht. Vor zwei Jahren hatte ich Dawson sechs Wochen um eine Aussprache angebettelt. Nun war der Wunsch in Erfüllung gegangen. Nur gar nicht, wie erhofft. In meiner Vorstellung hatten wir uns getroffen, in Ruhe geredet und am Ende hatte er mir verziehen und in den meisten Variationen, die ich mir erträumte, hatte er sich entschuldigt und mir versichert, wie leid es ihm tat. Und wenn sie nicht gestorben sind...

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