18

Nachdenklich betrachtete ich die Preisliste, die auf einem Tischchen stand und überlegte, ob ein wenig Entspannung die horrenden Ausgaben rechtfertigte und entschied mich für ein eindeutiges „Nein!". Trotzdem betrat ich den dämmrig ausgeleuchteten Bereich und buchte mir eine Rückenmassage, zu der ich mich nach ein paar Bahnen völlig entspannen Schwimmens und zwei Saunagängen einfand.

Als ich am Abend vor dem Spiegel stand, musste ich gestehen, dass die Masseurin recht gehabt hatte: meine Haut hatte ein Peeling gut vertragen können. Auch die Pediküre und die Maniküre hatten kein bisschen geschadet. Ich strahlte trotz der anstrengenden hinter mir zurückliegenden Tage die jugendliche Frische aus, die ich besaß. Prüfend strich ich über meine Arme und Beine. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wann ich seit den letzten Fotoaufnahmen so weiche Haut gehabt hatte. Vor denen hatte mich Thomas in einen südteuren Schönheitstempel gesteckt, wo Stunden an mir gefeilt, geschrubbt, gewachst und mein Hairstyling perfektioniert worden war. Das Ergebnis hatte offensichtlich zusammen mit dem Make-up und einem heißen Typen an meiner Seite, hunderttausende von Menschen von den Socken gehauen.

„Hey, du Super-Model!", begrüßte mich Leroy, als er am Abend die Suite betrat.

„Fuck", fluchte er, weil er über meine Schuhe gestolpert war. „Wow, Riley. Heiß. Ich steh auf Rot, weißt du das?" Er griff nach meiner Hand und hielt die Nägel hoch. „Sieht doch sexy aus, oder, was meinst du Dawson?"

Dawson, der Leroy folgte, zog eine Augenbraue hoch und räusperte sich. „Passt schon", murmelte er. Enttäuscht widmete ich mich Leroy, der bereits weitersprudelte.

„Diese schöne Frau sollten wir heute stilvoll ausführen. Ich weiß auch schon wo wir hingehen."

Ohne uns nach einer Meinung zu fragen, zog er sein Shirt über den Kopf und entblößte sein perfektes Six-Pack und die breite tätowierte Brust. „Ich geh schnell duschen."
Er warf Dawson einen kritischen Blick zu. „Würde ich dir auch empfehlen." Da mochte er mal recht haben. Dawsons Shirt trug die Spuren der Schrauberei am Nachmittag und seine Arme und seine Unterschenkel wiesen Striemen von Schmieröl auf.

Die Tür vom Bad schlug zu. „Der Typ ist nicht ganz normal. Er nimmt Speed, oder?", fragte Dawson und starrte auf die geschlossene Tür.

„Ich glaube, er kokst manchmal und er raucht ab und an mal irgendwelches Zeug. Speed glaub ich jetzt mal eher nicht."

Befremdet sah Dawson mich an.

„Guck nicht so. Dein Freund Lio war früher ab und an total dicht!", wies ich Dawson auf das Offensichtliche hin.

„Du nimmst aber nicht irgendwelches Zeug, oder?", fragte er mich besorgt.

Meine Antwort darauf fiel bissiger aus als nötig. „Nein. Ich bin Sportlerin. Schon vergessen?"

„Und er nicht?" Dawson klang aggressiv und sein Kopf ruckte Richtung Tür, hinter der Leroy verschwunden war und wo nun Wasser rauschte.

„Leroy hat es nicht leicht, Dawson." Mehr Infos gab ich dazu nicht. Das ging Dawson alles nichts an. „Jeder hat seine Art, mit seinen Problemen umzugehen. Das solltest du am besten Wissen. Also wirf nicht mit Steinen, wenn du selbst im Glashaus sitzt. Könnte sein, dass du dich an den Scherben schneidest."
Reflexartig strich Dawson über seinen Unterarm und ich hob eine Augenbraue. „Oder ist das bei dir kein Thema mehr? Kann man das abstreifen wie eine Schlange ihre Haut?"

Keine Ahnung, was mich ritt, ausgerechnet jetzt in dieser Wunde zu bohren. Wo ich das Thema aber schon mal aus der dunklen Ecke gezerrt hatte, wo es immer wieder an mir genagt hatte, war ich ausgesprochen neugierig auf Dawsons Antwort. Die bestand nur aus einem kühlen Blick und einem noch kälteren Lächeln, dass ich nicht einordnen konnte. Warum musste Dawson immer so verflucht zugeknöpft sein!

„Ich geh mal. Wir sehen uns nachher unten", wich Dawson aus und verließ die Suite.

„Riley, nun komm schon, du siehst toll aus."

Leroy stand im Türrahmen und musterte meine Bemühungen, mein Gesicht zu verschönern. „Pack mal dein Malzeug weg und lass uns essen gehen. Dawson wartet sicher schon und ich verhungere hier fast."

Im Spiegel begegnete ich Leroys Augen. „Ich dachte nur, dass ich mir vielleicht etwas mehr Mühe geben sollte, wenn ich mit einem schönen Mann wie dir auf die Straße gehe."

Leroy lachte kehlig. Seine Augen blitzten amüsiert.

„Du kannst nicht annähernd genug Farbe in dein Gesicht schmieren, damit du mit mir mithalten kannst." Das stimmte natürlich. Sein Körper war von Kopf bis Fuß tätowiert. Die meisten Bilder in schwarzer Farbe, aber einige stachen bunt zwischen den dunklen hervor. Dagegen war mein bisschen Lidschatten ein Fliegenschiss an einer Fabrikwand. Leroy kam näher und umarmte mich von hinten. Intensiv starrte er in den Spiegel, hielt meinen Blick fest. Die Wärme, die seine Augen ausstrahlten, war beruhigend. Ich war gesegnet, einen Mann wie ihn meinen Freund nennen zu dürfen. „Was macht dir wirklich Sorgen, Baby? Du schminkst dich sonst nie, wenn wir nicht gerade auf wilde Partys gehen oder vor der Kamera stehen."

Ertappt sah ich auf das kleine Täschchen neben dem Waschbecken. Er hatte recht, die Idee war dämlich. Mein Herz war dämlich.

„Dawson hat mich geküsst", flüsterte ich zaghaft. „Nach dem Abend in der Bar. Ich dachte, wenn ich mich ein bisschen aufhübsche, tut er es vielleicht nochmal?" Nervös rubbelte ich über einen nicht vorhandenen Fleck auf dem Waschtisch.

„Wenn er es tut, nur weil du geschminkt bist, dann tut er es möglicherweise aber aus den falschen Gründen. Meinst du nicht?"

Tränen traten in meine Augen als er laut aussprach, was ich selbst befürchtete. Wenn Lee es sagte, klang es noch viel realer. Fast als wären aus Gedanken Worte und aus Worten Tatsachen geschaffen worden.

„Keine Ahnung, Lee. Ich will doch nur..."

„Ich weiß, was du willst, Baby", flüsterte Leroy und drückte seine Wange gegen meine. „Einfach wieder glücklich sein. Aber vielleicht ist er nicht der, der dafür gedacht ist, dich glücklich zu machen. Du liebst doch das Leben, Riley. Dann verschwende keine Zeit, denn aus Zeit ist dein Leben gemacht."

Wehmütig seufzte ich. „Du denkst ich sollte es gut sein lassen? Einfach nach Hause fliegen und vergessen, was war?"

Er zuckte mit den Schultern. „Hab ich nicht gesagt. Ich bin nur der Ansicht, dass das hier Zeitverschwendung ist."

Er hob mein Schminktäschchen mit einer Hand und wedelte damit demonstrativ vor meinem Gesicht.

„Jetzt komm. Ich verhungre sonst und du bestimmt erst recht." Aufmunternd sah er mich an und ich folgte ihm zum Ausgang.

Der Parkservice brachte uns das Auto und als ich sah, dass Leroy einem ziemlich übertrieben motorisierten Mercedes gemietet hatte, verdrehte ich nur die Augen.

„Was stimmt mit dir nicht?", erkundigte ich mich. „Dein Gepose wird immer schlimmer. Was kommt als nächstes? Goldketten und ein Revolver? Kunstpelz und Schuhe mit Diamanten?"

„Ach komm, lass mir doch den Spaß. Ich mag es schnell."

Ich knuffte ihn in die Seite.

„Deswegen magst du mich ja. Weil ich im Wasser so schnell bin."

„Nein, weil ich neben dir einfach gut aussehe", antwortete er trocken. „Du bist süß und unschuldig und ich wirke neben Dir besonders gefährlich. Das mögen die Frauen", behauptete Leroy mit einem frechen Grinsen.

„Hat dir mal jemand gesagt, dass du einen an der Klatsche hast?"

Sein Lächeln fiel in sich zusammen und in gespieltem Schrecken riss er die Augen weit auf.

„Komisch, jetzt wo du es erwähnst... diese Tussi mit den blonden Locken aus dem Club meinte sowas, als ich sie letztens gefragt hab, ob sie mir im Klo einen..."

Ich hielt mir die Ohren zu.

„Pfui! Stopp! Keine weiteren Details!", empörte ich mich.

„Das du immer derartig verklemmt bist, Riley!" Lachend schüttelte Lee den Kopf. „War doch eh nur ein Scherz!"

Da war ich mir nicht sicher. Weil gerade Dawsons aus dem Hotel trat, vertiefte ich das Thema nicht weiter. Ich beschäftigte mich lieber damit, Dawson anzuhimmeln. Glattrasiert, die Haare ordentlich zurückgekämmt und gescheitelt erinnerte seine Frisur beinahe an die Rockabilly-Ära der Fünfziger. Er trug ein einfaches Henley-Shirt in einem dunklen grau und dazu blaue Jeans. Seine Ärmel hatte er nach oben geschoben. Aber nicht allzu weit, nur wenige Zentimeter. Gerade so, dass man seine Narben nicht sehen konnte und mit einem unguten Gefühl fragte ich mich, warum er die letzten Tage T-Shirts getragen hatte, heute Abend aber plötzlich nicht mehr. Ob es an meiner Bemerkung im Zimmer lag? War ich zu weit gegangen?

Prüfend sah ich ihn an, doch seine Miene war Fort Knox. Verschlossen. Zumindest blickte er nicht mehr grimmig drein wie ein gereizter Bär.

„Hey", begrüßte er uns und schob sich auf die Rückbank. „Cooler Wagen", stellte er fest, bevor er sich anschnallte.

Leroy warf mir einen Blick zu, der mir „Sag ich's doch!" signalisierte und fuhr dann zu dem Restaurant, in dem er mit Dorian und Razor, zwei Adrenalin-Junkies wie sie im Bilderbuch standen, gerne aß. Typisch amerikanische Küche, die Dawson bestimmt mochte.

„Wir können die All American Platte teilen", schlug ich vor. „Steak, Spare-Rips, Chicken Wings, Baked Potatoes, Onion Rings und Salat. Was mein ihr?"

Lee nickte zustimmend. Dawson wirkte unentschlossen. „Ich nehm lieber einen Burger", entschied er dann.

Leroy legte seinen Arm um meine Schulter. „Dann teilen wir beide einfach, okay?"

Ich nickte abgelenkt, denn ich war damit beschäftigt, Dawsons Unterarm im Auge zu behalten, während er durch die Karte blätterte. Schließlich legte er sie weg und ich sah hastig beiseite, damit er mich nicht erwischte.

Die Bedienung kam an unseren Tisch, die Bestellung aufnehmen und um nach unseren Getränkewünschen zu fragen, nahm uns die Karten weg und ging mit viel Hüftgewackel zum Tresen.

„Tussi", murmelte Leroy leise. Dawson hob belustigt einen Mundwinkel, dann den zweiten. Seine Augen blitzen boshaft. Was stimmte mit mir nicht, dass ich das unglaublich sexy fand?

„Wenn sie die ganze Zeit mit dem Arsch wackelt, wenn sie unser Getränketablett trägt, dann sind unsere Gläser leer, bis sie vom Tresen hier ist."

Irgendwie war es beruhigend, dass Dawson ihr Verhalten genauso albern fand wie Leroy. Und ich.

„Entschuldigung?", fragte eine schüchterne Stimme neben uns.

Leroy beugte sich vor, um an mir vorbeiblicken zu können.

„Ich würde gerne ein Foto von euch haben. Darf ich?"

Ein dunkelhaariger Junge hob sein Handy ein wenig.

„Na klar, nur zu!"

Leroy lehnte sich seitlich gegen die Wand und zog mich mit, bis ich halb auf seinem Schoß saß und legte einen Arm um mich. Seinen Kopf legte er auf meine Schulter. Eine Pose, die Thomas sicher gut befunden hätte für das „Moretti-Paar".

Der Junge machte seine Fotos und Leroy bat den strahlenden Jungen, das Foto doch über Insta mit uns zu teilen. Eifrig nickte der Kleine.

„Willst du ein Foto, wo du mit uns zusammen drauf bist?", fragte Leroy und wenn möglich wurde das Lächeln des Kleinen noch breiter. „Ja, bitte!" Begeistert nickte er. Leider waren seine Arme fast ein wenig zu kurz, damit er ein Selfie machen konnte, Lee half ihm aber aus, in dem er das Foto schoss.

Durch den Jungen hatten wir einige Aufmerksamkeit auf uns gezogen und der eine oder andere Gast sah tuschelnd zu uns. Manche fragten sich wohl einfach wer wir waren, andere erkannten uns nach genauem Hinsehen. Zwei Mädchen wollten kurz darauf ebenfalls ein Foto mit uns und zwei Typen, um die sechzehn, vielleicht siebzehn, wollten ein Foto mit mir in der Mitte.

Dann kam unsere Bestellung und man ließ uns tatsächlich in Ruhe essen. Dawson musterte mich immer wieder unergründlich, gab sich aber eher schweigsam. Als wir gegessen hatten, baten wir um die Rechnung und verließen das Lokal.

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