15

Ich folgte Terence.  Was blieb mir auch übrig?
Gas geben. Bremsen. Gas geben, bremsen. In Gedanken wiederholte ich seine Worte ein ums andere Mal. Wir fuhren an der Biegung vorbei und Terence schoss den Anstieg hinauf. Staub wirbelte hoch. Ich tat es ihm gleich, gab ordentlich Gas, obwohl mir vor Angst der Schweiß auf der Stirn stand. Ich biss die Zähne zusammen, als die Enduro nach vorne und bergauf schoss. Mein Zahnschmelz bekam vermutlich gerade Risse. Kurz vor der Kuppe bremste ich hart. Mit Grauen spürte ich, wie das Hinterrad zur Seite driftete und das Motorrad sich quer stellte. Terence bremste nicht. Im Gegenteil. Während ich atemlos quer zum Hang zum Stehen kam, gab er Gas. Sein Motorrad schoss nach vorne und er flog über den Abgrund, den er charmant und sehr beschönigend als Senke bezeichnet hatte.

Auf der anderen Seite, kam er hart auf dem Boden auf, fuhr einen Bogen und mit Blick zu mir blieb er stehen. Er klappte sein Visier hoch. „Na komm schon, Riley!", rief er zu mir herüber. Seine Augen glänzten euphorisch nach dem verrückten Flug durch die Luft. Einen Moment konnte ich ihn nur anstarren und mich wundern. Wieso lernte ich nie normalen Typen kennen?

Ich gab Gas, fuhr durch die Senke, die Terence elegant und souverän übersprungen hatte und bretterte dann etwas mutiger als zuvor den Hang rauf. Oben bremste ich kräftig, das Motorrad stellte sich erneut quer, Staub wirbelte auf.

„Schön, dass du Spaß hast!" Terence grinste jungenhaft und fuhr wieder voran. Wenige Minuten später trafen wir auf einen Wirtschaftsweg, dem wir folgten, bis dieser jäh an einem Tor endete, an dem ein Zahlenschloss den Zutritt verwehrte.

Terence öffnete dieses und langsam rollten wir vorwärts. Nach dem wir ein paar weitere Baumreihen hinter uns gelassen hatten, öffnete sich das Gelände. Ein breiter Bach führte auf den ersten Teich zu, mündete dort umgeben von saftig grünen Wiesen. Die umliegenden hohen Bäume spendeten den wie Perlen auf einer Kette aufgereihten Seen am Rand Schatten. In der Mitte der glasklaren Gewässer spiegelte sich statt der dunkelgrünen Nadelbäume der blaue, wolkenlose Himmel. Die Szenerie hätte tatsächlich romantisch sein können. Der Umstand, dass unter der Oberfläche Fische gezüchtet wurden, ruinierte die Idylle nachhaltig.

Ich nahm meinen Rucksack vom Rücken, breitete ein Handtuch auf der Wiese aus, die vor nicht allzu langer Zeit gemäht worden war, dann schlüpfte ich aus meiner Kleidung.

„Und du willst nachdem du heute die Küche gestrichen hast, hier echt noch hundert Mal auf und ab schwimmen?"

Ich schüttelte den Kopf. „Nur achtundachtzig Mal."

„Ach so, na dann... und wie lang brauchst du da jetzt so?"

„Ich weiß nicht genau. Das kommt natürlich auf die Strömung an, die dieser Bach hat. Ich hoffe mal, dass ich nicht viel mehr als zwei Stunden brauch."

Seine Augen wurden groß.

„Ich auch!", seufzte Terence und ließ sich auf der Wiese fallen. Sein Gesicht, als er sein Handy aus der Gesäßtasche zog, sprach Bände von Langeweile und Unverständnis. Nichts, was ich nicht schon gesehen hatte. Trotzdem stimmte es mich heute traurig. Er war nett, nicht hässlich und in meinem Alter. Damit erfüllte er drei wichtige Punkte meiner imaginären Abhakliste, wie schon einige vor ihm. Nur ging nichts jemals über emotional oberflächliche Flirts hinaus, weil ich einfach sonderbar war. Nicht nur mein Liebesleben, ebenso meine Freundschaften blieben sehr überschaubar.

„Wenn es dir zu lange dauert, kannst du einfach später wiederkommen."

„Dann killt Grady mich!", behauptete Terence missmutig.

„Wie?"

„Er meinte, wenn ich dich allein schwimmen lasse, bringt er mich um. Wenn ich dich in einen Weiher mit Fischen werfe, soll ich wenigstens aufpassen, dass du nicht in Panik gerätst und ertrinkst, wenn die Viecher an deinen Zehen knabbern."

Dass ein Lächeln über mein Gesicht huschte, konnte ich nicht verhindern. Obwohl er den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen war, die Izzie auf ihren Einsatz am Donnerstag vorzubereiten, machte er sich über Fische Gedanken. „Keine Sorge. Ich seh das hier als Chance zum Training unter realen Bedingungen. Ich fürchte mich nicht schnell."

Zumindest nicht vor Fischen. Mein Blick ging prüfend zum Himmel. Er war blau. Wolkenlos. Nicht der kleinste Hinweis auf ein Gewitter. Nach ein paar Übungen zum Aufwärmen glitt ich ins kühle Nass.

Bis ich meinen Rhythmus fand verging eine ganze Zeit. Immer wieder musste ich mich ermahnen, meine Kraft anders einzuteilen, als bei den Kurzstrecken, die ich üblicherweise schwamm. Durch die Ausbuchtungen der Forellenteiche teilte sich jede meiner Bahnen in sehr überschaubare Abschnitte und ich konnte immer auf einen klaren Fixpunkt zu halten. Mit der Strömung kam ich gut voran, gegen die Fließrichtung des Zulaufes wurde es mit fortschreitender Strecke immer anstrengender. Meine Armmuskeln brannten von der Dauerbelastung, meine Beine schienen allmählich das doppelte Gewicht zu haben und mein Kapuzenmuskel auf der linken Seite schmerzte. Nicht gut. Ehrgeiz kämpfte gegen Vernunft. Ich wollte die Strecke in einer guten Zeit schaffen. Aber das Training vor zwei Tagen, die Gartenarbeit und das Streichen der Küche hatten meine Muskeln schon überbeansprucht. Kein Wunder, wenn ich nach dem Weißeln der Decke mit der Lammfellrolle meinen Rücken spürte. Dann noch die nervenaufreibende Fahrt durch den Wald.

Es ist nur Training. Im Ernstfall waren da noch Kraftreserven. Mich jetzt völlig zu verausgaben, würde im Nachgang eine lange Trainingspause zur Folge haben. Aber aufgeben?

Es ist nur Training! Trotzdem fühlte es sich wie aufgeben an, als ich Schwimmbrille und Badekappe aus dem Wasser auf mein Handtuch warf. Ich tauchte noch einmal unter, spülte den Schweiß von Haaren und Gesicht, dann warf ich mich neben mein Zeug aufs Handtuch. Ich fühlte jeden Quadratzentimeter meines Körpers. Und ich spürte all die fehlenden Kalorien der letzten Tage. Ich war in jeder Hinsicht im Defizit.

Auch emotional. Umso mehr freute ich mich auf Mittwoch und darauf Leroy in Utah zu treffen. Selbst wenn ich ihm gestehen musste, noch nicht mit Dawson gesprochen zu haben. Ich rieb mir über das Gesicht. Dawson. Der war gar nicht begeistert, dass ich mitflog. Aber was hatte er sich vorgestellt? Dass ich hier die Werkstatt aufmöbelte, während er sich mit Leroy am Bonneville Speedway vergnügte? Das konnte er mal vergessen!

Als Terence und ich an der Werkstatt ankamen, lag diese bereits in stillem Dornröschenschlaf. Das Abendessen hatten wir verpasst, Terence versicherte mir jedoch, ihm würde das nichts ausmachen. Mir aber! Ich war verdammt nochmal am Verhungern und der Müsliriegel, den ich am See gegessen hatte, hatte daran nichts geändert. Der war einfach in ein bodenloses Loch gefallen. Nach einem kurzen Abschied betrat ich das Büro, um den Motorradschlüssel ans Bord zu hängen und gegen den von Dawsons Pick-up zu tauschen.

Leise Geräusche drangen aus der Werkstatt heraus. Durch den Spalt der angelehnten Tür sickerte ein schmaler Streifen kalten Neonlichtes hervor. Offensichtlich waren doch noch nicht alle gegangen.

Vorsichtig schob ich die Tür auf. Dawson hockte neben der Izzie auf dem Boden. Leise schlich ich näher und als er die Schritte auf dem Betonboden hörte, sah er über die Schulter zu mir hoch.

Wie elektrisiert sah ich in seine grünen Augen. „Was machst du noch hier?", fragte ich ihn und er drehte sich zurück zur Maschine. Sanft strich er über einige Teile. „Noch immer folieren. Zum Schutz gegen das Salz."

„Sieht nach viel Arbeit aus."

Er nickte und seufzte. „Aber das ist die Süße wert."

Er sah wieder zu mir. „Wie war es mit den Forellen zu schwimmen?"

„Seltsam." Ich ging neben Dawson in die Hocke. Meine Muskeln protestierten gegen die Bewegung.

Interessiert sah er mich an. „Inwiefern?", erkundigte er sich dann.

Er nahm eine der knallroten Schutzfolien, hielt sie prüfend an eines der Teile, die er von der Verkleidung entfernt hatte, zog dann den Schutzfilm von der Rückseite ab und überklebte das Schwarz.

„Ich hatte Schwierigkeiten mit den Bedingungen, weniger mit den Fischen. Es war... ich hab die Strecke einfach nicht geschafft, Dawson."

Ich stand auf, drehte ihm den Rücken zu. Schlimm genug, wenn er die Enttäuschung in meiner Stimme hörte, er musste sie obendrein nicht auch noch in meinem Gesicht sehen. Oder in meinen brennenden Augen.

Leises Rascheln hinter mir verriet, dass Dawson sich bewegte und aufstand. Seine leichten Schritte erklangen direkt hinter mir.

„Du isst zu wenig und du arbeitest hier zu viel." Die Klarheit, mit der Dawson das feststellte, war beunruhigend. Um das zu bemerken, musste er mich aufmerksam beobachtet haben. „Komm wir suchen dir mal ein paar Kalorien in der Küche."

Ich hörte, wie sich seine Schritte entfernten und folgte ihm und dem Lockruf des Essens.

„Dawson?" Auf halbem Weg zur Tür hielt er inne, sah mich nur an. Eine stumme Aufforderung, zu sagen, was immer mir auf dem Herzen lag.

„Stimmt es, was Terence sagt? Dass du nicht mehr mit dem Motorrad von deinem Dad fährst?"

Dawsons Stimme blieb bei der Antwort völlig neutral.

„Ja, Riley, das ist richtig und jetzt komm. Du musst was essen."

Ich starrte auf den breiten Rücken, der sich langsam entfernte. Ich folgte ihm zur Küche, wo er sich am Gefrierfach zu schaffen machte. Lachsfilet. Dann holte er eine Frischhaltedose mit Gemüse vom Abendessen aus dem Kühlschrank und zauberte Süßkartoffel aus einer Vorratsschublade.

Während der Fisch in der Mikrowelle auftaute, schälte und zerteilte Dawson die Süßkartoffeln und übergoss sie in einer Schüssel mit etwas Öl und warf Gewürze dazu. Dann verteilte er die Würfel auf dem Ofenblech und schaltete den Ofen an. In der Pfanne briet er den Fisch an und gab nach einer Weile das Gemüse dazu.

„Warum?", fragte ich nach einer Zeit des stillen Grübelns, das mich zu keinem echten Ergebnis brachte.

Dawson sah von der Pfanne auf. „Lio hat mich an eine Sache erinnert, Riley. Wir waren einmal Freunde und wir sollten füreinander da sein. Du brauchst essen. Also mach ich dir was."

Zu der Antwort konnte ich gerade nicht ganz aufschließen. Was hatte Lio wann gesagt? Und überhaupt, hatte das nichts damit zu tun, warum er nicht mehr Motorrad fuhr. Offenbar musste ich präziser werden.

„Ich meine, warum du nicht mit dem Motorrad von deinem Dad fährst."

„Ach, das meinst du? Das solltest du eigentlich am besten wissen." Unbeteiligt rührte er in der Pfanne.

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Langsam dringen Riley und Dawson zum Kern der Sache vor, meint ihr nicht auch?

Das nächste Update kommt ganz regulär am Samstag.
Und ihr dürft gespannt sein, wie das Gespräch wohl läuft...
Kommt es zu der überfälligen Aussprache? Oder tritt Dawson wieder mal einen strategischen Rückzug an?

Habt einen schönen, sonnigen Feiertag! Genießt das Wetter, haltet wo nötig Abstand und vorallem: bleibt gesund!

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