10
Dave, zu dem mich Dawson fuhr, war ein schlanker, drahtiger Mann mit graubraun meliertem Haar. Ich schätzte ihn ein wenig jünger als Abraham. Er trug ein Hemd zu ausgeblichenen Blue Jeans und um den Hals des Autohändlers hing eine geradezu aufdringliche Goldkette. Als er mir die Hand schüttelte, kam ich nicht umhin, seinen schweren Siegelring zu bemerken, denn dieser schnitt bei Daves festem Händedruck tief in meinen kleinen Finger. Man konnte das mit dem Händedruck wirklich übertreiben!
„Ein Auto mieten also?", fragte Dave mit einem überheblichen Blick nach und versenkte dabei die Hände in den Hosentaschen, was ihn noch unsympathischer machte. Ich nickte und massierte unauffällig meinen Finger dort, wo der Ring eine Delle hinterlassen hatte.
„Bist du denn schon einundzwanzig, Kleine?"
Kleine? Was bildete der sich denn ein, mich so vertraulich anzusprechen?
„Nein? Ist das ein Problem?", erkundigte ich mich spitz.
„An Jüngere vermiete ich nur mit Sicherheiten." Abfällig grinste er. Vermutlich war er sicher, dass ich nicht in der Lage war, ihm diese zu bieten.
„Sicherheiten?" Ich kam mir vor wie ein Papagei, weil ich seine Worte wiederholte, aber das ganze Gespräch war seltsam. Und ich vom Verlauf vielleicht ein bisschen... überfordert? Ich hatte schon etliche Male Autos gemietet, um von Flughäfen zu Wettkämpfen oder Hotels zu gelangen. Ich war zu Rennen meines Freundes und Kollegen Leroy gefahren oder mit ihm zu Shootings. Einen Zirkus wie diesen hatte ich noch nie erlebt.
„Ja, Sicherheiten. Geld. Eine Bürgschaft. Etwas in der Art", erklärte Dave nachsichtig, als sei ich hohler als eine leere Kaffeedose.
„Dave, das ist doch albern. Sie wohnt bei Pearl und hilft bei uns in der Werkstatt. Meinst du sie klaut eine deiner Karren?"
„Nein. Aber du weißt genau, wie diese Models sind. Ständig am Feiern. Wer garantiert mir, dass sie das Auto im Suff nicht gegen einen Baum fährt?" Daher wehte also der Wind. Dave scherte alle Models offenbar über einen Kamm. Dabei war es nur ein kleiner Prozentsatz der Promis, der ständig feierte und für miese Presse sorgte. Und dieser kleine Anteil hatte einen harten Kern, der immer wieder in schöner Regelmäßigkeit für Schlagzeilen sorgte. Ich jedenfalls nicht. Bisher nicht, schränkte ich gedanklich ein.
„Sie ist unter einundzwanzig! Sie darf gar keinen Alkohol trinken, du Genie", erklärte Dawson mit mehr Geduld, als man ihm zutrauen würde.
„Eben und dann zahlt die Versicherung nicht und mein Auto ist trotzdem im Arsch." Daves Tonfall bekam etwas leicht Aggressives.
Ich seufzte. „Okay. Dann... wieviel Kaution?", fragte ich ergeben.
„Fünftausend Dollar", gab Dave zurück und Dawson schnaubte sehr unfein, bevor er die Zahlung ablehnte.
„Nicht dein beschissener Ernst? Dafür kann Riley ein Auto kaufen!", erklärte Dawson empört. Er schüttelte den Kopf, dann legte er einen Arm um meine Schulter und dirigierte mich mit Nachdruck in Richtung des Ausganges. Meine Verärgerung über Dave verpuffte bei dem Druck von Dawsons starkem Arm auf meinen Schulterblättern und seiner warmen Hand auf meinem nackten Oberarm. Ich hatte nicht vergessen, wie es sich anfühlte, wenn er mich berührte. Ich hatte es nur in eine Ecke meines Bewusstseins verdrängt und dort in Schach gehalten. In wenigen schwachen Momenten, wenn meine Angst vor einer Zukunft allein mich in Wellen fortspülte, immer tiefer in einen Ozean der Einsamkeit, gestattete ich mir manchmal, mich an die Erinnerung an Dawsons Umarmungen zu klammern. An die kostbaren Augenblicke, die wir gehabt hatten, klammerte ich mich wie an einen Rettungsring. In diesen winzigen Momenten redete ich mir ein, es könnte wieder so sein. Nicht mit Dawson natürlich. Das war Vergangenheit.
Aber mit einem anderen. Ich musste nur glauben. So wie ich vor jedem Turnier überzeugt war, dass ich siegen konnte, wenn ich nur genug kämpfte. Ganz fest daran glauben, dass irgendwann jemand kam, der Dawson ersetzen konnte. Noch nie war mir diese Idee abwegiger vorgekommen als jetzt. Wie sollte sich eine Umarmung so aufregend, so richtig anfühlen wie diese? Wie sollte ein anderer Funken auf meiner Haut tanzen lassen mit nur einer beiläufigen Umarmung?
„Weißt du was Riley? Nimm einfach meinen Truck und er soll sich seine Kaution bis zum Anschlag sonst wohin schieben."
Ich schluckte und versuchte mich zu sammeln, all die Stellen nicht zu bemerken, an denen sich unsere Körper berührten und wie nahe sein Gesicht meinem war, als er aufmunternd zu mir herablächelte. Dawsons Auto war verdammt breit und ziemlich lang. Ein halber LKW.
„Ich kann doch nicht...", stammelte ich. Ich konnte wirklich nicht!
Dawson hob die Augenbraue und grummelte nahe an meinem Ohr: „Das diskutieren wir draußen, Kleine!"
Wie Dawson das letzte Wort betonte, wurde klar, nicht nur ich hatte die Anrede anzüglich und unpassend gefunden. Ungemein beruhigend. Gleichzeitig verwirrend, weil er offenbar nicht vorhatte, Distanz zu wahren. Er musste doch auch merken, wie komisch das war. Noch komischer als die Umarmung am Vorabend und die hatte nicht länger als der Flügelschlag eines Kolibris gedauert. „Bye, Dave. Schöne Grüße an Meredith", waren Dawsons letzte Worte an den Autovermieter, der uns irritiert nachblickte, während ich mich ebenfalls verabschiedete, allerdings ohne die Grüße an Meredith.
Dawson machte Ernst mit dem Auto. Wir fuhren gemeinsam zum Abendessen zurück zur Werkstatt und danach schickte er mich mit dem Truck los. Fahren war auf der breiten Landstraße total easy. Doch in der Ortschaft und bei dem Gedanken, ausgerechnet auf der Hauptstraße parken zu müssen, geriet ich in leichte Panik, die sich noch steigerte, als ich sah, wie viele Menschen vor der Bar standen und rauchten. Wie viele vor dem Restaurant saßen und zu Abend aßen oder noch über die Straße flanierten und in die Auslagen der Geschäfte sahen. Parklücken in die ich zu Hause meinen Audi ohne Stress geparkt hätte, wirkten wie Mauselöcher im Vergleich zu Dawsons Pick-up.
Unter dem Blick all der Leute legte ich neben einem alten Opel mit schwitzenden Fingern den Rückwärtsgang ein. Dann biss ich die Zähne zusammen, starrte auf das Display der Rückfahrfahrkamera, horchte auf das Piepen, das die Distanz angab und manövrierte in die Lücke. Oder ins Nirvana? Keine Ahnung, was das hier werden sollte! Das war gar nicht mein übliches elegantes Einparken in einem Zug. Ich schaffte es nicht mal mit zwei oder drei Korrekturzügen. Es war ein harter Kampf, bis ich nicht mehr meterweit von Randstein weg stand.
Den Blicken der Passanten ausweichend, die mein Unvermögen teilweise äußerst indiskret belächelten, betrat ich die Pension, nickte Pearl mit einem „Guten Abend" zu und ging in mein Zimmer.
Die Klimaanlage hatte den Raum auf frostige zwanzig Grad gekühlt und ich bekam Gänsehaut. Normalerweise riss ich im Wohnheim das Fenster auf, um frische kühle Luft hereinzulassen. Hier war es andersherum. Ich öffnete die Tür zu der winzigen Terrasse vor meinem Zimmer, damit warme Luft hereinströmte, bevor ich mich mit der Frage auseinandersetzte, wie man das Kühlgerät ausschaltete.
Ich war noch dabei, das Schaltkästchen zu untersuchen, als es an der Tür klopfte. Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich die weiß lackierte Holztür, die zum Korridor führte. Ich erwartete niemanden. Eigentlich konnte es nur die Vermieterin sein. Die Frage war, was sie wollte. Wieder klopfte es. Die Türklinke bewegte sich nach unten. Jemand rüttelte an der Tür. Mein Herz beschloss, dass es Zeit war langsam auf Touren zu kommen und meine Muskeln mit mehr Sauerstoff zu versorgen, um besser flüchten zu können. Nur gut, dass die Terassentür bereits sperrangelweit offen stand.
„Riley? Bist du da?"
Verdammt! Dawson? Mit zitternden Knien und flatternden Händen ging ich zur Tür, drehte den Schlüssel und öffnete ihm. Beinahe hätte nach Luft geschnappt. Er sah verflucht gut aus, wenn er seine Haare mit einem ordentlichen Scheitel und an den Seiten nach hinten gekämmt trug. Ein Haar lag perfekt neben dem anderen. Durch das, was er benutzte, um seine Haare zu bändigen, wirkten sie dunkler und betonten seine moosgrünen Augen. Das Shirt, das sich eng um seinen Oberkörper und den Bizeps spannte, stellte seine Muskeln deutlicher zur Schau als die weiten Polos, die er in der Arbeit trug. Seine Jeans war tiefschwarz und stand in einem deutlichen Kontrast zu dem hellgrauen Oberteil. Erst nach einigen Sekunden realisierte ich, dass eine Begrüßung vielleicht angebracht wäre, statt ihn bewundernd zu mustern. Ich presste ein piepsiges „hi" hervor und nachdem ich mich geräuspert hatte, fragte ich „Was willst du?" Das kam viel unfreundlicher raus, als es in meinem Kopf geklungen hatte und ich fühlte, wie mein Gesicht sich schon wieder rot färbte.
„Wo bleibst du denn? Wir warten alle auf dich!"
Dawsons Vorwurf war deutlich hörbar. Nur verstand ich nicht, worauf er rauswollte.
„Wie jetzt? Wo wartet ihr?"
„Ich hab dir doch gesagt, wir treffen uns Freitagabend immer in der Bar."
Ich konnte es nicht leugnen. Er hatte den Umstand erwähnt. Nur hatte ich mich nicht angesprochen gefühlt. Ungeduldig redete Dawson weiter.
„Was ist jetzt? Kommst du, oder nicht?"
„Ja, klar. Okay. Ich muss nur schnell..."
Ein wenig übertölpelt steuerte ich auf die Terrassentür zu, um sie zu schließen und griff nach der kleinen Tasche, die noch auf meinem Bett lag, wo ich sie beim Reinkommen hingeworfen hatte.
„Willst du dich nicht noch kurz umziehen?"
Ich sah an mir runter, dann über meine Schulter meine Rückseite hinab. Sah alles sauber und ordentlich aus. Dass ich müffelte konnte ich sicher ausschließen, weil ich am Nachmittag geduscht hatte, bevor wir zu dem Autohändler aufgebrochen waren.
„Ich denke das passt schon so", stellte ich fest. Wenn ich keine Typen aufreißen wollte, bestand überhaupt kein Grund, mich für einen Besuch in einer einfachen Bar weiter aufzubrezeln. Dawson schien jedoch anderer Meinung. Wann war er das jemals nicht? Sein Mund war nur noch eine schmale Linie. Seine Augen zusammengekniffen.
„Was stimmt nicht mit meiner Kleidung?", erkundigte ich mich leicht gereizt. Erst machte er einen auf spontan, dann stellte er noch Ansprüche. Ging es noch?
„Nichts, alles super!", schnappte er, statt einer verwertbaren Antwort.
„Dawson! Was?" Ich verdrehte die Augen. „Ich kenn dich, ich merk es, wenn dir was nicht passt!"
Jeder merkte es. Er zeigte seine Meinung nicht besonders subtil.
„Vielleicht könntest du etwas tragen, das weniger kurz und eng ist", kam es barsch von ihm. „Ich will mich heute Abend nicht mit Typen prügeln, die dich blöd anmachen."
Aus großen Augen sah ich ihn an. Prügeln? Meinetwegen? Wohl kaum! Manchmal gab er merkwürdige Dinge von sich, die für mich keinen Sinn ergaben. Seine Logik war nicht meine. Konnte und sollte es ihm nicht egal sein, wer mich anmachte? Und mal abgesehen davon, war ich nun wirklich nicht die Attraktion schlechthin.
„Ich denk nicht, dass mir jemand Beachtung schenkt, wenn Sam im selben Raum ist. Selbst dann nicht, wenn ich nackt wäre. Aber wenn du meinst, ziehe ich mich eben um."
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