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Das schloss mich dann wohl ein, obwohl es wehtat. Dennoch verstand ich, dass ich diese Entscheidung respektieren musste.

„Es ist deine Geschichte, du entscheidest, wann der Zeitpunkt ist sie zu erzählen. Und wem", sagte ich leise und reckte mich, um einen Kuss auf Dawsons kantigen Kiefer zu drücken. Seine Muskeln traten hervor, weil er die Zähne so fest aufeinanderpresste. Zwischen uns dehnte sich das Schweigen aus. Dawson lehnte sich nach hinten und zog mich mit sich. Mein Kopf lag auf seiner Schulter und meine freie Hand auf seinem Brustkorb.

„Vielleicht ist es langsam an der Zeit." Nachdenklich starrte Dawson an die Decke. „Und vielleicht bist du auch genau die Richtige dafür. Du bist noch in der Schule, du weißt wie grausam Schüler sein können. Die meisten in meinem Alter haben das schon längst vergessen."

So wie es sich anhörte, hatte Dawson nichts vergessen. Es wirkte bis heute nach. Der Schmerz in seinen Augen schnitt mir ins Herz..

„Nach dem Unfall hatte ich zwei Wochen Sonderurlaub. Danach bin ich in den Unterricht zurückgekehrt. Wir hatten gerade Geo. Es war ein warmer Tag, alle Fenster standen offen. Auf der Straße fuhr ein Motorrad vorbei. In dem Moment hab ich erst richtig kapiert, dass mein Dad nie mehr mit dem Motorrad an der Schule vorbeifahren wird. Mitten im Unterricht habe ich angefangen zu weinen. Mir war das unglaublich peinlich. Ein paar Mitschüler haben mich deswegen ausgelacht."

„Wie gemein. Was für Wichser!" Dawson lachte leise. „Das sagen wir deiner Mum besser nicht, was du für Ausdrücke benutzt." Mir es noch nie gleichgültiger gewesen, was meine Mum über meine Sprache dachte. Was wirklich zählte, war, dass ich Dawson mit meinem Ausspruch zum Lächeln gebracht hatte, selbst wenn der Moment noch so kurz gewesen war, denn schnell wurde Dawson wieder ernst. „Das Blöde war, dass ich öfter angefangen hab zu weinen, wenn ein Motorrad klang wie das von Dad. Ich wollte das nicht, weil ich jedes Mal wieder schräge Blicke und boshafte Kommentare bekam. Nur konnte ich das einfach nicht abstellen."

An dieser Stelle hing Dawson lange fest. Seine Nase hatte er in meinem Haar vergraben. „Du musst nicht weitererzählen, wenn es dir nicht guttut", flüsterte ich. Ich streichelte über Dawsons Brustkorb und beobachtete, dass, er die Augen kurz schloss. Als er sie wieder öffnete, glitzerten sie verdächtig, waren leicht gerötet. Er schien weit weg mit seinen Gedanken. An einem fernen Ort in der Vergangenheit, wanderte durch Erinnerungen, die wir nicht teilten. Gerne hätte ich neben ihm gestanden, ihn getröstet, doch ich saß hier in dem Hotelzimmer, die einzige Verbindung zu ihm war die Hand auf seinem Brustkorb und mein Blick, der sich mit dem aus seinen geröteten Augen verhakt hatte.

„Sie haben sich einen Spaß daraus gemacht, Riley." Unterschwellige Wut schwang in seiner Stimme mit. „Zwei meiner Mitschüler haben Motorradgeräusche aufgenommen und die wiederholt mitten im Unterricht abgespielt und ein ums andere Mal bin ich zusammengebrochen." Ungläubig starrte ich Dawson an. Er tat mir unfassbar leid, wie er zwischen grausamen Erinnerungen festhing und Geschichten erzählte, die nicht hätten stattfinden sollen. In meinen Eingeweiden glühte ein Gefühl, das ich bisher nicht kannte: Hass. Hass auf die Jungs, die Dawson das angetan hatten. Dawson schien von meinem Aufruhr jedoch nichts zu bemerken. Er war eingeschlossen in einer Seifenblase abgeschottet vom Hier und Jetzt. Um seinetwillen hätte ich mir gewünscht, sie würde in bunten Farben schillern. Seine war jedoch ölig trüb und vergiftete sein Herz, gleichermaßen sein Leben.

"Ein Mädchen aus meiner Klasse hat mich gerettet, ohne zu ahnen, was sie damit anrichtet. Als die Jungs mal wieder ihre Handys zückten, hat sie mich angefaucht. 'Heul ja nicht wieder, du Weichei! Ich will endlich wieder normalen Unterricht haben, ohne euren Scheiß', hat sie gesagt und mir in den Oberschenkel gekniffen. Vom Schmerz sind mir Tränen in die Augen geschossen, aber die Hänseleien kamen in dem Moment nicht an. Also hab ich mir ab da in den Oberschenkel gekniffen, wenn ich was nicht an mich ranlassen wollte. Als meine Mum mir erzählt hat, dass sie das Haus verkauft und wir umziehen, hat das nicht gereicht, dabei wollte ich für sie so gerne tapfer sein. Sie hatte doch schon so viel durchgemacht. Das war mein erstes Mal, das ich eine Rasierklinge benutzt habe. Danach ist das öfter passiert. Bis ich dann in die Klinik kam. Besser wurde es nicht mit der Therapie, sondern erst als ich anfing Dads Motorrad zu reparieren. Das hat besser geholfen, als die Sitzungen. Dann ging mir die Kohle aus, ich musste die Reparatur auf Eis legen und ich wurde rückfällig. Lio hat mir damals heftig ins Gewissen geredet. Chad auch. Also hab ich den Job bei Smith angenommen und dort zu arbeiten hat mir gut getan. Seither reicht die Salbe und ich brauch die wirklich nur noch selten. Das letzte Mal war..." Er kam ins Stocken. Sah mich aus seinen grünen Augen an, die nicht mehr abwesend, sondern völlig fokussiert waren.

„Als deine Mum das Motorrad verkauft hat?"

Er nickte mit einem leisen „genau".

„Hast du meinetwegen mal..."

Er legte einen Finger über meine Lippen. „Ganz falscher Gedankengang, Riley. Ich mache das nicht wegen anderer Leute. Ich tue es, weil ich mit mir und meinen Gefühlen nicht klar komme."

„Aber sind es nicht andere, die die Gefühle auslösen?"

„Es sind die gleichen Gefühle, die andere bei dir auslösen. Du kommst mit ihnen klar ich nicht. Der Fehler liegt irgendwo in mir. Ich bin nicht ganz dicht. Das ist Fakt. Und was deine Frage anbelangt: ich werde sie nicht beantworten. Ich liebe Dich. Das zählt und nichts anderes."

„Ich frage doch nur, weil..."

„Ich kann mir genau vorstellen, warum du fragst. Du musst dir über diese Dinge aber keine Gedanken machen. Keine Rücksicht nehmen. Du bist perfekt Riley. In jeder Hinsicht und ich muss lernen mit Situationen klarzukommen. Ich hatte bisher keine Freundin, weil ich mich nicht mit diesen Gefühlen belasten wollte. Mit dir ist es aber anders. Nicht mit dir zusammenzusein belastet mich. Ich bin jetzt rundum glücklich. Du machst mich glücklich."

Er küsste mich auf die Nasenspitze und zauberte damit ein Lächeln auf mein Gesicht, mein Herz blieb aber schwer. Wegen der Dinge, die er gesagt hatte. Aber auch wegen der, die ungesagt geblieben waren. Ich fühlte, dass er zurückgehalten hatte, was in seine eigene FSK-Einstufung fiel. Einen Vorwurf machte ich ihm daraus nicht. Mit der Einschätzung, mich könnten seine Erfahrungen belasten oder beeinflussen, hatte er absolut richtig gelegen. Es gab für mich den Ausschlag. Im Gegensatz zu seiner Mum hatte ich gerade mit absoluter Klarheit erfasst, dass er sein Motorrad brauchte. Was in meinen Möglichkeiten lag, würde ich dafür tun.

„Bist du okay? Du bist so still", erkundigte sich Dawson und die Zärtlichkeit in seiner Stimme trieb mir Tränen in die Augen als er mich aus meinen Grübeleien riss. Er hatte soviel durchgemacht und sorgte sich nun um mich. Wie ich damit zurechtkäme.

Ich schlang meine Arme um seinen Hals, ignorierte dabei den Kloß in meinem eigenen. „Ich bin okay. Nur wünschte ich mir, ich hätte es früher geahnt. Ich wär gerne für dich dagewesen."

„Du warst immer da, Riley. Seit diesem Kuss. Du bist in meinem Kopf, in meinem Herzen. Du füllst jede meiner Zellen mit deiner Lebendigkeit. Nur hab ich ewig gebraucht, um zu verstehen wie sehr ich dich brauche. Warum ich dich brauche."

Seine Worte wärmten mein unglückliches Herz und milderten das Gefühl versagt zu haben. Gleichzeitig untermauerten sie meine Entscheidung. Ich würde alles tun, einen Teil seines Schmerzes und seiner Verluste abzumildern. Ich schmiegte mich enger an Dawson. Spürte seinen Atem an meinem Hals, als er mich umklammerte. Kam mir vor wie ein Rettungsring in tosender See. So umschlangen wir uns wie zwei Äffchen, bildeten eine untrennbare Einheit.

„Ich liebe es, dich im Arm halten zu dürfen. Deine Haut unter meinen Fingern zu spüren." Flink schlüpften seine Hände unter den dünnen Stoff meines Shirts liebkosten meine Haut, die sich unter seinen kundigen Fingern erhitzte. Sein Mund traf meinen und als ich meine Hände ebenfalls unter sein Shirt schob und mit den Fingerspitzen seine Bauchmuskeln erkundete, seufzte er leise meinen Namen. „Ich würde so gerne deine Haut auf meiner spüren", wisperte er gegen meine Lippen. Verlangend fuhren seine großen Hände über meinen Rücken.

„Was soll ich tun?", fragte ich ihn leise. Im selben Moment hätte ich mich für die Frage am liebsten geohrfeigt, denn er hielt mitten in der Bewegung inne. Seine intensiv leuchtenden Augen tasteten mein Gesicht ab und er schien dort die Antwort auf seine Frage zu finden. In der Unsicherheit in meinen Augen, in meinen rot angehauchten Wangen.

„Wir könnten damit anfangen." Seine Hände wanderten zum Saum eines Shirts und langsam zog er es hoch. Entblößte Zentimeter für Zentimeter seines muskulösen Oberkörpers, bis er es ganz über den Kopf zog und dann neben dem Bett fallen ließ.

Dann griff er langsam nach meinem Oberteil und hob es. Auf halber Höhe packte mich Panik und ich griff nach seinen Händen. „Ich... hab keinen BH an", stieß ich hektisch hervor.

Ein amüsiertes Funkeln trat in seine Augen. „Ich weiß, Riley." Sein Daumen fuhr neben meiner Wirbelsäule über meinen Rücken. „Ist mir aufgefallen."

„Oh", entfuhr es mir und sein Lächeln vertiefte sich noch mehr. Er ließ sich nach hinten sinken, löschte das Licht. „Besser?", fragte er.

Die Antwort blieb ich schuldig. Nach einem neuerlichen kurzen Zögern schlüpfte ich aus dem Shirt und legte es neben mir ab. Reglos saß Dawson vor mir. Nervös sah ich in sein Gesicht, das von einem Streifen Licht erhellt wurde, der zum Fenster hereinfiel.

„Gott, Riley", wisperte er. „Du bist so unfassbar schön."

Als wäre ich ein scheues Tier, streckte er seine Hand nach mir aus. „So zart und doch so stark. So unglaublich sexy und doch so unschuldig. Du machst mich unglaublich an und gleichzeitig habe ich Skrupel, dich nur zu berühren." Sacht fuhr Dawson mit den Fingerknöcheln über mein Gesicht, meinen Hals. In seiner typischen Art zog er mich mit der Hand in meinem Nacken näher und küsste mich. Mit dem anderen Arm zog er mich auf seinen Schoß. „Ich würde so gerne mit dir eins sein." Seine Erektion drückte sich gegen meinen Bauch, Haut rieb über Haut. Unser erregter Atem vermischte sich. „Du bringst mich um, Riley", keuchte er, als ich mich auf seinem Schoß regte. Seine Hände umspannten meinen Po und hielten mich in der Position, während sein Mund gierig auf meinem lag. Meine Finger fuhren durch das dichte Deckhaar und Dawson drückte mich schließlich rückwärts auf die Matratze. Heiße Küsse verteilend wanderten Dawsons Lippen über meinen Körper, setzten jeden Millimeter in Flammen und ich zerfloss wie Wachs unter den Küssen.

„Ich will überhaupt nicht gehen", murmelte er schließlich an meinem Hals. „Aber ich glaube, es wird langsam Zeit."

Ich schielte zum Wecker. Viertel vor elf.

„Bleib bitte", wisperte ich leise. Ich war noch nicht bereit, ihn gehen zu lassen.

„Du hast morgen viel vor, Riley. Du musst dich ausruhen. Ich möchte nicht Schuld sein, wenn dein Wettbewerb in die Hosen geht."

„Aber..."

„Schhh...", sagte Dawson. „Es ist nur für eine Woche. Ich komm Freitagabend nach Hause, mein Schokohäschen."

Bevor ich nur ein Widerwort finden konnte, war er aus dem Bett, sammelte seine Sachen ein und zog seine Motorradkleidung an.

Ein kurzer Kuss und eine Umarmung. Ein Liebesversprechen. Dann war er fort. Um Punkt elf. Mich ließ er glühend zurück. Meine Erregung pulsierte in Wellen durch meinen Körper. Doch um mich darum zu kümmern nahm ich mir keine Zeit. Ich fummelte mein Handy aus dem Rucksack und scrollte durch die Nummern.

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