86
„Das ist dein Helm. Schick oder? Lydia hat ihn passend zum Moped gekauft. Weiber!" Er verdrehte die Augen. „Na komm! Setzt ihn auf und dreh eine Runde." Auffordernd hielt Dawson mir den cremefarbigen Helm entgegen.
„Aber ich darf doch gar nicht damit fahren! Ich hab doch keinen Führerschein!", protestierte ich.
„Doch. Das hier ist eine Privatstraße. Streng genommen darfst du. Komm ich erkläre es dir. Setz dich mal drauf."
„Okay", sagte ich und Dawson setzte sich hinter mich. Schritt für Schritt erläuterte er mir die Technik, aber eigentlich verstand ich nur Bahnhof. Bereits als er sich hinter mich gesetzt hatte, war mein Gehirn wie leergefegt und als er um mich herumfasste, und sein Arm beim Gestikulieren immer wieder meinen streifte, ging gedanklich gar nichts mehr. Seine Nähe verwirrte mich völlig.
„Riley?"
„Hm?", machte ich. Hatte ich was verpasst? Was hatte er als letztes gesagt?
„Riley, Riley, Riley", hörte ich ihn tadelnd sagen. „Wo bist du nur mit deinen Gedanken?"
Mit den Fingerspitzen strich Dawson über meinen Arm und ich schluckte. Seine Finger wanderten unaufhaltsam weiter nach oben, strichen meine Haare zur Seite und ich spürte seine Lippen auf meiner nackten Haut. „Weißt du jetzt, warum ich nicht wollte , dass es dir jemand anders beibringt? Ich will nicht, dass jemand dir nur halb so nahe kommt wie ich. Schon gar nicht dieser Fotograf! Der sollte sich dir am besten nicht mal auf fünf Meter Entfernung nähern, wenn er keinen Kieferbruch will."
Ich biss mir auf die Lippen, verabschiedete mich gedanklich von der Idee, dass ich vielleicht auf positive Resonanz von Dawson hoffen konnte. Er konnte Thomas nicht leiden und er würde sich in Godzilla verwandeln und mich auffressen, wenn ich ihm sagte, was Thomas vorgeschlagen hatte. Ganz toll. Diese Aussicht verbesserte meine Konzentration kein bisschen. Am liebsten hätte ich losgeheult. Doch das hätte sofort Fragen aufgeworfen, auf die ich mich mental erst einmal vorbereiten sollte.
„Ich will mit dir schlafen, Riley!"
Erschrocken zuckte ich zusammen. „Was? Jetzt? Hier?", fragte ich verwirrt.
Dawson seufzte. „Nein. Natürlich nicht, Riley. Ich versuche nur deine Aufmerksamkeit zu bekommen. Auch wenn es dir nicht klar ist: ich geb mir hier grad wirklich Mühe!"
Er klang dermaßen enttäuscht, dass es mir leidtat.
„Du hast mich nur ein bisschen durcheinander gebracht. Du bist so nah und..."
„Das magst du nicht?" Er klang alarmiert. „Bin ich vorhin zu weit gegangen? Gott Riley, das tut mir alles schrecklich leid. Keine Ahnung warum ich mich nicht besser im Griff hatte. Ich hab geschworen dich nicht zu bedrängen."
Hastig stieg Dawson vom Roller und brachte mehr Abstand zwischen uns. Nun fühlte ich mich noch schlechter. Er hatte mich total falsch verstanden.
„Nein, so meinte ich das nicht Dawson. Es hat... mir gefallen. Ich mag deine Nähe. Aber es lenkt mich eben auch ab."
Er fuhr sich durch die Haare. Dann kam er wieder näher, ging vor mir in die Hocke, von wo er bittend zu mir aufsah. „Du würdest mich in der Sache doch nicht anlügen, oder? Das ist wichtig."
Himmel, war das alles unangenehm.
„Ich mag, es wenn du..." Hilfe! Ich hatte keine Ahnung, wie ich es sagen sollte. „...wenn du..." Mein Gesicht begann zu glühen.
„Wenn ich dich berühre? Küsse?", half er mir. „Wenn ich dich errege?" Ich nickte, hauchte leise ein „ja".
„Oh Mann, Riley. Du bist so unglaublich süß."
Er stand auf und zog mich vom Roller und hielt mich dann zärtlich im Arm. „Ich hab schreckliche Angst, Riley. Um dich. Dass ich nicht gut für dich bin. Dass du mich irgendwann hassen wirst."
Wenn er solche Sachen sagte verunsicherte er mich damit zu tiefst. So viele Dinge verunsicherten mich. Gleichzeitig gab mir seine Nähe Sicherheit. Geborgenheit. Zuversicht.
„Ich liebe Dich", flüsterte ich. „Ich könnte dich niemals hassen."
Fest drückte er mich. „Ich dich auch, Riley. Und jetzt fahr mal eine Runde. Sonst war unser Ausflug hierher beinahe umsonst."
In der Sache konnte ich ihm nur zustimmen. Kurz wiederholte ich, woran ich mich erinnerte und Dawson ergänzte, was ich überhört hatte.
Eigentlich war es nicht schwierig. Beinahe wie Fahrradfahren, nur schneller weniger anstrengend. Den Bogen hatte ich schnell raus.
„Wie blinkt man denn?", fragte ich Dawson, als ich zu ihm zurückkam.
Er lupfte eine Augenbraue. „Mit dem Blinker, Riley?", neckte er schelmisch grinsend.
„Veräppeln kann ich mich selber. Verrätst du es mir, oder soll ich jemand anderen fragen?"
Säuerlich wegen der Anspielung auf Thomas tippte Dawson an die entsprechende Stelle und lächelnd bedankte ich mich.
„Gehst du mit mir noch was essen? Oder musst du nach Hause?"
Dawson kontrollierte gerade die Spanngurte und ich stand müßig gegen die Beifahrertür gelehnt und beobachtete Vögel, die an der Rinde der Bäume pickten.
„Ich müsste heim. Mum, Miles und ich gehen essen, weil doch Miles letzter Abend ist."
„Und dein Dad?"
„Ist auf Geschäftsreise."
„Oh." Mehr brauchte Dawson nicht zu sagen. In den vergangenen Jahren hatte sich Dawson ein gutes Bild davon machen können, wie selten meine Eltern an wichtigen Tagen gemeinsam anwesend waren, sofern sie überhaupt aufschlugen.
„Sehen wir uns dann morgen überhaupt? Ich meine, wenn ihr deinen Bruder zur Uni bringt?"
„Wir bringen ihn nicht. Miles fährt mit seinem eigenen Wagen. Er meinte, er sei alt genug dafür und er bräuchte keinen Babysitter mehr."
„Aber das ist doch Quatsch. Es ist doch schön, wenn die Eltern einen begleiten, oder nicht?"
„Dawson, das ist doch genau der springende Punkt. Familie. Eltern. Nicht nur Mum."
„Das verstehe ich natürlich. Und auch wenn es fies klingt. Ich bin ein bisschen froh, dass es so ist. Hättet ihr dort übernachtet, dann würden wir uns nicht sehen, bevor ich Sonntag fahre. Was möchtest du denn morgen machen? Hast du einen Wunsch?"
Einen Augenblick dachte ich nach. „Ich möchte irgendwohin, wo uns keiner kennt. Wo wir einfach ein ganz normales Paar sein können", bat ich Dawson.
„Die Bitte erfülle ich gerne. Ich hol dich morgen früh um halb sieben ab."
„Spinnst du?", entfuhr es mir impulsiv. Dawson lachte.
„Nein, aber sonst wird es beim Aufstieg sehr heiß!"
Sofort packte mich die Aufregung.
„Du willst in den Nationalpark?"
„Genau. Und wenn wir früh dran sind, dann werden wir dort kaum einem Menschen begegnen. Es wird genau sein, wie du es dir wünschst. Und am Abend führe ich dich zum Essen aus."
„Können wir nicht wieder grillen?"
Dawson strahlte mich an. „Doch sehr gerne. Ich war nur nicht sicher, ob das für unseren letzten Abend angemessen ist."
„War für den ersten doch auch perfekt."
„Auch wahr."
Den Abend mit Miles zu genießen, fiel mir leicht. Wir saßen bei Tony's, unserem Lieblingsitaliener und ich war ausnehmend gut gelaunt. Die Aussicht einen Tag im Nationalpark zu verbringen, versetzte mich in eine Hochstimmung, die an Euphorie grenzte. Miles hingegen wirkte bedrückt. Ob wegen Dad oder wegen Stacey wusste ich nicht und vor Mum wollte ich auch nicht fragen. Später am Abend ergab sich jedoch die Gelegenheit, als wir unseren Freund Jack aus meinem Kleiderschrank befreiten.
„Weder noch", gab Miles auf meine Frage zurück. „Eigentlich ist es wegen dir. Ich hab ein unglaublich schlechtes Gewissen. Es fühlt sich an, als würde ich dich im Stich lassen."
Beruhigend legte ich eine Hand auf Miles' Knie und er legte seine Hand über meine. „Ich komme schon klar. Du hast ja selbst schon festgestellt, dass ich kein Kleinkind mehr bin."
„Das ist nicht alles, Riley. Seit ich mit Stacey zusammen bin, naja, weiß ich, wie schön es ist jemanden zu haben. Ich dachte, du und Justin, das könnte was werden nach all dem Drama mit Dawson und dir. Und jetzt bist du doch wieder allein."
„Ist nicht schlimm. Viel Zeit hätte ich für eine Beziehung doch sowieso nicht. Ich muss lernen. Trainieren. Die Beurlaubung von der Rettungsstaffel endet bald. Dann hab ich auch wieder Wachdienst."
„Deswegen dachte ich ja, du und Justin, das wäre perfekt gewesen. Schon wegen der Rettung. Ihr hättet viel gemeinsam. Er würde verstehen, wie wichtig dir das Schwimmen ist und dich unterstützen."
„Ist nicht alles Gold was glänzt. Ich bin glücklich und zufrieden, wie es gerade ist."
Abschätzend sah mein Bruder mich an. Er nahm die Brille ab, legte sie auf den Nachtkasten und ich sah ihm zu, wie er seinen Nasenrücken dort massierte, wo die Brille immer Abdrücke hinterließ. Dabei musterte Miles mich aufmerksam.
„Ist beinahe komisch wie glücklich und zufrieden du bist. Bist du endlich über Dawson weg, hm?"
Einen Moment zögerte ich. Miles anzulügen widerstrebte mir. Vor meinem Bruder, der immer zu mir gestanden hatte, wollte ich eigentlich keine Geheimnisse haben. Das kam mir schrecklich falsch vor.
„Weißt du..., nein, eigentlich nicht", tastete ich mich voran. „Dawson ist und bleibt... meine erste große Liebe. Und... naja, also, er mag mich auch. Es ist nur das Problem mit dem Alter."
Misstrauisch sah Miles mich an. „Heißt jetzt was genau?"
„Heißt, wir sind ein Paar, aber auch nicht."
„Boah, jetzt mal Klartext."
„Wir sind zusammen, Miles. Aber wir schlafen nicht miteinander oder so."
Miles lachte. „Wir reden schon vom gleichen Dawson?"
Beleidigt sah ich Miles an. „Ja, tun wir. Er ist sehr rücksichtsvoll und zurückhaltend."
Miles prustete wieder. „Kann ich fast nicht glauben. Aber wenn du es sagst. Sorgen macht mir die Konstellation trotzdem. Ihr könnt da Riesenärger bekommen. Vor allem Dawson."
„Ist uns absolut und zu hundert Prozent bewusst. Wir sind vorsichtig."
„Okay. Dann..." Er grinste. „Mann, echt unglaublich, dass du dir Dawson geangelt hast. Da wäre die eine oder andere sicher neidisch. Ich freu mich total für dich."
„Du weißt aber? Kein Wort zu niemandem!", ermahnte ich. Miles stieß mit seinem Glas gegen meins. Leise klirrte das Eis.
„Auf all deine tausend Geheimnisse, Sis."
„Auf die Geheimnisse, Bro."
Jack schwieg dazu, wie es sich für einen guten Freund gehörte und ein Glas später versteckte ich die Flasche wieder im Schrank.
„Lass uns schlafen", schlug Miles gähnend vor und ich nickte.
„Willst du Decke und Kissen?"
„Nein, ich mag es klassisch."
Er griff nach meiner Tagesdecke, nahm eines der Dekokissen und rollte sich neben mir zusammen.
„Gute Nacht, Miles", flüsterte ich in die Dunkelheit, nachdem ich das Licht gelöscht hatte.
„Nacht, Riley."
Ich hörte leises Rascheln neben mir, dann legte sich Miles Arm um mich.
„Schlaf gut, kleine Nervensäge."
„Du auch, altes Stinktier."
„Das ist ungerecht! Nur weil ich mit vierzehn nicht gern duschen wollte."
„Nur weil ich nicht immer gemacht hab was du wolltest!"
---------------------------------------------------------
Meine lieben Leser*innen,
ein Montagskapitel.... kann mich nicht erinnern, dass es das schon mal gab?!🤔
Ich hoffe, ihr hattet einen guten Start in die Woche und konntet dieses Kapitel genießen!
Freue mich so sehr über das positive Feedback und die vielen Reads, Votes und Kommentare von Euch.
Dafür wollte ich Euch auf diesem Wege mit einem kleinen "Bonus" danken!
Bleibt gesund, habt eine gute Woche und freut Euch schonmal auf Samstag, da gibt es ein neues Kapitel für Euch.
Liebe Grüße,
J.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top