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„Dieser Thomas spinnt wohl! Wie kann er es wagen..." Den Rest verstand ich nicht mehr, denn Dawson tigerte neben dem Auto hin und her. Gerade bewegte er sich dabei aus meiner Sicht- und Hörweite. Meine Beine baumelten von der Ladefläche, wo ich stoisch wartete, dass er zurückkehrte.
„Komm her", bat ich ihn und klopfte neben mir auf die Ladefläche, doch er blieb lediglich direkt vor mir stehen und fuhr sich zum hundertsten Male in der Zeit, seit er hier geparkt hatte, durch die Haare, bevor er zu mir aufsah. In dieser Position überragte ich ihn ein gutes Stück. Vorsichtig schob Dawson meine Beine auseinander, trat dazwischen. Dann umschlag er meine Hüfte und kuschelte sich an meine Brust, während ich ihn umarmte und meine Wange auf seinem Scheitel ablegte.
„Du liebst doch dieses Motorrad, hm?", fragte ich ihn und er nickte schüchtern grinsend. „Irgendwie schon. Ist ein bisschen krank, oder?"
Nun kam der schwierige Teil dessen, was ich still in meinem Kopf hin und her drehte, seit Thomas seinen merkwürdigen Vorschlag gemacht hatte.
„Dann mach ich es."
„Was? Nein! Bist du verrückt, Riley?" Er ließ mich los, als wäre ich eine heiße Kartoffel und trat einen Schritt zurück.
„Nun flipp doch nicht gleich wieder aus! Es sind nur ein paar Fotos. Ich renne den halben Tag im Bikini rum, was ist schon dabei, wenn er ein paar Bilder macht?"
„Ein paar Bilder? Das auf dem Motorrad war schon erotische Fotografie und dabei warst du noch angezogen! Ich hab keine Lust, dass du als Wichsvorlage endest. Stell dir mal vor, von dir landen Bilder im Netz, auf denen du nur spärlich bekleidet bist und minderjährig. Welches College holt dich dann noch ins Schwimmteam?"
„Du lieber Himmel! Wann hat er denn gesagt, dass ich nur spärlich bekleidet sein soll? Er sagte allein in seinem Haus. Nicht nackt mit gespreizten Beinen auf seinem Bett!"
Okay, das war jetzt schon sehr plakativ ausgedrückt und mein Schamgefühl lief mal wieder Amok. Dabei konnte ich mich kaum noch mehr blamieren als an jenem bewussten Abend, an dem ich Dawson Hilfe in Sachen Verhütung angeboten hatte.
„Du bist so unfassbar naiv, Riley! Was du gerade sagst, kannst du doch nicht selber glauben?", schnaubte Dawson sehr oberlehrerhaft.
„Weil du es wollen würdest, unterstellst du es Thomas auch?"
„Was wollen würde?" Irritiert sah mich Dawson an.
Oh Gott, musste ich jetzt echt noch deutlicher werden? Seit wann bitte war denn Dawson so begriffsstutzig?
„Mich nackt mit gespreizten Beinen auf dem Bett. Ist es das, was du dir vorstellst, Dawson? Denkst du manchmal so an mich?", provozierte ich ihn absichtlich. Sein Gesicht sprach bereits Bände.
„Wie könnte ich nicht an so etwas denken? Du bist meine Freundin!"
„Aber du bist erwachsen. Ich minderjährig. Du bist sechs Jahre älter als ich. Was macht dich im Vergleich zu Thomas zum moralischen Gewinner?"
„Ich will nicht, dass er dich nackt sieht. Oder halbnackt oder was auch immer, Riley. Du bist meine Freundin. Und meine Freundin macht keine Fotos mit einem Fotografen, der für den Gründer einer Pornozeitschrift hunderte von Nacktmodels fotografiert hat. Ende der Durchsage. Aus. Basta!"
„Hat er nicht wirklich, oder? Meine Mum hat ihn gegoogelt! Davon hat sie kein Wort gesagt!"
„Dann hat deine Mum vielleicht aus Rücksicht auf ihr minderjähriges Kind nicht alles aus seiner Vita vorgelesen? Was weiß ich denn! Sind wir dann jetzt fertig mit dem Thema? Ich denk mir was anderes aus, wie ich zu Geld komme. Lieber schmeiß ich die Uni und geh arbeiten, als dass du für einen Schmutzfink posierst!"
„Ich will dir aber helfen!"
„Das tust du. Du bist jetzt hier und verbringst diesen ganz besonderen Abend mit mir."
„Was ist denn nun so besonders?", erkundigte ich mich. Dawson kam wieder näher und zog mich eng an sich, bevor er mich von unten herauf spitzbübisch anlächelte.
„Du hast wirklich gar keinen Schimmer, nicht wahr?", neckte er mich. Dann hob er mich von der Ladefläche, als würde ich nichts wiegen und stellte mich auf den Boden.
„Nein, noch immer nicht." Dies einzugestehen nervte mich. Ich war mir sicher, dass es etwas mit Dawson und mir zu tun hatte. Doch mir wollte beim besten Willen nichts einfallen, wozu das Datum passte und Dawson schien das unglaublich amüsant zu finden.
„Zerbrich dir nicht den hübschen Kopf. Wir gehen jetzt was essen." Er sah auf die Uhr. „Und so gegen acht oder halb neun sage ich es dir, falls dir bis dahin nichts eingefallen ist."
Nudelsatt lag ich später neben Dawson am See. Die blaurotkarierte Decke, die Dawson ausgebreitet hatte, hielt die Feuchtigkeit ab, die vom Boden aufstieg, als es langsam abkühlte. Unsere Finger hatten wir verschränkt und Dawson kaute träge und ein wenig abwesend auf einem Grashalm. Er gab sich Mühe, ausgeglichen und entspannt zu wirken, doch ich spürte seine Anspannung und Nervosität von den Haarspitzen bis in die kleinen Zehen.
„Du willst nicht wirklich die Uni schmeißen? So kurz vorm Abschluss?"
Dawson versteifte sich neben mir. „Himmel, Riley! Kannst du mich damit nicht einfach in Ruhe lassen? Ich will jetzt nicht weiter darüber reden!"
„Nein, kann ich nicht. Wenn du einen guten Abschluss machst, bekommst du einen besseren Job und ein höheres Gehalt. Dann hast du das Geld für die Maschine schneller zusammen."
Dawson schmunzelte. „Das mag in der Welt einer Sechzehnjährigen so sein. Abraham hat sich bisher nie für meinen Abschluss interessiert und er wird es auch in Zukunft nicht tun. Für ihn zählt nicht, was auf irgendeinem Papier steht. Er will Leistung und wenn ich die bringe, dann bezahlt er gut. Bei einem großen Konzern in der Entwicklung... da magst du vielleicht sogar recht haben, dass die auf einen Abschluss Wert legen. Mehr als bei Abraham würde ich dort aber nie verdienen. Die Provision für jedes Motorrad, das wir verkaufen werden, ist gigantisch. Schneller kann ich nirgends Geld verdienen, um Dads Motorrad zurückzubekommen. Das hat einfach erstmal Priorität. Mal davon abgesehen... ich seh mich eigentlich nicht in einem Konzern. Eher bei einer kleinen Firma. Früher hab ich auch anders gedacht. Mit sechzehn." Er zwinkerte mir zu. „Aber bei Abraham ist mir klar geworden, dass es so viele andere Dinge gibt, die auch zählen. Das Gemeinschaftsgefühl, das man als kleines Team hat. Das Ziel vor Augen zu haben, für das man kämpft. Nicht nur ein winziger Teil einer riesen Maschinerie zu sein, sondern vom Anfang bis zum Ende einen Weg gemeinsam zu beschreiten und am Schluss einen greifbaren Erfolg zu haben."
Während Dawson gesprochen hatte, hatte er sich auf die Seite gedreht, den dämlichen grünen Halm aus dem Mund genommen und sein Gesicht glühte nun vor Eifer und vor Begeisterung. Und ich verstand ihn zu gut. Es war fast wie beim Schwimmen. Wir trainierten gemeinsam, gaben alle unser bestes und hatten immer unser Ziel ganz klar vor Augen: wir wollten siegen. Die Besten sein.
Und A.SMITH und Dawson wollten das beste Motorrad bauen, das sie sich vorstellen konnten. Kein großer Unterschied.
Während ich ihn ansah, änderte sich Dawson Stimmung abrupt. Das Funkeln in seinen Augen erlosch. Traurig sah er mich an. „Ich wünschte nur, ich könnte dich mitnehmen nach Alabama", sagte er leise und der Satz fiel wie Steine in meinen Magen und dieser begann zu rumoren. Dawson würde, sobald er den Abschluss hatte, hunderte Kilometer entfernt wohnen.
In Alabama. Bei Sam. Und ich würde irgendwo aufs College gehen, wo es ein Schwimmteam gab. Keine der Universitäten, für die ich Bewerbungen vorbereitet hatte, lagen in Alabama. Ich war nicht mal sicher, ob es eine Uni gab, die überhaupt ein Team hatte, das auch nur halbwegs ernst zu nehmen war.
Dawson unterbrach den Blickkontakt und sank zurück auf den Rücken. Minutenlang starrten wir in den dunkler werdenden Himmel.
„Das mit uns...das wird nicht klappen, oder?", wisperte ich traurig in die Dämmerung. Dawsons Griff um meine Hand wurde kurz fester, bevor er sie losließ und sich wieder mir zuwendete. Er zog mich in eine Umarmung und obwohl ich tapfer sein wollte, tropften einige Tränen auf seinen Arm. Unsere Beziehung war gerade mit einem Mindesthalbarkeitsdatum gestempelt worden und spätestens im Mai würde dieses ablaufen. „Wir finden eine Lösung, Riley. Wir schaffen das irgendwie." Er klang soviel zuversichtlicher als ich mich fühlte und in diesen Sekunden vertraute ich ihm blind, obwohl ich Zweifel hatte.
„Ich lass dich nicht mehr gehen, Riley. Wenn wir es beide genug wollen, dann können wir alles schaffen." Zärtlich küsste er meine Haare. Mit dem Zeigefinger hob er mein Kinn.
„Weißt du was heute für ein Tag ist, meine Schöne?", erinnerte er mich an das Thema, mit dem er nach unserer Diskussion schon meine Aufmerksamkeit abgelenkt hatte und beantwortete die Frage sofort selbst: „Heute vor zwei Jahren hast du versucht mich zu küssen."
Sofort rumorte es wieder in meinen Eingeweiden, als Dawson mich daran erinnerte. Einer seiner Mundwinkel hob sich zu einem schiefen Grinsen. „Und ungefähr jetzt, vielleicht ein bisschen später, hab ich dich im Arm gehalten und wollte dich am liebsten nie wieder loslassen."
„Obwohl ich dir dein Shirt vollgerotzt hab?", fragte ich ungläubig.
„Das war mir in dem Moment egal. Ich wollte dich einfach nur trösten. Dich wieder lachen sehen. Du hast das schönste Lachen der Welt. Ich liebe es, wenn deine Augen dabei strahlen und diese kleinen braunen Sprenkel wie tausend Sterne funkeln." Etwas leiser fügte er dann hinzu: „Ich liebe aber nicht nur dein Lachen, sondern alles an dir. Ich liebe dich."
Mein Herz vergaß für ein paar Momente zu schlagen und ich zu atmen. Außer meiner Familie hatte noch nie jemand diese Worte zu mir gesagt. Es war seltsam und schön zu gleich. Und mein Herz schmerzte vor Glück, als Dawson mich küsste.
„Ich dich auch", wisperte ich leise.
Ernst sah Dawson mich an. „Wir haben diese zwei Jahre überstanden. Dann überstehen wir auch das College, Riley."
Ich nickte, wusste aber im selben Moment, dass ich log. Wir würden es nicht überstehen. Ich würde es nicht überstehen, wenn er zu Sam zurückkehrte.
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