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„Hey, Riley", begrüßte Thomas mich. „Und du bist?" Skeptisch musterte er den Neuankömmling an meiner Seite von seinen Sneakers und den kurzen schwarzen Cargohosen bis hinauf zu seinem rostroten Shirt. Plötzlich fühlte ich mich befangen. Darüber, wie Dawson und mein gemeinsames Auftauchen wirken würde, hätte ich mir vielleicht wirklich mehr Gedanken machen sollen. Im Kopf machte ich mir einen Knoten ins Taschentuch. In Zukunft würde ich ein wenig länger nachdenken, wenn Dawson Einwände gegen etwas erhob.
„Er mag Motorräder, Dad!", antwortete Melissa an Dawsons Stelle begeistert und enthob damit Dawson und mich vorerst einer Entgegnung.
„Melissa, er ist ein Fremder. Was habe ich dir gesagt? Du sollst keine Fremden reinlassen! Wir können uns das Sicherheitssystem sparen, wenn wir jedem die Pforte öffnen." Aus Thomas' leicht erschöpftem Tonfall konnten Dawson und ich schließen, dass die beiden diese Diskussion nicht das erste Mal führten und die Erklärungen offenbar wenig bis gar nicht fruchteten. Auch jetzt hatte Melissa sofort eine passende Entgegnung parat, sah dabei aber ihren Dad betreten an. „Er ist nicht fremd. Er ist doch ein Freund von Riley!"
Um Geduld bemüht fuhr Thomas sich durch seine dunklen Haare. „Wir wissen nicht mal seinen Namen. Also ist er fremd."
„Er heißt Dawson, Dad", feuerte Melissa neunmalklug zurück.
Thomas schnaubte unwirsch und streckte die Waffen. „Na wenn das so ist..." Er wendete sich Dawson zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Thomas", sagte er. „Was führt dich also her, Dawson?"
„Die Fotos von Riley. Auf dem Motorrad", leitete Dawson ein und sofort fiel ihm Melissa ins Wort.
„Er will das Motorrad angucken, Dad! Das neue!" Melissa hüpfte aufgeregt von einem Bein auf das andere.
„Na von mir aus. Nur dass es für die Zukunft klar ist: das hier ist kein Museum, Riley", mahnte Thomas und sein Ton nahm eine strenge Nuance an, die mich dazu bewegte, hektisch zu nicken. „Nicht, dass du jetzt ständig irgendjemanden mitbringst!"
„Ich bin nicht irgendjemand", äußerte Dawson vollkommen unbeeindruckt von der Rüge und mit einem leicht aggressiven Unterton. „Riley ist meine Freundin!"
Huch? Und ich dachte, das sei, zumindest vorerst, unser kleines schmutziges Geheimnis. Doch offenbar überwog Dawsons Wunsch sein Revier zu markieren, was vor Thomas, der Ende Dreißig war, vollkommen unnötig war. Alles, was Dawson damit erreicht hatte, war, dass Thomas' Blick abschätzend zwischen uns hin und her wanderte und er die richtigen Schlüsse zog, denn seine Augenbrauen hoben sich so weit, dass sie fast seinen Haaransatz berührten. „Freundin? Na dann!"
Mehr sagte Thomas nicht. Musste er auch nicht. Mimik und Körpersprache sagten genug darüber aus, was er über uns und die Natur unserer Beziehung dachte. Er drehte sich um und bedeutete uns mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen.
In der Halle, die ihm als Garage diente, war es kühl und dämmrig und ich warf Dawson einen nervösen Blick zu. Der nahm mich gar nicht wahr. Starr waren seine Augen auf das schwarze Motorrad gerichtet, das etwas abseits aller anderen an der hinteren Wand stand. Aus Dawsons Blick konnte ich nicht ablesen, ob es sich um das Bike seines Vaters handelte, oder nicht. Mit etwas Abstand folgte ich Thomas und Dawson abwartend.
„Das ist sie." Thomas strich über das weiche Leder des Sitzes und begann die PS, den Hubraum und keine Ahnung was noch alles, herunter zu beten. Dawson ging neben dem Bike in die Knie, fuhr über den Motorblock, den Auspuff. Als Thomas mit seinem Monolog zum Ende kam, bemerkte dieser abschließend: „Wunderschön nicht wahr?"
Um Bestätigung heischend ruhten Thomas' Augen auf Dawson.
„Hm, schon", sagte Dawson und blickte den Fotografen von unten herauf an. „Nur leider ist an dem Baby fast nichts original", bemerkte Dawson. Er stand auf und rieb sich den Staub von den Knien.
Thomas schmunzelte, wieder hoben seine Brauen sich. „Und du bist dafür Experte, hm?" Thomas' Stimme triefte vor Spott, als er die Arme vor der Brust verschränkte.
„Gewissermaßen. Die Maschine hat meinem Dad gehört und mit Hilfe von Mister Smith habe ich sie selbst wieder zusammengeflickt."
Dawson sagte das ganz ruhig und ich war sehr stolz auf ihn, weil er nicht wieder sofort in seinen Aggro-Godzilla-Modus wechselte.
„Dann ist das eine Unfallmaschine?" Thomas sah nicht begeistert aus, als Dawson nickte.
„Naja", sagte Melissas Vater dann. „Dafür war sie günstig. Hab mich schon gewundert." Er zuckte mit den Achseln. „Man kann im Leben eben nicht immer alles haben."
„Ich will sie zurück", platzte es aus Dawson raus. Das war nun eher ungeschickt und Thomas quittierte die Aussage mit einem nachsichtigen Lächeln.
„Ich will auch vieles, mein Junge", kam es von Thomas und ich schluckte. Dawson als „Jungen" zu bezeichnen war beinahe eine Beleidigung. Nein, nicht beinahe, sondern eine absichtliche Herabsetzung.
„Ich denke nicht, dass ich das gute Stück zu einem Preis verkaufen möchte, den du dir leisten kannst. Unfall hin oder her. Es gibt verdammt wenige Maschinen, die überhaupt noch fahrbereit sind."
Dawson fuhr sich durch die Haare, die anschließend strubbelig um seinen Kopf standen. „Wieviel?", fragte er mit gepresster Stimme.
„Hundertachzigtausend", äußerte Thomas trocken. Das schockierte mich ehrlich. Das war viel mehr, als Dawson geschätzt hatte und dessen entsetzter Blick sprach Bände. Er war völlig entmutigt und ihn so zu sehen, tat mir beinahe körperlich weh.
„Kann ich es in Raten zahlen?", fragte Dawson verzagt. Er rechnete wohl schon damit, dass Thomas ablehnen würde. Ich konnte es hingegen kaum glauben, als Thomas den Kopf schüttelte.
„Seh ich wie eine Bank aus?" Die Frage war spitzer als eine Nadel und selbst bei mir löste sie ein Stechen in der Herzgegend aus. Wie musste es erst Dawson gehen. Thomas mutierte hier gerade vor meinen Augen vom besorgten Familienvater zu einem Arsch. Das war wirklich eine merkwürdige Metamorphose und ich hatte Schwierigkeiten, mich in dieser neuen Realität zurechtzufinden.
„Aber es muss doch einen Weg geben. Die Maschine bedeutet Dawson so viel", mischte ich mich ein. Noch wollte ich die Sache nicht verloren geben. Ich kämpfte. Immer. Um alles. Um Sekunden, Zehntel und Hundertstel. Um erste Plätze und um Dawsons Zuneigung und nun eben um sein Motorrad. Das war quasi ein Naturgesetz.
„Ich habe dir doch schon gesagt: je seltener etwas ist, desto dringender will ich es für mich haben. So ist das nun mal." Thomas schnippische Stimme klang, als sei ich zu blöd, das kleine Einmaleins zu begreifen.
„Aber sein Dad..."
„Riley, lass es. Das geht niemanden was an", zischte Dawson und sein ganzer Unmut traf damit mich. Seine Augen funkelten zornig und Thomas Blick bekam etwas Berechnendes. Nachdenklich tippte er sich mit dem Daumen gegen seine Lippe. Er musterte mich lange, dann wendete er sich an Dawson.
„Ich würde mich auf eine Ratenzahlung einlassen, wenn du mir im Gegenzug etwas ebenso seltenes überlässt."
Dawson zog seine Brauen zusammen. „Und was soll das sein?", erkundigte er sich vorsichtig. Thomas Grinsen wurde verschlagener. Eine diffuse Vorahnung kroch meine Wirbelsäule hinauf und verursachte mir eine Gänsehaut.
„Riley."
Mein Name schwebte eine Sekunde in der Luft und ich erwartete bereits eine Explosion doch Dawson stand nur da wie erstarrt.
„Riley?", fragte er dümmlich. Dabei musste ihm so klar sein wie mir, dass es hier um etwas höchst Unanständiges gehen musste.
Thomas nickte. „Ich will eine private Fotosession mit Riley. Nur sie und ich in meinem Haus. Ich will sie in jeder Pose ablichten, die mir gefällt. Dafür bekommst du deine Ratenzahlung."
„Im Leben nicht!", schmetterte Dawson den Vorschlag, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, ab. Den Schmerz in seinem Blick konnte er nicht schnell genug verbergen. Ich hatte ihn bereits gesehen. Und begriff in diesem Moment eine sehr einfache und geradezu überwältigende Tatsache: ich bedeutete ihm mehr als dieses Motorrad. Obwohl es die letzte greifbare Verbindung zu seinem Vater war, stellte er meine Unversehrtheit über seinen eigenen Wunsch, das Bike zurückzukaufen. Das war so unglaublich selbstlos und rücksichtsvoll, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Nachdenklich kaute ich auf meiner Lippe. Thomas hatte nicht genau gesagt, über welche Art Aufnahmen wir sprachen. Nackt, bekleidet, nur in Unterwäsche. Vielleicht gab es ja einen Verhandlungsspielraum, mit dem wir alle leben konnten?
„Wie stellst du dir die Aufnahmen vor?", erkundigte ich mich rundheraus und Thomas' Blick huschte über meinen Körper.
„Alles was im legalen Rahmen ist, Riley", erwiderte Thomas schmunzelnd. Dann sah er zu Dawson. „Sich in Grauzonen zu bewegen, dürfte nicht ganz neu für euch beide sein", mutmaßte Thomas und nun flippte Dawson völlig aus. Er packte Thomas an den Schultern, stieß ihn hart rückwärts gegen die Ziegelmauer. „Wir bewegen uns in gar keiner Zone", zischte Dawson bedrohlich. „Ich würde Riley nie im Leben anrühren, bevor sie nicht achtzehn ist." Dawsons Gesicht schwebte nur Zentimeter von Thomas entfernt. „Nie! Und nur, dass das klar ist: ich verbitte mir jegliche Spekulationen über Riley in dieser Richtung!"
Thomas hob abwehrend die Hände. „Schon gut! Schon gut!", wiegelte er ab und Dawson ließ ihn los. „Ist alles allein eure Entscheidung. Mein Angebot steht. Wenn ihr nicht wollt, ist das allein eure Sache."
„Genau. Und ich sage ‚nein'!", fauchte Dawson, packte kurzerhand meinen Unterarm und schleifte mich in Richtung des Ausgangs.
„Moment mal!", protestierte ich und stemmte mich gegen den Hünen, der mich unbeeindruckt weiterzog. „Melissa hat noch Unterricht!"
Dawson schüttelte unwillig den Kopf. „Du glaubst nicht im Ernst, dass ich dich nur eine Minute hier im Bikini rumrennen lasse, wenn der Typ so scharf auf Fotos von dir ist? Kannst du mal völlig vergessen!", schimpfte Dawson. „Du hast sie doch nicht mehr alle!" Ich schnappte nach Luft bei dieser Unverschämtheit.
„Das ist noch immer meine Entscheidung, Dawson!" Meine Widerworte sorgten dafür, dass Dawsons Gesichtsfarbe ins Rötliche changierte. Zusammen mit der Ader, die an seinem angespannten Kiefer pochte und den blitzenden grünen Augen, wirkte er durchaus einschüchternd. Zu meinem eigenen besten beschloss ich, ihn nicht weiter zu reizen, sondern vorerst nachzugeben.
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