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Am nächsten Morgen strahlte die Sonne wieder vom Himmel. Ein Donnerstag und ich brach gegen zehn zum Schwimmtraining auf, kam gegen eins zurück und war total fertig. In den Ferien plagte unser Coach die, die anwesend waren immer mit extra Bahnen, mich, den glitzernden Stern am Schwimmerhimmel der Milton High, besonders gerne. Und das, wo ich am Nachmittag den Wachturm am Badesee besetzten sollte. Ich konnte nur beten, dass niemand in der Mitte des Sees in Schwierigkeiten kam, denn meine Kraft für heute war eigentlich verbraucht.
Um drei trat ich meine Schicht an. Justin, der vor mir den Turm besetzt hatte, kam mir entgegen. Seine blauen Augen strahlten, als er mich sah und er schenkte mir ein unbeschwertes Grübchenlächeln, während er seine blonden Haare zur Seite strich. Mir wurde mal wieder flau bei seinem Blick.
„Alles ruhig bisher. Hinten am Steg sind ein paar Jugendliche, die schon eine Zeitlang bechern. Behalt die im Auge. Ich denke nicht, dass die noch schwimmen, aber falls sie ins Wasser kotzen oder so, dann ruf die Polizei."
„Okay, alles klar", bestätigte ich und kletterte die Treppe hoch.
„Ähm, Riley?", hielt er mich auf.
Ich drehte mich um. Justin, sah nach oben und beschirmte seine wasserblauen Augen gegen die Sonne. „Heute Abend ab zehn treffen sich ein paar Leute am Waldsee. Hättest du Lust?" Hoffnungsvoll sah er zu mir hoch.
„Ich weiß nicht so recht. Meine Eltern sind auf einer Tagung. Da soll ich nicht weg."
„Schade. Hätte mich gefreut. Stacey kommt übrigens auch." Wieder fuhr er sich durch sein sonnengebleichtes Haar. Seine Nervosität war total süß.
Ich nickte. „Mal sehen, ob ich wegkomme", grummelte ich wenig optimistisch. „Ich tu mein Bestes, ja?"
„Okay. Ja. Dann also... vielleicht bis später."
Die folgenden Stunden beobachtete ich, neben John sitzend, das Geschehen am See und beleuchtete meine Möglichkeiten. Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass ich nur eine einzige hatte, wenn ich mich mit Justin treffen wollte: Warten bis Miles ins Bett ging und dann heimlich mit dem Fahrrad fahren.
Ich informierte Justin per App über meinen Beschluss und machte mich, als ich von Marcus, einem etwas älteren Rettungsschwimmer, abgelöst wurde, zufrieden auf den Weg nach Hause, um mir den Schweiß meiner Schicht abzuwaschen, im Turm war es höllenheiß, und von Kopf bis Fuß in Mückenspray zu baden, sonst würden mich die Moskitos bei lebendigen Leibe fressen.
Der See lag in einer tiefen Senke, verborgen von dichtem Mischwald. Im schmalen Lichtkegel meines Rades holperte ich den Abhang hinunter. An mehreren Stellen züngelten Lagerfeuer in die Höhe. Ich musste nur noch herausfinden, welches das Richtige war. An dem Schlagbaum, der den Weg für Radfahrer sperrte, stieg ich ab, lehnte mein Fahrrad an einen dicken Fichtenstamm, schlang meine lange Metallkette darum und drückte das Schloss zu.
Ein wenig unheimlich war es hier ganz alleine nachts im Dunkeln schon. Ich schob das ungute Gefühl aber beiseite und machte mich auf den Weg zu den Lagerfeuern. Die ersten beiden Feuerschalen waren von mir völlig Unbekannten umringt. Das nächste Feuer schien das Richtige. Ich erkannte viele Gesichter aus meinem und dem Jahrgang über mir, außerdem einige der Rettungsschwimmer.
„Da bist du ja endlich!", begrüßte mich Stacey und umarmte mich. „Justin wartet schon seeeehnsüüüchtig." Sie wackelte mit den Augenbrauen. Sofort bekam ich Herzklopfen und eine Schar Schmetterlinge schlüpfte aus ihren Kokons, bei dem Gedanken an den ansehnlichen Jungen, der mich hatte treffen wollen.
„Miles ist ewig nicht ins Bett gegangen", wetterte ich. „Ich dachte schon ich komm nie mehr raus!"
„Willst du ein Bier?" Justin kam zu mir geschlendert und hielt mir eine Dose entgegen und ein breites, erfreutes Grinsen zierte sein Gesicht. Er trug, wie alle anderen, lange Jeans zum Schutz gegen die lästigen Stechmücken. Dazu ein helles Shirt, das seine Schwimmerbrust gut zur Geltung brachte und eng um seine Muskeln spannte. Ich nahm ihm dankend das Bier ab und folgte ihm zu einem umgestürzten Baumstamm, wo wir uns hinsetzten. Er rutschte etwas näher zu mir.
„Schön, dass du es geschafft hast. Ich dachte schon du kommst nicht mehr." Schüchtern blickte er mich an.
„Ich musste warten, bis mein Bruder schläft. Meine Eltern wollen nicht, dass ich abends weggehe, wenn sie nicht zu Hause sind", erklärte ich nochmal.
„Dann bist du alleine den ganzen Weg hierhergefahren? Das ist aber ziemlich mutig." Bewundernd sah er mich von der Seite an.
„Oder dämlich und kindisch", mischte sich ungefragt eine dunkle Stimme hinter mir in ins Gespräch ein, bevor ich mich über das unerwartete Kompliment freuen konnte. Dawson? Ich verdrehte die Augen. Wo tauchte der bitte im Moment nicht auf?
„Für dämliche, kindische Aktionen ist Riley doch berühmt!", kicherte Hillary einen Moment später.
Mein Herz sackte mir in die Knie, als ich mich umdrehte. Mein Blick fiel sofort auf die verschränkten Hände von Hillary und Dawson. Dann war es wohl jetzt offiziell. Die beiden waren ein Paar und ich... nun ja, das ewige Kind.
„Stimmt. Ich dachte nur, sie sei zwischenzeitlich reifer geworden. Vernünftiger", antwortete Dawson und versenkte seinen Blick in Hillarys, dann küsste er sie auf die Nase. Diese zärtliche Geste, wie er sich ihr zuwandte und die Wärme in seiner Stimme schmerzten mehr als das, was er sagte. Die liebevolle Zuwendung war das, was ich dumme Nuss mir von ihm ersehnt hatte. Kommentarlos drehte ich mich um und ignorierte die beiden. Weder wusste ich eine Antwort, noch traute ich meiner Stimme. Außerdem hatten sie recht. Nachts im Dunkeln allein durch den Wald zu radeln, war dämlich. Und unreif.
„Hillary trägt die Nase ziemlich hoch, seit sie mit diesem komischen Typen zusammen ist", stellte Justin gehässig fest, nachdem die beiden gegangen waren. „Nur weil er viel älter ist, macht sie das nicht zu etwas Besserem!"
Zurückhaltend legte er einen Arm um meine Schulter und zog mich etwas zu sich. „Ich finde dich jedenfalls sehr mutig", flüsterte er mir schmeichelnd ins Ohr. Verlegenes Schweigen machte sich zwischen uns breit. Unvermittelt brach Justin es schließlich.
„Was ich dich fragen wollte, Riley.... Ähm, also... Hast du einen festen Freund, oder so?"
Ich lachte. „Was ist denn „oder so" in dem Zusammenhang?"
Er wurde rot. „Naja, vielleicht stehst du auf jemanden oder hast eine Freundin oder einen „best-friend-with-benefits"?"
Nun wurde ich rot, weil er mir einen Fickfreund zutraute. Die Horizontale war noch so gar nicht meine Welt. Nach dem Debakel mit Dawson hatte ich mich von Jungs ferngehalten.
„Nein, es gibt niemanden", antwortete ich wahrheitsgemäß. Die aussichtslose Schwärmerei für Dawson zählte ja nicht mehr wirklich. Die war lange schon verjährt.
„Könntest du dir vorstellen, mit mir auf ein Date zu gehen?", haspelte Justin und sah mich angespannt an.
Such dir einen netten Jungen in deinem Alter.
Konnte ich? Durchaus. Justin war nett und unaufdringlich. Er trank auf Partys offensichtlich nicht übermäßig. Er machte mir Komplimente. Darüber hinaus sah er wirklich gut aus, wenn auch auf noch sehr jungenhafte Art. Aber sein Körper hatte rausgefunden, dass er ein Mann war und ihm den Ansatz von Muskeln beschert. Doch das Wichtigste war: ich fühlte mich in seiner Gegenwart wohl und er gab mir das Gefühl wichtig zu sein. Also warum der Sache nicht eine Chance geben?
„Ja, könnte ich", antwortete ich und sah ihn glücklich lächeln. Unglaublich! Es war das erste Mal in meinem Leben, dass mich ein Junge so zufriedeb ansah und mein Herz machte einen Purzelbaum vor Freude. Ich hatte das erste Date meines Lebens mit einem zugegebenermaßen ansehnlichen Jungen, der zufällig auch noch mein Hobby teilte und für sein Leben gerne schwamm.
„Ich dachte, wir könnten auf das Sommerfest der Feuerwehr gehen", schlug er vor. „Außer du findest das blöd?" Ich nickte begeistert. Vor einem steifen Essen in einem Restaurant hätte ich Angst gehabt. Ich konnte ja nicht mal Pizza zivilisiert essen.
„Das klingt gut. Irgendwie unverkrampft", bestärkte ich ihn in seiner Idee.
Er grinste. „Das mag ich an dir. Du sagst immer, was du denkst." Das war natürlich eine absolut fatale Fehleinschätzung, über die ich ihn jedoch nicht aufklären würde. Manche Gedanken würde ich wohl auf ewig unter Verschluss halten, weil sie nur neue Schwierigkeiten bringen würden.
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