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Aber schlimmer ging immer, denn bei den nächsten zwei Gelegenheiten zeigte mir mein Schicksal, wie mies es sein konnte.

Zum ersten Mal seit Jahren öffnete ich mich ein wenig, erzählte jemandem außer Chad Details des Unfalls und wurde damit belohnt, Riley zumindest kurz in den Armen zu halten. Das erste Mal seit Jahren fühlte ich mich vollständig.

Tags darauf dachte sich Schicksal, es könnte mal richtig arschig sein und so kam ich in den Genuss Riley am Lagerfeuer beim Knutschen zuzusehen. Am liebsten hätte ich diesem blonden Arsch den Hintern versohlt und mir die Augen ausgestochen. Ob dadurch die Bilder aus meinem Kopf verschwinden würden, wagte ich zu bezweifeln. Ebenso zweifelte ich daran, dass es den Schmerz lindern würde, den jeder Gedanke an Riley auslöste. Verliebtsein war einfach nur Scheiße und nichts sonst. Sie hatte jetzt einen Freund. Das Schlimmste daran war, dass das auch noch auf meinem Mist gewachsen war.

Zwei Tage später entschied Schicksal, dass ein guter Tag war, nett zu mir zu sein, dafür war es zu einer anderen Familie sehr bitchig. Für die Tragödie, die sich in unserem kleinen Ort entspann, war das ein bisschen flapsig formuliert. Aber ich versuchte emotionale Distanz zu wahren, das ging so noch immer am besten für mich.

Jedenfalls war ich froh, mich um Riley kümmern zu können, als sie einen Nervenzusammenbruch hatte. Allerdings zeigte mir dieses Ereignis auch ganz klar, dass ich Riley gegenüber keinerlei Widerstandskraft aufbrachte. Sie bat mich, bei ihr zu schlafen und ich sagte ja. Wobei genau das einer der Punkte war, die mich in allergrößte Schwierigkeiten bringen konnten.

Ich hatte Verantwortung für ein Kind zu tragen. Was sollte denn aus Izzie werden, aus Sam, aus der Serie II und meinem ganzen Leben, wenn ich meinen verdammten Kopf verlor, sobald Riley mich verzweifelt ansah?

Am nächsten Morgen war für mich klar, dass das hier nichts bringen würde. Entweder ich fuhr mein Leben gegen die Wand oder ich musste Riley aus dem Weg gehen. Also würde ich einfach zur Uni zurückfahren und mich dort um den Fortgang meines Studiums bemühen, damit ich so bald als möglich Vollverdiener werden konnte, um Sam zu unterstützen und Geld auf die Seite zu legen für mein Motorrad.

„Brillant wie immer deine Ideen", murrte Chad auf seinem Bett liegend. „Bis du die Kröten für das Motorrad zusammen hast, ist es rostig, du hast einen grauen Bart und Riley Hängetitten."

What? Wie redete er denn von meiner Prinzessin?

„Lass Riley da raus. Erwähne sie am besten gar nicht mehr, okay? Und falls dir etwas Besseres einfällt, um Geld zu verdienen, als dafür zu arbeiten, lass es mich gerne wissen."

Chad starrte sinnierend an die Decke über seinem Bett, wo er das Bild einer vollbusigen Playboy Schönheit mit Klebestreifen befestigt hatte. Er winkelte ein Bein an, trommelte mit den Fingern auf seinen Bauch und hatte ein unheiliges Grinsen im Gesicht.

„Vielleicht hab ich eine Idee. Ob sie gut ist, hängt von dir ab."

„Lass mal hören", sagte ich gespannt.

Mein Bauchgefühl sagte ganz laut nein zu Chads Vorschlag. Aber ich hörte nicht drauf. Das brachte mir ein blaues Auge, einen hässlichen Cut und zwei angebrochene Rippen ein. Und die Tabletten, die ich auf Chads Empfehlungen einnahm, verursachten Wahnvorstellungen. Davon war ich zumindest überzeugt, als Riley plötzlich in meinem Zimmer stand. Übernächtigt und besorgt sah sie aus.

Dass das kein Traum war, realisierte ich, als sich ihre Hände auf meine Knie legten und sie mich voller Sorge bat, ihr zu erklären, was passiert sei. Doch ich wollte nicht und das führte dazu, dass wir uns mal wieder in die Haare kriegten.

Sie warf mir vor, in ihr noch immer ein Kind zu sehen, sie nicht ernst zu nehmen, aber sie hatte doch keine Ahnung wovon sie sprach. Ich sah sie völlig anders, als sie dachte und wenn ich nicht Schmerzen gehabt hätte und es völlig unpassend gewesen wäre, hätte ich sie einfach auf mein Bett gezogen. Sie unter meinem Körper vergraben, sie von Kopf bis Fuß geküsst, bis sie meinen Namen seufzte und ...

„Egal, was du gerade denkst, nichts davon ist so schlimm wie in deiner Phantasie", flüsterte Riley und riss mich damit aus den Betrachtungen ihrer Brüste, die in der Bluse, die sie trug gut zur Geltung kamen.

„Du hast keine Ahnung, wie schlimm es ist!", schnaubte ich und barg mein geschundenes Gesicht in meinen Händen. Sobald ich die Augen schloss hatte ich wieder diesen kleinen blonden Penner vor Augen, der Riley betatschte und küsste. Mir grauste vor den Schlüssen, die man aus meiner unangebrachten Eifersucht ziehen konnte.

„Ich krieg das Bild von dir und Justin nicht aus meinem Kopf", murmelte ich leise. „Und seitdem ich euch zusammen am Lagerfeuer gesehen habe, frage ich mich unentwegt, wie es sich wohl anfühlt, dich zu küssen. In meiner Phantasie ist das jedes Mal verdammt gut."

Fassungslos blinzelte Riley zu mir hoch. Ihre Hände brannten auf meinen Oberschenkeln und ich blickte in ihre wildgesprenkelten Augen. Langsam, um sie nur nicht zu verschrecken, hob ich meine Hand, schob sie auf ihrer Wange unter die seidenweichen Haare, bis meine Fingerspitzen die zarte Haut ihres Halses berührten. Mit der Daumenkuppe fuhr ich zärtlich die Kontur ihrer Lippe nach. Bedauern schnürte mir den Hals zu und ich musste mich räuspern, bevor ich ihr sagte, was mich mehr quälte als das Atmen mit gebrochenen Rippen.

„Ich wünschte, ich wäre damals nicht so hart zu dir gewesen. Ich wünschte, ich könnte die Uhr zurückdrehen, damit du noch einmal versuchst, mich zu küssen", wisperte ich.

Ihre Reaktion war alles andere als ermutigend. Sie saß einfach nur da. Starrte mich an und ich hatte keine Vorstellung, was in ihrem Kopf vor sich ging, während ich Idiot ihr mein Herz zu Füßen legte. Doch etwas in ihren Augen schien sich zu verändern. Ihr Blick wurde weicher, beinahe verträumt und dann wanderten ihre Hände meinen Oberschenkel weiter nach oben. Das allein war schon bedenklich. Dass sich ihr Mund meinem langsam näherte, ließ Hoffnung in mir aufblühen, die da nicht hätte sein sollen. Ich spürte ihren warmen Atem auf meinem Gesicht. Frisch und minzig, betörend süß. Millimeter von mir entfernt verharrte sie. Obwohl ich saß, zitterten meine Knie vor Anspannung und Ungeduld, Gänsehaut überzog meinen Körper. Ihre Berührungen, sanft und unschuldig, setzten mich komplett unter Strom.

Behutsam legte ich meine Hände an Rileys Wangen, schloss die letzten Millimeter, bevor sie Angst vor ihrem eigenen Mut bekam und einen Rückzieher machen konnte. Ihre Lippen fühlten sich weicher an, als gedacht, zart wie junge Rosenblätter und für ein paar Sekunden verschmolzen Riley und ich zu einer perfekten Einheit.

Zu sagen, dass die Wucht der Gefühle mich eiskalt erwischte, war untertrieben. Die Zärtlichkeit, die ich empfand, als ich nach dem Kuss in Rileys Augen blickte, traf mit der Kraft von Brechern bei Windstärke zwölf auf mein zerrüttetes Inneres. Die Wucht meiner Gefühle schwemmte alles Strandgut der letzten Jahre fort und ließ nichts zurück außer einer leeren Fläche, die neu gefüllt werden musste. Und zwar am besten mit Pastelltönen, Herzchen, flauschigen Katzenbabys und Rileys Lächeln und tausenden von Küssen. Der Gedanke an die Katzenbabys war so dämlich, dass ich lächeln musste. Dann küsste ich sie erneut. Diesmal länger und voller Hoffnung, dass sie diejenige sein würde, die mir half diese Wogen zu glätten, die immer wieder alles durcheinanderbrachten.

Als ich mich erneut von ihr löste, war die Unordnung aber wieder da. Altölfässer trieben durch mein Meer und die Erinnerung daran, dass Riley einen Freund hatte, paddelte auf einem Einbaum an Land.

„Shit", murmelte ich leise. Sofort ging Riley auf Abstand. Eigentlich ja auch klar. Was hatte ich erwartet? Ich hatte sie in eine vollkommen unmögliche Situation gebracht.

„So deutlich hättest du nicht zu werden brauchen", wisperte Riley zaghaft und ihr schüchternes Getue nervte mich von null auf hundert.

„Meinst du?", langsam stand ich auf. Machte zwei wacklige Schritte auf sie zu. Diese verdammten Rippen taten vielleicht weh!

Reflexartig wich Riley vor mir zurück, als ich in einer schnellen Bewegung meinen Arm ausstreckte. Hart stieß sie gegen die Tür, als ich ihren Oberarm umklammerte. „Ich glaube, ich muss noch viel deutlicher werden!", knurrte ich.

„Komm nie wieder her, Riley. Verstehst du mich? Nie wieder. Du hast hier nichts verloren. Halt dich aus meinem Leben raus. Hör auf, dich in Dinge einzumischen, die du nicht verstehst. Und hör auf, mich ständig in Versuchung zu führen. Ich werde mein Leben nicht für dich ruinieren! Hörst du?"

Verständnislos sah sie mich an. „Aber du hast doch..."

Ja, na toll, dann hatte ich eben einen schwachen Moment und nun sah ich wieder klar. Sie hatte einen Freund und ich mir etwas genommen, das mir nicht zustand. Jetzt war es an der Zeit vernünftig zu sein und die Lage zu sehen wie sie war: chaotisch, unmöglich, riskant.

„Einen Scheiß hab ich! Und jetzt raus aus meinem Zimmer. Verschwinde! Na los!"

Ich griff nach ihrem Rucksack und warf Riley einfach raus. Denn Fakt war: dem was Riley in mir auslöste, war ich nicht gewachsen. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Mädchen so gewollt wie sie. Auf diese seltsame Art. Ich wollte ihr dringend alles geben, was sie verdiente. Ich wusste nur nicht, ob ich das zu geben hatte.

Lange starrte ich auf die Tür, stand einfach da wie ein Idiot und versuchte mit der Leere in meinem Zimmer und in mir klarzukommen. Dann ließ ich mich auf das Bett nieder, ganz vorsichtig, und legte mich hin. Taub und ausgehöhlt starrte ich zum Fenster und den immer schneller ziehenden Wolken. Sie türmten sich, wurden dunkler und schluckten mehr und mehr Licht.

Als die ersten Blitze zuckten, war mir klar, dass ich einen verdammt großen Fehler gemacht hatte. Das Mädchen, dass mir mehr bedeutete als kaum jemand sonst auf dieser Welt, saß in einem Bus nach Hause. Erinnerungen an ein anderes Unwetter zogen durch meinen Geist. Ein Streit. Ein Wort zu viel. Eine falsche Entscheidung. Leben wurden von solchen Kleinigkeiten zerstört. Existenzen ausgelöscht.

Ruckartig setzte ich mich auf, fast wurde mir schwarz vor Augen. An wie vielen Stellen konnte man gleichzeitig Schmerz spüren, wenn das eigene Herz sich vor Angst kalt wie Eis anfühlte?

Ich suchte im Handy nach Rileys Nummer. Doch sie war nicht erreichbar. Vielleicht hatte sie im Bus kein Netz. Ich rief die Bus-App auf. Shit. Wann war sie denn eigentlich gegangen? Sie hatte den Bus doch nicht verpasst?

Ohne auf meine Schmerzen zu achten, stieg ich in meine Hose und ein T-Shirt, das ich vom Boden klaubte. Socken? Egal. Schuhe. Während ich mich anzog, versuchte ich immer wieder erfolglos Riley zu erreichen. In meiner Verzweiflung rief ich Miles an, erkundigte mich beiläufig nach Riley.

Ihr Bruder hatte keinen Schimmer, ging davon aus, dass Riley in Nashville war und nicht hier. Bei Stacey das Gleiche.

Am Busbahnhof parkte ich im absoluten Halteverbot und stürmte in die Wartehalle. Nichts. IN keinem Geschäft, in keinem Diner, nirgendwo war das Mädchen mit den wunderschönen Augen.

Meine Hand griff in einem Automatismus nach meinem Schlüssel und ich war drauf und dran... Aber dann hielt ich inne. Ermahnte mich, den Scheiß zu lassen. Der innere Kampf kostete mich ein paar Minuten, die ich in strömendem Regen umgeben von krachenden Donnerschlägen verbrachte.

Selbst wenn Riley nicht irgendwo draußen unterwegs war, dann fürchtete sie sich gerade mit Sicherheit. Ein Gewitter brachte sie aus der Fassung und das hier war ein verdammtes Unwetter.

Als ich Riley endlich erreichte, wurde ich beinahe ohnmächtig vor Erleichterung. Sie unversehrt in einer Pension zu finden und in den Arm zu nehmen, brachte mich fast genauso zum Schweben, wie die Schmerzmittel von Chad. Riley mit morphiumhaltigen Schmerztabletten zu vergleichen, war seltsam. Aber sie war wirklich wie eine Droge.

Als ich viel, viel später mit Riley unter der Decke kuschelte, ihre warme Haut und ihre Hand an meiner Brust spürte, wusste ich, dass ich an einem wichtigen Punkt meiner Reise angekommen war: ich war bereit für einen anderen Menschen alles zu riskieren, das mir lieb und teuer war. Wenn wir uns trennten, würde sie mein Herz behalten. Wenn sie starb, würde ich mit ihr sterben. Und wenn sie mich liebte, dann war ich bereit, für sie in den Knast zu gehen. So einfach war meine Welt. Dank Riley...

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