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Davon, wo Sam und Rooney wohnten, hatte ich nur eine vage Vorstellung. Da Abraham und seine Tochter in der Gegend bekannt waren wie ein bunter Hund, ließ es sich ziemlich schnell im Supermarkt in Erfahrung bringen.

Kurz darauf blickte ich die Fassade eines schäbigen Häuschens entlang. Unwillkürlich drängte sich mir der Vergleich mit dem Motel auf, in dem Sam nicht hatte übernachten wollen. Das hier war... Eigentlich konnte das nicht Sams Ernst sein, dass sie unter diesen Bedingungen ein Kind großziehen wollte? Das Gras um das Haus herum ging mir bis über die Knöchel, überall am Haus blätterte die Farbe ab. Die Store waren vergilbt und die Fenster von hässlichen braunen Vorhängen flankiert. Die Stufen zur Veranda waren morsch.

Vorsichtig klopfte ich an der Tür, bereit, diese notfalls festzuhalten, sollte sie einfach aus den Angeln fallen. Warum ich erwartet hatte, mir würde jemand öffnen, fragte ich mich erst nach dem dritten Klopfen.

Kurzerhand probierte ich, den Knauf zu drehen und die Tür schwang auf. Knarrend zunächst, dann ging das Geräusch in ein Quietschen über, das mein Blut in den Adern gefrieren ließ. Alarmanlage mal anders.

Ich schlich leise durch den Flur, der in einen einzelnen Raum überging, der als Wohn- und Essbereich konzipiert war. An eine Wand schmiegte eine einfache Küchenzeile. An sich hätte es hier wirklich hübsch aussehen können. Aber das dreckige Geschirr und die Unordnung verdarben den Eindruck.

Hier unten, so viel war sicher, war niemand. Nicht Sam, nicht Rooney. Eine steile Treppe führte nach oben und mit klopfendem Herzen stieg ich sie hinauf.

Im Büro war Sam immer auf Ordnung und Sauberkeit bedacht gewesen. Ich bekam das alles gar nicht auf einen Nenner. Im ersten Stock gab es drei Türen. Vermutlich die klassische Aufteilung in Bad, Schlafzimmer und Kinderzimmer.

Sollte ich die Türen einfach öffnen? Was, wenn die beiden nur schliefen? Durch ein fremdes Haus zu schleichen war schon etwas verwegen.

„Hallo?", rief ich laut und machte mich bemerkbar. Antwort erhielt ich keine.

„Mann, scheiß drauf!", flüsterte ich und öffnete die erste Tür. Bad. Es roch schwach nach Sams Duschgel und nach Deo. Die Badewanne war vollkommen verkalkt. Das Waschbecken schmutzig. Das Klo blendete ich mal aus. Ich hatte wenige öffentliche Toiletten gesehen, die unappetitlicher waren.

Verwahrlost. Das war der Begriff, der das Haus am ehesten beschrieb. Oder heruntergekommen. Die nächste Tür, die ich öffnete, ließ mich in etwa erahnen, dass dies wohl das Kinderzimmer werden sollte. Die Tapeten waren heruntergerissen und in Müllsäcke gestopft. Der Teppich war ebenfalls entfernt worden und lagerte nun auf einem Haufen.

Ich fuhr mir durch die Haare. Noch eine Tür, auf deren Klinke ich meine Hand legte. Leises Grauen befiel mich und eigentlich wäre ich lieber weggelaufen, als durch diese Tür zu treten. In Zeitlupe drückte ich die Klinke runter und öffnete die Tür.

Sam lag zusammengerollt wie ein Igel auf dem Bett. Ihre Haare waren fettig und strähnig. Ihr Gesicht war fleckig vom Weinen. Ihr sonst sanfter Atem klang verschnupft.

Vorsichtig ging ich neben dem Bett in die Hocke. Hinknien würde ich mich hier nicht, selbst wenn mir jemand dafür 100 Dollar angeboten hätte. Erst nachdem ich mit einem Hochdruckreiniger hier geputzt hatte.

„Sam?", flüsterte ich leise und berührte sanft ihre Wange. Sofort schlug sie die Augen auf, die vom Weinen feuerrot waren, als hätte sie gesoffen.

Schock verzerrte ihr Gesicht, als sie mich ansah. „Wie kommst du hier rein?"

„Durch die Tür?"

„Nein, das ... also ich meine, wie kommst du hierher? Was machst du hier?"

Tränen liefen über ihr Gesicht.

„Sam, nicht doch", bat ich sie und setzte mich auf den Rand des Bettes.

Lange schluchzte Sam in meinen Armen und ich hielt sie einfach fest. Nach und nach wurde sie ruhiger. Stück für Stück konnte ich Sam Fakten entlocken:

Sie hatte Rooney am Tag meiner Abreise noch reinen Wein eingeschenkt und er war ausgeflippt. Hatte sie beschimpft und als Hure bezeichnet und ihr an den Kopf geworfen, er hätte sie nur wegen des Kindes und der Werkstatt heiraten wollen. Sie und diese Tätowierung wären abstoßend. Er hätte nicht geahnt, dass sie ein perverses und lüsternes Flittchen sei. Dann hatte er sein Zeug gepackt und war gegangen, jedoch nicht ohne das Wohnzimmer zu verwüsten und ihr Handy gegen die Wand zu werfen.

„Ich hab versucht irgendwie aufzuräumen. Aber mit dem Bauch, ich bin so unbeweglich und alles dauert ewig." Wieder begann sie zu weinen.

„Ich weiß gar nicht, wie ich das alles halbwegs in Ordnung bringen soll, bis das Kleine auf die Welt kommt. Als Rooney und ich hier eingezogen sind, da wollte er renovieren, aber nach einer Woche hat er festgestellt, dass renovieren ein Synonym für hart arbeiten ist. Und so sieht es hier jetzt aus. Ich konnte doch schwanger auch nicht viel machen."

Sam schlug die Hände vor ihr Gesicht. Ihre schiere Verzweiflung war bewegend.

„Sam, wir haben noch wenige Monate bis „Inside" auf die Welt kommt, aber wir schaffen das schon."

„Aber du musst in zehn Tagen in die Uni und dein Motorrad ist auch noch da. Das soll doch auch fertig werden."

„Sam, das kann alles warten. Erstmal braucht „Inside" ein zu Hause. Nach den Weihnachtstagen ruf ich meinen Dekan an und bitte um ein Semester Auszeit. Und jetzt gehst du dich mal frisch machen und dann machen wir einen Plan, wie wir Herr über dieses...Haus werden."

Sam nickte und in dem Moment, in dem die Badtür zufiel, fegte mich das Ausmaß dessen, was auf mich zu kam, von den Füßen. Ich hatte nicht die leise Ahnung davon, wie man diese Bruchbude auf Vordermann bringen könnte. Sicher war aber , dass ich Sam damit nicht allein lassen konnte. Wenn ich schon überfordert war, wie sollte sie das dann alleine schaffen.

Wir bestellten Pizza und aßen diese aus dem Karton.

„Wie kommt es, dass du in ein Haus ziehst, dass in so einem Zustand ist?"

Sie zuckte mit den Achseln. Unter meinem durchdringenden Blick wurde sie dann weich.

„Vor Mums Tod haben wir hier gewohnt. Dad hat das Haus verkauft und wir sind auf das Werkstattgelände gezogen. Vor kurzem wurde das Haus zum Verkauf angeboten. Es war verwohnt aber wirklich billig. Deswegen hab ich dir den Truck verkauft. Von dem Geld wollte ich die Renovierung bezahlen."

Langsam ergab das Ganze ein Bild. „Und warum hast du Rooney gesagt, er sei der Vater?"

„Weil ich nicht wusste, wie ich das alles alleine schaffen soll."

Sie sah mich schuldbewusst an. „Und ich wollte nicht, dass dein Leben wegen sowas den Bach runter geht. Du bist ein toller Ingenieur, sagt Dad. Ich wollte dir das nicht kaputt machen."

„Wegen sowas? Entschuldige mal, das ist unser Kind und nicht „sowas"!"

Sam lächelte unter Tränen und ich zog sie in meine Arme. „Alles wird gut, glaub mir. Wir schaffen das."

Und wir schafften es. Ich schliff die Dielen im Schlafzimmer ab und Sam ölte sie auf dem Boden sitzend. Dann bekam die Decke einen neuen Anstrich und ich tapezierte unter Rourkes Anweisung das erste Mal im Leben. Ich kaufte eine neue Matratze, damit Sam keine Rückenschmerzen mehr hatte und bekam den ersten Stromschlag meines Lebens, als ich die Schlafzimmerlampe anschloss. Zufrieden stellte ich fest: Sam hatte ein hübsches Zimmer, in dem sie sich ausruhen und mit dem „Inside" Kraft tanken konnte. Als nächstes widmeten wir uns dem Kinderzimmer. Ich verlegte den Teppichboden. Vorher strich ich den Heizkörper neu und tapezierte im Kinderzimmer eine Wand mit einer Disneytapete. Die drei anderen Wände strichen wir zartgelb.

Das Bad wurde „Pfusch", wie Rourke sagte. Statt die alten Fliesen rauszuschlagen, verlegten wir über den Boden einfach Neue drüber. Die Wände, die bisher nur gekalkt gewesen waren, bekamen bis auf zweidrittel Höhe Fliesen.

Als Sam zu schwanger zum Mitarbeiten wurde, bat ich Mum, ihr die Nähmaschine zu leihen. Lydia schickte Stoffe, die von ihrer Renovierung übrig waren und Sam nähte Patchwork-Kissen, Scheibengardinen, Topflappen und Tischdecken. So hatte sie wenigstens das Gefühl, etwas Nützliches zu tun und rannte nicht bis zur Erschöpfung durchs Haus.

Im Baumarkt kauften wir eine neue billige Küchenzeile und drei Wochen vor Sams Geburtstermin waren wir fertig. Sogar das Dach war neu eingedeckt und ich hatte für Sam hinter dem Haus ein Gemüsebeet angelegt. Die Idee hatte sie zu Tränen gerührt.

Abends gingen wir stets gemeinsam ins Bett. Aber seit ich zurückgekehrt war, hatten wir nicht mehr miteinander geschlafen. Wir kuschelten ab und zu. Ich massierte ihre schmerzenden Füße, ihren Rücken oder ölte ihren Bauch ein, wenn er juckte. Bisher hatte ihr Körper sich erstaunlich geschmeidig gedehnt. Lediglich um den Bauchnabel hatte Sam ein paar Risse im Gewebe, Drake war aber bisher unbeschadet, was Sam unfassbar wichtig war. Kurzum gaben wir einander die Nähe, die wir gerade brauchten, doch nicht mehr als das.

In einer sentimentalen Minute hatte Sam geweint, weil ich sie schwanger nicht mehr sexy fand. Erst hatte ich es mit Ausflüchten versucht, ihr dann aber schließlich gestanden, dass Riley mein komplettes Fühlen beherrschte.

„Du und das Eismädchen. Ihr wärt so ein süßes Paar."

Doch den Zahn hatte ich Sam gleich gezogen. Riley war durch mit mir und an der Sache mit dem Altersunterschied hatte sich nichts geändert.

Sam zuckte nur mit den Schultern. „Dann schlaf nicht mit ihr und alles ist gut. Und in ein paar Monaten, wenn sie siebzehn ist, dann macht ihr Springbreak in Alabama. Bei uns liegt das Schutzalter bei siebzehn!" Sie zwinkerte mir zu. „Dann kannst du ihr in aller Ruhe beibringen, wie schön Sex ist und sie ein für alle Mal für die gleichaltrigen Jungs verderben. Nach dir will sie nie wieder so ein unreifes Früchtchen."

Anfang Mai brachte Sam „Inside" zur Welt und wir ließen sie auf den Namen Elisabeth taufen. So nannte sie aber keiner. Sie war einfach Izzie.

Sam ging in ihrer Mutterrolle völlig auf. Es war schön, sie so glücklich zu sehen. Das warme Wetter nutzte ich zum Motorradschrauben und Sam saß auf der Veranda, stillte, schlief zusammen mit Izzie und wir machte als Sam sich fit dafür fühlte, lange Spaziergänge.

Mit Lio hielt ich über all die Zeit Kontakt und als klar war, dass meine A.SMITH fahrbereit war, schlug er eine fünftägige Tour in die Smokeys als Testfahrt vor.

Erst zierte ich mich, aber Sam ließ nicht locker, sodass ich das Motorrad mitnahm und auf dem Weg zu den Sommerkursen an der Uni wieder in Mums Garage unterstellte.

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