74
Am nächsten Morgen nahm ich das Putzzeug wieder mit nach unten und räumte es auf. Dann fiel mir auf, dass Sam am Vorabend die Küche nicht gekehrt hatte. Dabei war ihr das immer sehr wichtig. Offenbar nicht wichtig genug, um sich zu mir nach oben zu wagen.
Ich stellte die Stühle hoch, fegte und wischte den Boden. Danach kochte ich Kaffee, füllte die Getränke auf, verräumte das Putzzeug zum zweiten Mal und gruppierte die Stühle ordentlich um den Tisch. Dann ging ich in die Werkstatt und schaltete das Licht an. Mit meinem Kaffeebecher ging ich die Arbeitsliste durch. Von der Hälfte hatte ich wenig bis keine Ahnung. Aber Ölwechsel konnte ich machen. Ich nahm mir den entsprechenden Schlüssel vom Brett und ging nach draußen, um das zugehörige Motorrad zu finden. Das war manchmal das Schwierigste, weil jeder kreuz und quer parkte, wie er lustig war.
„Morgen", ranzte mich Rooney an und stapfte an mir vorbei. Rourke folgte ihm grinsend.
„Guten Morgen." Kurz blieb er stehen. „Was planst du?", erkundigte er sich.
„Zwei Mal Ölwechsel und um halb neun übernehme ich den Radwechsel."
„Alles klar." Einen Moment blieb Rourke stehen. Er sah aus, als wolle er was sagen. Dann überlegte er es sich anders und folgte Rooney nach drinnen.
Bis Mittag war ich gut beschäftigt. Ich sah aus, als hätte ich gearbeitet und sicher roch ich auch so. Das hier war was anderes als am Schreibtisch sitzen und lernen. Mit meinem Sandwich saß ich in der Mittagspause in der Sonne. Jimmys übriggebliebener Hund lag träge neben mir. Schon komisch, wie warm es mittags in der Sonne war. Seltsam, wie struppig Hundefell sein konnte. Erstaunlich, dass der Zaun noch immer nicht fertig war. Und merkwürdig, wie bewusst ich mich auf alles mögliche konzentrierte, um nur ja nicht an Sam zu denken.
Half aber nix. Ich ging duschen, bewaffnete mich mit einer weiteren Tasse Kaffee und ging ins Büro.
„Hey", sagte ich kurz angebunden und vermied es Sam anzusehen. Ich tauchte unter den Tisch, schaltete den PC an und verschanzte mich hinter meinem Bildschirm.
„Dad hat für morgen eine Besprechung angesetzt. Um 14.00 Uhr. Du, Rourke und der Karosserietyp von Moretti."
Mit Genugtuung stellte ich fest, dass Rooney wohl zu dieser Party nicht eingeladen war.
„Okay", gab ich von mir und überflog noch einmal die Menge der Teile, die ich für den Prototypen bestellen wollte. Hoffentlich fehlte nichts, sonst konnte ich mir das bestimmt bis zu meinem letzten Atemzug anhören.
„Sam, hättest du kurz Zeit, mit mir die Bestellung beim Online-Handel zu machen?"
Auch wenn Abraham entspannt wirkte, er bestand auf einem strengen vier Augen-Prinzip in allen kritischen Bereichen. Den Einkauf zählte er dazu und Abraham verlangte, dass ich mich allmählich mit dem Bestellprogramm und der Lagerhaltung vertraut machte.
„Klar. Gib mir noch fünf Minuten. Ich such gerade bei eBay nach Unfallmaschinen zum Ausschlachten. Hab hier grad schon was Spannendes gefunden. Da kannst du dich dann nach Weihnachten dran erproben und das Ding zerlegen."
Irrational, aber darauf freute ich mich. Es war ehrliche Arbeit.
Als Sam signalisierte, dass sie fertig sei, schob ich meinen Stuhl zu ihr und setzte mich neben sie. Sofort wünschte ich mir, ich hätte ihr früher einen Blick gegönnt und sie irgendwie entlastet. Sie sah völlig fertig aus. Augenringe, die sie nur schlecht überschminkt hatte. Sie war bleich und fahrig und als sie nach ihrer Maus griff zitterte ihre Hand leicht.
„Geht es dir nicht gut?"
Ich war wirklich besorgt.
„Doch, doch. Alles okay. Ich... ich hab nur nicht gut geschlafen, weil..." Sie sah mich traurig an. „Was ich gestern gesagt habe... Grady, das tut mir furchtbar leid. Wirklich."
Trotzdem hatte es mich verletzt. Ihr ehrliches Bedauern machte es besser, aber noch lange nicht wieder gut. Um ihretwillen riss ich mich zusammen. Beruhigend lächelte ich Sam an und nahm sie in den Arm. „Ist schon vergessen!", murmelte ich in ihre Haare. Vorsichtig hob ich ihr Kinn. „Mach dir deswegen keine Gedanken, okay? Lass uns schnell diese gefühlten tausendvierhundert Teile bestellen und dann machst du Feierabend."
„Grady, ich kann nicht einfach..."
„Das sehen wir ja dann", sagte ich milde. „Jetzt zeig mir erstmal, wie das mit dem Wareneingang und den Bestellungen läuft."
Die nächsten zwei Stunden redete Sam sich den Mund fusselig. Sie erklärte mir die Lagerhaltung und wie ich Wareneingänge und Abgänge zu dokumentieren hatte, damit hinterher die Mengen und die Rechnungen stimmten, die sie stellte. Dann erklärte sie mir die Unterschiede der Händler und wo welche Teile und warum bestellt wurden. Manchmal ertappte ich mich, dass ich ihr gar nicht mehr richtig zuhörte, sondern stattdessen ihre lebhafte Gestik und ihre Mimik beobachtete.
Die Bestellung an sich dauerte dann gar nicht mehr lange. Sams Finger flogen förmlich über den Zahlenblock ihrer Tastatur und um viertel nach drei war die Anforderung für einen großen Teil dessen, was wir benötigten, draußen.
„Dad hat heute morgen mit dem Typen von Moretti in Europa telefoniert. Sie haben das Chassis angepasst und an den Spediteur übergeben. Wenn alles gut läuft, dann ist es noch vor Weihnachten hier."
Sam strahlte vor Begeisterung. „Das wird so toll. Du wirst sehen. Smith-Grady? Oder Grady-Smith? Was würde dir besser gefallen?"
„Wie?" Überfordert sah ich Sam an.
„Dad rätselt schon die ganze Zeit wegen des Namens."
Ein Motorrad, das meinen Namen tragen würde? Das war ja mal ein Ding. Aber eigentlich wollte ich das gar nicht. Ich hatte nur Jimmys Job fortgeführt. Den Löwenanteil hatte Sams Ex geleistet. Das fühlte sich nach fremden Lorbeeren an.
„Ich hätte einen anderen Vorschlag."
„Welchen?" Sams Interesse war offensichtlich geweckt. Ich strich über Sams Bauch.
„Ich denke gerade an Mercedes."
Sam sah mich fragend an.
„Der heutige Name des Mercedes geht auf das Pseudonym eines Händlers zurück. Dieser Jellinek handelte mit den Wagen der Daimler Motoren Gesellschaft. Unter den Namen seiner Tochter Mercedes nahm er an Autorennen teil. Na egal. Kurzfassung ist die: der Name wurde berühmt und nun heißt der Mercedes eben Mercedes, wie die Tochter dieses Typen."
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich richtig verstehe. Du willst die Maschine dann nach wem benennen?"
„Nach dir?"
„Samantha?" Sie lachte. „Was für eine furchtbare Vorstellung!"
Sanft streichelte ich über Sams Bauch. „Dann eben nach dem Enkelkind."
„Schon eher. Das können wir wenigstens noch ein bisschen steuern!"
Ich küsste ihre Schläfe.
„Und jetzt pack dich und mein Kind und ruh dich aus."
Ich legte ihr meinen Schlüssel in die Hand.
„Und das Essen?"
„Darum kümmere ich mich heute. Jetzt geh freiwillig oder ich trag dich rauf."
Einen Augenblick schien Sam zu überlegen, wie ernst es mir war.
„Du kannst später beim Küche aufräumen ja wieder helfen." Ich fand das einen tollen Kompromiss.
„Und was sag ich Rooney, warum ich in deinem Zimmer bin?"
„Die Wahrheit?"
Sam sagte ihm die Wahrheit. Aber nicht die, von der ich gesprochen hatte. Er bekam eher eine halbgare Erklärung in der es im Wesentlichen um eine durchwachte Nacht und Erschöpfung ging.
„Du kochst gut", stellte Sam fest, während wir gemeinsam die Küche aufräumten.
„In der Kampfsportschule, in der ich trainiere, werden Kochkurse angeboten. Devon legt Wert auf ausgewogene Ernährung statt Proteinshakes und irgendwelcher Energieriegel."
„Klingt vernünftig", stimmte Sam zu. „Und scheint zu funktionieren."
Sie kniff in meinen Oberarm.
„Ne, meine Liebe!" Ich spannte meinen Oberarm. „Das liegt nicht am Essen. Das war knallhartes Training."
„Hm, hast einige Biergläser gestemmt und ne Menge Frauen die Treppe hochgetragen." Sie zwinkerte mir zu und ich kniff in ihre Wange.
„Bist ein ganz schöner Frechdachs", grummelte ich.
„Was kochst du morgen?" Kokett blinzelte Sam über die Schulter. Dabei griff sie sich den Besen.
„Keine Ahnung. Wofür hast du eingekauft?"
Die Tür zur Küche flog auf. „Sag mal, bist du irgendwann auch mal fertig?", pflaumte Rooney Sam an.
„Du könntest helfen, dann würde es schneller gehen." Mein Vorschlag stieß auf taube Ohren bei Rooney.
„Ich mach kein Weiberkram. Wofür heirate ich denn?"
Für den Machospruch hätt ich ihm am liebsten das Gesicht ein bisschen bunter gestaltet. Ein blaues Auge. Ein grüner Kiefer. Vielleicht eine blutig-rote Nase. Stattdessen warf ich Sam einen Blick zu, aus dem sie hoffentlich lesen konnte, dass ich alles tun würde, um zu verhindern, dass er mein Kind großzog.
„Wenn es dir zu lange dauert, dann fahr heim. Ich kann auch ausnahmsweise bei Dad schlafen. Ist vielleicht auch gut, wenn ich morgen ein bisschen länger schlafen kann."
Der Idiot nickte. Er nickte wirklich. Lieber überließ er diese hübsche Frau ihrem Schicksal, als einen Mopp in die Hand zu nehmen, der Trottel!
„Der ist nicht dicht", murmelte ich. Es war beinahe verstörend. Er konnte doch seine schwangere Verlobte nicht einfach stehen lassen. Nicht mal einen Kuss hatte er ihr gegeben. Auch Sam sah ihm verblüfft nach.
„Eigentlich gut, dass er weg ist. Dann sieht er das hier nicht."
Ihre Augen leuchteten und ich rechnete eigentlich mit mindestens einem Kuss. Aber Sam liefschnurgerade an mir vorbei und riss die Gefrierschranktür auf. Sie streckte ihren Arm bis ganz nach hinten durch und beförderte eine große Dose Ben & Jerry's hervor.
„Netflix and Chill!", hauchte sie. „Rooney meckert immer, weil das so teuer ist. Aber ich liebe es."
„Dann fehlt nur noch das hier." Ich drückte ihr einen Löffel in die Hand. „Und Netflix."
„Und ein bisschen Chill."
Sam sah mich bittend an. „Kann ich mit raufkommen, bis Dad schlafen geht? Ich hab jetzt keinen Nerv für Diskussionen."
Ich mochte Netflix and Chill mehr, als ich dachte. Direkt aus der Dose gelöffelt aber auch auf Sams Brust schmeckte es toll. Später saß sie an meinen Oberkörper gelehnt zwischen meinen Schenkel und ich tat das, was ich im Moment am liebsten tat: ihren Babybauch sanft streicheln. Sam schien das zu genießen. Nur ungern ließ ich sie kurz vor Mitternacht gehen. Sam war der Ansicht, sie könne unmöglich bei mir schlafen. Könnte sie, wenn sie mit Rooney reden würde, aber darauf wollte ich nicht rumreiten.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top