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„Mann, Grady, ist mir schlecht", jammerte Sam und starrte in den Himmel.

„Liegt bestimmt am Essen", gab ich schmunzelnd zurück. „Mir geht es super und ich hab genau das gleiche getrunken wie du."

„Das halte ich auch für sehr wahrscheinlich. Ich glaube, du hast sogar mehr als ich getrunken. Ja, du hast recht. Es war das Essen. Eindeutig."

Sie tat mir leid, wie sie auf der Ladefläche lag und litt. Das kam davon, wenn man mehr trank, als gut war.

„Setz dich ins Auto. Ich pack hier zusammen und dann fahren wir zu meiner Mum", bot ich an.

„Oh mein Gott, deine Mum wird mich für das Letzte halten."
„Glaub ich gar nicht", beruhigte ich Sam. „Mum hat mit Lydie und ihrem Alkie-Freund eine Menge mitgemacht. Das hier ist harmlos, glaub mir."

Ich reichte Sam ihren Schlüssel. „Geh schon. Ich bin gleich bei dir."

„Danke", antwortete sie schwach und schlich um den Wagen herum.

Als wir zu Hause ankamen, nach zwei Stopps, weil Sam so übel war, dass sie sich übergeben musste, war Mum nicht zu Hause. Ich brachte die Schnapsleiche ins Bett, dann legte ich mich selber nochmal hin. Wirklich frisch fühlte ich mich auch nicht, wenn ich ehrlich war.

Am frühen Abend besuchte ich Lydie und Dawn. Meine Schwester wirkte deutlich erholter als am Vorabend und ich hatte das unfassbare Glück, Dawn wach zu erleben, wenn auch nur kurz. Nach ein paar Minuten schloss sie einfach ihre Augen für ein Nickerchen.

„Sehen wir uns morgen nochmal?", fragte mich Lydia und ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich möchte morgen zurückfahren. Am Montag hab ich noch frei. Da sind aber ein paar Dinge, um die ich mich kümmern muss. Wäsche. Putzen. Naja, solches Zeug eben, das ich unter der Woche nicht schaffe. Aber ich ruf dich an, okay?"

„Wirklich? Das würde mich sehr freuen", antwortete sie fast ungläubig.

„Natürlich, ich habe genug unserer Zeit verschwendet."

Den Abend verbrachte ich dann mit Mum und Sam im Garten. Als ich nach Hause kam, saßen die beiden bereits auf der Terrasse und spielten Backgammon. Ich hatte Sam noch nie überhaupt etwas spielen sehen. Mit einem Bier setzte ich mich zu den beiden Damen und Sam gab ein vernehmliches Würggeräusch von sich. „Wie kannst du nur schon wieder!"

Ich lachte in mich hinein und beobachtete Sam. Später legte ich meinen Arm um ihre Taille und zog sie in mein Schlafzimmer. Dieses Mal blieb ich bei der Sache und konzentrierte mich nur auf sie. Und vielleicht ein kleines bisschen auf mich. Aber wirklich nur ein bisschen.

Am nächsten Morgen betrat Sam dicht hinter mir die Garage. Ich hob die Plane, unter der die A.SMITH stand und Sam legte ihre Arme um mich. Eine Weile schwieg sie, rieb dann nachdenklich ihre Stirn. Das war nicht ermutigend. „Wird ein hartes Stück Arbeit."

„Aber machbar?"

„Klar." Ein Wort, nur ein einzelnes und doch weckte es Hoffnung in mir.

Gegen Mittag fuhren wir los und Sam ließ mich die erste Etappe fahren. Kurz hinter der Grenze zwischen Tennessee und Alabama hielten wir in einem abgelegenen Wiesenstück an und machten Pause. Mum hatte Sandwiches gemacht und Sam saß zwischen meinen Beinen, an meinen Oberkörper gelehnt, während wir aßen.

„Ich werde den Wagen verkaufen", teilte Sam mir plötzlich zusammenhanglos mit. „Brauchen tue ich ihn überhaupt nicht und eigentlich haben wir ihn nur gekauft, weil wir beide Motorräder darauf transportieren wollten."

„Ist das nicht schade? Ist doch ein schönes Auto."

„Für dich vielleicht. Nicht für mich. Ich ärgere mich jeden Morgen, wenn ich ihn sehe. Wenn du das Ding so toll findest, dann nimm du ihn doch!"

Ich lachte. „Klar, Sam. Ich kauf mir mal eben einen Pick-up. Am besten kauf ich gleich noch eine ganze Tankstelle dazu. Der verbraucht literweise Sprit!"

„Du arbeitest doch. Da sollte das eigentlich drin sein?", hörte ich sie schmatzend sagen.
„Ich arbeite nicht. Ich arbeite nur ab, nämlich meine Schulden."

Sie setzte sich auf und sah fragend über ihre Schulter. „Das hast du doch schon längst!"

„Ach wo. Noch nicht mal die Hälfte!"

„Dann hat Dad noch gar nicht mit dir geredet?"

„Nein? Worüber?"

„Du arbeitest doch bei uns. Und Mitarbeiter bezahlen nur die Einkaufspreise, nicht die Verkaufspreise, wenn sie Zeug bestellen. Dementsprechend hast du deine Schulden weitgehend abgegolten. Alles was du ab nächstem Donnerstag an Stunden arbeitest, will Dad dir ausbezahlen. Bei fast zwölf Stunden jeden Tag kommt da einiges zusammen, denke ich. Und dann ist da noch diese andere Sache. Er und mein Mann hatten eine neue Maschine in Planung. Aber dann hat Jimmy sich einfach verpisst. Da ist noch ein bisschen was zu machen. Gerade der Motor läuft nicht so wie er soll. Wenn ich Dad richtig verstanden habe, dann wollte er dich um Rat fragen. Und Beratung kostet. Du musst dich nur trauen einen guten Preis auszuhandeln."

Ich saß da wie erstarrt. „Sam, das klingt toll", sagte ich nach einer Weile. „Euch ist aber klar, dass ich nicht den Platz deines Mannes einnehmen werde? Weder in der Werkstatt, noch in deinem Leben?"

Sie schlug mir gegen die Brust. „Sag mal ist dir unser Sex zu Kopf gestiegen?"

„Ist er dir zu Kopf gestiegen?", stellte ich die Gegenfrage.

„Nein, Grady. Ich weiß sehr genau wo wir beide stehen."

Sie drückte mich nach hinten ins Gras. „Oder wo wir liegen", murmelte sie und küsste mich. „Du gehst am Ende des Sommers und ich bleibe, wo ich hingehöre. Bis dahin Grady, gehört dein Körper mir und ich habe sehr klare Vorstellungen, was ich bis dahin mit dir anstellen werde."

„Dann lass mal sehen." Ich hob den Kopf und küsste sie zurück.

Den Rest des Weges schwieg ich und versuchte die Situation zu bewerten, während irgendein Country-Sender vor sich hin dudelte und Sam mitsummte. Sie schien ausnahmslos jeden Song zu kennen. Ich war froh, als wir in den Hof fuhren und ich von den Songs erlöst war. Ich lud mit Sams Unterstützung das Motorrad ab und rollte es in die Werkstadt. Mit einem kurzen Kuss verabschiedete ich mich danach von Sam und stieg die Treppe zu meinem Zimmer hoch, den Rucksack in der Hand.

Was Sam mir gesagt hatte, beschäftigte mich sehr. Meine Schulden waren beinahe abgegolten und ich sollte mit Abraham ein Motorrad planen. Beides war zu gut, um wahr zu sein. Ich fragte mich ernstlich, womit ich das verdient hatte und ob Sam da nicht ihre fähigen Hände im Spiel hatte.

Ich warf mich auf das Bett. „Bin angekommen", schrieb ich Mum. Das gleiche dann an Lydie.

„Dawn lässt dir liebe Grüße sagen!", schrieb Lydie zurück und ich grinste etwas dümmlich. Als ob!

Den Montag begann ich mit einer Stippvisite in der Werkstatt und sah mir die betroffenen Gesichter von Rooney und Rourke an, die sich fragten, wie ich mir hatte einbilden können, den Schrotthaufen allein reparieren zu können. Darauf hatte ich keine Antwort. Ich hatte mir die Frage nach dem „Wie" nie gestellt, nur beschlossen, dass ich es einfach tun würde.

Den Rest des Tages verbrachte ich mit Wäsche und damit mein Zimmer gründlich sauber zu machen. Anschließend kümmerte ich mich darum, mir einen Plan zu machen, wieviel Geld ich für die Weiterentwicklung eines Motors verlangen konnte und wollte. Schlussendlich handelte ich genug Kohle raus, um Sams Pick-up ablösen zu können und dazu eine Provision für jedes Motorrad, das Abraham im Anschluss bauen würde. Das erschien mir ganz ordentlich.

Was ich allerdings unterschätzt hatte, war die Arbeitsmenge, die damit auf mich zu kam. Ich hatte zwar eine gute Stange Geld verdient, aber meinem Traum auf Dads Motorrad zu fahren, war ich, als ich Sams Pick-up bestieg noch keinen Meter nähergekommen. Doch was nicht war, das konnte noch werden, denn Mitte Dezember würde ich zurückkehren.

Der Abschied von Sam fiel mir schwerer, als ich dachte. Wir hatten beide gewusst, dass der Tag kommen würde und obwohl ich nie wirklich viele Gefühle in unsere Beziehung investiert hatte: Eine Lücke hinterließ die hübsche Dunkelhaarige dennoch in meinem Leben.

Eine Lücke, die ich mit Lernen und der Arbeit an den Plänen für Series II von A.SMITH, füllte. Ich ging mit Chad und Lionel feiern, machte Sport und für mehr blieb keine Zeit. Und Lust hatte ich, davon abgesehen, auch nicht. Ich hatte mich mit Sam hinreichend ausgetobt und andere Frauen reizten mich nicht mehr.

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