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Eine halbe Stunde später stand ich im Bad. Und stopfte Stück für Stück meine Kleidung in einen großen Müllsack. Meinen Schlüssel legte ich bereits in die Seifenschale, nahm mir Mums Peelingduschgel und stieg in die Dusche, um mir den üblen Geruch von der Haut zu rubbeln. Bei dem Griff nach meinem Lederarmband, fasste ich ins Nichts. Ich starrte auf nackte, vernarbte Haut. Einen Moment brauchte ich, um mich zu erinnern, dass ich es im Krankenhaus abgelegt hatte. Lydia hatte ja meinen Arm sehen wollen. Danach hatte ich es dort vergessen und es war mir bis jetzt nicht einmal wirklich aufgefallen.

Ich stieg in die Dusche und schäumte mich und meinen Schlüssel ganz gründlich ein, rubbelte mich mit dem Peeling ab, bis meine Haut krebsrot war. Dann trocknete ich mich gründlich ab. Nicht übel. So weiche Haut hatte ich noch nie gehabt. Fast wie ein kleines Baby. Grinsend strubbelte ich meine Haare trocken. Frisch gepeelt passte ich ganz hervorragend zu Dawn. Das stand ja wohl mal außer Frage.

Nach meinem Ausflug in die Kanalisationsarbeiten kroch ich ziemlich erschöpft unter die Decke und schob meinen noch etwas nassen Schlüsselbund unter mein Kissen. Dann schlief ich wie ein Baby bis kurz nach Mittag.

Ich steckte meinen Kopf vorsichtig ins Gästezimmer. Sam schlummerte noch friedlich. Auch gut. Ich machte mir Frühstück, legte Sam einen Zettel hin, dass meine Pläne sich geändert hatten und ich noch was einkaufen wollte.

Mit dem Fahrrad, das dezent nach Mist roch, fuhr ich zum einzigen Schmuckhändler weit und breit. Meine Idee nahm er begeistert auf, dass ich es aber sofort brauchte, fand er weniger witzig. Schließlich drohte ich ihm, es selbst zu machen.

„Dir trau ich das zu, Dawson", murmelte er und holte Werkzeug aus einer Schublade unter dem Tresen. „Komm in einer guten Stunde wieder, dann kannst du es mitnehmen."

„Danke, Andrew", sagte ich und verließ den Laden, bevor er es sich anders überlegen würde und mich zum Teufel jagte.

Ein paar Geschäfte weiter kaufte ich für Dawn einen Greifring aus Stoff. Ein Bärenkopf war daran festgenäht. Die Augen machten einen stabilen Eindruck und die Nähte auch. Wenn man den Ring schüttelte, dann rasselte es leise im Kopf. Der nächste Stopp war der Papiershop in der Mall, wo ich einen Bogen zuckersüßes Babypapier kaufte. Langsam wurde ich weich. In einem Café verpackte ich das Geschenk- okay, ich war echt etwas spät dran. Zu meiner Verteidigung musste ich sagen, dass ich bis zuletzt nicht sicher gewesen war, ob ich den Urlaub nehmen wollte, um Dawn zu besuchen. Und Lydie hatte ich schon gar nichts schenken wollen.

Nach einem großen Becher Kaffee machte ich mich wieder auf den Weg zu Andrew, der mich mürrisch ansah.

„Weißt schon, dass so eine Schwangerschaft neun Monate dauert? Könntest das nächste Mal früher kommen."

Er schob ein Kästchen über den Tresen und klappte es in meine Richtung gedreht auf. „Passt das?"

„Super", vorsichtig hob ich die Kette hoch. Ich hatte aus dem Schaufenster zwei Herzen ausgesucht, die nur eine Silhouette darstellten. Eines der beiden hatte Andrew zerschnitten und in das anderen gehängt, es wieder zugebogen und dann verschlossen und die Stelle poliert. Man sah überhaupt nichts mehr davon. In jedes Herz hatte er ein Loch gebohrt und in das Eine ein rosa Steinchen geklebt und in das Andere einen blauen. Zudem hatte er Morrison und Dawn auf die Herzen graviert. Durch beide Herzen lief nun die Kette. So bekam Lydie für beide Geburten etwas von mir. Ohne dass es nachgeholt aussah. Zumindest war das die Idee gewesen.

„Danke, Andrew. Du hast mich gerettet." Er brummte irgendwas und ich bezahlte mein zugegebenermaßen teures Geschenk. Seine Arbeitszeit war nicht umsonst gewesen.

Mit beiden Geschenken machte ich mich auf den Weg ins Krankenhaus. Es war gerade mal viertel nach drei. Hoffentlich war ich nicht zu früh. Ich winkte der Dame vom Empfang zu. Dann drehte ich mich kurz vor der Treppe nochmal um, ging zu ihr.
„Miller", sagte ich zu ihr. „Meine Schwester heißt Lydia Miller."

Sie lächelte. „Lydia Miller liegt in Zimmer 102. Einfach die Treppe hoch und die dritte Tür links. Ihre Mutter und ihren Mann haben sie übrigens knapp verpasst."

„Macht nichts. Ich will ja meine Schwester besuchen und kein Familientreffen veranstalten", gab ich zurück und ging zur Treppe. Wie gestern war ich aufgeregt, hatte aber nicht das Gefühl vor lauter Luftmangel ohnmächtig zu werden.

„Hey", flüsterte ich, als ich das Zimmer betrat. Lydia sah kaputt aus. Kaputt aber total glücklich. „Alles gut bei euch?", fragte ich leise und sie nickte.

Ich trat näher und küsste meine Schwester auf die Schläfe, dann blickte ich voller Ehrfurcht auf das kleine Würmchen in ihren Armen. Dawn war ein wenig runzelig, hatte strubbelige, dunkle Haare und die winzigsten Finger, die man sich denken konnte. Diese endeten mit kleinen Fingernägeln, die unglaublich niedlich waren. Nicht größer als Stecknadelköpfe.

„Habt ihr gut hinbekommen", lobte ich und setzte mich vorsichtig auf die Bettkante. Stolz blickte Lydia ihre Tochter an.

„Ja, nicht? Sie ist perfekt, oder?"

Lydia drückte die flauschige Decke ein wenig runter, damit ich Dawns Gesicht besser sehen konnte. „Sie ist fast so schön wie ihre Mama. Aber nur fast. Die guten Grady-Gene sind etwas verwässert."

Sie schnaubte. „Lass das nicht Tony hören!"

Hatte ich nicht vorgehabt...

„Ich hab euch beiden was mitgebracht."

„Das hättest du nicht tun müssen, Dawson. Wenn du uns besuchst, ist das für mich das größte Geschenk."

„Das sagst du nur, weil du noch nicht gesehen hast, was ich dabeihabe", schmunzelte ich und stellte die beiden Pakete auf das Nachttischchen.

„Wenn du die Kleine nimmst, dann packe ich gerne aus." Erwartungsvoll sah Lydie mich an.

„Lydie, ich hatte noch nie...", stotterte ich.

„Na, nun stell dich nicht wie eine Jungfrau an", kommentierte meine Schwester. „Das ist echt nicht so wahnsinnig anspruchsvoll ein Kind zu halten, sonst wäre die Menschheit bereits ausgestorben."
Vorsichtig schnupperte ich an meinen Händen. Kein Kanalgeruch. Das war schon mal gut.

„Muss ich meine Hände desinfizieren, oder so?"

„Waschen wäre nicht schlecht. Wenn du an deinen Händen riechst, dann macht mir das etwas Sorgen. Was hast du angestellt? Nein, sag besser nichts. Vielleicht will ich es gar nicht genau wissen."

Mit gewaschenen Händen kam ich zurück und ließ mir von meiner Schwester die kleine Dawn in den Arm legen. Sie war so leicht, so goldig. Wie konnte denn etwas, das so winzig war, ein so großes Glücksgefühl auslösen? Bei Mo hatte ich das nicht so empfunden. Vielleicht weil er einfach nur ein fremder Junge gewesen war, als ich ihm zum ersten Mal begegnet war. Dawn fühlte sich wie meine kleine Nichte an. Auch wenn das Mo gegenüber vielleicht ungerecht war.

„Ich hoffe, dein Patenkind ist dir sympathisch?", erkundigte sich Lydia ein wenig angespannt.

„Ja, sehr. Ich denke, wenn sie immer so brav ist, kommen wir gut miteinander aus."

Lydia lachte, dann kniff sie ihre Augen zusammen. „Scheiße, Dawson. Hör auf, mich zum Lachen zu bringen. Das tut weh!"

„Dann lach nicht! Das war kein Witz!"

„Doch. Das ist ein Witz. Grady-Gene und brav, das schließt sich aus", brummte sie und stützte ihre Hände auf, bevor sie mit gequältem Gesicht auf dem Bett in eine aufrechtere Position rutschte.

„Was soll ich zu erst auspacken?", erkundigte sie sich dann bei mir.

Ich zuckte mit den Schultern. „Mir egal."

Sie nahm das Geschenk für Dawn und packte es aus. „Süß, Dawson. Ich wusste, du bist der perfekte Mann für den Job! Danke."

„Das ist aber für Dawn. Also nicht heimlich damit spielen, wenn du dich mal wieder im Schrank versteckst."

„Gut dass du das sagst. Ich hatte mich schon gefragt, wann du gehst, damit ich es unbeobachtet ausprobieren kann!" Sie wackelte mit den Augenbrauen, wie Dad. Mann, hatte ich das vermisst.

„Das ist für dich", erklärte ich überflüssigerweise, als sie nach dem anderen Päckchen griff.

„Dawson, bist du dir sicher?", fragte sie leise.

„Oh, nein! Mist! Das ist ja Mums Weihnachtsgeschenk!", antwortete ich ironisch. „Natürlich bin ich sicher."
„Nein, ich meine, also... Bist du sicher, dass du mir was schenken willst? Ich will nicht, dass du es nur tust, weil du meinst du müsstest, oder so."

„Ich bin mir sicher. Hundertprozentig."

„Dann...okay..."

Sie öffnete das Papier, in das Andrew die Schmuckschachtel gewickelt hatte. Und klappte den Deckel auf. Angespannt betrachtete ich, wie sie die Kette mit dem Anhänger heraushob.

„Wie hübsch, Dawson", hauchte sie. „So etwas habe ich noch nirgends gesehen." Sie strahlte.

„Sowas kannst du auch nirgend sehen. Du bist die Einzige, die so etwas hat. Andrew hat es heute erst für dich gebastelt."

„Dann war das deine Idee?"

„Grady-Gene, Lydia."

„Komm mal näher, sonst kann ich dich nicht umarmen", forderte Lydia und ich lehnte mich zu ihr. „Danke."

Als ich sie wieder ansah, weinte sie.

„Was ist los? Hast du Schmerzen?", erkundigte ich mich alarmiert.

„Ja, Dawson, immer wenn ich lache." Sie wischte mit dem Handballen über ihre Augen. Ist heute alles ein bisschen viel gewesen."

„Nimm mal dein kleines Mädchen", bat ich meine Schwester und legte ihr Dawn in den Arm. Dann schlüpfte ich aus den Schuhen und setzte mich neben meiner Schwester aufs Bett, streckte dort gemütlich die Beine aus. Ich legte einen Arm um ihre Schulter. Sie zu mir zu ziehen, das traute ich mich nicht. Immerhin hatte irgendein fieser Chirurg sie heute einmal quer aufgeschlitzt. Lydia lehnte sich jedoch gegen meine Schulter und so saßen wir eine ganze Weile.

„Also, was ist mit deinen Händen?", fragte sie plötzlich in die Stille.

„Hab mir was zurückgeholt das mir gehört. Ich zeig es dir, bevor ich gehe."
„Oh, ich hab auch noch was, das dir gehört. Du hast dein Lederband hier vergessen."

„Hab ich heute morgen auch schon bemerkt. War aber nicht schlimm. Früher hab ich mich für diese Sache so sehr geschämt, dass ich ohne das gute Stück niemals das Haus verlassen hätte. Dass ich es nicht trage und zwölf Stunden nicht bemerke und danach auch nicht vermisse, das gab es noch nie."
„Das ist doch gut, oder?" Lydias grüne Augen ruhten fragend auf mir.

„Hm. Ich glaub auch."

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