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Um eins hatten wir noch immer nicht gefrühstückt. Dafür fühlte ich mich aber ausgeglichener und Sam war anschmiegsam wie ein Kätzchen. Keine Krallen mehr.
„Lass uns was essen gehen", schlug ich vor.
Sam lag neben mir auf dem Bauch, die Füße angewinkelt und malte Kreise auf meinem Bauch. Sie küsste meine Brust, ihre langen schwarzen Haare kitzelten meine überreizte Haut. „Und dann?"
„Könnten wir zum See fahren?", schlug ich vor. „Warm genug ist es heute dafür."
„Klingt nach einem Plan, Grady. Lass uns aber am See essen. Ich will noch ein bisschen Sonne tanken."
„Wie du befiehlst!", sagte ich scherzhaft und sie grinste zufrieden.
Mit dem Pickup fuhren wir bis direkt zum Parkplatz am See. Noch zwei Mal umfallen, weiter war der Weg nicht, dann breiteten wir eine Decke auf der Liegewiese neben dem Ausguck der Wasserrettung aus.
Das Auto hatte bereits Blicke auf sich gezogen. Ebenso wie die Tatsache, dass ich mich mit einem Mädchen abseits einer Party in der Öffentlichkeit zeigte, das nicht zu meinen Schulfreunden gehörte. Als Sam dann ihr Shirt auszog und den Drachen zum Spielen rausließ, stand so mancher Mund offen. Sie sah unglaublich aus. Sexy, dabei irgendwie knallhart und gleichzeitig all diese unglaublich sanften Rundungen. Ich hätte sie stundenlang anschauen können. Anfassen können. Auch jetzt konnte ich kaum die Augen von ihr wenden und dass sie sich auf der Decke an mich kuschelte, brachte mich schon wieder in Schwierigkeiten. Diese blauen Augen, die in meine sahen, die vollen Lippen, die träge meinen Mundwinkel küssten. Sie wusste einfach, wie sie mich mit System kirre machen konnte.
„Lass uns ein Eis holen, ja?", sagte sie nach einer Weile. Ich schüttelte den Kopf. Das war gerade absolut undenkbar. Aufstehen? No way!
„Ach, Grady jetzt komm schon. Etwas mehr Selbstkontrolle, bitte. Wir sind in der Öffentlichkeit!", schurrte sie und strich über meinen Rücken. Himmel, ja. Selbstkontrolle, natürlich. Aber wie ging das nochmal?
Sie nahm ein wenig Abstand, was definitiv zu meiner Rettung beitrug und nach einer Weile, war ich startklar. Vorsichtshalber hielt ich mich aber ein gutes Stück hinter Sam, damit sie mich bloß nicht anfasste. In ihrer Gegenwart traute ich meinem Körper kein bisschen. Ich vermied es auch, auf Sams Oberschenkel zu sehen, oder gar auf ihre Flanke. Das wissen, wo das muskulöse schuppige Bein dieser Echse endete, die Bilder die ich im Kopf hatte...
„Verdammt!", fluchte ich und schaute mir die Bescherung an. Schokoeis auf meinem Oberkörper, dazu ein zermatschtes Waffelhörnchen, das zu Boden fiel. Sam, die sich kaputtlachte und Stacy die sich ebenfalls kringelte vor Lachen. Vor mir stand eine äußerst vorwurfsvoll dreinblickende Riley. Ihre Augen blitzten zornig.
„Kannst du nicht aufpassen? Wie tollpatschig kann man eigentlich sein?", fuhr ich sie wütend an.
„Ich? Pass lieber mal selber auf, wo du hinläufst, du Blindgänger! Du hast ihr doch auf den Arsch geguckt und nicht ich." Riley stemmte ihre Hände in die schmale Taille.
„Eifersüchtig, Riley?", stichelte ich, um von mir abzulenken.
„Nein, zur Eifersucht hab ich keinen Anlass. Höchstens bin ich ein wenig neidisch auf ihre Kurven." Kurz zuckte Rileys Blick zu Sam und die beiden musterten einander neugierig.
Nachdem sie sich genug taxiert hatten, schüttelte Riley wütend den Kopf, dann drehte sie sich zu ihrer Freundin um.
„Jetzt hab ich mich wegen dem Idioten total umsonst in der Schlange angestellt! Hast du sowas schon mal erlebt, Stacey?", jammerte Riley und die beiden schickten sich zum Gehen an.
Verdattert sah ich ihr nach. „Hey, du kleine Kröte! Was ist jetzt mit deinem Eis?"
„Kannst behalten. Ich hol mir lieber ein Neues."
Sam presste die Lippen zusammen, als ich Riley einen mörderischen Blick nachwarf. Ganz konnte sie ihr Lachen aber nicht unterdrücken. „Zeit für ein Bad, Grady", trällerte Sam und die drei Mädchen prusteten los. Da hatte ich mich mal schön zum Affen gemacht. Angewidert hob ich den Rest des Waffelhörnchens auf, wischte mir den größten Dreck von der Brust und beförderte das Zeug in den nächsten Müll. Dann wusch ich mir den klebrigen Schokofilm von der Brust.
„Wer ist das Eis-Mädchen? Ihr kennt euch, oder?", fragte Sam mich, als ich nass, aber sauber, wieder auf unserer Decke lag.
„Ihre Freundin ist die Schwester eines Freundes."
„Und du hattest was mit ihr?"
„Was? Nein!", wehrte ich ab. „Sie hat vor einem Jahr oder so versucht mich zu küssen. Sieh sie dir doch an. Ist viel zu jung für mich."
Ich drehte mich auf den Bauch und verdeckte meine Augen gegen die Sonne mit meinem Arm. Vielleicht würde Sam mich in Ruhe lassen, wenn ich mich schlafend stellte. Falsch gedacht.
„Sie wird mal eine Hübsche", sinnierte Sam neben mir.
„Hm, kann sein", murmelte ich unter meinem Arm hindurch. Die Vorstellung, Riley könne noch hübscher werden, machte mir Sorgen. Sie sah jetzt schon phantastisch aus in ihrem wild gemusterten Bikini. Völlig anders als Sam, deren üppige Weiblichkeit mich immer wieder verlockte. Riley hatte einen athletischen, klar definierten Körper, obwohl sie erst im Herbst sechzehn werden sollte. Wo Sam weiche Kurven hatte, spannte sich Rileys Haut über straffe, schlanke Muskeln, die von den Schultern bis zu den Fußsohlen auf Ausdauer getrimmt waren. Und Ausdauer konnte eine verdammt tolle Sache sein. Vor allem gepaart mit Körperbeherrschung und Gelenkigkeit. Lust und Leidenschaft in ihren funkelnden Augen gespiegelt zu sehen, war bestimmt ein Anblick der unter die Haut ging. Der Gedanke daran machte mich bereits ganz kribbelig.
„Wann willst du denn deine Schwester besuchen?"
Die Bilder von Riley zerstoben in tausend Teile.
„Sie hat morgen den Termin. Um halb elf. Mum will morgen dann gegen zwei hinfahren. Ich denke ich warte mal, was sie sagt, wie es Lydie und der Kleinen geht und besuche sie dann am frühen Abend, oder so."
Sam setzte sich neben mir auf, winkelte die Knie an und umschlang sie mit ihren Armen. Nachdenklich blickte sie über den See und ich drehte mich auf die Seite, betrachtete ihr Profil. Etwas schien sie zu beschäftigen. Immer wieder schielte sie zu mir.
„Na komm, sag es schon", seufzte ich und setzte mich ebenfalls auf.
„Ich finde nur, du solltest Lydia heute besuchen. Sie sitzt allein im Krankenhaus mit ihrem Babybauch und macht sich Sorgen. Sie hat bestimmt Angst vor dem Kaiserschnitt. Wenn ich einen Bruder hätte, würde ich mir wünschen, dass er da ist, wenn ich ihn brauche."
Nicht sicher, was ich sagen sollte, rupfte ich an einem losen Faden herum, der an der Decke hochstand. Dabei versuchte ich zu ergründen, ob Lydia sich meine Anwesenheit wünschen würde und stellte fest, dass ich es einfach nicht wusste.
„Auch wenn ein Kaiserschnitt Routine ist, kann da was schieflaufen. Willst du Lydia nicht vorher noch sehen? Ihr Glück wünschen? Ihr sagen, dass du sie liebhast? Das fatale an einem Unfall ist, dass man sich nicht verabschieden kann. Die, die man liebt, werden brutal aus dem Leben gerissen und hinterlassen eine Lücke, die man nie vollständig füllen kann. Ich hätte mir gewünscht, meine Mum vor ihrem Tod noch einmal zu sehen. Ich hätte ihr gerne noch so vieles gesagt, Grady. Diese Chance ungenutzt verstreichen zu lassen..." Sie musterte mich. „Ich weiß nicht, ob ich das könnte."
Schweigend saß ich da und dachte über das nach, was Sam gesagt hatte. Eigentlich hatte ich meine Schwester schon vor langer Zeit verloren. Ich hatte sie aus meinem Leben gestrichen und mich emotional weit von ihr distanziert. Das sie wirklich endgültig verschwinden könnte, bei der letzten Geburt bereits hätte sterben können, war nicht wirklich zu mir durchgedrungen. Jetzt, wo Sam es ausgesprochen hatte, wurde diese Möglichkeit real und greifbar.
„Grady, was immer da vorgefallen ist, ist es das wirklich wert?" Mit dieser Frage regte sich in mir Zweifel. Der Plan war gewesen, meiner Schwester nie zu verzeihen, damit sie sich bei jeder Gelegenheit erinnerte, dass sie es war, die unsere Familie für immer zerstört hatte. Der Plan eines trauernden Vierzehnjährigen war nicht unbedingt brillant. Insbesondere, wenn ich bedachte, dass sie sich ihrer Schuld bewusst war. Eine Weile starrte ich über den See. Gerne hätte ich jetzt Chad angerufen und ihn nach seiner Meinung gefragt. Doch eigentlich war das Blödsinn. Ich wusste, dass Sam recht hatte und auch, dass Chad dasselbe sagen würde.
Lydie hatte mir am Telefon gesagt, dass sie mich liebhatte. Hatte mich vehement bedrängt, dass ich ihr eine Zusage gab, mich im Fall der Fälle um Dawn zu kümmern. Ich erinnerte mich an ihre angestrengten Atemzüge und das ungute Gefühl, dass mich bewogen hatte, sie zu fragen, ob es ihr gut geht.
Ich blickte zu Sam, die still neben mir saß. „Wie hast du deine Mum verloren?", fragte ich leise.
Sie schüttelte den Kopf. „Das tut jetzt nichts zur Sache. Du musst eine Entscheidung treffen. Mit meiner Mum hat das nichts zu tun." Sie sagte das ruhig und abgeklärt. Ich bewunderte sie für die Stärke. Keine Ahnung, wie sie das hinbekam.
„Also, Grady?" Die Forderung einer Antwort hing in der Luft.
„Könntest du mich vielleicht fahren?"
„Klar", sagte sie.
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