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„Bei mir ist alles gut. Die Arbeit macht jetzt mehr Spaß, die Kollegen sind nett. Und dieser Abraham, der scheint echt okay zu sein." Angespannt wartete ich, in welche Richtung sich das Gespräch wenden würde.
„Das freut mich. Am Anfang hast du nicht so begeistert geklungen. Das hat mich gewundert. Dein Dad hatte eine sehr hohe Meinung von Mr. Smith." Das war mir neu. Wir hatten kurz über meinen Job hier gesprochen. Über die praktischen Aspekte. Von den Schulden hatte ich nichts erwähnt, weil ich Mum nicht beunruhigen wollte und auch keine Diskussion über das Motorrad führen wollte.
„Warum hast du mir das nie gesagt? Ich erinnere mich nicht, dass Dad ihn mir gegenüber je erwähnt hat. Mum bleib kurz dran, bitte. Ich zieh mir schnell was an. Mir wird kalt." Kurz legte ich sie weg und holte das letzte meiner Shirts aus dem Schrank. Zeit für einen Besuch im Waschsalon. Als ich wieder am Apparat war sagte Mum:
„Doch, natürlich. Er hat oft davon gesprochen, wie beeindruckend er Smith fand. Er war vier oder fünfmal dort, bevor er die Maschine letztendlich gekauft hat. Ging ja auch um richtig viel Geld damals. Das war vor meiner Zeit, er hat davon trotzdem ganz oft erzählt. Schon bei unserem ersten Date." Mum klang wehmütig und seufzte. „Naja, und später, da war das vielleicht nicht mehr so häufig ein Thema, weil es so lange her war. Du erinnerst dich vielleicht nicht mehr, weil du noch klein warst?"
„Kann sein, ja.", stimmte ich zu. „Ich wüsste jedenfalls nicht, dass er was über ihn erzählt hat. Wie läuft es bei dir? Was macht die Arbeit?" Absichtlich wechselte ich das Thema, damit sie langsam zum Punkt kam. Dieses Herumgeeier ging mir allmählich auf den Nerv. Wie schlimm konnte das, was sie sagen wollte, denn sein?
„Der gleiche Mist wie immer. Die Regale räumen sich einfach nicht von selbst ein. Und befüllen will sie auch keiner. Alle hocken lieber an der Kasse klimpern mit den Wimpern und machen Kaugummiblasen. Ich werd noch verrückt mit diesen jungen Dingern. Geld wollen sie verdienen, aber nicht dafür arbeiten", schimpfte Mum. „Aber ich muss das nicht durchkauen. Hast du alles schon hundertfach gehört." Wenn das mal reichte! Ich bekam diese Leier in jeden Ferien vorgesetzt. Ausnahmslos.
„Und sonst so?", erkundigte ich mich, während ich aus dem Fenster in den Garten blickte. Vielleicht konnte ich Mum mit dieser Frage aus der Reserve locken.
„Und sonst?" Sie machte eine kurze Pause. Dann erzählte sie: „Mo übernachtet heute das erste Mal hier." Das war aber sicher noch nicht alles.
„Damit alles klappt, wenn Lydia und Tony ins Krankenhaus müssen. Es kann ja jeden Tag soweit sein." Sie klang angespannt.
„Das klingt aufregend", antwortete ich neutral. Ihre Oma-Gefühle oder wie auch immer ich es nennen sollte, wollte ich nicht verletzten.
„Ist es auch. Ich hab so lange kein Kind mehr gewickelt oder ins Bett gebracht. Aber ich glaub er und ich haben das ganz gut hinbekommen. Nur das Babyphone tut nicht, was es soll. Du würdest sicher gleich rausfinden, wie das funktioniert. Ich muss jetzt noch mal in Ruhe die Anleitung lesen."
„Könnte helfen", gab ich abwesend von mir.
„Dawson, ich weiß nicht, ob ich es dir nicht vorher sagen sollte. Ob sie das will. Aber..." Mums Stimme klang auf einmal belegt. Zumindest rückte sie jetzt mit dem heraus, was sie beschäftigte. Ihr Rumgedruckse brachte mich dem Kern näher. Es ging wohl um meine Schwester. Nichts sonst fädelte Mum dermaßen umständlich ein. Um Geduld bemüht massierte ich meine Nasenwurzel.
„Was ist los? Geht es Lydie nicht gut?", ging ich auf das Thema los, um es uns beiden leichter zu machen. Mein Anspannungslevel hatte inzwischen ungesunde Ausmaße angenommen.
„Nein, Dawson. Mit ihr ist alles in Ordnung. Aber sie hatte eine völlig verrückte Idee und ich hab keine Ahnung, wie ich sie davon abbringen soll."
Innerlich atmete ich auf, weil es ihr gut ging. Warum eigentlich? Ich hatte meiner Schwester oft genug die Pest an den Hals gewünscht. Da brauchte es mich jetzt nicht zu interessieren. Doch die Dinge im Leben waren, das musste ich zugeben, nie linear und einfach. Immer gab es diese verworrenen Situationen und diese unlogischen Gefühlsaufwallungen. Da war zum Beispiel der kleine Mo, der eine Mutter brauchte. Tony, der meine Schwester offensichtlich liebte. Mum, die an Lydia hing.
„Was für eine Idee? Haben uns ihre Ideen nicht schon genug gekostet?"
Mum ging auf das Gift, das ich versprühte, gar nicht ein.
„Sie möchte die Kleine Dawn nennen." Die Kleine. Die gab es auch noch. Auch sie brauchte ihre Mama.
„Dawn? Was für ein bekloppter Name ist das denn? Das ist ja wie Apple, Candy oder Cheyenne."
„Es soll eine Abkürzung sein", erläuterte Mum freundlich, als würde sie mit einem ihrer Kunden sprechen.
„Für Dawniela?", fragte ich ätzend.
„Nein. Sie möchte, dass du der Taufpate bist und es ist die Abkürzung für Dawson."
„Aha." Das war das einzige, was mein Kopf an verbalen Ergüssen produzierte. Dann setzte mein Denken wieder ein.
„Das soll sie mal ganz schnell vergessen. Ich werde sicher nicht... wie kommt sie nur auf so einen Scheiß?", motzte ich.
„Sie ist schwanger. Hormone. Wunschdenken. Frag mich nicht. Sie redet ständig von einer Annäherung und der Tasse. Ich hab ihr gesagt, eine Schwalbe macht keinen Sommer und dass du die Tasse auf die andere Seite des Tellers stellst, noch keinen Neuanfang. Aber sie will nichts davon wissen. Sie wollte deine Nummer. Und ich denke, sie wird dich anrufen."
„Aha." Sie wollte mich anrufen. Großartig.
„Wenn du nicht willst, dann, also ich... Bitte, sag es ihr nett, ja? Sie ist hochschwanger. Keinen Streit. Keine Aufregung."
Von wem Lydie ihr Wunschdenken hatte, wusste ich jedenfalls. Wenn Mum glaubte, ich könnte meine sture Schwester davon abbringen, in mir einen Taufpaten zu sehen, ohne dass das in einem Streit endete, dann war das Wunschdenken.
„Ich kann es versuchen", lenkte ich ein. „Also, nicht zu streiten. Aber Taufpate werde ich nicht. Auf keinen Fall."
„Ich weiß. Aber schön wäre es schon gewesen. Die Vorstellung, dass du mit der Kleinen am Taufbecken stehst... naja, das wäre... sicher süß. Und Dawn kann ja nichts für euren Streit. Wer weiß, wen Lydie als Alternative wählt. Mos Taufpatin ist Tonys Schwester. Es hätte perfekt gepasst, wenn du..."
Einen Moment sagte keiner etwas.
„Ich hoffe nur, sie entscheidet sich nicht für Melody oder diese Schreckschraube Priscilla", brummte Mum.
„Mum, ich weiß was das werden soll. Und es wird nicht funktionieren."
Sie seufzte. „Nein, Dawson. Du verstehst nicht. Ich will dich nicht unter Druck setzen. Manchmal...Ich wollte nur meine Befürchtung mit jemandem teilen, der weiß, worüber wir sprechen. Pate zu sein bringt eine Verantwortung mit sich. Keine der beiden Weibsen ist dafür gemacht, sich um ein Kind zu kümmern. Also, du weißt schon, wenn den Eltern etwas passiert. Und das ist nun mal die Aufgabe eines Paten oder einer Patin."
Ich lachte unfroh. „Du denkst ernsthaft, ich wäre der Richtige? Mum, mal ehrlich! Hast du Demenz, oder so? Ich war vier Monate stationär!"
„Eben. Deswegen bist du der Richtige. Weil du weißt, wie es ist, einen Elternteil zu verlieren."
„Dann qualifiziert mich nicht mein Charakter für die Aufgabe, sondern Dads Tod? Das ist mal ein tolles Kompliment!" Ich schnaubte belustigt.
„Oh, Gott, nein Dawson. So hab ich das doch nicht gemeint!", rief meine Mutter in den Hörer, den ich instinktiv etwas weiter vom Ohr entfernte.
„Ich weiß, Mum. Das weiß ich doch!" Das sie auch immer alles so ernst nehmen musste, war wohl ein Teil meines ganzen Problems.
„Sicher?" Sie klang so besorgt, dass ich mich beinahe für meinen dummen Spruch schämte.
„Sicher Mum. Das war doch nur ein bisschen Sarkasmus. Hör auf mich schon wieder in Watte zu packen! Alles ist okay! Mir ist schon klar, was du meinst. Und du hast recht. Die beiden Pfeifen, die Lydia ihre Freundinnen nennt, sind nicht die Richtigen. Aber ich auch nicht. Wenn Lydia was passiert, mag sein, dass ich mich um Dawn, oder wie auch immer sie heißen wird, kümmern könnte. Aber unter den jetzigen Umständen wäre ich die totale Fehlbesetzung. Weihnachten, Ostern, Geburtstage. Alle müsste ich mit Lydia verbringen. Und das kann ich nicht."
Nicht einmal für das Würmchen.
„Ich weiß, Dawson und ich werde dich nicht versuchen zu überreden. Lydia will es versuchen. Alles worum ich dich bitte ist, das Gespräch in einer angemessenen Form zu führen."
Ich fuhr durch meine inzwischen trocknen Haare.
„Ich werde mich bemühen. Mehr kann ich nicht versprechen."
„Das reicht mir schon, Schatz. Danke." Ich schluckte.
„Okay, dann... warte ich mal auf ihren Anruf."
„Tu das. Bis bald, Dawson."
„Bye, Mum."
Langsam wie in Zeitlupe senkte ich das Telefon. Taufpate. Was für eine bekloppte Idee. Ich suchte mir Boxershorts aus dem Schrank. Als ob ich Ahnung von Winzlingen hätte. Was sollte ich denn mit einem Kind anfangen? Außer vielleicht Bauklötze stapeln. Oder in den Zoo gehen. Vielleicht wandern in den Smokey Mountains. Im Sommer konnte man dort zelten und auch fischen, im Winter Ski fahren. Ich starrte, noch immer das Handtuch in der Hand, in den Garten. Die Dämmerung setzte langsam ein und der Gedanke an eine Fackelwanderung löste die Bilder von einem Ausflug ins Rutschenparadies ab.
Mit meinem Finger malte ich Muster in den Staub der Fensterbank. Eigentlich alles keine üblen Sachen.
Ich legte mich auf mein Bett und starrte an die Decke. Überlegte mir, wie ich es Lydia sagen sollte. Wie teilte man jemandem unmissverständlich, aber dennoch schonend mit, dass einem das Wohlergehen eines Kindes egal war, weil es bedeutete, die eigene Schwester laufend sehen zu müssen.
Das klang in meinen Gedanken schon absurd, laut ausgesprochen wurde es nicht besser, so viel war klar.
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