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Mit offenem Mund starrte ich Dawson an. Er dachte ernsthaft, ich wäre an Lionel interessiert und das nur wegen eines sarkastischen Kommentars von Stacey. Was für ein Idiot. Die Ironie in Staceys Stimme hatte man bis nach Idaho gehört.

„Ah, hier bist du!" Lionel trat auf die Terrasse und ließ sich auf der Liege von Stacey nieder. Keine Ahnung, ob sich Lios Feststellung auf mich bezog oder auf Dawson. Jedenfalls war auch er oben ohne. Warum dieses Gepose immer sein musste, würde ich nie verstehen. Wir Mädels waren doch auch nicht dauernd barbusig am Start. „Wo ist meine Schwester?" Forschend sah Lio mich an.

„Zieht sich um. Wir wollen Eis essen gehen", erklärte ich, glücklich über die Ablenkung.

„Gute Idee, bei dem Wetter. Was meinst du Dawson? Sollen wir mitgehen?" Leichte Panik stieg in mir auf. Alles, nur das nicht. Das war ein Fluchtplan, verdammt! Aber einfach sagen, sie sollten daheimbleiben, das ging jetzt auch schlecht.

Dawson schüttelte den Kopf. „Nee, ich müsste erstmal duschen und so", nuschelte er und warf mir einen warnenden Blick zu, ihm nur jetzt ja nicht in den Rücken zu fallen. Das war wirklich Glück im Unglück, ärgerte mich aber gleichzeitig maßlos. Deutlicher hätte er nicht signalisieren können, dass er keine Lust hatte den Nachmittag mit der kindischen Riley zu verbringen.

„Ja, müsste ich auch." Gedankenverloren starrte Lionel einen Moment in seinen Kaffee. Dann stellte er die Tasse beiseite und stand langsam auf, streckte sich ausgiebig. Blitzschnell beugte er sich anschließend nach vorne, nahm den überrumpelten Dawson in den Schwitzkasten und stürzte sich mit ihm in den Pool. Einen kurzen Schrei stieß Dawson noch aus, dann spritzte Wasser in alle Richtungen, auch in meine. Wasserscheu war ich nicht, aber als ein Schwall kühles Nass sich auf meine Kleidung ergoss, quietschte ich erschrocken auf. Dawsons Kaffeetasse versank mit den beiden Kindsköpfen im Pool. Dunkelbraune Schlieren zogen durch das Wasser, wie Blut nach einer Haifischattacke. Einfach ekelhaft!

„So, nun bist du wie frisch gewaschen", lachte Lionel herzlich und hievte sich aus dem Becken. Wasser perlte über seine dunkle Haut und tropfte aus seinen Shorts und den Rasta-Zöpfchen, die er im Nacken mit einem Haargummi zusammenhielt. „Bring die Tasse mit, wenn du rauskommst." Lionels Gelächter war so ansteckend, dass ich mit einfiel und für einen Moment meine nassen Klamotten vergaß.

Dawson starrte Lionel wütend an. Anschließend bekam ich einen Blick geschickt, der hätte töten können. Dann tauchte Dawson wie gewünscht nach der Tasse. Er stellte sie an den Rand des Beckens ab und drückte sich hoch. Ich hatte noch nie drüber nachgedacht, womit sich Dawson fit hielt. Doch was immer er außer Matratzensport so trieb, war äußerst effektiv. Er verfügte über eine unglaubliche Körperspannung, davon konnten die Jungs in der Schule teilweise nur träumen. Ich musste mich immer beherrschen, nicht zu lachen, wenn sie an den Ringen hingen und sich die Schultergelenke auskugelten oder an der Reckstange baumelten wie nasse Säcke. Dawson, dessen war ich mir sicher, hatte weder Probleme mit Liegestützen, noch mit Klimmzügen. Nicht nur sein Bizeps war beachtlich auch der Trizeps zeichnete sich deutlich ab, die knallharte Bauchmuskulatur ignorierte ich lieber mal. Er stellte einen seiner Füße auf den Beckenrand - sieh an, gelenkig war er auch - und schwang sich hoch.

„Kein Wunder, dass ihr immer nachchloren müsst, wenn ihr den Pool ungeduscht benutzt", äußerte ich amüsiert, ohne mich um Dawsons gereiztes Schnauben zu kümmern.

„Sag mal, Dawson! Geht's noch?" Stacey sah ihn säuerlich an. „Dad hat den Pool heute erst freigegeben! Und jetzt machst du so eine Sauerei!" Die Hände in die Hüften gestemmt stand sie in der Terrassentür.

Lionel und ich sahen uns nur kurz an und brachen sofort wieder in Gelächter aus.

„Haha, wie lustig!" brummte Dawson missgestimmt, stapfte angepisst an mir und Lionel vorbei, knallte den Kaffeebecher auf meine Liege und überließ es mir, Stacey zu erklären, wie der Kaffee in den Pool kam. Mit Dawson war wahrscheinlich heute nicht mehr gut Kirschen essen...

Zwanzig Minuten später waren wir zu viert unterwegs zur Eisdiele. Von der ganzen Konstellation wenig angetan, stapfte ich still neben Stacey dahin. Lionel und Dawson redeten unterdessen ohne Punkt und Komma über Kommilitonen und lachten sich hinter uns über jeden Blödsinn schlapp.

„Jetzt sei doch nicht so!" Stacey stieß mir in die Seite. „Vielleicht wird es ja ganz nett mit den beiden. Zumindest hat Dawson heute gute Laune", wisperte Stacey mir zu.

Nett? Was war nett daran, mit Dawson in der Eisdiele zu sitzen?

„Noch. Warte bis ich was Falsches sage, dann verwandelt sich der Gute wie gestern in Godzilla und reißt mir den Kopf ab. Roah." Ich krümmte meine Finger und fletschte die Zähne.

„Abwarten. Vielleicht hast du ja Glück und er lacht dich nur wieder aus!" Ich fror in meiner Position ein. „Nicht lustig!"

„Müssen wir uns Sorgen machen, Riley? Ist schon wieder Vollmond?", stichelte Lionel hinter mir. „Vielleicht solltest du über einen Haarschneider nachdenken? Mit Fell kommst du im Wasser nicht vorwärts!"

Dawson fand das natürlich unglaublich lustig und lachte. War ja klar.

„Mach lieber du dir Gedanken über deine eigenen Haare. Zöpfe sind was für kleine blonde Mädchen, Lio", konterte ich und Lio schubste mich von hinten.

„Das war rassistisch und sexistisch. Das ist nicht okay, Riley!"

Er packte mich im Nacken. „Liegestütze. Zwanzig Stück. Runter mit dir! Sofort! Und mitzählen!", imitierte er meinen Coach. Unter dem Gelächter der anderen tat ich ihm seufzend den Gefallen, dabei war ich mir des Blickes von Dawson unangenehm bewusst, wie auch aller anderen Passanten, die an uns vorbei gingen.

Als ich wieder vom Boden hochkam, zwinkerte Dawson mir zu und nickte anerkennend. Was dachte er denn, wie ich mich über Wasser hielt? Nur Fett schwamm von alleine oben. Die meisten Menschen brauchten dafür Muskeln. Punkt.

Wir bekamen in der Eisdiele einen der letzten Vierertische und nach kurzer Diskussion waren wir uns einig, wie wir uns um den Tisch gruppieren würden. Ich landete zwischen Lionel und Stacey und hatte freie Sicht auf fesselnd grüne Augen. Den Nachmittag zu überstehen, würde eine Herausforderung werden. Die Versuchung Dawson anzusehen war riesig. Er war wie ein Gemälde in einem Museum, vor dem man stundenlang stand und sich fragte, was die Schönheit ausmachte. Es war die Komposition. Die grünen Augen, seine nussbraunen Haare, sein kantiges Kinn. Selbst seine Ohren passten zu seinem Gesicht, genau wie seine Nase und die vollen Lippen.

Okay, starren war aber auch unglaublich peinlich. Vor allem, wenn man von dem Betreffenden erwischt wurde. Gut gemacht, Riley, schmachte ihn noch etwas auffälliger an, dann gibt es gleich wieder einen blöden Kommentar. Insgesamt war ich in einer richtig unangenehmen Situation, in der mir nur die Eiskarte als dürftiger Schutzschild zur Verfügung stand.

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