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„Und?", fragte Chad, als ich mit einem unterdrückten Grinsen in die Gemeinschaftsküche kam. Unter dem Strich war das Gespräch nicht ganz so schlimm wie befürchtet. Das Übelste war eigentlich die Melodie in der Leitung, während ich darauf wartete, dass die Frau am Telefon mich an den Chef verband. Die ganze Zeit trötete „Sweet Home Alabama" in mein Ohr und meine Anspannung brachte mich beinahe um. Aber Chads graue Augen beruhigten mich.
Ich hatte einfach Glück, einen solchen Kerl meinen besten Freund nennen zu dürfen. Als der Chef endlich am Apparat war, verließ Chad unser Zimmer und ließ mich meinen Kampf alleine ausfechten.
„Nicht ganz so gelaufen, wie gedacht", informierte ich Chad mit ernstem Gesicht. Und nahm ihm die beiden Teller ab, die er mir aus einem der Küchenschränke reichte.
„Mann, nu lass dir nicht jeden Popel aus der Nase ziehen! Was hat er gesagt?" Chad sah mich besorgt an. Seine hellen Augenbrauen rutschten so eng zusammen, dass es aussah, als würden zwei flauschige Raupen sich küssen.
„Das mit der Anzahlung geht klar. Abbezahlen fand er aber nicht gut." Langsam fiel es mir schwer, ernst zu bleiben, denn in mir tobte ein Wirbelsturm unbändiger Freude.
„Shit. Und jetzt?" Chad sah mich ratlos an. „Kredit aufnehmen? Mein Dad würde sicher für dich bürgen."
„Nö. Ich soll es in den Ferien in seiner Werkstatt abarbeiten." Einen Moment musterte mich Chad. Unglauben zerrte an seinem Gesicht. Bevor er mich umarmte und mir auf den Rücken klopfte
„Was? Alter! Wie geil ist denn das? Ohne Scheiß?", jubelte er dabei und ich grinste. „Das ist ja der absolute Waaahnsinn!"
„Ich kann es auch noch gar nicht glauben!", äußerte ich überglücklich.
„Wie kam das denn eigentlich?", erkundigte sich Chad und stellte einen Topf mit Bohnensuppe auf den langen Holztisch, der die Küche dominierte.
„Ist ein bisschen dünn vielleicht. Wusste ja nicht, dass du heute schon da bist", entschuldigte er sich.
Ich holte zwei Löffel und setzte mich ihm gegenüber. Toll. Ich hatte den Wackelstuhl. Ihn auszutauschen, war ich aber zu faul.
„Hab ihm einfach gesagt, dass ich Dads Unfallmaschine reparieren will und dabei den Überblick verloren habe. Er hat bisschen gefragt, wie Unfall, was kaputt ist und so. Was ich schon geschafft habe. Und dann kam er einfach mit dem Vorschlag um die Ecke."
„In den nächsten Sommerferien kann ich anfangen."
„Und über die Weihnachtstage?"
„Hat die Werkstatt zu. Schmeckt übrigens hervorragend", lobte ich Chads Essen.
Am selben Abend gab ich noch die Annonce für den Wagen in der Zeitung auf, die am folgenden Samstag erscheinen würde und obwohl ich es fast nicht glauben konnte, wurde ich meine Schrottkarre ohne Probleme los.
„Was haste denn heute Abend vor?", erkundigte sich Chad an besagtem Samstagabend.
„Keine Ahnung", gab ich ehrlich zu. „Ich wollte ein bisschen trainieren und dann Netflix schauen." Verdrängen, was mich neben dem Motorrad und meinem neuen Job noch beschäftigte. Nicht weiter über das Rätsel grübeln, für das es keine Lösung gab.
„Bist du krank, Mann? Es ist Samstag. Lio kommt heute und du willst zu Hause hocken, wenn da draußen haufenweise heiße Studentinnen unterwegs sind? Lauter kleine Frischlinge, die nur auf erfahrene Studenten wie uns warten und flachgelegt werden möchten." Er wackelte mit den beiden Raupen in seinem Gesicht.
„Ne, ich bin heute raus", sagte ich ernst.
„Okay. Wie du willst. Aber beschwer dich nicht, wenn dann dein Mädchen unter mir stöhnt."
Bei der Aussage bekam ich schon wieder Gänsehaut. Mädchen hatte einen Beigeschmack von jung und unschuldig. Klang so intensiv nach Riley, dass automatisch ihr Bild vor meinem inneren Auge auftauchte, wie sie, in das Licht der untergehenden Sonne getaucht, neben dem Pool gestanden hatte. Mann, Shit. Das war total krank, immer wieder an sie zu denken. Mit mir stimmte echt grob was nicht.
Also mal abgesehen von meinen ganz offensichtlichen Problemen. Ich musterte meinen Unterarm und das feine Geflecht von Narben, das sich kreuz und quer über die Haut zogen und von drei frischen roten Streifen durchzogen war. Der tiefere war verkrustet, die beiden anderen Schnitte nur noch eine leuchtendrote Erinnerung an meine Krise und an die Gründe, die sie ausgelöst hatten.
Später im Fitnessraum überlegte ich, ob ich nicht besser mit Lio und Chad hätte feiern sollen. Meine Gedanken drehten sich immer weiter im Kreis um die Frage, warum Rileys Kuss mich komplett umgehauen hatte. Das war moralisch bedenklich, oder? Sie war einfach viel zu jung. Ich sollte an ein Mädchen in ihrem Alter nicht denken und schon gar nicht daran, wie sie sich in meinen Armen angefühlt hatte. Ich sollte nicht an ihre Lippen denken, nicht an ihre Augen. Doch die Sache war einfach die: ich fühlte mich zu ihr hingezogen. Auf eine Art und Weise, die absolut nicht okay war. Ich. Durfte. Nicht. So. Fühlen. Was, wenn das weiterging, dass ich mich allgemein zu Mädchen mehr hingezogen fühlte als zu gleichaltrigen Frauen? Würde ich mit vierzig dann eine Achtzehnjährige heiraten?
Vorsichtig strich ich über meinen Unterarm, während ich eine Pause zwischen zwei Sätzen Military Presses machte. Mein Atem beschleunigte sich leicht. Fuck. Ich presste meine Lippen zusammen.
Das ist keine Lösung. Es ist nur ein Ventil. Bei jeder meiner Wiederholungen sagte ich es mir vor. Aber was war die Lösung? Ich war völlig blockiert. Und im Gegensatz zu meinen Geldsorgen konnte ich über dieses Problem nicht mit Chad oder Lio reden.
Wie käme das denn rüber: „Oh, was ich euch noch sagen wollte: ich glaub, ich steh auf Staceys kleine Freundin. Vielleicht aber auch allgemein auf junge Mädchen."
Ich lief in der Sache gedanklich immer wieder gegen eine Wand und beim Duschen Blut durch den Ausguss. Ich hatte in Gedanken die Kruste des Schnittes abgepult. Es war nicht viel Blut, aber es war Blut und für einen Augenblick traten die Fragen bezüglich Riley zurück hinter der dringenderen, ob ich vielleicht gerade wirklich Rückschritte machte und Hilfe bräuchte.
Lösungen suchen. Wie konnten die aussehen? Gute Frage. Ich musste einen Ort finden, an den möglichst viele unterschiedliche Frauen kamen und einfach versuchen herauszufinden, welcher Typ mich anmachte. Oder noch wichtiger: welches Alter. Und ich sollte mich erinnern, wohin ich die verdammte Salbe geräumt hatte. Wo die Klingen waren, wusste ich immer genau. So wie ein Asthmatiker wusste, wo sein Notfallspray war. Wie ein Diabetiker, auf sein Insulin achtete. Die Salbe war nie dort, wo sie sein sollte. Was ein Scheiß.
Mit der Salbentube in der Hand saß ich kurz darauf auf dem Bett. Ich hatte sie in den Nachttisch geräumt. Kein schlechter Ort eigentlich, wenn man sich daran erinnerte.
Ich redete mir zu, dass ich eine Lösung hatte. Ich würde morgen in ein Einkaufszentrum fahren. Trotzdem wuchs die Anspannung immer weiter. Vielleicht, weil meine kranke Psyche die Antwort auf meine Frage schon kannte? Dass ich auf viel Jüngere stand?
Ich schraubte den Deckel der Salbe ab. Drückte das Gel auf meinen Unterarm. Verteilte es auf der empfindlichen Haut. Dann feuerte ich die Tube in die Schublade. Wartete auf das Brennen, dass erst langsam einsetzte und dann meinen Unterarm in ein Inferno verwandelte. In eine feuerrote Verheerung, die mir den Atem nahm und gleichzeitig auch die verdammte Angst vor den Dingen, die ich nicht fühlen wollte. Nicht fühlen sollte. Nicht fühlen durfte.
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