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„Ich hab dir mal vorsichtshalber ein Weinglas mitgebracht."
„Ich darf noch keinen Alkohol trinken", erinnerte ich Thomas. „Ich bin noch minderjährig."
Thomas Blick wurde abschätzend. „Ich wette, du darfst eine Menge nicht und tust es trotzdem. Wahrscheinlich sogar besonders gerne."
„Die Wette könntest du gewinnen", gab ich mit einem liebevollen Gedanken an einen grünäugigen Kerl zu. Thomas ließ mir aber keine Zeit, in meiner Sehnsucht zu schwelgen.
„Komm, wir sehen mal, ob ich was in der Garage habe, das in der Kurve nicht mit dir macht, was es will."
Dawson hatte gesagt, der Käufer würde Motorräder sammeln. Auf Thomas traf das ganz offensichtlich zu. Und das Wort Garage war ein Witz. Das, worin seine Schätze standen, war eher eine Halle.
„Das sind alles deine?" Ich starrte die Motorräder an, die sich sauber nebeneinander an der langen Wand gegenüber dem Eingang aufreihten.
„Jedes einzelne, ja." Stolz schwang in seiner Stimme mit. Das Strahlen in seinen Augen verlieh dem Erwachsenen etwas geradezu Jungenhaftes.
Ich besah mir die Maschinen. „Hat das ein System? Also sammelst du etwas Bestimmtes?"
„Ich würde das System so beschreiben: je seltener es ist, desto dringender will ich es besitzen und umso mehr bin ich bereit auch dafür zu bezahlen."
„Aber ich kann doch nicht auf einem Sammlerstück fahren lernen?"
„Nein, aber auf dem hier zum Beispiel. Mit der hat mein Bruder in den späten Neunzigern das Fahren gelernt. Die hat nur wenig Hubraum, du bist mit dem Fahrrad vermutlich schneller als das Teil und es ist leicht zu händeln." Er wackelte bedächtig mit dem Kopf.
„Komm morgen einfach etwas früher, dann kannst du es in der Einfahrt testen."
„Auf dem Kies?" Panik stieg in mir auf
„Erste Lektion, die ich dir erteile, Riley. Nimm sie dir für dein Leben zu Herzen: Manchmal muss man einfach mit dem arbeiten, was man hat", fertigte er mich ab. „Und jetzt lass uns mal sehen, ob die Pizza da ist. Melissa muss ins Bett, bevor sie meinen letzten Nerv kostet."
Mit mir und der Welt zufrieden radelte ich später nach Hause. Ich konnte es kaum erwarten, Dawson anzurufen und ihm von dem Fuhrpark in der Halle zu berichten.
„Hey", begrüßte mich Dawson, als ich anrief.
„Hey", gab ich zurück.
„Wie war dein Tag? Haben deine Kursteilnehmer etwas gelernt?"
„Ja, Melissa kann jetzt tauchen und Thomas..." Ich dachte über eine Formulierung nach, die positiv klang. Es gab keine. „Thomas übt eben einfach."
„Klingt gut." Dawsons Stimme, dunkel und angenehm, kroch unter meine Haut. Ich vermisste ihn. Nur zu gerne wäre ich durch das Telefon gekrabbelt, um bei ihm zu sein.
„Weißt du, was aber noch viel besser ist?" Beinahe wäre ich auf dem Bett herumgehopst, wie Melissa auf der Wiese.
„Nein, aber ich würd mich freuen, wenn du es mir sagst."
„Thomas bringt mir Motorrad fahren bei!", jauchzte ich vergnügt.
„Toll." Echte Begeisterung hörte sich anders an.
„Du könntest dich wenigstens ein bisschen für mich freuen", maulte ich.
„Ich freue mich ja ein bisschen. Aber eben auch nicht mehr als das." Er klang kühl und distanziert.
„Was ist falsch daran, wenn ich auch Motorradfahren können möchte? Stacey kann das auch. Sam sowieso." Ich war den Tränen nahe. Meine Aufregung, die Freude, alles mit einem Wimperschlag verpufft.
„Was ist falsch daran? Alles!", fauchte er. „Wenn du Fahren lernen willst, warum fragst du nicht mich?" Sein Vorwurf traf mich hart.
„Weil wir beide kein Motorrad haben. Weil du bald wieder an der Uni bist. Weil wir nicht zu oft zusammen gesehen werden wollen. Reichen die Gründe fürs Erste?"
„Ich denke ja. Trotzdem wäre ich gerne der, der es dir beibringt."
„Du bist der Erste, mit dem ich fahren werde, wenn ich meinen Führerschein habe", versprach ich.
„Deswegen gefällt es mir nicht besser, Riley", murrte er.
„Okay, dann lass ich es eben", seufzte ich defensiv. „Wir hören uns morgen. Schlaf gut!"
„Riley, bitte, sei doch jetzt nicht sauer", bat er, aber so funktionierte das nicht. Meine Gefühle verschwanden nicht auf Knopfdruck.
„Ich bin nicht sauer. Nur unglaublich enttäuscht. Gute Nacht, Dawson. Wir reden morgen."
Dann legte ich auf. Feuerte mein Telefon auf den Nachttisch. Ich wollte Motorradfahren lernen, damit er und ich vielleicht irgendwann gemeinsam fahren konnten. Was machte er? Drama!
Ich drehte mich auf den Bauch. Knautschte meine Kissen. Spürte schon wieder die Tränen in mir aufsteigen. Wütend über diese Reaktion meinerseits vergrub ich mein Gesicht in dem Kissen.
„Und ich lerne es doch", murmelte ich trotzig.
„Du kannst mich mal, Grady! Hörst du?", schrie ich mein Telefon an seiner Stelle an.
Licht aus. Augen zu. Schlafen. Nicht mehr an ihn denken.
Die Rechnung ging auf. Bis ich nachts von anhaltendem Brummen geweckt wurde. Mein Handy wanderte hellleuchtend über meinen Nachttisch. Verpennt drehte ich mich auf den Rücken. Hatte ich die ganze Zeit auf dem Bauch, mit verdrehtem Hals geschlafen? Der Schmerz in meinem Nacken sprach jedenfalls dafür. Stöhnend wischte ich über das Display.
„Riley?", fragte Dawson.
„Du musst doch wissen, wen du anrufst!", murmelte ich verschlafen. „Was ist los? Wie spät ist es überhaupt?"
„Keine Ahnung, wie spät es ist. Ich versuch schon zum hundertsten Mal dich zu erreichen", nuschelte Dawson.
„Hab geschlafen", rechtfertigte ich mich völlig ohne Not und nahm mein Telefon vom Ohr, versuchte die kleinen Zahlen zu entziffern. „Es waren nur siebzehn Anrufe und nicht hundert. Und es ist halb zwei, Dawson."
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken. Ich dachte, du willst einfach nicht mit mir reden, Riley." Er klang noch immer verwaschen, obwohl meine Ohren, mein Gehirn, mein ganzer Körper langsam in den Modus „wach" wechselten.
„Bist du betrunken, oder was? Wer glaubst du, will sich nachts um halb zwei unterhalten?"
Dawson sagte nichts. Ich hörte nur leises Rascheln. „Könnt sein, dass ich wirklich ein bisschen getrunken hab", antwortet er dann schleppend.
„Warum trinkst du, wenn du weißt, dass du in ein paar Stunden fahren musst?" Besorgt setzte ich mich auf. „Du kannst doch nicht betrunken Motorrad fahren!"
„Keine Ahnung, Riley. Ich hab immer wieder versucht dich zu erreichen. Da kam dann eben einiges zusammen, während ich gewartet hab."
„Dawson, geh schlafen. Bitte. Du musst morgen fit sein."
„Ich kann nicht schlafen, wenn ich weiß, dass du sauer bist. Ich habe es versucht, aber es ging nicht." Er klang beinahe verzweifelt.
„Ich bin nicht sauer, Dawson. Eher... besorgt. Leg dich aufs Ohr. Alles ist gut. Ehrlich!", beruhigte ich ihn.
„Du bist noch immer mein Mädchen, oder?"
„Ja, natürlich. Solange du es willst."
„Ist für immer zu lang?", erkundigte er sich leise.
„Nein. Für immer ist perfekt, Dawson, und jetzt leg dich hin, ja?", wiederholte ich meine Bitte.
Wieder erklang leises Rascheln.
„Für immer du und ich", murmelte er und entlockte mir damit ein Lächeln. „Ich freu mich auf dich. Du fehlst mir schrecklich, Riley. Ich will einfach nur wieder bei dir sein." So gefühlsduselig erkannte ich ihn fast nicht wieder.
„Du fehlst mir auch. Und jetzt lass uns schlafen", forderte ich energischer.
„Ist gut. Bis später. Ich ruf dich an, ja?"
Er legte auf und eine Weile starrte ich beunruhigt an die Decke. Was wenn er morgen Früh noch betrunken war? Würden die anderen es merken? Würden sie ihn in dem Zustand fahren lassen?
Vielleicht sollte ich Lio schreiben und ihn bitten, Dawson im Auge zu behalten. Aber dann würde ich verraten, dass Dawson und ich mitten in der Nacht telefoniert hatten. Diese ganze Heimlichtuerei nervte mich jetzt bereits. Dabei war das hoffentlich erst der Anfang von „für immer".
Seufzend entschied ich mich für einen anderen Weg. Ich schrieb Dawson. „Bitte fahr nur, wenn du wirklich nüchtern bist. Ich will dich nicht verlieren."
Hoffentlich würde das reichen...
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