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Ich rieb mir die Stirn.

„Dawson, es gibt Motorräder wie Sand am Meer. Warum sollte er ausgerechnet deins haben?"

„Vielleicht weil er es gekauft hat?" Seine Stimme hatte einen Unterton angenommen, der mir nicht gefiel. Es war der, in dem er der kleinen Riley gerne die Welt erklärte.

„Naja, klar wird er es gekauft haben. Aber es kann doch einfach Zufall sein, dass es dem von deinem Dad nur ähnelt?"

„Nein", gab Dawson im Brustton absoluter Überzeugung zurück. „Es wurden nur knapp zweihundert Stück gebaut. In genau der kleinen Garage in Alabama, für die ich in den Ferien arbeite. In der, in der ich Dads Motorrad wieder zusammengeflickt habe. Insgesamt gibt es vielleicht noch hundert fünfzig in fahrbereitem Zustand. Vielleicht vierzig, die so gut erhalten sind, wie es das auf dem Bild ist. Und das da unter deinem sexy Hintern ist bestimmt meins."

Dann hatte Thomas mich deshalb gefragt, ob ich mich mit Motorrädern auskenne. Er wollte wissen, ob mir klar war, was da in der Einfahrt steht.

„Ich kann mich morgen ja mal vorsichtig erkundigen, wie lang er das Motorrad schon hat. Das wäre doch schon mal ein erster Hinweis."

„Das wäre toll von dir, wirklich."

Abgesehen davon bewegte mich noch eine andere Sache.

„Dawson, über wie viel Geld reden wir denn eigentlich. Also, was würde es kosten, die Maschine zurückzukaufen?", fragte ich zaghaft.

„Mum hat sie für sechzigtausend verkauft. Aber eigentlich ist das Teil locker das Doppelte Wert. Nur ein Narr würde sie mir für das gleiche Geld verkaufen."

Er klang niedergeschlagen und langsam aber sicher erfasste ich, welches Ausmaß die Katastrophe hatte. Er hatte nicht überreagiert. Es war ziemlich aussichtslos. Hundert Riesen, oder mehr, zauberte niemand mal eben aus seinem Stetson.

„Lass mich erstmal mit ihm reden, bevor wir uns weiter über das Geld Gedanken machen. Ich geb dir morgen Bescheid, sobald ich was Neues weiß, okay?" Optimismus zu verbreiten, in einer ausweglosen Situation fiel mir schwer.

„Danke, Riley." Der Satz berührte mich mit seiner Schlichtheit.

„Für dich gerne", gab ich zurück.

„Schlaf gut, Riley." Seine Stimme klang niedergeschlagen. Ich hätte ihn gerne in den Arm genommen, ihn abgelenkt. So blieb mir nur, ihm eine unbefriedigende Antwort zu geben.

„Du auch."

Den nächsten Tag über verbrachte ich zwischen nervöser Anspannung und leichter Panik. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das Thema mit dem Motorrad anschneiden könnte. Daran hatte sich, bis ich bei den Bowbridges klingelte auch nichts geändert.

„Hey, Riley", begrüßte mich Thomas.

„Hey", gab ich zurück.

„Alles okay?" Er musterte mich aufmerksam.

„Ja, klar. Alles gut", antwortete ich etwas einsilbig.

„Melissa wartet schon. Geh einfach schon voraus. Ich zieh mich um."

Ich nickte abwesend und umrundete das weiß getünchte Haus.

„Riley! Guck mal! Ich kann Handstand!", rief Melissa mir aus der Ferne zu.

Der Überschwang in ihrer Stimme war putzig. Stolz machte sie mir ihr Kunststück vor. Okay. Ich hätte es nicht als Handstand bezeichnet. Ihre Beine waren nicht gestreckt, sie wackelte wie ein Kuhschwanz.

„Nicht übel für den Anfang", lobte ich dennoch.

„Kannst du auch Handstand?" Sie legte ihren Kopf schräg und sah mich an.

Ich nickte halbherzig. „Ich hab länger keinen mehr gemacht. Aber ich könnte es versuchen."

Melissa klatschte vor Freude und hopste auf der Stelle vor Begeisterung. „Bitte, ja!", rief sie. Wie sollte ich diesem süßen Fratz etwas abschlagen? Drei Mal machte ich Handstand für sie. Das Abrollen danach fand sie am tollsten. Sie juchzte vor Freude.

„Kannst du noch was anderes?" Neugierig funkelte sie mich an.

„Ein Rad vielleicht?", schlug ich vor.

Sie nickte mit noch immer glänzenden Augen. Also schlug ich Räder. Danach lief ich auf Händen. Und zu guter Letzt, als ich mich wieder etwas sicherer auf dem Gebiet fühlte, präsentierte ich ihr einen Handstandüberschlag.

„Du musst zum Zirkus gehen!", rief die Kleine begeistert und ich lachte. „Dafür reichen meine Künste nicht. Aber ich würde gerne mal bei einem internationalen Wettbewerb schwimmen", erzählte ich ihr.

„Und wer bringt mir dann schwimmen bei?" Ihre dunklen Augen wurden traurig.

„Keine Sorge. Bis ich so gut bin, schwimmst du perfekt, Melissa. Sogar auf dem Rücken. Und Kraueln kannst du dann auch schon."

Nachdenklich sah sie mich an.

„Kannst du mir zeigen, wie schnell du bist?"

Ich lachte. „Dafür ist euer Pool zu klein. Aber in vier Wochen schwimme ich bei einem Wettbewerb zwischen der Milton High und der Ashton Private. Vielleicht könnt ihr zusehen und mein Team anfeuern."

„Können wir, Dad?" Thomas, der unserer Unterhaltung gelauscht hatte, sah seine Tochter an. Dann mich.

„Ich sehe mal im Kalender nach", seufzte er ergeben. Die Kleine wickelte ihn ganz schön um den Finger. Vielleicht mangelte es ihm aber im Moment auch nur an der nötigen Kraft, das Energiebündel zu bändigen. Oder er wollte ihr nach dem schrecklichen Unfall eine Erziehungspause gönnen.

„Gut, wenn das geklärt ist, dann würde ich sagen, zeig mal was du kannst." Ich stellte mich zu Melissa an den Beckenrand und sah ihr beim Schwimmen zu.

„Sehr gut", lobte ich sie, als sie sich am Ende des Pools an den Rand hängte. „Eine ganze Bahn. Das hast du toll gemacht."

„Jetzt tauchen wir, okay?" Ich reichte ihr eine meiner Schwimmbrillen, stellte sie ihr ein und dann stieg ich zu Melissa ins Wasser.

„Luft durch die Nase ausatmen. Ganz langsam", erinnerte ich sie.

Nachdem sie das gut hinbekam, zeigte ich ihr, wie sie unter Wasser schwimmen sollte.

Wie zu erwarten, hatte sie daran mehr Freude als am Schwimmen über Wasser. Sie tauchte nach einem Ring, schwamm zwischen meinen Beinen durch. Als ich sie zum Aufwärmen schickte, protestierte sie. Ein mahnender Blick von Thomas bannte die quirlige Siebenjährige aber auf der Liege.

„Ich hoffe, ich muss nicht nach Ringen tauchen", scherzte Thomas.

„Heute noch nicht. Du hast noch Schonfrist. Allerdings, werde ich dich um dein Schwimmbrett erleichtern."

„Heute schon?" Unsicher sah er mich an.

„Klar", ich grinste und zog den Schwimmgurt aus meinem Rucksack. „Bitte schön. Dein neues Tool. Leihgabe vom Schwimmverein."

Zweifelnd sah er mich an.

„Nicht gucken. Umbinden und schwimmen", zitierte ich John, der den Kleinen immer genau sagte, wie der Hase lief.

„So, jetzt sieh mal her." Ich zeigte ihm genau, wie er die Arme führen sollte. Nach ein paar Versuchen auf der Wiese schickte ich ihn in das Becken.

Melissa schlich näher. „Beine nicht vergessen. Genau. Mach langsam. Lieber sauber und langsam als schnell und schlampig. Super, Thomas."

„Papa! Du schwimmst!", rief Melissa begeistert und hopste am Rand.

Fies, aber ich gab ihr einen kleinen Stoß und sie und ihr Handtuch segelten über die Kante. Melissa quiekte. Sekunden später kam sie strampelnd und prustend nach oben.

„Duuu!", quietschte sie.

„Ja? Ich? Thomas, die Beine! Was wolltest du sagen Melissa?"

„Du hast mich geschubst!" Melissa war völlig empört.

„Hab ich das? Naja, kann ja mal passieren? Mit so etwas muss man rechnen. Kann in einem Schwimmbad immer vorkommen. Thomas auch wenn du zuhörst, musst du die Bewegungen weiter machen. Ohne den Gurt würdest du schon sinken wie ein Stein!"

„Kannst du noch zum Essen bleiben?", erkundigte sich Melissa etwas später. „Papa bestellt Pizza."

Die Gelegenheit packte ich sofort beim Schopf. Bisher hatte sich keine Gelegenheit ergeben, das Thema Motorrad anzusprechen. Doch inzwischen hatte ich eine schemenhafte Vorstellung, wie ich es angehen würde.

„Pizza? Hm, da kann ich schlecht nein sagen, nicht wahr?"

„Riley, ich möchte nicht, dass du dich zu etwas verpflichtet fühlst. Wenn du lieber gehst, dann ist das okay", intervenierte Thomas, bevor er Melissa zum Duschen ins Haus schickte. „Du hast sicher Anderes zu tun, als deine Zeit mit einem alten Mann und seiner kleinen Göre zu verbringen."

„Heute nicht wirklich. Mein Vater kommt später nach Hause und da gehen meine Eltern üblicherweise essen und mein Bruder trifft alte Schulfreunde."

„Na, dann ist es mir eine Ehre dich mit meinen Kochkünsten zu überraschen. Welche Pizza darf es denn für dich sein?" Thomas hielt mir eine Karte entgegen und ohne lange zu überlegen, entschied ich mich.

„Bitte Thunfisch. Ohne Zwiebeln. Aber dafür Kapern", bat ich und Thoma nickte.

„Gerne. Bevor ich bestelle, würde ich nur gerne über die Bezahlung reden. Du kannst dir ja nicht für lau die Nachmittage um die Ohren hauen."

Das war sie. Meine Chance. Und sie fiel mir förmlich in den Schoß. „Ich möchte kein Geld", sagte ich vorsichtig und erntete einen misstrauischen Blick.

„Du wärst der erste Teenager, den ich kenne, der nicht dauernd pleite ist."

Ich rümpfte die Nase. „Stimmt schon. Ich bin immer etwas klamm. Aber ich habe einen anderen Wunsch. Ich weiß, dass meine Eltern es nie erlauben würden."

„Dann kann ich da wahrscheinlich auch nichts für dich tun." Zweifel prägte sein Gesicht.

„Ich denk schon. Ich würde gerne Motorradfahren lernen. Alle meine Freunde fahren Motorrad. Und ich würde es unheimlich gerne auch können." Bittend sah ich ihn an.

Unschlüssig strich sich Thomas einige feuchte Strähnen aus dem Gesicht

„Ich könnte es dir sicher beibringen. Aber ich bin mir sicher, das ist eine ganz schlechte Idee. Was wenn du stürzt? Dann sind wir beide ganz schön am Arsch."

„Bitte, Thomas", legte ich nach.

„Hast du überhaupt ein Motorrad?", fragte er nach.

„Nein, aber du offensichtlich."

Er lachte laut und schüttelte vehement den Kopf.

„Oh nein, Riley. Vergiss es. Auf dem von gestern wirst du sicher nicht fahren. Das ist mein größter Schatz. Ich hab die Maschine vor ein paar Tagen erst gekauft und die ist außerdem viel zu schwer für dich. Du bräuchtest was Kleineres und Leichteres für den Anfang. Lass uns erst Mal die Pizza bestellen. Dann sehen wir weiter. Was kann ich dir zu trinken bringen?" Noch immer schüttelte er ungläubig seinen Kopf.

„Einfach Wasser", antwortete ich und konnte es nicht mehr abwarten, dass Thomas ging.

„Er hat sie vor ein paar Tagen gekauft", textete ich an Dawson, dann schob ich mein Handy wieder in die Hosentasche.

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