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Stacey rief mich am Nachmittag an. „Wo wart ihr denn heute Nacht plötzlich?", fragte sie mich. „Erst hab ich dich noch mit Miles gesehen und dann wart ihr auf einmal weg."

„Mir war irgendwie schlecht", antwortete ich und das war nicht einmal gelogen. Die Vorstellung, dass Hillary und Dawson was Ernstes haben könnten, machte mich regelrecht krank. Ich meine, wie unfair war das denn? Sie war achtzehn, gutaussehend und obendrein nett. Sie würde in wenigen Wochen aufs College gehen und war unabhängig. Ich war nur die kleine Riley. Mein Stolz litt schwer.

„Hast du Lust vorbeizukommen? Dad hat gesagt, das Wasser im Pool ist wieder okay, seit er das Chlor höher dosiert."

„Ist Dawson bei euch?", erkundigte ich mich.

„Nicht, dass ich es wüsste. Aber ich kann nicht ausschließen, dass Dawson und Lionel sich später treffen." Ihre Ehrlichkeit rechnete ich meiner Freundin hoch an.

„Wenn er kommt, können wir aber Eis essen gehen, oder so", schlug sie vor und ich stimmte zu, während ich meine Badesachen in eine Tasche stopfte und nach einem Haargummi suchte. Dann schwang ich mich auf mein Fahrrad und fuhr das kurze Stück bis zu Stacey. Ich öffnete das Tor, lehnte mein Rad innen an den Gartenzaun und umrundete das Haus.

Meine beste Freundin lag auf der Terrasse in einem Liegestuhl und sofort beneidete ich sie um ihren afroamerikanischen Teint. Ihre Haut hatte die Farbe von Milchkaffee, ihre Haare die eines starken Espressos.

„Hör auf dich zu sonnen. Das ist unfair, wenn du so braun bist und ich neben dir wie Käsekuchen aussehe!", nörgelte ich und ließ mich neben ihr auf eine freie Liege fallen. Stacey setzte sich auf und schob die Sonnenbrille nach oben.

„Ab dem Tag, an dem du aus dem Schwimmteam austrittst, liege ich nur noch im Schatten ", neckte sie mich. Wir wussten beide, das würde nie passieren. Schwimmen war mein Leben.

„Ich geh mich umziehen", sagte ich und stand auf.

„Sei aber leise. Lionel pennt noch. Er hat bis sechs Uhr früh die Hütte aufgeräumt", rief Stacey mir nach.

Nach der Helligkeit draußen mussten meine Augen sich erst an das Dämmerlicht im Inneren des Hauses gewöhnen. Die Jalousien waren zum Schutz gegen die Sonne heruntergelassen und ich genoss die Kühle des Hauses. Am liebsten hätte ich mich auf den kalten Fliesenboden gelegt. Gerade am Fuß der Treppe angekommen, hörte ich oben eine Tür klappen und noch ehe ich mich versah, blickte ich in Dawsons verpenntes Gesicht. Nur in sein Gesicht. Nicht auf seine breite muskulöse Brust. Auf keinen Fall auf seinen durchtrainierten Bauch oder die strammen Oberschenkel. Schon gar nicht achtete ich auf irgendetwas, das dazwischen lag, mehr oder weniger gut verborgen von Boxershorts. Trotzdem spürte ich, wie ich bei seinem Anblick heiße Wangen bekam.

„Guten Morgen", nuschelte er und kam die Treppe runter. Ich wusste gar nicht, wo ich hinschauen sollte.

„Was tust du hier?", fragte ich überfordert.

„Brauche Kaffee?", murmelte er und steuerte an mir vorbei in die Küche.

Nicht ganz die Antwort, die ich erwartet hatte. Ich hatte allgemeiner gedacht. Oder hatte ich spezieller gedacht? Angespannt starrte ich die Treppe hoch und überlegte fieberhaft, ob es möglich wäre, dass er und Hillary gemeinsam hier übernachtet hatten. Ich wollte es lieber nicht rausfinden. Schon die Vorstellung einer spärlich bekleideten Hillary trieb mir Tränen der Frustration in die Augen. Auf dem Absatz machte ich kehrt. Kein Bikini. Kein Pool. Plan B: Eis essen.

„Du!", motzte ich Stacey an, als ich rauskam.

„Ja, ich?" Stacey hob den Kopf und schob sich die Sonnenbrille zurück auf die Stirn.

„Wusstest du, dass Dawson hier ist?"

„Ist er? Ich hatte keine Ahnung!" Ruckartig setzte sie sich auf. „Woher hätte ich das wissen sollen?"

„Weil seine Schuhe im Gang stehen? Weil... ach, keine Ahnung!" In einer Geste der Verzweiflung warf ich die Arme hoch.

„Riley, jetzt mach kein solches Drama! Du wirst es schon zehn Minuten mit ihm auf demselben Grundstück aushalten. Leg dich hin, schließ die Augen und genieß die Sonne. Ich zieh mich an und dann machen wir uns vom Acker, bevor du ihm nochmal begegnest." Stacey schüttelte den Kopf und stand auf.

„Bevor sie wem begegnet?", erklang Dawsons Stimme hinter uns. Wütend biss ich die Zähne zusammen. Warum war ich überhaupt hierher gekommen... Wir hätten zum Badesee radeln können und alles wäre gut gewesen. Dann hätte ich vielleicht sogar Justin getroffen.

„Meinem Bruder, du Superhirn!", antwortete Stacey ironisch und rauschte an ihm vorbei.

Seinen Kaffeebecher in der Hand schlenderte Dawson zum Pool und tauchte einen Zeh ein. Er blickte über die Schulter. Seine grünen Augen wirkten im Sonnenlicht fast türkis wie die karibische See. Er zeigte die typische Freizeitbräune, wie mein Vater sie immer nannte. Sein Gesicht, die Unterarme und die Beine waren deutlich dunkler als sein Oberkörper. Man sah, dass er studierte, in den Ferien arbeitete und nicht wie die Jungs von der Milton High ständig oben ohne im Grünen fläzte.

„Wieso gehst du Lionel aus dem Weg? Habt ihr Ärger?", erkundigte Dawson sich.

Oh Mann, was war das heute alles nervig. Ich wollte seine Anteilnahme nicht. Hatte ich gestern Partys abgeschworen, um ihm nicht mehr begegnen zu müssen? Jetzt saß ich hier in alten Hotpants, ungeschminkt, mit Pferdeschwanz und einem uralten Top. Ich hätte mich ohrfeigen können. Ich meine, mal im Ernst! Wie blöd war ich eigentlich? Dawson und Lionel studierten zusammen. Kannten sich ewig. Beste Kumpels. Ihm hier zu begegnen, war nicht abwegig, ungewöhnlich schon gar nicht.

„Ähm, nee. Eigentlich nicht so richtig", stammelte ich, ohne Plan, was ich jetzt sagen sollte.

Er kam zu mir, setzte sich an das Fußende der Liege und reflexartig zog ich meine Beine an.

„Riley, du erinnerst dich doch an unser Gespräch gestern?" Er zog die Augenbrauen hoch und legte fragend den Kopf schief.

„Ja, sicher", antwortete ich. Mir war unklar, worauf er hinauswollte.

„Lionel ist genauso alt wie ich. Such dir einen netten Jungen in deinem Alter und mach meinem Kumpel keine Schwierigkeiten. "

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