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Zweimal verglich ich die Adresse des Hauses, vor dem ich stand, mit der, die Thomas mir gegeben hatte. Das war kein Haus. Das war eine Villa. Nein, ein Anwesen mit einem für die Südstaaten nicht ungewöhnlichen Herrenhaus. Der Garten, den man vom schmiedeeisernen Tor aus überblicken konnte, war grün und saftig und hatte Ausmaße, die in Konzertlautstärke „Aufsitzmäher" schrien. Um sich aus der Küche Kaffee zu holen, brauchte man sicher einen E-Scooter, sonst war der kalt, bevor man seinen Gartenstuhl erreichte.

Unschlüssig, was genau ich mit meinem Fahrrad machen sollte, starrte ich auf die Klingel. Am Zaun anlehnen? Wohl eher nicht. Am liebsten wäre ich wieder umgekehrt. Das waren Kreise, die ich einfach nicht kannte und mit denen ich nichts anzufangen wusste. Dabei war Thomas so verdammt normal gewesen. Wie viel Kohle musste man verdienen, um so zu wohnen?

Schließlich klingelte ich doch. Einfach weil ich neugierig war, wie so ein Haus von innen aussah. Steril? Weiß mit schwarz und einzelnen Farbtupfern?

Das Tor rollte zur Seite und ich radelte die Auffahrt rauf. Kies knirschte unter meinen Reifen und diese hinterließen eine tiefe Furche in der Schüttung. Aber den ganzen Weg zum Eingang zu laufen, das kam nicht in Frage.

Thomas stand in alten Jeansshorts in der Einfahrt, die definitiv schon bessere Zeiten gesehen hatte. Seine Hände waren mit etwas beschmutzt, was sehr nach Öl ausssah, und er bemühte sich, seine Finger an einem Lappen abzuwischen. Der war aber in keinem besseren Zustand als seine Hände. Daher führten seine Versuche eher dazu, dass er den Schmutz großzügig und gleichmäßig verteilte. Resigniert sah er auf seine Hände, steckte das Tuch dann mit einem Schulterzucken in die rechte Hosentasche, aus der es nun halb heraushing.

„Achtung! Kulturschock!", sagte er freundlich.

„Und was für einer", gab ich zu und versuchte nicht mal .eine Verunsicherung zu verbergen. Verbiegen konnten sich andere. Ich legte mein Mountainbike auf die Stufen. Thomas quittierte das mit einer hochgezogenen Augenbraue. Ständer hatte mein Rad keinen, also was hätte ich sonst tun sollen?

„Ich hab beim Schrauben wohl die Zeit aus den Augen verloren", Er zeigte auf ein Motorrad, das im Schatten neben der Treppe die zum Eingang führte, parkte. Ein paar Werkzeuge lagen verteilt auf einer Decke und Thomas bedeutete mir, ihm zu folgen. Er bückte sich, sammelte seine Schraubenschlüssel ein. „Kennst du dich aus mit Motorrädern?"

„Kein bisschen. Ich saß bisher noch nicht mal auf einem", gab ich schüchtern zu.

Er sah mich einen Augenblick schweigend an. „Lass uns das gleich mal ändern, okay?" Seine Augen funkelten begeistert. Er nahm ein Funkgerät, das ebenfalls auf der Decke lag und sprach hinein.

„Henne an Küken. Bitte kommen! Küken, bitte kommen!"

Ich prustete. „Henne? Nicht dein Ernst?"

Thomas lachte ebenfalls. „War Melissas Idee."

„Hier Küken, was gibt es Henne?", klang es krächzend aus dem Funkgerät.

„Geh mal ins Atelier und bring mir die Canon."

„Verstanden Henne. Küken ist unterwegs."

Kurz darauf knackte es wieder im Funkgerät. „Welche, Papa? Da gibt es zwei!"

„Nimm die kleinere, die ist leichter. Und Achtung auf der Treppe, Küken. Mach keinen Abflug!"

Sein Humor war cool. Warum war mein Dad nicht so lässig? Weil ich dann jetzt Halbwaise wäre. Nicht ungerecht sein, Riley, ermahnte ich mich selbst.

Melissa kam mit einer Spiegelreflexkamera wieder.

„Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht komisch aber, ... ich würd gerne ein paar Aufnahmen mit dir versuchen."

„Jaaa!", begeistert quietschte Melissa. Sie zog mich zu dem Motorrad. „Wenn Dad Fotos macht, sieht man hinterher viel besser aus als in echt. Er kann das total toll."

Aufgeregt hopste sie um mich herum und sprang dann zu Thomas zurück.

„Darf ich mit auf das Foto? Bitte, Daaddyyy", quengelte Melissa.

„Riley hat noch nicht ja, gesagt, Schätzchen. Lass sie doch erst mal überlegen."

„Muss man überlegen, ob man gut aussehen will?"

Der kleine Wirbelwind sauste an mir vorbei und kletterte auf das Motorrad.

„Nicht du, Mäuschen. Runter von der Maschine!", schimpfte Thomas mit seiner Tochter.

Sie sah ihren Dad enttäuscht an. „Kein gutes Licht?"

„Nicht für dich, Baby, tut mir leid." Er sah sie bedauernd an.

„Bitte, Riley. Nur zwei oder drei Aufnahmen. Du hast ein gutes Gesicht. Sieh dir meine Fotos an und wenn sie dir nicht gefallen, löschen wir alles sofort." Thomas sah mich bittend an, Melissa aufgeregt.

„Daddy fotografiert nicht jede. Man muss irre lange auf Termine warten", klärte sie mich auf und schob mich die letzten Meter zu dem Motorrad. „Mach schon!"

Seufzend fügte ich mich und stieg auf. Hatte ich gedacht, damit wäre das Thema gegessen, dann hatte ich mich ganz grob geirrt. Mit zwei Schritten war Thomas neben mir und streckte seine öligen Finger aus. „Darf ich?", fragte er und irritiert sah ich ihn an. „Dich anfassen, Riley?", präzisierte er.

„Ähm, ja, ich denke schon!"

Melissa kicherte, als Thomas anfing an mir herumzuziehen und mich in die gewünschte Position zu bringen.

„Ich werde einen Krampf haben, bevor dein Dad das erste Foto macht." Ich zwinkerte Melissa zu. Sie runzelte ihre Nase und nickte verstehend

„Wer schön sein will, muss leiden", antwortete Thomas abwesend und hob mein Kinn etwas.

„Gut, und so bleibst du jetzt, ja?"

Er trat zurück, schoss ein Foto, das er auf dem Display kritisch betrachtete. „Super", lobte er. „Jetzt hör erst genau zu. Du drehst gleich ganz langsam den Kopf in meine Richtung. Nimm das Kinn vorher nur minimal nach unten. Ich mach eine Serienaufnahme, okay?"

Er brachte sich in Position. „Langsam, ja? Und los geht's!" Ich versuchte zu tun, was er verlangte.

„Wahnsinn, Baby. Sehr gut. Weiter so, bis du über die Schulter zu mir schaust. Weiter. Perfekt."

Zufrieden lächelte er. „Gut gemacht!" Melissa strahlte. Ich war verwirrt. Hatte er mich grad Baby genannt? Das war ja echt seltsam. Thomas kam zu mir, stellte sich neben mich und zeigte mir die Aufnahmen. „Deine Augen sind der absolute Hammer. Sieh dich an, du bist wunderschön, Riley. Du würdest anbetungswürdige Bilder abgeben."

Wunderschön? Anbetungswürdig? Baby? Wie war der denn drauf? Angespannt sah ich auf das Display seiner Kamera. Faszinierend, was er da gezaubert hatte.

„Komm, lass mich noch was probieren, ja?" Bittend sah er mich an. Etwas weniger skeptisch als zuvor stimmte ich zu. Er schien was von der Sache zu verstehen. Komisch fühlte ich mich trotzdem, als ich nickte.

„Leg dich auf den Tank, die Hände unter deinen Kopf. So." Vorsichtig brachte er meinen Kopf in die Position, die er sich vorstellte. Dann strich er meine Haare glatt. „Nicht erschrecken. Leider hab ich keine Assistentin heute." Er war überall an meinem Körper und ich kam mir vor wie ein Biegepüppchen aus dem Zeichenunterricht.

„Okay, so geht es, denke ich. Darf ich dich was Persönliches fragen, Riley?"

Langsam wurde die Sache unangenehm. Hätte seine Tochter nicht die ganze Zeit neben mir gestanden, wäre es wohl richtig seltsam gewesen.

„Warst du schon Mal verliebt?"

„Ja", antwortete ich lächelnd und mein Herz machte einen kleinen Satz. Und in diesem Moment klickte es mehrmals.

„Das war einfacher als gehofft. Dich muss es ziemlich hart erwischt haben!", grinste Thomas und kam auf mich zu. Er hatte ja keine Ahnung, wie sehr es mich erwischt hatte. Thomas hielt mir die Kamera entgegen und zeigte mir die Bilder, auf denen ich verträumt in die Ferne starrte. Wie ging das denn? Hatte ich nicht eigentlich zu Thomas geschaut? Nur eine simple Frage, hatte diese Reaktion hervorgerufen. Das musste ich aber schnellstens in den Griff bekommen.

„Die sind wirklich toll", stellte ich fest. „Ich wusste nicht, dass ich so gut aussehen kann."

„Wenn du willst, dann verschieb ich dir die auf einen Stick. Oder wir löschen sie jetzt gleich. Wie du willst." Abwartend sah er mich an.

„Ich hätte die sehr gerne."

„Gut. Ich bring die Maschine in die Garage und speichere deine Fotos. Dann lerne ich schwimmen. Melissa? Nimm Riley mit zum Pool, ja? Und du folgst, wenn sie was sagt, dass das gleich klar ist, Küken!"

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