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In Dawsons Vorstellung war es vielleicht machbar, noch liegen zu bleiben, aber das ausgefallene Training plagte mein Gewissen. Zu blöde, dass ich eines hatte, das mich nun wortwörtlich zu Boden rang. Auf dem hoffentlich einigermaßen sauberen Teppich quälte ich mich durch ein kurzes Frühsportprogramm mit Situps, Liegestützen, Ausfallschritten und Kniebeugen. Dann das ganze nochmal von vorne. Und einen dritten Durchgang. Das musste heute einfach mal reichen. Zu meiner Verteidigung konnte ich jedenfalls anbringen, dass ich dabei ins Schwitzen gekommen war. Dass daran die feuchtwarme Luft schuld war, musste ich nicht erwähnen, falls überhaupt jemals jemand danach fragte.
Unter der Dusche wusch ich meine Haare gleich zweimal, verwendete auch die Spülung, die ich vor kurzem für teures Geld erworben hatte. Doch als ich aus der Kabine trat, nahm ich noch immer einen Hauch von Chlor an meinen Haaren wahr. Dafür waren die Spitzen meiner Haare zumindest nicht mehr ganz so strohtrocken.
Meinen Körper hatte ich von Kopf bis Fuß enthaart. Goldstandard bei mir. Das sparte Wasserwiderstand. Leider hatte ich an Lotion nicht gedacht, als ich gepackt hatte. Daher wirkte meine trockene Haut leicht schuppig. Selbst jetzt im Sommer, wo ich viel häufiger in Naturgewässer trainierte, erholte sich meine Haut nicht vollständig vom Chlor.
Schließlich band ich meine Haare zu einem Pferdeschwanz, den ich durch das Loch meines Baseballcaps fädeln wollte. Im Spiegel stellte ich fest, die Knutschflecken waren mit dieser Frisur deutlicher zu sehen. Dawson störte sich ja aber offenbar nicht an angeleckter Schokolade. Der Vergleich zauberte mir ein Schmunzeln ins Gesicht.
In frischen Shorts, einem Top und dem durchsichtigen schwarzen Shirt, das Justin ausgesucht hatte, stand ich schließlich an der Straße und wartete auf Dawson, der kurz darauf vorfuhr. Er sprang aus seinem schwarzen Monster-Auto, kam zu mir und nahm mir den Rucksack ab. Dann öffnete er mir die Tür. Leise Country-Musik dudelte im Inneren aus dem Radio. Ultimate Fighting und Country waren eine verdammt seltsame Mischung.
„Hast du nicht was vergessen?", erkundigte er sich und grinste frech, als ich ihn verwirrt ansah. Hatte ich?
„Ein Kuss zur Begrüßung?", half er mir auf die Sprünge.
„Oh", gab ich von mir und starrte ihn verlegen an, dann stellte ich mich auf die Zehenspitzen und drückte meine Lippen zurückhaltend auf seine von Bartstoppeln raue Wange.
Er zog fragend eine Augenbraue hoch. „Das ist alles? Daran müssen wir dringend arbeiten, Riley! Aber jetzt steig erst mal ein. Wir können das später noch ausführlich üben."
Die Aussicht trieb mir mehr Farbe auf die Wangen als mein halbherziges Workout am Morgen.
„Dein Kaffee." Dawson griff nach einem To-go-Becher aus Edelstahl. „Da ich ein armer Student bin, kann ich dir heute nur selbstgemachten Filterkaffee anbieten", entschuldigte er sich.
„Armer Student, der seinen Wetteinsatz in den Sand gesetzt hat?", stichelte ich.
„Oder so, ja", murrte er und blickte in den Seitenspiegel, dann fädelte er sich in den laufenden Verkehr ein.
„In der Papiertüte an deinen Füßen sind Sandwiches mit Truthahn und Käse. Außerdem Tomate-Mozzarella mit Salat, falls du Hunger hast."
Zufall, dass er meine Lieblingssandwiches gemacht hatte?
„Welche willst du?", erkundigte ich mich. Kurz blickte er mich an, bevor er lächelnd wieder auf die Straße sah.
„Sind alle für dich. Ich hab schon gegessen", klärte er mich auf.
„Du kümmerst dich wirklich gut um mich", stellte ich fest und fischte blind das erste Brot aus der Tüte.
„Natürlich sorge ich für dich, wenn du mich lässt."
Kauend sah ich aus dem Fenster, überwältigt von der Erkenntnis, dass er für mich sorgen wollte. Das tat schon ziemlich lange niemand mehr. Eigentlich war ich mehr oder weniger auf mich allein gestellt, seit Grandma vor vier Jahren nach einem Streit mit meinen Eltern weggezogen war. Miles tat sein Bestes, kochte auch gelegentlich für mich und war während seiner Praktika auch als Ansprechpartner dagewesen. Aber wenn es nicht um Nudeln mit Meeresfrüchten ging, kümmerte eher ich mich um die alltäglichen Dinge, wie waschen, kochen, putzen, aufräumen oder einkaufen.
„Essbar?", erkundigte sich Dawson neben mir. „Oder hätte ich was anders machen sollen?"
„Superlecker", strahlte ich und nahm mir ein weiteres belegtes Brot. Dawson schenkte mir einen zufriedenen Blick.
Mit dem Wagen erreichten wir Nashville viel schneller, als mit dem Bus. Dawson parkte den Wagen allerdings nicht, wie erwartet, in der Nähe eines Einkaufcenters, sondern Downtown und kam dann um den Jeep herum zu mir. Gentlemanlike öffnete er mir meine Tür und durch die erhöhte Sitzposition blickte ich auf Augenhöhe in das funkelnde Grün taunasser irischer Wiesen in der Morgensonne. Ich hätte ewig in der Erinnerung an die grüne Insel schwelgen können, die die Farbe seiner Augen in mir wachrief. Ich sollte Grandma unbedingt anrufen. Das letzte Telefonat lag Wochen zurück. Die Zeitverschiebung, das Leben allgemein, machte es schwer, Kontakt zu halten.
„Hat dir schon mal jemand gesagt, wie schön deine Augen sind?", fragte mich Dawson und blickte zwischen meinen Augen hin und her. Ich zuckte mit den Schultern. Wirklich beeindruckend fand ich sie nicht. Sie hatten überhaupt keine richtige Farbe, nicht wie die von Dawson. Meine Augen waren einfach... bunt. Grau und hellblau wechselten sich strahlenförmig ab, dazwischen gab es grüne Streifen und wie zufällig waren hellbraune Sprenkel auf meiner Iris verteilt, als hätte jemand Zimt in meine Augen gestreut. Weil das Chaos noch nicht ausreichte, war die Iris mit einem dunkelblauen Ring eingefasst, der meine Augen leicht stechend wirken ließ. Besonders im Sommer, wenn ich braun wurde.
Irgendwas mussten meine Augen jedenfalls haben, denn auch Justin hatte sie gelobt. Vielleicht war das einfach etwas, das Jungs -in Dawsons Fall Männer?- sagten, um Mädchen zu schmeicheln.
„Ich hab dir gerade ein Kompliment gemacht. Es wäre angebracht, jetzt etwas zu sagen, Riley", drang Dawsons Stimme durch meine Gedanken an mein Ohr. „Wenn dir nichts dazu einfällt, dann darfst du mich zum Dank aber auch einfach küssen", informierte er mich.
„Mir war nicht klar, dass die Frage nach der Meinung anderer ein ernstzunehmendes Kompliment ist", gab ich frech zurück. Fassungslos sah er mich an, als ich mich an ihm vorbeischob.
„Und wohin jetzt?", erkundigte ich mich und sah mich um.
„An der nächsten Straße ist eines der besten Eiscafés weit und breit und ich glaube, ich schulde dir noch einen Mango-Maracuja-Becher", stellte er fest.
„Wieso das?"
„Ich war an der vermeintlichen Übelkeit nicht ganz unbeteiligt, oder?" Treuherzig sah er mich an.
„Vielleicht könnte da ein Zusammenhang bestehen", murmelte ich.
„Vielleicht könnte? Riley, wie wäre es damit: wir sind einfach ehrlich zueinander, wenn wir in Zukunft jedem sonst was vormachen?"
„Ich wollte nicht weiter zuschauen, wie du mit Hillary rummachst. Zufrieden?"
Zerknirscht sah er mich an. „Das war Scheiße von mir. Nach dem Gespräch mit dir bei der Party war ich total durch den Wind. Ich wollte dich auf Distanz halten. Aber es lief zwischen Hillary und mir außer ein paar Küssen nichts. Sie ist nett und sie sieht ganz hübsch aus." Er sah mich nervös an. „Sie ist aber nicht du. Ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll. Keine vor dir hat mich so fühlen lassen. Das hat mir eine Scheißangst gemacht. Das tut es jetzt noch."
„Auch Sam nicht?"
Bei dem Gedanken an die schwarzhaarige Schönheit mit all ihren üppigen Kurven wurde ich nervös. Sie war letzten Sommer plötzlich mit Dawson hier aufgetaucht und seither für mich der Inbegriff weiblicher Schönheit. Trotz des etwas verstörenden Tattoos. Der Drache, der etwa ein Drittel ihres Körpers umschlang, sah aus, als wolle er Sam bei lebendigem Leibe fressen.
„Auch Sam nicht", Dawson nachdrücklich. „Nicht früher und auch jetzt nicht."
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