17

Ein wenig ratlos sah Dawson mich an. Fuhr durch seine Haare. „Riley, du weißt doch..." Er brach ab. Seufzte. „Eigentlich sollte ich nicht..."

„Wir können die Tür offenlassen, dann sieht Miles, dass alles mit rechten Dingen zu geht?", schlug ich zaghaft vor. Dawson lachte unfroh.

„Ich halte ein sechzehnjähriges Mädchen im Arm. Wenn es nach dem Blick der Polizistin heute geht, dann müsste ich dafür bereits in der Hölle schmoren! Über Nacht hier zu bleiben, sprengt jeden, absolut jeden Rahmen!"

„Also nein?", fasste ich mutlos zusammen.

Er verzog einen Mundwinkel. „Dieses eine Mal, Riley. Danach nie wieder."

„Danke", wisperte ich leise und wand mich aus seinem Arm, um aus dem Bettkasten unter meinem Bett eine zweite Decke und ein Kissen zu holen, das normalerweise Stacey benutzte, wenn sie bei mir schlief.

„Und jetzt Licht aus, Augen zu!", befahl Dawson und zog die Decke über sich, obwohl er noch Jeans und Shirt trug. Das entlockte mir ein Lachen.

„Das ist jetzt aber kindisch von dir!", frotzelte ich und fing einen bösen Blick aus funkelnd grünen Augen auf.

„Nicht kindisch, nur vorsichtig!", korrigierte er. „Und jetzt gib Ruhe, du kleine Nervensäge!"

Lange lag ich wach, lauschte auf Dawsons ruhige Atemzüge. Wir waren nicht verliebt, nicht einmal Freunde. Er hielt beinahe übertrieben penibel seit zwei Jahren Abstand zu mir. Trotzdem war er auf das Bitten meines Bruders hierhergekommen. Was auch immer Miles angetrieben hatte, ausgerechnet Dawson anzurufen, seine Rechnung war aufgegangen.

So sehr ich mich gefürchtet hatte, allein zu sein, so sehr plagte mich nun mein Gewissen. Dawson schlief hier, obwohl er Distanz wahren wollte und Justin, den ich um Beistand hätte bitten sollen, lag alleine in seinem Bett. Oder auch nicht, was wusste ich schon, was er tat! Über den jüngsten Vorfall am See, war es zu keiner Aussprache gekommen. Woran ich bei ihm war, wusste ich nicht. Er hatte sich auch nicht bei mir gemeldet. Ich mich auch nicht bei ihm. Das verhieß nichts Gutes. Schweren Herzens musste ich mir eingestehen, dass es möglicherweise bei diesem einen, wenn auch schönen, Date bleiben würde.

„Riley, du sollst doch schlafen!", murmelte Dawson schlaftrunken und hob den Kopf. Süß sah er aus. Verstrubbelt und ein bisschen verträumt. Seine heisere Stimme kribbelte wie Ameisen in meinem Bauch.

„Wenn das so einfach wäre!", motzte ich.

„Es wäre ein Anfang, wenn du die Augen zumachen würdest und aufhörst, an die Decke zu starren!"

Ich verdrehte die Augen, gab ihm aber insgeheim Recht. Also legte ich mich auf die Seite und schloss meine Lider. So unglaublich es war, schlief ich danach ziemlich übergangslos ein.

Als ich im Morgengrauen wieder aufwachte, lag Dawson noch in tiefem Dornröschenschlaf. Er sah viel jünger aus, wenn er schlief. Ein leichter Bartschatten hatte sich auf seinen Wangen gebildet und seine Wimpern lagen lang und dunkel auf seinen markanten Wangenknochen. Leise schlüpfte ich aus dem Bett, schloss das Fenster und die Vorhänge gegen die Morgensonne, die spätestens in einer Stunde hereinscheinen würde und Sommerhitze mit sich bringen würde. Schon jetzt war die Luft feucht und stickig. Ich klemmte mir Kleidung unter den Arm und schlich aus der Tür, die ich leise hinter mir schloss.

Vor zwei Jahren hätte ich für die Gelegenheit in einem Bett mit Dawson zu schlafen, alles Erdenkliche getan. Jetzt fühlte es sich nicht wie ein Triumph an. Zweifel beschlichen mich. Sicher wäre es besser gewesen, ihn gehen zu lassen. Im Bad wusch ich mich, starrte auf mein verquollenes Gesicht, stellte fest, dass es nichts gab, was ich dagegen tun konnte und ging runter in die Küche. Das spärliche Abendessen war lange her und ich hatte ein verdammt großes Loch im Magen, dass laut nach Truthahnsandwich schrie. In der Küche fiel dann noch eine Schale Müsli in dieses Loch, gefolgt von einem Himbeerjoghurt.

Gerade als ich den Orangensaft aus der Tüte schlürfen wollte, hörte ich ein leises Räuspern. Dawson stand an der Küchentür, die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Kleidung sah zerknautscht aus. Nein, der ganze Dawson sah knittrig aus.

„Ich bin dann weg. Mach's gut, Riley", sagte er und verschwand bevor ich reagieren konnte.

„Okay, bis dann", sagte ich leise zu dem leeren Türrahmen, den er hinterließ. Dann trank ich meinen Orangensaft.

Miles kam kurz darauf in die Küche. „Riley, ich werde verrückt!", rief er und wirbelte mich einmal in Kreis.

„Ganz offensichtlich", knurrte ich. „Was soll der Mist?"

„Du bist in den Regionalnachrichten, Schwesterherz!"

„Hä?"

Er fuchtelte mit seinem Mobiltelefon vor meiner Nase herum. „Du. Nachrichten. Heldin der Stadt!"

Dann startete er die News-Seite. Ein dunkelhaariger Nachrichtensprecher erschien und berichtete mit monotoner Stimme von dem „tragischen Ausgang eines Ausflugs zum Badesee". Dann erfolgte eine Einblendung mit meinem Foto im Hintergrund, wie ich Melissa an die Notärztin übergab.

„Nur dem schnellen und mutigen Eingreifen der Sechzehnjährigen Riley T. ist es zu verdanken, dass nicht auch noch die erst siebenjährige Melissa Bowbridge zu Schaden kam. Sie wurde mit einer leichten Unterkühlung ins Krankenhaus gebracht, konnte aber am Abend bereits wieder aus dem Hospital entlassen werden. Zu einem persönlichen Statement vor der Kamera war der Vater noch nicht bereit, ließ aber verlauten, dass seine tiefe Dankbarkeit den beiden Rettungskräften gilt, die Melissa vor dem Ertrinken bewahrt haben", fuhr der Nachrichtensprecher fort. „Die genaue Todesursache der Mutter soll in einer Obduktion geklärt werden. Offenbar hatte die siebenunddreißigjährige Büroangestellte ein schweres Herzleiden, das als Ursache für ihr Ertrinken nicht ausgeschlossen werden kann."

Verblüfft sah ich Miles an. „Ein Herzleiden? Warum zum Geier schwimmt sie mit ihrer Tochter alleine mitten im See herum, wenn sie ein Herzleiden hat?", schimpfte Miles.

„Keine Ahnung? Vielleicht müssen wir klarstellen, dass wir nicht nur rumsitzen und blöd schauen, sondern man mit uns in Kontakt treten kann. Diesen Mr. Fielding begleitet auch immer einer von uns über den See", sinnierte ich.

„Wer ist Mr. Fielding?"

Stimmt. Von dem hatte ich noch gar nichts erzählt. Dabei war er ein äußerst beeindruckender Mann. Dürr wie eine Zaunlatte, aber zäh wie Leder und mit einem Humor gesegnet, der unter den Rettungsschwimmern legendär war. Ich war ihm bisher nur einmal direkt begegnet. Die Ehre mit ihm zu schwimmen, hatte ich noch nicht gehabt.

„Du bist so eklig!", schimpfte ich, bevor ich antwortete. „Kannst du bitte aufhören, dein Buttermesser in den Honig zu tauchen? Später hab ich dann Butter im Tee!"

„Rum im Tee wäre dir wohl lieber, was?", frotzelte mein Bruder frech. „Also, sag schon. Wer ist dieser mysteriöse Fielding?"

„Einer von den ganz Harten. Der ist beinahe achtzig und schwimmt mindestens zweimal die Woche über den See und zurück. Und einmal in der Woche läuft er mit Berta den Trimm-Dich-Pfad entlang und einen Teil der Übungen macht er auch noch mit ihr."

„Kraff", schmatzte Miles. „Waf hat der früher gemacht, daf der fo fit if?"

„Nix genaues weiß man nicht. Er redet nicht drüber. John meinte er wäre bei den Marines gewesen. Oder bei der Fremdenlegion oder sowas."

„Verrückt!"

„Ja, wirklich. Wenn er mit dem Fahrrad kommt, dann fährt er so langsam, dass ich mich frage, wie er es schafft, nicht dabei umzukippen. Bis er umgezogen ist, dauert bestimmt zwanzig Minuten. Aber im Wasser ist er wie ein Fisch, Miles. Das ist total irre."

„Wie du, Riley. Du konntest auch schwimmen, bevor du richtig laufen konntest", nuschelte Miles. „Zumindest behauptet Dad das."

„Der behauptet viel, wenn der Tag lang ist", schnaubte ich abfällig. Auf Mum und Dad war ich noch immer nicht gut zu sprechen. „Und die Hälfte seiner Thesen wird in der Fachwelt ruckzuck widerlegt!"

„Sei nicht ungerecht. So ist das eben in der Naturwissenschaft."

„Klar. Aber mal was Anderes. Wie bist du auf die Idee gekommen, ausgerechnet Dawson um Hilfe zu bitten?"

„Wenn hätte ich sonst bitten sollen?"

„Justin? Stacey? Lionel?", schlug ich vor. „Jeden, aber nicht Dawson!"

„Justin kennst du doch noch gar nicht so lange!", verteidigte Miles sich. „Und Stacey hätte nur rumgeschimpft und am Ende neben dir gesessen und mitgeheult. Naja, und Lionel hätte dir einen Joint gedreht und gesagt, du sollst mal bisschen chillen. Dawson... erschien mir irgendwie vernünftig. Erwachsen. Er steht mit beiden Beinen im Leben. Außer dem sieht er besser aus als Lionel."

„Nicht dein Ernst jetzt, oder?"

„Nö. Aber hey, glaubst du wirklich Lio hätte sich um dich bemüht und bei dir übernachtet?"

„Hat Dawson auch nicht", behauptete ich.

„Riley, verarsch mich nicht. Ich habe Augen im Kopf. Zwei Kissen. Zwei Decken." Er wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. Langsam dämmerte mir, was Dawson gemeint hatte. Offenbar ging jeder davon aus, dass zwischen einem Jungen und einem Mädchen was laufen musste, sobald sie sich nicht an die Kehle gingen.

„Miles. Hör mir genau zu. Ich wiederhole es nur einmal. Und es ist mir verdammt wichtig. Dawson hat nie hier geschlafen, okay? Bitte!"

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