»𝟾«
Die Stimmung an unserem Tisch ist ausgelassen. Im Inneren des Pubs gibt es keine Fenster, weshalb wir nur erahnen können, dass es draußen noch hell ist. Aber, weil es nach der Veranstaltung plötzlich wie aus Kannen gegossen hat, ist es um den Sommerabend ohnehin nicht schade. So haben wir uns gleich nachdem die Jungs wie drei Orgelpfeifen auf dem Podium mit lächelnden Gesichtern geblitzt wurden, auf den Weg in die Innenstadt gemacht.
Lucas hat davor für alle bereits eine erste Runde geholt, doch ich sitze schon jetzt vor einem leeren Glas. Für gewöhnlich bin ich ja nicht so die Loch-Säuferin, aber ich habe den Stuhl neben Jelena. Mehr brauche ich dazu wohl nicht sagen.
Marlene sitzt mit Sam am anderen Ende des Tisches. Weil Alexander gleich links neben mir Platz genommen hat, sehe ich sie nicht einmal. Ist mir auch lieber so.
»Mann, ich glaub, ich hab mir noch eine Runde verdient«, meint Alexander grinsend. »Soll ich dir auch noch was von der Bar mitbringen?«, meint er an mich gewandt.
»Nein, passt schon, ich hol die nächste Runde«, entgegne ich.
»Kannst du eigentlich noch perfekter werden?«, fragt Alexander und schmunzelt mir entgegen.
Es ist klar, dass es ein Scherz ist, aber ich muss schon sagen, dass sich mein inneres Ego insgeheim darüber freut.
Ich erwidere sein Schmunzeln und frage in die Runde, wer noch ein Getränk will. Um es einfach zu halten bleiben alle, die schon ausgetrunken haben, bei einem Bier — außer Jelena. Die will mal wieder eine Extrawurst. Glaubt sie wirklich, dass das Nippen an einem Cosmopolitan ihre nervtötende Stimme kompensieren kann?
Ich stehe auf und quetsche mich an den vielen Leuten vorbei zum Tresen. Bei schlechtem Wetter, verbringen normale Studenten ihre Zeit am Wochenende wohl in einem Pub.
»Fünf Bier und einen Cosmopolitan«, schreie ich über die lauten Stimmen hinweg und unterstütze das Gesagte etwas unbeholfen mit Handzeichen.
Unerwartet schnell stehen die georderten Getränke unter einem kleinen Tablett vor mir auf dem Tresen.
»Das macht dann siebenundzwanzig fünfzig«, verkündet der Kellner.
»Mit Handy bitte!«, rufe ich und halte ihm mein Mobiltelefon entgegen, doch der Barist schüttelt den Kopf. »Wir nehmen nur Bargeld.« Peinlich berührt erkläre ich ihm, dass ich meine Geldtasche am Tisch habe. »Kann ich die Getränke in der Zwischenzeit trotzdem mitnehmen?«, frage ich. Mit leeren Händen zum Tisch zu kommen, wäre mir irgendwie noch unangenehmer.
Plötzlich lacht eine grelle Stimme spöttisch neben mir auf. Ich brauche gar nicht aufzusehen, um zu wissen, dass es Jelena ist. »Du denkst wirklich, das die dir die Drinks geben, ohne dass du sie im Voraus bezahlst?«, schnappt sie bevor der Barist was sagen kann.
Die soll mal still sein. Immerhin bezahle ich ihren sündhaft teueren Cosmopolitan.
»Bei denen davor haben die das auch gemacht«, entgegne ich und ich hasse es, dass ich mich dabei so verdammt unsicher anhöre.
Jelena formt ihren Mund zu einer Schnute. »Ich glaub, du hast da was falsch verstanden. Die anderen sind ja auch vertrauenswürdig. Und du...du weißt doch selbst, dass deine wahren Eltern bitterarm sind und aus dem Ghetto kommen. Sei froh, dass dich Noah in seinem Haus überhaupt duldet.«
Augenblicklich verstehe ich, worum es ihr geht.
»Aber ich wohne...«, will ich beginnen, doch Jelena schneidet mir das Wort ab.
»Kannst du dich noch daran erinnern, als du mir den Drink ins Gesicht geschüttet hast?«, erwähnt sie plötzlich völlig zusammenhangslos. »Von da an wusste ich, dass du nicht nur so aussiehst wie ein Schokoladengesicht, du bist es tief hier drinnen«, zischt sie und piekst mir mit ihren künstlichen Fingernägeln in meinen Ausschnitt, dass es schmerzt.
»Warte, wie hast du meine beste Freundin grad genannt?«, ertönt plötzlich die Stimme von Marlene in einem aggressiven Tonfall.
»Ich hab gesagt, dass sie ein Schokoladengesicht ist. Und ihre echten Eltern bettelarm sind, sie hat also nicht wirklich das Recht...« Aber weiter kommt Jelena nicht, denn da hat ihr Marlene bereits die fetteste Ohrfeige geklatscht, die ich je irgendwo gesehen habe.
Völlig entsetzt starrt ihr Jelena im nächsten Augenblick entgegen. Ihre Augen sind geweitet und ihr Mund weit aufgerissen.
»Ups«, grinst Marlene zufrieden, »das muss wohl der schlechte Einfluss meiner besten Freundin sein.« Sie zuckt theatralisch mit den Schultern.
Dann wendet sie sich zu mir. »Jetzt nimm dir schon die Drinks und zahl sie dann gleich später!«
Nachdem ich mein Geld geholt und die Drinks bezahlt habe, setze ich mich natürlich gleich neben Marlene. Den Platz neben Jelena besetzt stattdessen Sam. Der hat sich jedoch ganz Alexander zugewandt und schenkt der blöden Kuh neben ihm keine Beachtung. Mann, am liebsten hätte ich ihr den Cosmopolitan, an dem sie jetzt etepetetemäßig nippt, wieder direkt in ihre provokante Visage gekippt. Aber das kümmert mich jetzt nur noch halb so viel. Ich hab Marlene wieder und da ist alles andere in diesem Moment unwichtig.
»Mann, du musst mir alles über Sam erzählen«, flüstere ich Marlene grinsend zu und sie kichert daraufhin verstohlen.
»Nein!«, kreische ich auf. »Ihr seid...«
»Ja, wir sind so gut wie zusammen«, entgegnet sie.
»Mann, du hast so ein Glück mit ihm«, beteuere ich ihr, »endlich mal ein Kerl, der weiß, was er will.«
»Da kenne ich noch jemanden...«, grinst Marlene.
Verwirrt blicke ich ihr entgegen. »Hä, was meinst du?«
»Leia, bemerkst du nicht, wie Lucas dich die ganze Zeit ansieht? Der steht hundertprozentig auf dich.« Sie grinst verschwörerisch.
»Ach bitte«, winke ich ab, »der ist angehender Chirurg und sieht sich nur nach zukünftiger Kundschaft um.« Ich deute auf den Speck um meine Hüften.
»Dir hat doch jemand ins Hirn geschissen, Mädel!«, schnaubt Marlene, »Neunzig Prozent von den Frauen hier würde für deine Kurven und deine langen Beine einen Mord begehen — mich eingeschlossen. Weißt du, du bist meine beste Freundin, aber manchmal, da bist du einfach nur — wie sag ich's jetzt am besten?«, sie verzieht das Gesicht, »— verdammt blauäugig und naiv!« Ich weiß, dass Marlene stets von meinen körperlichen Vorzügen schwärmt, aber ich hätte gern einfach nur eine normale Figur wie sie. Bei ihr ist alles flach und nicht so peinlich kurvig.
Nach ein paar weiteren Drinks schwindet das Bedürfnis, über meine eigene Figur abzulästern jedoch völlig. Stattdessen lasse ich meinen Phantasien über die Rache an Jelena freien Lauf.
»Was starrst du Jelena denn die ganze Zeit denn so an?«, fragt Marlene irritiert, als ich ungefähr zum zehnten Mal zu ihr rüber gelugt habe.
»Mann, isch hasse sie! Findest du nich, wir sollten es ihr mal so richtig heimzahlen?« Zum Glück ist die Musik und das Gerede im Pub so laut, dass nur Marlene und ich uns verstehen können.
»Ich hab ihr doch schon eine ins Gesicht gehaut. Meinst du nicht, das reicht für heute?«
»Aber das war doch nur die Rache für ihre beschissenen Worte.« Ich senke meine Stimme. »Isch hab mich nie dafür gerächt, dass sie mich damals vor allen Leuten in den Pool geschubst hat.«
»Und was würdest du denn machen?«, hakt sie skeptisch nach.
»Has du nich noch dieses Abführmittel für deine Oma in der Handtasche...?«
Als das Stichwort Abführmittel fällt, wird Marlenes Blick kritisch.
Sie musste es gerade vorhin vor Ladenschluss noch in der Apotheke holen.
»Mann, Leia, du bist doch verrückt!«, versucht sie mir klar zu machen. Dann lacht sie kurz auf. »Und betrunken.«
»Na und, dann bin isch eben verrücht und überhaupt — wenn ich betrunken bin, da kann ich besser denken.« Ich deute auf meinen Kopf, um ihr etwas unbeholfen zu demonstrieren, dass der Alkohol Superkräfte in mein Hirn pumpt.
Marlene blickt mir mit einem scharfen Blick entgegen. »Nein!« Sie schüttelt entschieden den Kopf.
»Bitte!«, flehe ich und schiebe schmollend die Unterlippe nach vorne. »Das wär doch genial. Wir würden nich riskiern, dass sie sich weh tut, aber wir würden sie ordentlich blamieren.«
Marlenes Ausdruck wandelt sich wieder. »Na gut, dein betrunkenes Hirn ist echt potenter als ich dachte. Du hast mich überzeugt«, gibt sie sich schließlich grinsend geschlagen.
»Ernsthaft jetzt? Du bis dabei?«, rufe ich begeistert aus und meine Augen werden groß. »Jelena wird sich also wirklich noch härter blamieren als isch.«
»Dafür werden wir sorgen«, zischt Marlene schließlich verschwörerisch.
Und genau das liebe ich an Marlene, sie ist in den richtigen Momenten immer etwas verrückter als gesellschaftlich anerkannt.
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Na, wie fandet ihr Marlenes Aktion? Und denkt ihr, der Plan der beiden wird aufgehen? Wir sehen uns dann im nächsten Kapitel wieder.
Eure Anna Vanilla ♡
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