»𝟺«
»Aber ich hab mich da unten so blamiert, Marls«, jammere ich, als mich meine beste Freundin doch noch zu der Party überreden will.
»Und was, wenn ich dir ein Umstyling verpasse? Da erkennt dich doch keiner mehr.«
Ich lache auf und entgegne dann ironisch: »Oooh, du meinst wirklich, die erkennen mich nicht mehr?!« Ich deute auf meine mokkafarbene Haut.
»Okay, ja«, gibt Marlene nur ungern zu, »das hab ich nicht bedacht.«
»Eben Marls, und ich kann den Leuten nach dieser Szene jetzt wirklich nicht mehr in die Augen blicken.«
»Gut, dann überspielst du die Erinnerungen der ganzen Leute da unten einfach mit neuen, besseren Erinnerungen von dir.« Auf ihrem Mund erscheint ein aufheiterndes Grinsen.
»Also«, entgegne ich und versuche ihre Idee nicht ganz runter zu machen, »das klingt theoretisch ja ganz nett, nur haben in der Realität die meisten Menschen eben ein Arschloch-Gehirn, das sich am liebsten nur an die peinlichsten Tiefpunkte einer Person erinnert.«
»Alter, wann bist du nur zu so einer gewaltigen Optimistin geworden?«, raunt Marlene, aber nach ein paar Momenten ändert sich ihr Gesichtsausdruck wieder. »Und was, wenn wir ihnen was in die Drinks mischen? Dann können die sich am nächsten Morgen garantiert an nichts mehr erinnern und du kannst mal checken, was bei ihnen zieht.« Marlene grinst teuflisch.
»Grundgütiger, nein!«, winke ich entschieden ab. Sie ist manchmal echt diesen einen Ticken zu verrückt. Aber in diesem Moment wird mir auch bewusst, wie sehr sie es sich wünscht, auf diese Party zu gehen.
»Oder wir verkleiden uns, was hältst du davon? Oder wir entführen Noah.« Ihre Augen leuchten.
»Ist schon okay, ich geh mit dir auf diese dumme Party«, gebe ich mich geschlagen.
»Du verarscht mich! Das meinst du jetzt doch nicht ernst, oder?«, kommt es verwirrt von Marlene, die mit aller Kraft versucht, ihre Vorfreude zu unterdrücken.
»Ja, doch!« Ich lache. »Ja, natürlich, du brauchst mir keine Vorschläge mehr zu machen. Wir gehen da jetzt einfach runter und basta.«
»Oh mein Gott, ich liebe dich!« Sie umarmt mich ganz fest und tapst dann auf Zehenspitzen ganz aufgeregt in das Bad, das direkt an mein Zimmer angeschlossen ist.
Auch ich rapple mich auf, um mich fertig zu machen. Etwas frustriert kämpfe ich mich durch meinen begehbaren Kleiderschrank. Dieser transformiert sich in diesen Momenten nämlich immer in eine Altkleidersammlung. Nichts scheint auch nur im Entferntesten zu passen.
Als Marlene herausgeputzt aus dem Badezimmer kommt, bewundere ich wieder einmal, wie perfekt sie aussieht. Die blonden Haare ihres gelockten Bobs glänzen wie in in einer Shampoo-Werbung. Ihre Augen hat sie sich etwas dunkler als sonst geschminkt und sie trägt einen engen dunkelbraunen Minirock, in den sie ihre weiße Bluse gesteckt hat. Wie schafft sie es nur immer, so sexy und dabei nicht einmal nuttig auszusehen?
»Wow«, kommt es staunend aus meinem Mund.
Als ich im nächsten Moment an mir heruntersehe, bemerkt sie jedoch meine Verbitterung. Anstatt mir moralisch bei zu stehen, prustet sie los. »Nichts für ungut, aber willst du damit auf die Klosterschule?«
»Hey!«, rege ich mich auf. »Das ist mein schönster Rock.«
»Leia, ich weiß schon, lange Röcke liegen wieder voll im Trend, aber den Boden müssen sie nun wirklich nicht wischen.«
»Na gut, dann sag du mir doch einfach, was ich anziehen soll!« Niedergeschlagen lasse ich mich auf mein Bett nieder.
Marlenes Augen leuchten auf. »Jeiii«, jubelt sie und verschwindet mit einem freudigen Sprung in meinem Kleiderschrank.
Fünf Minuten später hat sie eine kurze Jeansshorts und ein bauchfreies Top ans Licht gezaubert. Ich schüttle entschieden den Kopf. »Das ist mir eindeutig zu wenig Stoff!«, beteuere ich und frage mich gleichzeitig, wie sich diese Teile in meinen Kleiderschrank verirrt haben. Bestimmt war es wieder einmal meine Mutter, die stets der Meinung ist, ich solle mal ein bisschen mehr aus mir raus kommen.
»Ach bitte, probier's doch wenigstens an«, bettelt sie und schiebt schmollend die Unterlippe nach vorne, »tu's für mich.«
»Na gut«, gebe ich mit einem Seufzer nach.
Als ich mich wenig später vor dem Ganzkörperspiegel in meinem Zimmer betrachte, staune ich nicht schlecht. Die High Waisted Jeans ist nur dezent zu kurz — immerhin bedeckt sie meinen Arsch und etwas Bauchspeck — und in der Kombination zeigt das simple Bauchfreie Top lediglich ein schmales Stück Haut. »Ja, du hättest mich beinahe überzeugt, aber da gäbe es nur ein Problem.«
»Und das wäre?«, hakt Marlene mit aufgerissenen Augen nach.
»Mein Bauchfett muss noch etwas kaschiert werden«, bemerke ich mit einem kritischen Blick auf die Mitte meines Körpers.
»Du bist doch verrückt!«, meint Marlene Kopfschüttelnd. »Das ist doch ganz normal.«
»Gut, dann zeig doch mal dein ‚Bauchfett'«, protestiere ich und male mit meinen Fingern unsichtbare Gänsefüßchen in die Luft.
Mit einem Seufzer hebt sie ihre Bluse an und zeigt ihren perfekten Waschbrettbauch.
»Ha, da siehst du's!«
»Aber ich hab dafür nicht so eine wunderbare Taille, so einen knackigen Arsch und perfekte Brüste«, widerspricht Marlene. Kurz nachdem sie das sagt leuchten ihre Augen auf. »Ich habe die Lösung«, offenbart sie mir, »wir tauschen einfach Oberteil, wenn du dich dann wohler fühlst.«
Gesagt, getan. Auch ich stecke mir Marlenes Bluse in die Hose und endlich habe ich das Gefühl, mich so vor den anderen präsentieren zu können.
»Aber nur, dass du's weißt, du hättest ruhig das bauchfreie Top tragen können«, raunt mir Marlene noch zu, als wir die Treppen runterlaufen und die Musik immer lauter wird.
Die Sonne draußen ist bereits völlig verschwunden und der ganze Garten und der Pool sind bunt beleuchtet. Die Luft ist lau und ein warmer Wind streift um meine nackten Beine.
»Komm, wir holen uns was zu Trinken«, ruft Marlene über den spanischen Remix hinweg und zieht mich mit sich. Woher sie weiß, wo es Getränke gibt ist mir rätselhaft.
Schließlich stehen wir an einem Tisch, wo bereits abgemischte Cocktails in großen Plastikbehältern stehen.
Marlene schüttet uns beiden eine blaue Flüssigkeit in den Becher.
Wir stoßen grinsend an.
»Iiiih, was ist denn da drin?«, würgt Marlene als sie den ersten Schluck davon genommen hat.
»Blaues Kokain«, sagt irgend so ein Typ, der hinter Marlene steht.
Diese dreht sich erschrocken um.
»Was?!«, kreischen wir im Chor.
Der Typ mit weißem Basecap und grauem Shirt lacht auf. »Ganz ruhig Ladys, ist irgend so 'n billiger Schnaps.«
Marlene und ich fassen uns erleichtert an die Brust.
»Ich bin übrigens Sam.« Er streckt Marlene die Hand hin, die ihn dabei eindringlich mit ihren Augen mustert.
»Marlene«, entgegnet sie mit einem breiten Lächeln.
Auch ich stelle mich ihm vor, fühle mich bei den beiden aber plötzlich etwas wie das dritte Rad am Roller.
Während die beiden in ein Gespräch vertieft sind, schütte ich mir noch etwas von einem hellen orangen Getränk nach und die Flüssigkeit färbt sich braun. Mist! Hätte ich es nur bei diesem kriminellen blau belassen. Aber als ich koste, stellt sich heraus, dass es nicht einmal halb so eklig ist, wie es aussieht. Die Leute verschwimmen mit jedem Schluck mehr und mehr vor meinen Augen. Aus einem Becher werden zwei und nach einer halben Stunde habe ich den dritten geleert und stelle ihn etwas unbeholfen auf dem Tisch mit den Getränken ab.
Ich werfe noch einen Blick auf Marlene und Sam. Die sind noch immer unheimlich vertieft in ihr Gespräch und berühren sich immer wieder wie durch Zufall.
Ich überlege schon, einfach völlig berauscht und schwindelig wieder in mein Zimmer hochzugehen, da grüßt mich auf einmal eine mir vertraute Stimme. »Hey, Leia.« Lucas steht plötzlich vor mir und schließt mich ohne Vorwarnung in eine Umarmung.
»Hey«, entgegne ich etwas überrumpelt, schließe aber ebenfalls die Arme um ihn. Dabei muss ich feststellen, wie gut sich sein muskulöser Oberkörper anfühlt. Am liebsten hätte ich ihn noch etwas länger gehalten, aber er löst sich im nächsten Augenblick aus der Umarmung.
»Du hast doch noch gar kein Getränk«, bemerkt er mit einem Blick auf meine Hände.
Ich lache auf. »Ach, weißt du, ich hab heute nicht so einen Durst«, winke ich ab und versuche dabei nicht all zu unnatürliche Bewegungen zu machen. Am Schluss erzählt er es noch Noah. Er war früher manchmal so 'ne fiese Petze.
»Komm mal mit, wir holen dir ein Bier.«
Ich nicke lachend. Sag mal, bist du eigentlich bescheuert?, frage ich mich selbst, als Lucas mich schon mit sich zieht.
Kurz sehe ich mich noch nach Marlene um, doch meine liebste Freundin bemerkt gar nicht, dass ich mich von ihr entferne. Ist sie nicht ein Schatz?
Lucas' Hand ist warm und verursacht ein angenehmes Kribbeln in meinem Bauch. Kurz überlege ich noch, wie ich mich der Situation unauffällig entziehen könnte, bevor es peinlich wird, aber da ist es schon zu spät. Mein pubertärer Hormonspiegel ist bereits exponentiell nach oben geschossen und lechtzt verzweifelt nach mehr männlicher Aufmerksamkeit.
Als wir in der Küche angekommen sind, drückt er mir eine Flasche Bier in die Hand, stellt mich ein paar Mitstudenten von ihm und Noah vor und stoßt mit mir an.
»Ach, unser Luca«, meint ein Kerl namens ich-hab-seinen-Namen-schon-nach-einer-Sekunde-wieder-vergessen und legt einen Arm um seine Schulter, »er sollte mal weniger Trinken und an seine Prüfungen denken.«
Lucas grinst. »Alter, Alex, ich hab Chirurgische Basiskompetenzen jetzt bestanden«, entgegnet dieser verteidigend.
»Beim wievielten Anlauf nochmal?«, hakt sein-Name-ist-offensichtlich-Alex provozierend nach.
»Und deine Chemieprüfung?«, bemerkt Lucas gelassen. »Wie viele Versuche waren das gleich noch?«
»Weißt du, Leia«, raunt mir Alex verschwörerisch zu, »immer, wenn er eine Prüfung verkackt, da fängt er wieder an, von meiner Chemieprüfung zu reden.«
Ich lächle einfach, weil ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll. Wenigstens sind meine peinlichen Auftritte von heute quasi nicht existent. Entweder, weil sie ignoriert werden oder weil die Kerle mich jetzt, wo ich in einigermaßen vorzeigbaren Klamotten stecke, tatsächlich nicht mehr erkennen.
»Aber jetzt mal zu dir, Leia«, meint Alex, »was studierst du?«
»Ich ääh...«, stammle ich, »...bin erst noch in der Selbstfindungsphase.« Ich könnte mich im selben Moment dafür ohrfeigen. Das klingt doch noch erbärmlicher, als zuzugeben, dass ich erst mit dem Abi durch bin und mich einfach noch nicht für einen Studiengang entscheiden konnte.
Alex lacht. »Ach, so ist das.«
»Aber sie hatte einen Durchschnitt von 1,1 im Abi«, beteuert Lucas.
»Oha, oha!«, staunt Alex und auch der Rest der Gruppe macht große Augen.
»Ach, das war doch nur Glück«, winke ich mit einer mildernden Geste ab.
Lucas wendet sich aber an die anderen und schüttelt wissend den Kopf. »Sie ist nur viel zu bescheiden.«
»Du hast nicht zufällig Lust, mir euer Haus auch mal von oben zu zeigen?«, meint Alex dann und kommt mir etwas näher. Er ist beinahe so groß wie Noah und hat braune Locken.
Als Lucas bemerkt, dass ich etwas von ihm wegrücke, meldet er sich für mich zu Wort: »Sorry Alter, Leia hat mir gerade vorhin schon versprochen, mir was anderes zu zeigen.«
Zugegeben ist seine Ausrede ziemlich mies und unangenehm zweideutig, aber es reicht, dass wir hier verschwinden können.
»Hey, bist du nicht die, die davor im pinken Pyjama baden war?«, höre ich, wie mir noch eine betrunkene Stimme hinterherruft, ehe wir uns durch die Menschenmenge kämpfen und in der Masse verschwinden. Puh, noch einmal Glück gehabt!
»Und was soll ich dir denn zeigen?«, frage ich als wir im etwas ruhigeren Stiegenhaus angekommen sind und muss gleichzeitig losprusten.
Lucas grinst. »Kannst du nicht einfach happy sein, dass ich dich gerettet hab?«
Ich erwidere sein Schmunzeln. »Danke, du Held.«
Kurz sehen wir uns einfach nur in die Augen und ich fühle, wie sich in meinem Unterleib plötzlich eine kribbelnde Wärme ausbreitet.
»Ich muss dir tatsächlich was zeigen«, zerstöre ich den aufgeladenen Moment zwischen uns und muss mich am Treppengeländer festhalten, um nicht umzukippen. Ich lache.
»Ich bin gespannt«, entgegnet Lucas.
Diesmal ziehe ich ihn mit — auch, wenn mich Lucas auf unserem Weg nach oben zweimal auf den Treppen auffangen muss. Das zweite Mal muss ich ehrlich zugeben, dass ich aus Absicht umgekippt bin; einfach, weil sich das erste Mal so gut angefühlt hat.
Schließlich sind wir auf unserer leeren Dachterrasse angekommen. Hier vernehme ich für einen Augenblick bloß das Atmen der entfernten Stadt. Die Musik aus dem Garten unten scheint in diesem Moment um einiges ferner.
Ich nehme einen Schluck von meinem Bier und laufe planlos über den Fliesenboden. Dann beuge ich mich über das gläserne Geländer und blicke über Berlin, über das Sternenmeer, in das wir Menschen die Erde verwandelt haben.
Lucas holt mich ein und stützt die Arme neben mir am Geländer ab.
»Manchmal...«, beginne ich dann ganz plötzlich, »Manchmal, wenn ich so über Berlin hinwegseh' und dann...dann zum Sternenhimmel schaue, weißt du, dann wird mir immer bewusst, dass wir bloß winzig kleine Wesen in einem unendlich weiten Universum sind.« Ich führe den Flaschenhals meines Biers wieder zu meinem Mund und blicke dem besten Freund von Noah mit einem angeheiterten Grinsen und glasigem Blick entgegen. Der Alkohol lässt den kleinen crazy Philosophen in mir immer etwas zu heftig durchschimmern.
Lucas blickt mir mit einem Lächeln in die Augen. »Du bist betrunken, hab ich recht?« Das sagt er ganz so, als hätte er es gerade eben erst bemerkt.
Ich stoße ein leises Lächeln aus.
»Willst du das Universum sehen?«, frage ich ihn dann wie aus dem Nichts heraus und schaue ihm mit euphorischen Augen entgegen.
»Das Universum also?« Lucas schmunzelt leicht belustigt, aber ich sehe in seinen Augen, dass er sich darauf einlassen wird.
»Breite doch mal deine Arme aus und schau' nach oben«, fordere ich ihn auf und entferne mich mit ihm von dem Geländer.
Er verzieht das Gesicht, doch er folgt meiner Anweisung.
Ich tue es ihm gleich, fasse aber mit einer Hand nach der seinen. »Und jetzt dreh' dich.«
Und in dem Moment, als wir uns drehen und unsere Köpfe in den Nacken gelegt haben, da tut sich mir wie immer der ganze Himmel auf. Die Sterne ziehen wie Kometen an uns vorbei und es kommt mir so vor, als würden wir nicht bloß einen Teil des Himmels sehen, nein, viel mehr erstreckt sich vor uns in diesem Moment das gesamte Universum.
Ich habe diese Sache schon so oft gemacht, aber noch nie hab ich jemanden dabei an der Hand genommen.
Als uns beiden bereits schwindlig geworden ist, bleiben wir stehen und stützen uns in die Knie, damit wir nicht umfallen.
Bei mir bringt das allerdings nicht mehr viel, denn Lucas muss mich erneut auffangen und festhalten, um zu verhindern, dass ich den Fliesenboden küsse.
Er zittert vor Lachen, als ich auf seiner Brust lande und ihm trunken entgegenblicke.
Jetzt merke ich deutlich, dass Lucas dieses Ding mit dem Universum nicht halb so ernst nimmt wie ich, aber doch hat es sich auf irgendeine Weise gut angefühlt, es ihm zu zeigen. Was sich allerdings nicht so gut anfühlt ist mein Kopf, der sich immer weiter und weiter dreht.
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Auch wenn die Party noch weitergeht, sind wir am Ende des Kapitels angelangt. Sagt mir gerne, wie es euch gefallen hat. Ansonsten wünsch ich euch noch einen sonnigen Sonntag.
Eure Anna Vanilla ☀︎
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