»𝟸𝟾«
Noah grinst.
»Was ist denn jetzt schon wieder so scheiß witzig?«, seufze ich genervt.
»Nein es ist nur, ich hab gedacht, dass sich das mit Jelena ohnehin bald für mich erledigt wird.« Sein Grinsen wird breiter. »Ziemlich praktisch, nicht?«
»Du bist echt krank, wenn du glaubst, dass ich das witzig finde!«, zische ich und werde immer lauter. »Hör endlich auf, Scherze über deinen Tod zu machen und entscheide dich!«
»Und was dann?!«, brüllt er plötzlich und ich weiche vor Schreck einen Schritt zurück. »Dann bin ich glücklich und zufrieden bis an mein Lebensende, oder was?«
Ich stehe stumm vor ihm und versuche mit aller Kraft, meine Tränen zurück zu halten.
»Verstehst du das denn nicht, Leia?«, zischt er dann und seine Augen sind gläsern.
Eine Bö des Abendwinds weht in diesem Moment vom offenen Badfenster herein und ich erschaudere.
»Was?«, flüstere ich und fühle im selben Moment, wie mir eine Träne über die Wange rollt.
»Dass das der Grund ist, warum ich so locker mit all dem umgehe. Du hast dich bestimmt gefragt, warum ich genau so weiter mache, wie immer. Dass ich trinke und noch immer ein Arsch bin. Und die Wahrheit ist, dass Jelena Teil dieser Normalität ist.« Seine Augenlider flattern und er fährt sich durch seine perfekt sitzenden Haare. Dann sieht er mich an. »Verstehst du? Ich hab Angst, dass ich komplett durchdrehe, wenn ich mit ihr Schluss mach'.« Schweißperlen erscheinen auf seiner Stirn und sein Gesicht ist vor Verzweiflung verzerrt. »Verstehst du das?«, wiederholt er.
Ich nicke. Eigentlich will ich noch immer wütend auf ihn sein, doch ich kann nicht. Ich komme auf ihn zu, nehme sein Gesicht in meine Hände und wische ihm mit dem Daumen eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Er ist so wunderschön.
»Warum hast du mir das mit dem Krebs eigentlich so lange verschwiegen?«, flüstere ich schließlich nach einigen Augenblicken traurig und etwas enttäuscht.
Ich kann fühlen, wie sich jede Muskel in seinem Körper anspannt. »Weil ich mich damit nicht auseinandersetzen wollte«, zischt er und blickt starr geradeaus. »Und ich wusste, dass es irgendwie real werden würde, wenn ich es jemandem erzähle. Außerdem hat meine Mutter ohnehin schon genug Angst um mich. Ich wollte ihr zumindest vor der Reise nichts davon erzählen.«
Das leuchtet schon irgendwie ein. Ich versuche mich zu fangen. »Und warum lässt du das Trinken nicht?« Mit meinen Händen fahre ich über seinen Rücken.
»Leia, ich bin Arzt, ich weiß, dass ich so oder so nicht mehr gesund werde, was nützt es dann, die letzte verbleibende Zeit wie eine Klosterfrau zu leben.
Ich hab nichts mehr zu verlieren«, stößt er mit einem verbitterten Lächeln hervor.
Trauer mischt sich mit Wut. »Noah, du, du kannst dich doch nicht einfach aufgeben!«
»Leia«, flüstert er jetzt eindringlich, »als Arzt weiß man, wenn man ein hoffnungsloser Fall ist.«
Er blickt er für einige Momente einfach an mir vorbei.
Nach der kurzen Stille lacht er bitter auf. »Du, du hast schon immer an das Unmögliche geglaubt.«
Dann ziehe ich ihn zu mir und er lässt es geschehen. »Aber es wäre doch schön blöd«, flüstere ich leise, »nicht an Wunder zu glauben.« Dann sehe ich nach oben zu ihm.
»Ich hasse diesen Song!«, murrt er, versucht sich an einem Lachen, doch diesmal kann er es nicht halten und es geht rasch in ein schweres Schluchzen über.
Er lässt sich nach unten auf den Boden gleiten und legt seinen Kopf in seine Knie.
Ich hab Noah noch nie wirklich weinen sehen. Nicht einmal als sein Vater gestorben ist, hat er geweint. Aber jetzt weint er so sehr, wie ich noch nie jemanden hab weinen sehen.
Ich sinke zu ihm nach unten und halte ihn so fest, wie ich nur kann. Und in diesem Augenblick kann ich förmlich fühlen, wie er sich zum ersten Mal in meinen Armen ohne jeglichen Widerstand fallen lässt. Sein ganzer Körper zittert.
Unglaublich, wie klein er jetzt in diesem Moment ist. Und auch wenn diese Situation gerade schrecklich schmerzhaft ist, so ist es doch zur selben Zeit ein unglaubliches Gefühl, wie sich Noah an mir festhält.
»Weißt du, ich wollte für meinen Vater Arzt werden. Ich hab die Ärzte damals gehasst, dafür, dass sie ihm nicht helfen konnten«, schluchzt er verzweifelt. »Und jetzt bin ich selbst Arzt und ich kann rein gar nichts tun. Es ist beinahe als wollte mir das Universum sagen, wie machtlos wir am Ende doch sind.
Wir sind so weit in der Entwicklung, Bauen Hochhäuser, die einen Hurrikan überstehen können, klonen Lebewesen, fliegen bald zum Mars. Aber dieser winzige scheiß Krebs haut uns noch immer um.« Er sieht mit seinem vor Schmerz verzerrten Gesicht an. »Für was gibt's diese scheiß Veranstaltung hier überhaupt?«, zischt er jetzt wütend. »Am liebsten würde ich den ganzen reichen Säcken da draußen sagen, dass sie ihr Geld in den Sand setzen.«
Er löst sich plötzlich aus meinen Armen, steht auf und geht ans offene Fenster. »Zufrieden?!«, brüllt er in die Nacht hinaus und ich weiß ganz genau, wen er damit meint.
• • •
Am Tag nach der Spendengala sind die Jungs am Nachmittag verschwunden und ich nutze die Gelegenheit, um mich in Noahs Zimmer zu schleichen.
Ich suche nach einem Beweis dafür, dass er sich nicht aufgeben soll. Dass er brillant ist und es der Nachwelt schuldet, jetzt die Hoffnung nicht aufzugeben.
Hastig schaue ich unter sein Bett. Hier irgendwo muss er doch seine Unterlagen haben. Ich weiß, er schreibt kein Tagebuch. Bei ihm war schon immer alles Wichtige in diesen Filmdosen.
»Leia, was machst du hier?«, ertönt plötzlich eine Stimme.
Erschrocken fahre ich hoch und stoße mir den Kopf an der Bettkante. Ein stechender Schmerz schießt durch meinen Schädel. Als schusseliger Mensch bin ich das aber gewohnt.
Dann blicke ich in Lucas' Gesicht und ich frage mich, warum er nicht mit den anderen mit gegangen ist?
»Es geht um...um Noah...«, stammle ich verteidigend und will mich im selben Moment selbst verprügeln, weil er das mit uns noch nicht weiß.
Lukas grinst breit. »Ich schätze mal, dass du deshalb in seinem Zimmer herumspionierst.«
»Es...es ist nicht so wie du denkst...«, kommt es kleinlaut von mir. Ich knie mich auf dem Boden nieder und falte die Hände zwischen meinen Beinen.
Lukas ist nicht ganz überzeugt, das sehe ich. Aber wer könnte es ihm verübeln? Die Situation hier spricht eindeutig gegen mich.
Doch im nächsten Moment setzt sich Lukas auf Noahs Bett und bedeutet mir, zu reden.
»Naja, ich hab mich gefragt, was er bei eurem wissenschaftlichen Projekt eigentlich alles gemacht hat...«, beginne ich und sehe kurz zu ihm auf.
Verwirrt sieht mir Lukas entgegen. »Was meinst du?«
»Naja, ich will wissen, inwiefern er euch eine Hilfe war, dir und Alexander.«
Lukas lacht auf. »Oh, du meinst, ob wir ihm eine Hilfe waren?«
»Also hat er gar nichts gemacht?«, hake ich verwirrt nach.
»Machst du Witze?«, schnappt Lukas. »Ohne Noah hätten wir uns für diesen Scheiß gar nicht erst qualifiziert. Von ihm ist die Formel.«
»Welche Formel?«
»Die Formel für den Wirkstoff. Das war er. Wir haben ihm nur geholfen, die Studien zu machen.«
Meine Augen weiten sich. »Das war alles er...«, flüstere ich mehr für mich, dann sehe ich wieder zu Lukas auf. »Dann ist Noah also wirklich so intelligent, wie alle immer sagen?«
»Nicht nur das.« Lukas grinst. »Er ist auch der größte Streber, den die Welt je gekannt hat.«
»Nein!«, lache ich plötzlich auf. »Das ist nicht wahr!«
»Oh, doch, dieser Kerl lässt sich nur im Sommer so gehen. Du solltest ihn mal während der Prüfungsphase erleben. Der ist nicht mehr ansprechbar — wirkt so, als hätte er einen durchgehenden Schlaganfall.«
Wir prusten beide los. Es fühlt sich so befreiend an, über Noah zu lachen. Einfach, weil es sich so normal anfühlt, über den Menschen zu lachen, den wir beide lieben.
In der nächsten Sekunde trifft sich unser Blick und Lukas wird wieder ernst. »Weißt du, manchmal wünschte ich, es wär' nicht so, aber Noah ist um Lichtjahre intelligenter als wir alle zusammen. Ich weiß gar nicht, warum der Staat eigentlich so viel Geld in so Idioten wie Alexander und mich investiert«, lacht er dann.
»Warte!«, kommt es plötzlich unvermittelt von mir. »Ich weiß, wo ich noch nicht nachgesehen hab.« Zielstrebig laufe ich auf seinen begehbaren Kleiderschank zu.
»Leia, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Das ist Noahs...«, versucht mich Lukas noch aufzuhalten, doch da habe ich die Tür bereits aufgerissen.
Und was ich in diesem Augenblick sehe, nimmt mir den Atem.
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Na, schon gespannt auf das nächste Kapitel?
An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal für die lange Funkstille entschuldigen. Ich hatte in den letzten Wochen sehr viel für die Uni zu tun. Außerdem ⏤ vielleicht wisst ihr es bereits ⏤ wurde meine Serie Greyforks von Wattpad für das Paid Stories Programm ausgewählt und ich habe die letzten Wochen noch dafür genutzt, um der Story um Kate, Candice und Jo einen Feinschliff zu verpassen. Leute, ich kann es nicht fassen, dass es Greyforks tatsächlich geschafft hat, das hätte ich mir nie träumen lassen. Aber genug von meiner Schwärmerei 🙈
Übrigens: Wenn ihr Greyforks noch nicht gelesen habt, schaut dort gerne mal vorbei, 14 Kapitel sind ohnehin kostenlos und danach müsst ihr auch nicht unbedingt Geld ausgeben, um weiterlesen zu können (aber das erkläre ich dort alles im Vorwort 😉)
Und keine Sorge, meine anderen Geschichten sind alle noch frei verfügbar ;)
Bei all dem Trubel ist Filmdosensommer natürlich etwas auf der Strecke geblieben. Aber jetzt geht's mit Endspurt weiter 💪🏼 Ich wünsche euch wie immer nur das Beste!
Eure Anna Vanilla ♡
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