»𝟷𝟿«
Der Tag, an dem die Jungs das Projekt einreichen, kommt schnell. Die Partys gehen weiter und ich werde wieder schwach. Anstatt für den Wettbewerb zu trainieren, betrinke ich mich wieder an der Seite von Marlene und wir tanzen und machen unsinnige Dinge. Und so unbeschwert ich mich in diesen Momenten auch immer fühle, anschließend kommt immer der Morgen, an dem ich mich frage, was ich mit meinem Leben eigentlich anfangen soll.
Keiner hat mir je verraten, dass die gute Laune am Boden der Flasche nicht geschenkt ist. Leihen würde das Prinzip wohl besser beschreiben. Man erhebt bereits Anspruch auf all die gute Laune von morgen und addiert sie mit der von heute. Tadaaaa!
Was dann am Tag danach passiert, muss ich wohl niemandem erklären.
Ich könnte eigentlich auch mit Marlene darüber sprechen, aber dann redet sie mir womöglich nur wieder ein, man würde sich verändern und so'n Scheiß und darauf hab ich einfach keinen Bock!
Es ist der Tag bevor die Jungs erfahren, ob sie für ihr Projekt ausgezeichnet werden und ob ihr Medikament entwickelt wird, als das Haus zur Abwechslung mal leer ist.
Ich beobachte Noah dabei, wie er sich lustlos auf unserer schwarzen Ledercouch ausgestreckt hat und sich ohne Interesse durch das Nachmittags-Assi-Fernsehprogramm zappt. Ein wirklich ungewöhnlicher Anblick. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal TV gesehen hat. Wenn ich so recht überlege, schaut er eigentlich auch nie Netflix und so ein Zeug. Ist er vielleicht ein Psychopath?, grüble ich.
»Was machst du da?«, traue ich mich schließlich zu fragen. Es ist der perfekte Moment, um endlich wieder ein Wort mit ihm zu sprechen. Schließlich haben wir in letzter Zeit bloß nebeneinander hergelebt. Selbst auf den Partys hat er mir keine Drinks mehr aus den Händen geschlagen, oder mich bevormundet. Schon komisch, dass ich mir das jetzt sehnlichst zurückwünsche.
Zwischen meiner Frage und Noahs Antwort, vergehen mindestens zehn Sekunden. »Ich sehe fern, siehst du doch.« Er wirkt wie in Trance.
Die Tatsache, dass nur wir zwei im Haus sind und er so abwesend und geschwächt wirkt, gibt mir den Mut, weiter zu sprechen. »Noah, ich bin mir echt unglaublich sicher, dass ihr das morgen gewinnen werdet!«, beteuere ich ihm, als ich mich neben ihm auf der weichen Couch niederlasse.
Noah wendet seinen Blick vom großen Bildschirm an der Wand ab und blickt mir mit seinen tiefblauen Augen entgegen.
In diesem Moment kommt es mir so vor, als würde ich unglaublich weit in den Polster sinken.
»Leia, du kannst dir die ganze Aufregung sparen«, raunt er dann mit seiner ungewöhnlich schwachen Stimme. Er klingt dabei kaum wütend.
Irritiert blicke ich ihm entgegen. »Warum denn das?«
Noah seufzt. »Luca hat's versaut.« Er verdreht die Augen.
In diesem Moment fällt mir auf, dass wir gerade ein ganz normales Gespräch führen — naja, was für unsere Verhältnisse eben normal ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das an der verstrichenen Zeit und meiner Zurückgezogenheit liegt, die etwas Gras über all die Geschehnisse hat wachsen lassen, oder ob er bloß unglaublich demotiviert ist. Aber egal, an was es liegt, ich will es nicht wieder zerstören.
Also verkneife ich mir mein Was? Das glaub ich nicht! Schließlich weiß ich nicht, wie cool er inzwischen mit der Sache zwischen Lucas und mir umgeht. »Und wie?«, frage ich also stattdessen.
Noah seufzt erneut. »Wir haben die letzte Probe des künstlichen Gewebes mit seiner dummen Idee versaut.« Noah fährt sich jetzt fieberhaft durch die Haare. »Verdammt, ich könnte schwören, mein Vorschlag hätte funktioniert.«
Ich auch, sage ich — jedoch bloß für mich. Denn ich weiß, dass es sich nur so anhören würde, als wollte ich mich bei ihm einschleimen. So entgegne ich: »Aber vielleicht klappt es ja doch.«.
Jetzt treffen mich Noahs Augen mit ihrem gewohnt stechenden Blick. Er wirkt jetzt wacher und richtet sich sogar auf, sodass er mir im Schneidersitz zugewandt ist. »Wie denn?«, fragt er mich. »Dazu müssten wir auch zu einem Ergebnis gekommen sein.«
Und verdammt, es macht mich nervös. Seine Nähe, wie er mich ansieht. Meine Wangen werden heiß und ich streiche mir nervös eine Haarsträhne hinters Ohr.
Sein Blick huscht kurz zu meinen Lippen, aber nur für einen Augenblick, sodass ich mich auch nur getäuscht haben könnte.
Und in diesem Augenblick bin ich vollkommen durcheinander. Wir sind irgendwo zwischen Feuer, Wut und Zärtlichkeit. Eine hochexplosive Mischung. Wie sehr sehne ich mich in dieser Sekunde danach, ihn zu berühren — von ihm berührt zu werden. Ihm zu widerstehen, macht mich völlig verrückt. Das fühlt sich etwa so an, wie in einen zart schmelzenden Schokobrunnen einzutauchen — mit dem Wissen, dass nur ein Tropfen davon tödlich ist.
• • •
Am Nachmittag darauf mache ich mir die Haare vor dem Spiegel im Bad. Es fällt mir zwar auf, dass ich vergessen habe, mein Kleid in die Reinigung zu bringen, aber ich bügle es etwas unbeholfen mit dem Glätteisen und entferne den Fleck am Ausschnitt mit etwas Mineralwasser.
Wie mir Noah gestern erklärt hab, haben die Jungs zwar keine Chance zu gewinnen, aber auf so einem Event kann man trotzdem mit Kartoffelsack und fettigen Haaren auftauchen.
Etwa eine Stunde später sitze ich auch schon neben Noah und Marlene in der fünften Reihe und lasse mich von der monotonen Stimme des Moderators vorne, beinahe in den Schlaf reden.
Wenn Noah, Lucas und Alexander ohnehin keine Chance auf einen Gewinn haben, brauche ich mir ein aufmerksames Zuhören auch nicht antun.
Aus Langeweile werfe ich einen Seitenblick zu Alexander. Ich sehe ihm deutlich an, dass er sich nicht im Geringsten erwartet zu gewinnen. Plötzlich trifft mich sein Blick, wie die Spitze eines Pfeils und ich lasse meinen mit einem Stechen in der Brust zu Boden gleiten. Verdammt, musste er mich dabei erwischen, wie ich ihn beobachte?! Warum ertappe ich eigentlich nie jemanden dabei, wie ich beobachtet werde? Naja, in manchen Punkten bleibt das Leben einfach ungerecht.
In den letzten Tagen hat Alexander zwar versucht, wieder einigermaßen normal mit mir zu reden, aber weil er sonst immer so dumme Sprüche gebracht hat, wirkt das irgendwie auch bloß merkwürdig.
Nach ein paar Minuten sehe ich zu Lucas.
In mir erwacht kurz die Hoffnung, dass dies bei Alexander den Eindruck erweckt, ich hätte die ganze Zeit über Lucas beobachtet und nicht ihn. Immerhin ist Lucas der einzige, der nicht direkt sauer auf mich ist. Aber allein, weil er das mit Alexander und mir wissen könnte, macht es die Sache dann doch irgendwie unangenehm. Trotzdem überwiegt in diesem Augenblick das Interesse an seiner Erwartungshaltung.
Lucas hat ein angedeutetes freudiges Grinsen im Gesicht. Wahrscheinlich denkt er, sie hätten noch immer eine Chance, bei dem Wettbewerb zu gewinnen.
Und in diesem Moment hasse ich meine Gedanken. Ich hasse es, so schlecht über Lucas zu denken, ihm diese Dummheit zuzutrauen. Aber es ist nun mal die Wahrheit, dass Lucas nicht die hellste Birne im Kronleuchter ist. Ich weiß es einfach. Weiß, dass Noahs Vorschlag funktioniert hätte. Er war schon immer brillant.
Als der dritte Platz bekannt gegeben wird und keiner ihrer Namen fällt, da ist Noah noch viel frustrierter. »Wenn wir nicht den dritten Platz haben, dann haben wir keinen«, seufzt er und fügt noch murmelnd hinzu: »Wäre zumindest ein Ehrenplatz gewesen.«
Beim zweiten Platz hört Noah nicht einmal mehr hin. Nötig wäre es aber auch nicht gewesen, weil ihre Namen nicht fallen.
»Nun, meine Damen und Herren«, verkündet der Moderator, »stelle ich Ihnen unsere Gewinner vor, die gleichzeitig auch bestimmen, in welche Richtung wir unsere Forschung lenken werden.« Er macht eine kurze Pause. »Die Gewinner des heutigen Abends werden gemeinsam mit unserem renommierten Forschungsteam an der Entwicklung eines Arzneimittels arbeiten, welches vermutlich bereits in den nächsten Jahren in Produktion gehen wird.«
Aufgeregtes Raunen geht durch die Reihen.
Der Moderator zückt eine Karte. »Und die Gewinner sind...Noah Hirschner, Lucas Giraldi und Alexander Mohn. Bitte kommen Sie auf die Bühne!«
Es sind ihre Namen. Unglaublich.
Lucas und Alexander erheben sich sofort mit dem breitesten Grinsen im Gesicht von ihren Plätzen.
Noah hingegen bleibt sitzen und blickt mich völlig entgeistert an. »Aber...aber, wie ist das möglich?«, flüstert er mir zu. »Wir sind doch nicht einmal zu einem Endergebnis gekommen.« Er sieht nicht einen Funken glücklich aus.
Schließlich, nach einigen Augenblicken, erhebt er sich aber doch und geht gemeinsam mit Lucas und Alexander nach vorne.
In mir drinnen weiß ich gar nicht mehr, was ich fühlen soll. Es ist das eingetreten, was Noah sich schon die ganze Zeit gewünscht hat und das sind endlich mal gute Nachrichten. Ich bin so verdammt stolz auf die drei. Doch Noahs Reaktion und die Worte von gestern machen mich auf der anderen Seite auch skeptisch. Aber vielleicht hat mich Noah aus irgendeinem Grund auch eiskalt belogen. Immerhin steht er jetzt mit einem vollkommen ehrlich wirkenden Lächeln auf der Bühne und nimmt im Blitzlicht die Auszeichnung des Moderators entgegen. Nie würde man auf die Idee kommen, dass seine Freude bloß gespielt ist.
Etwas später schreiten Noah, Lucas und Alexander in ihren Anzügen von der Bühne. Sie werden freudig von Marlene, Jelena, Sam, Laurin und den restlichen Jungs empfangen.
Ich gratuliere Lucas so enthusiastisch wie nur irgendwie möglich, aber ich vermeide es, ihn direkt anzusehen. Alexander drücke ich nur ganz kurz. Dass er mich davor dabei ertappt hat, wie ich ihn angesehen habe, macht die Situation nur noch peinlicher. Schnell lasse ich ihn wieder los und sehe zu den anderen.
Mit dem gleichen freudigen Lächeln wie vorhin im Scheinwerferlicht lässt sich Noah von allen nach der Reihe umarmen und gratulieren. Seine Vorführung ist hollywoodreif. In gleichen Moment werde ich wütend. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre bei ihm alles bloß Show. Hätte er doch besser Schauspieler werden sollen!
Eine knappe Stunde unterhalten sich die Jungs, jeweils ein Sektglas in der Hand, mit anderen Wissenschaftlern und ihren Kommilitonen.
Seufzend exe ich mein zweites Glas.
»Was bist du denn so schlecht drauf?«, fragt mich Marlene plötzlich.
»Was, ich?«, lache ich, lege meine Hand theatralisch auf die Brust und versuche damit meine Nervosität zu überspielen.
Marlene sieht mir mit einem Blick entgegen, der sagt, dass sie mich durchschaut hat. »Du bist echt schlecht im Schauspielern«, versichert sie mir.
Schlechter als Mr. Vollarsch ganz bestimmt!, denke ich spöttisch, gebe mich dann aber geschlagen. »Na gut«, erwidere ich und senke dann meine Stimme etwas. »Laut Noah ist hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen.«
»Was?«, macht Marlene und verschluckt sich beinahe an ihrem sprudeligen Getränk.
»Keine Ahnung was da los ist, aber anscheinend haben sie sich den Sieg gar nicht...«
In diesem Augenblick kommen die drei auf uns zu und wir halten in unserem Gespräch sofort inne.
Wir lachen ihnen mit einem gespielt aufgesetzten Lächeln entgegen.
»Was habt ihr denn Interessantes zu besprechen?«, fragt uns Alexander mit einem Grinsen.
Mir fällt nichts ein, also blicke ich zu Marlene.
Gut, dass die gleich gelassen entgegnet »Nur, dass wir gerne auch mal nach Hause fahren würden.«
»Na, da habt ihr aber Glück gehabt, dass wir gerade in diesem Moment gehen wollten.«
Kaum sind wir weniger Minuten später im Auto von Lucas angelangt, platzt es aus Noah heraus. »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir ein Ergebnis hatten«, knurrt er streng, bevor Lucas den Motor starten kann. »Leute, das hier ist echte Wissenschaft, kein Schulprojekt, das ist euch schon klar?! Und deshalb muss ich euch das Folgende einfach fragen.« Er sieht erst Alexander und dann Lucas eindringlich an. »Es hat sich wohl keiner von euch einen Scherz erlaubt, oder?«
Lucas grinst breit. »Ich irgendwie schon.«
Noah reißt die Augen auf. »Alter, was hast du gemacht?!« Sein passiv-aggressives Flüstern versucht, die unglaubliche Wut in seinem Ausdruck zu unterdrücken. »Du weißt schon, dass das hier ein direkt vom Staat gefördertes Projekt ist. Denen können wir keine Scheiße erzählen.« Er fährt sich fieberhaft durch die perfekt frisierten Haare. Ich sehe wie sich jede Faser und jeder Muskel in seinen Armen anspannt und er sich beherrschen muss, nicht mit voller Kraft auf das Armaturenbrett zu schlagen. Dann sieht er wieder zu Lucas. »Mann, Alter, die können uns verklagen.«
Aber Lucas grinst nur noch breiter. »Damn, Noah, ich verarsch' dich doch nur, wir haben wirklich gewonnen!«
»Wie meinst du das?« Noah blickt ihm nun mehr als verwirrt entgegen.
Und ich sehe es in Lucas' Augen, dass er es kaum erwarten kann, ihnen etwas Bestimmtes zu erzählen. »Naja, als wir vor gut einer Woche am Abend aus dem Labor raus sind und ich mich in mein Bett gelegen hab«, beginnt er, »da hat mich ein Gedanke nicht in Ruhe gelassen. Ich konnte nicht verstehen, warum sich die Zellen nicht regeneriert hatten, obwohl ich mir so sicher war, dass es funktionieren würde. Und dann, ganz plötzlich, kam mir die Lösung. Wir haben bei allen Versuchen vergessen, die erhöhte Körpertemperatur mit einzuberechnen. Also bin ich um vier Uhr aus dem Bett gesprungen und noch ins Labor gefahren und hab alle Proben in diese Temperatur versetzt. Und es hat funktioniert. Bei jeder einzelnen Probe. Wir hatten von Anfang an Recht. Das Medikament hat bei jeder Strahlung angeschlagen.« Seine Augen leuchten. »Und da hab ich mich an meinen PC gesetzt und bis die Sonne aufging in die Tasten gehaut und dann den Bericht eingesendet.«
Ich verstehe zwar nicht alles, was Lucas da sagt, aber eines ist jetzt auch mir klar, die drei haben wirklich gewonnen.
»Alter, du bist genial!« Die Augen von Alexander und mir leuchten vor Begeisterung.
»Echt stark, Mann!«, sagt schließlich auch Noah und klopft ihm anerkennend auf die Schulter. Aber als er sich auf dem Beifahrersitz wegdreht und ich über den Seitenspiegel sein Gesicht erkennen kann, da sehe ich keine Freude in seinen Augen. Er lächelt zwar froh und jeder Außenstehende würde glauben, er wäre in diesem Moment der glücklichste Mensch der Welt. Aber ich kann es sehen. In sich ärgert er sich, dass jetzt nicht die ganze Aufmerksamkeit ihm gilt. Nur ihm. Diesmal kann er es nicht mehr verbergen — zumindest nicht vor mir.
• • •
Zur Feier des Tages gehen wir alle in einen etwas exklusiveren Club in der Innenstadt, der sich in der zwanzigsten Etage eines modernen Hochhauses befindet. Der Club hat sogar innen Fenster, von denen aus man über die Großstadt blicken kann. Das Highlight ist aber die Dachterrasse, die einen unglaublichen 360-Grad-Blick über ganz Berlin bietet. Dementsprechend ist aber auch der Eintritt vergleichbar mit einem verdammt teuren Abendessen.
Ich wäre vorhin beinahe wieder alle zwanzig Stockwerke nach unten gefahren, aber dann hat Lucas für uns Mädchen einfach bezahlt.
Ich kann es kaum fassen, dass wir jetzt wirklich hier sind in diesem wunderschönen Club mit den violetten Lichtern und der Musik, die so sehr nach Sommer schmeckt.
An der Bar lade ich Marlene, Sam, Jelena, Alexander, Lucas und Noah zu einer Runde Tequila ein. Natürlich muss sich Jelena mal wieder wichtig machen, indem sie sich stattdessen einen Cosmopolitan bestellt. Man könnte fast meinen, das pinkfarbene Getränk wäre sowas wie ein Vielsaft-Trank, der verhindert, dass sie zur hässlichen Kröte wird.
Als es schließlich ans Bezahlen geht und ich die Rechnung sehe, haut es mich zwar beinahe von meinem Barhocker, aber die Jungs werden immerhin nicht jeden Tag vom Staat ausgezeichnet und so bezahle ich mit einem lächelnden »Mit Karte bitte!«. Am allermeisten schmerzt mich dabei jedoch, dass ein Siebtel meines Geldes für Jelena draufgeht — naja, bei ihrer Drinkwahl wohl eher ein Fünftel.
Nachdem wir angestoßen und den Tequila runtergelassen haben — der übrigens genau so wie der aus dem Discounter schmeckt — begeben sich Marlene und ich auf die Tanzfläche. Die anderen ziehen uns nach und schon bald befinden wir uns mitten in der tanzenden Menge. Wir drehen uns und lachen und als Noah die zweite Runde holt, machen Alexander und Lucas schon Witze darüber, das anstrengende Medizinstudium hinzuschmeißen, weil sie jetzt ja berühmt werden würden.
Die dritte Runde geht auf Alexander und bald zähle ich gar nicht mehr mit, was und wieviel ich denn schon getrunken habe. Ich sehe nur noch die bunten Lichter, die sich in den Fensterscheiben mit der Großstadt mischen, das Lachen meiner Freunde und diesen wunderschönen Abend.
Irgendwann fällt mir auf, dass Noah gar nicht mehr da ist. Ich wende mich an Marlene, die eng umschlungen mit Sam tanzt. »Du, ich gehe nur mal schnell schauen, wo sich Noah rum treibt«, schreie ich über die Musik hinweg.
Sie nickt.
Blind quetsche ich mich durch die Menschenmassen und halte die Hände Schützend vor mein Gesicht, um nicht zermatscht zu werden. Seufzend stelle ich mich auf einen leeren Tisch, um über die Menge blicken zu können, aber ich kann Noah nirgends entdecken.
Schließlich kommt mir die Idee, einmal auf der Dachterrasse nachzusehen. Entgegen meinen Erwartungen, finde ich die Treppen nach oben im großen Club sehr schnell. Kurz darauf finde ich mich auf der etwas kühlen Dachterrasse wieder.
Für einen Moment haut mich der Anblick um. Ich hab die Fotos bereits auf der Webseite gesehen, aber das hier ist echt nicht vergleichbar. Zu allen Seiten erstrecken sich mir die bunten Licher des belebten Berlins zu Füßen und ich muss dem Drang widerstehen, mich im Kreis zu drehen.
Auf der Terrasse selbst stehen überall Hochtische, an denen Männer in Anzügen und Frauen in Kleidern im Stehen an ihren ihren tropischen Drinks nippen. Weil hier die Musik vom Club nur gedämpft herauf dringt, nutzen die Gruppen es aus, sich zu unterhalten. Sie plaudern angeregt und lachen, machen Fotos.
Ein hübscher Kerl mit dem perfektem Dreitagebart lächelt mir im Vorbeigehen zu und ich kann mein Schmunzeln nicht unterdrücken, als er verschwunden ist. Aber auch, wenn ich ihn hier und jetzt sofort küssen würde, an Noah kommt er nicht ran.
Ich gehe über die Terrasse, suche fieberhaft nach diesem perfekten Gesicht mit den Sommersprossen, aber ich blicke überall bloß in fremde Gesichter. Vielleicht ist er ja auch auf dem Klo.
Ich will die Suche beinahe schon aufgeben, und wieder nach unten gehen, weil es mir in meinem Kleid langsam echt zu kalt wird, aber dann, ganz plötzlich, entdecke ich ihn.
Er steht alleine am Rand der Terrasse und blickt ganz ruhig über die Sommernachtslichter der Großstadt.
»Noah, was machst du hier?«, ertönen meine weichen Worte durch die Nacht.
Beim Klang meiner Stimme, dreht er sich nicht um, aber ich hätte schwören können, dass er kurz zusammengezuckt ist.
Ich falle ihm mit meinen Armen um die Schulter und zwinge ihn damit, mich anzusehen.
Noah macht ein langes Gesicht. Ist er etwa noch immer eingeschnappt, weil Lucas diese geniale Idee hatte und nicht er?
Der Alkohol macht mich locker und gibt mir den Mut, auch weiterhin mit gleichem Enthusiasmus auf ihn einzuströmen. »Ihr habt es geschafft!«, rufe ich erfreut aus und schüttle seine Schultern, um es ihm bewusst zu machen. »Die monatelange Arbeit hat sich endlich ausgezahlt.« Vielleicht muss er es erst ja auch erst fassen, dass sein Team tatsächlich gewonnen hat.
Gerade will ich ihn in die Wange kneifen, da bemerke ich die einsame Träne, die auf ihr im Schein der bunten Lichter glitzert.
»Noah, ihr habt gewonnen, das weißt du schon? Ihr werdet Millionen von Leben retten«, bemerke ich irritiert lachend, doch jetzt weiß ich es, ich weiß ganz genau, dass etwas nicht stimmt. Und in diesem Moment läuft mir ein ganz übles Gefühl den Nacken runter und lässt mir die Haare auf dem ganzen Körper aufstehen.
»Leia«, flüstert er dann und sieht mich mit seinen wässrigen Augen an, die wie Edelsteine funkeln, »der Krebs. Er ist wieder da.«
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top