»𝟸𝟻«

Der nächste Abend ist ein merkwürdiger Abend. Vielleicht der erste Abend, an dem ich weiß, dass bloß Noah allein in seinem Zimmer hockt.

Ich stöbere auf meinem Laptop etwas durch Jelenas Instagram-Profil, um zu checken, ob sie schon etwas von ihr und Noah gepostet hat. Mir ist vollkommen bewusst: das ist pures Gift! Aber ich klicke doch auf ihre Story. Natürlich bin ich mit meinem Stalker-Profil angemeldet — die soll schließlich nicht wissen, dass ich mich für sie interessiere. Auf dem ersten Bild sehe ich irgendeinen Obstsalat mit diesen komischen Samen drauf. Wie hießen die noch gleich. Tschai-Samen oder so ne Scheiße. Naja, mir doch egal. Ebenfalls auf dem Bild ist der Hashtag #healthyindentag. Auf dem nächsten Bild macht sie ein Spiegelselfie vor einem Fitnessgerät. Daneben der Hashtag #fittnessmachthealthy. Mann, schon deswegen könnte an einem Kringe-Tod sterben.

Ich will mir schon mit dem weiteren Tagesverlauf dieser Bitch meinen eigenen endgültig zerstören, da poppt plötzlich eine neue E-Mail in meinem Eingang auf. Es ist das Testergebnis.

Ich gehe darauf und sofort beginnt meine Hand zu zittern. Gleich werde ich es wirklich wissen. In der Mail befindet sich ein Link, auf den ich im nächsten Augenblick klicke. Ich halte die Luft an.

Und dann weiß ich es plötzlich — wer ich bin.

Mit klopfendem Herzen sitze ich vor meinem Laptop und blicke auf mein Ergebnis. Es ist ganz eindeutig. Zu über neunzig Prozent bin ich Südamerikanerin, genauer gesagt Brasilianerin. Ich hab schon irgendwie vermutet, dass meine Eltern bestimmt nicht zum ersten Mal nach Amerika fliegen.

Und ich weiß auch, was mein Ergebnis für mich bedeutet. Ich hab eine ganz bestimmte Sache schon vorher mit mir ausgemacht.

Ich öffne ein neues Fenster in meinem Browser und tippe flug berlin sao paulo in die Zeile. Sofort werden mir tausende Angebote angezeigt.

Aber bevor ich mich endgültig entscheide, muss ich noch eine Sache erledigen.

•  •  •

Eigentlich dreht es mir schon den Magen um, wenn ich nur daran denke, mit ihm zu reden. Nicht umsonst haben wir uns in der ganzen letzen Woche nur noch gemieden. Aber ich weiß es, ich muss den Moment nutzen, um mit ihm zu reden. Er ist sonst nie allein.

Ich nehme all meinen Mut zusammen und atme tief durch. Dann klopfe ich an seine Tür.

»Ja?«, höre ich seine dunkle Stimme vom Inneren des Raums.

Ich öffne die Tür einen Spalt und schiebe mich dazwischen, um sie hinter mir wieder zu schließen.

Offenbar ist er gerade sehr beschäftigt, denn er hat noch immer nicht von seinem Laptop aufgesehen und auf seinem beleuchteten Schreibtisch stapelt sich ein Berg aus Mappen und Zetteln. Selbst sein Bett ist voller Zettel und auf dem Boden ist sogar ein großes Teleskop oder sowas Ähnliches platziert. Keine Ahnung, was er mit dem Gerät will. Ich weiß nur, diese untypische Unordnung kann nur bedeuten, dass er auf Hochtouren arbeitet.

Aber ich muss diese eine Sache einfach mit Sicherheit wissen. Also trete ich zu ihm an die Fensterfront heran, wo sein Schreibtisch steht.

Ich setze mich auf eine kleine freie Ecke seines Betts. Im nächsten Moment bereue ich das jedoch zutiefst, weil ich daran denken muss, wie oft er mit Jelena hierauf schon Sex gehabt haben muss. Das dringende Bedürfnis, mich in Desinfektionsmittel zu baden, muss ich jetzt aber wohl unterdrücken.

Dann blickt Noah auf. Als er sieht, dass ich es bin, klappt er seinen Laptop zu und dreht sich mit seinem Stuhl in meine Richtung. Aber er kommt nicht her.

»Hey«, sage ich leise.

»Hi.« Er sieht mich entschuldigend an und versucht ein kleines Lächeln.

Das kann nichts Gutes bedeuten!

Ich will schon was sagen, doch da fällt mir auf, dass all die Worte, die ich mir in dieser Woche zurechtgelegt hab, einfach verschwunden sind. Kaum ist er vor mir, habe ich ein komplettes Blackout.

Als Noah merkt, dass es mir die Sprache verschlagen hat, beginnt er. »Du willst reden, hab ich recht?«

Ich nicke und bin ihm unglaublich dankbar dafür. »Ich...ich will nur wissen, warum du so tust, als wäre das zwischen uns nie passiert...« Außerdem spielst du mit Jelena ständig das perfekte Paar, füge ich innerlich noch hinzu, doch ich will nicht, wie eine dieser verrückten eifersüchtigen Stalkerinnen klingen, die am Ende rachsüchtig einen Mord begehen und später im Verhörzimmer hysterisch darüber lachen.

Noah atmet tief durch und ich könnte schon jetzt anfangen zu heulen, weil ich weiß, dass sich das Folgende offenbar nicht leicht sagen lässt. »Weißt du...«, beginnt er und weicht dabei meinem Blick aus, »...was neulich nach deinem Wettkampf passiert ist...da, da hatte ich mich nicht im Griff...Ich hätte das nicht tun sollen.«

Ich nicke und schlucke meinen großen Kloß im Hals runter. War doch klar, dass er nicht an mir interessiert ist. Wie konnte ich nur in Erwägung ziehen, er könnte sich ernsthaft in mich verlieben? Ich bin so verdammt dumm! So naiv!

»Dann bereust du es?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass mich seine Antwort zerreißen wird.

»Ja...nein — doch...«, ringt er mit sich. »Ja, ich bereue es, weil ich nicht so dumm hätte sein sollen... Ich hab die eine Sache vergessen...«

Ich will schon fragen, welche Sache er denn meint, doch dann will ich mir am liebsten gegen den Kopf schlagen. Natürlich: Es geht um die Krebs-Sache.

»Und...und ich will dir nicht wehtun«, fügt er hinzu.

Genau das hast du aber gemacht, hallt es durch meinen Kopf. Aber es klang ehrlich von ihm. Auf der anderen Seite: klingt nicht alles, was er sagt immer so verdammt ehrlich und echt? Er hat diese Maske, die er aufsetzen kann, wann immer er will. Auch, wenn er keinen Krebs hätte, dann wäre ihm eben ein anderer Grund eingefallen, um mir zu erklären, dass das mit uns nichts wird und er sich für Jelena entschieden hat.

Jelena ist eben älter und sie studiert. Sie hat dieses perfekt hübsche Gesicht und ist viel selbstbewusster als ich. Ich kann verstehen, warum er sie mir vorzieht.

Aber das ist noch lange kein Grund, um kampflos aufzugeben. Ich habe mir vorhin geschworen, jetzt alles auf eine Karte zu setzen.

»Aber ich weiß das mit dem Krebs doch!«, kommt es verzweifelt aus mir. »Ich kann damit umgehen!« Ich bin mir all diesen Dingen bewusst. Ich nehme es inkauf, mir selbst mit meinen eigenen Worten nur noch mehr weh zu tun.

»Verstehst du nicht, Leia, du bist noch so jung und hast noch so viel vor dir...«, versucht er mir verzweifelt zu erklären, doch in diesem Moment packt mich die blanke Wut.

Will er mir jetzt ernsthaft wieder mit dieser Tour kommen? Dass ich doch viel zu jung bin und keine Ahnung vom Leben habe?

»Weißt du was, Noah?«, kommt es dann wutentbrannt von mir. »Vielleicht hast du Recht und ich bin wirklich zu jung und zu naiv und noch dazu zu dumm. Du hast doch immer Recht, nicht wahr?«, zische ich und trample mit diesen Worten zur Tür.

Noch bevor ich nach der Schnalle greife, da muss ich noch was sagen. »Ach und Noah«, beginne ich und ich weiß, wie gemein und emotional unreif das ist, aber es muss trotzdem raus: »Ich wünsch dir noch ein scheiß schönes Leben! So lang wird's nämlich nicht mehr dauern.«

Ich will schon die Schnalle runter drücken, da hält mich seine Stimme noch einmal auf.

»Warte Leia!« Noah steht plötzlich bei mir an der Tür. »Ich muss dir noch was sagen.«

»Was denn noch?!«, schnauze ich und sehe ihm bestimmt und voller Wut in seine eisblauen Augen.

Aber Noah sagt nichts. Er zieht mich bloß zu sich und drückt mir seine Lippen auf den Mund. Seine Art ist zärtlich, doch ich fühle, wieviel Drang in diesem Kuss steckt, wie sehr er mich will, wie sehr er mich schon immer will.

Ich stöhne erschrocken auf, als er mich an den Oberschenkeln zu seinen Hüften hoch zieht und mich somit zwingt, meine Schenkel zu spreizen.

Reflexartig schlinge ich meine Arme und Beine um seinen Körper.

Er trägt mich bis zu seinem Schreibtisch, fegt mit einer Hand alle Mappen, die darauf liegen zu Boden und setzt mich darauf. In diesem Augenblick fühle ich seine beachtliche Erektion, die sich zwischen meine Beine drückt und ich merke, wie an dieser Stelle, ein Stromschlag meinen gesamten Körper durchzuckt.

Noah verteilt Küsse mit seinen heißen Lippen auf meinem Hals und ich fühle, wie meine Nippel unter meinem Schlafshirt hart werden.

»U...und was ist mit Jelena?«, frage ich plötzlich und ich weiß selbst nicht, warum ich ihm ausgerechnet jetzt diese Frage stelle. Die Worte sind einfach nur so aus mir raus gesprudelt.

Noah sieht mich an. Das intensive Blau seiner Augen hält mich so fest, dass ich beinahe wegsehen muss. In meinem Bauch breitet sich ein angenehm flaues Gefühl aus. Er durchdringt mich förmlich mit seinem Blick.

»Ich will Dich«, sagt er dann mit seiner bestimmten Art, vergräbt seine Hände dann in meinen Haaren und presst seine Lippen dann wieder hungrig auf meine.

Ich wölbe ihm dabei reflexartig mein Becken entgegen.

»Nur Dich«, seufzt er zwischen unseren Küssen, »hörst du? Nur Dich.«

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