23. For What You've Done
Auch dieses Kapitel ist nichts für schwache Nerven.
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For What You've Done
Der Raum ist lang, aber es gibt nicht mehr als zwei eiserne Tische, die sich bis zum Ende des Raumes erstrecken. Zwischen ihnen kann man in einem Mittelgang hindurch gehen. Auf den Tischen befinden sich reihenweise Plastikplanen, die allesamt den Blick auf etwas darunter verbergen. Die Planen haben unterschiedliche Größen, doch die Form der Plane bleibt immer gleich. Vielleicht schulterbreit, aber dafür länglich. Ich habe diese Form in meinen Jahren als Betreuerin oft genug gesehen. Ich spüre, wie meine Hände zu zittern beginnen.
Adrian betritt den Raum und winkt mich hinter ihm her. Ich folge ihm wie in Trance, meine Augen sind auf die Planen fixiert. Ich höre ihn aus der Ferne reden, aber das Blut in meinen Ohren pulsiert zu laut.
Wir laufen ein gutes Stück, bis er schließlich vor einer kleineren Plane stehen bleibt. Sie ist mit meinem Namen gekennzeichnet. Mein Herz macht einen Satz und will plötzlich nicht aufhören, immer schneller zu schlagen. Ich denke an die Ratte, dabei weiß mein Hirn bereits, um welches Nutztier es sich bei meiner Mahlzeit gehandelt hat.
„Nichts Besonderes", sagt Adrian und zieht die Plane zurück. „Wäre früher oder später unter diesen Lebensbedingungen sowieso verhungert."
Doch Adrian hat mich falsch eingeschätzt. Er wollte die Schwäche in meinen Augen sehen, wenn ich zusammenbreche. Er wollte mich weinen sehen. Er wollte sehen, wie ich an meinen Schuldgefühlen zu Grunde gehe. Doch er hat vertan, denn die natürliche Reaktion des Menschen auf Angst ist Flucht oder Abwehr.
Adrian sieht es nicht kommen, als ich ihm im nächsten Moment an die Gurgel springe. Er hat nicht einmal die Möglichkeit, zu schreien, denn ich ramme ihm meinen Ellbogen in die Kehle, während ich ihn zu Boden zwinge.
Ich zwinge mich, nicht vor Wut aufzuschreien, denn das hätte sicherlich andere Friedenswächter angelockt. Adrian hat nicht mit meiner Attacke gerechnet und nun liegt er auf dem Boden und versucht zappelnd, mir zu entkommen. Ich drücke meine mittlerweile gewachsenen Nägel in seinen Hals und lehne mich mit meinem vollen Gewicht auf seinen Adamsapfel. Unter meinen Handflächen spüre ich den Schrei, den er herauslassen will, doch ich lasse es nicht zu.
Als er merkt, dass ihm niemand zur Hilfe kommen wird, gerät er in Panik. Seine dunklen Augen sind geweitet vor Angst und im nächsten Moment spüre ich seine Hände an meiner Hüfte, spüre seine Finger, die sich in meinen Rücken bohren und dann den Schmerz, der mich zurückzucken lässt.
Ein Stöhnen verlässt meine Lippen und die Sekunde, in der ich den Griff um seinem Hals lockere, nutzt er, um mich zu Boden zu ringen. Ich springe zur Seite, doch er packt mich an den Haaren und stößt mich mit aller Kraft gegen den Tisch. Mein Hinterkopf schlägt an der Kante auf und meine Sicht verschwimmt. Alles beginnt sich zu drehen. Ich fasse mir an den Kopf, aber es blutet nicht.
Adrian greift mich nicht an, ich muss ihn wirklich überrascht haben. Ich kann ihn zwar nicht sehen, aber ich höre sein Keuchen. Dann, als meine Sicht langsam klarer wird, entdecke ich ihn. Er hockt an derselben Stelle wie eben. Er versucht immer noch, zu Atem zu kommen und ich kann das Blut sehen, das seinen Hals herunterrinnt.
Er erwartet meinen zweiten Angriff genauso wenig wie den Ersten. Manche Menschen lernen nun mal nie aus Fehlern. Doch dieses Mal lässt er sich nicht so leicht überrumpeln. Mein mickriger Körper leistet ganzen Einsatz, um ihn wieder auf den Boden zu kriegen. Ich schlage ihn mit voller Wucht ins Gesicht und kratze ihm übers Auge, sodass er vor Schmerz aufbrüllt. Keine Ahnung, ob ihn jemand gehört hat, es interessiert mich auch nicht, denn sie werden zu spät kommen. Ich werfe mich auf ihn, man könnte denken, ich würde ihn umarmen wollen, doch als mein Kopf hinter seiner Wange verschwindet, beiße ich so stark wie ich kann in sein Ohr. Ich habe es einmal in den Spielen gesehen, wie ein Tribut einem anderen ein Ohr abgebissen hat.
Seine Hände sind sofort an meinem Kopf und versuchen, mich von ihm zu zerren, aber ohne Erfolg. Ich habe meine Zähne tief in seine Haut gebohrt und schmecke bereits das Blut auf meiner Zunge. Ich zögere einen Moment, doch dann denke ich an all das, was er mir angetan hat und beginne meinen Kopf nach hinten zu ziehen. Mit der einen Hand halte ich seine Schulter und mit der anderen presse ich seinen Mund zu. Er versucht, mir in die Hand zu beißen, aber da fliegt mein Kopf schon zurück und er schreit in meine Hand hinein. Sein Körper hat sich vollkommen verkrampft.
Angewidert spucke ich den Ohrfetzen zur Seite und bringe ihn zu Boden, als er halbherzig versucht, sich aufzurichten. Seine Finger bohren sich wieder in meine Wunden am Rücken, doch sie zittern vor Schmerz. Ich weiß, dass ich meine eigenen Schmerzen noch lange mit mir tragen werde, aber gerade jetzt darf ich nicht nachgeben. Also lehne ich mich weiter nach vorne und ignoriere die Finger in meinem Fleisch, die versuchen, so viel Gewebe wie möglich zu zerstören.
Irgendwann beginnt er zu röcheln und das Kratzen in meinem Rücken wird stärker. Ich muss mir auf die Lippen beißen, bis selbst sie bluten, anders halte ich den Schmerz nicht aus.
Adrian stirbt einen langsamen und qualvollen Tod und genau den hat er verdient. Er hätte sich gegen mich wehren können, wäre er vorbereitet gewesen. Aber sobald er auf dem Boden lag, hatte er keine Chance. Ich schaue ihm die ganze Zeit in die Augen und zum ersten Mal kann ich mir vorstellen, wie sich die Tribute wahrscheinlich gefühlt haben. Doch du bist nicht zum Töten verdammt worden.
Ich habe noch nie jemanden direkt vor meinen Augen sterben sehen und obwohl es sich hier um meinen Peiniger handelt, ist es schrecklich. Es beginnt damit, dass seine Hände plötzlich erschlaffen und er aufhört, sich gegen mich zu wehren. Seine Haut wird ganz weiß und irgendwann stoppen seine Versuche, nach Luft zu schnappen. Doch das Schlimmste ist der Ausdruck in seinen Augen. Zu Beginn hat er mich noch direkt angeschaut, aber desto regloser er wird, desto mehr scheint sich ein Film auf sein Auge zu legen. Seine Pupillen werden ganz klein und der Glanz in seinen Augen verschwindet.
Ich weiß, dass ich ihn loslassen könnte, aber das tue ich nicht. Ich weiß, dass er tot ist und doch kann ich mich nicht von ihm lösen. Es braucht eine ganze Weile, bis ich realisiere, dass ich gerade jemanden getötet habe. Das Adrenalin schwindet aus meinem Körper und mein Rücken beginnt zu pochen.
Schließlich rolle ich mich von ihm runter, aber ich kann meinen Blick nicht von ihm abwenden. Ich kann nicht glauben, dass er eben noch voller Leben war und jetzt, einfach so, völlig regungslos. Und ich bin es schuld. Ich habe ihn ermordet.
Meine Hände beginnen wieder, zu zittern und ich spucke sein Blut aus meinem Mund. Dort wo mal sein Ohr war, fließt immer noch Blut auf die sauberpolierten Fliesen.
Er hat das bekommen was er verdient hat. Ich bereue es nicht, ihn umgebracht zu haben. Aber allein die Tatsache, dass ich dazu fähig bin, macht mir bewusst, was dieser Ort aus mir gemacht hat.
Ohne ihn noch einmal anzuschauen, stehe ich auf und gehe langsam zum Tisch zurück. Die Qualen in meinem Rücken sind unerträglich und mit jedem Schritt fürchte ich, ohnmächtig zu werden. Als mein Blick die Gestalt am Tisch streift, weiß ich wieder, warum ich ausgerastet bin. Das Zittern in meinen Beinen wird noch stärker.
Auf dem Tisch liegt ein dürres Mädchen. Sie ist kaum älter als zehn und doch sieht sie erwachsener aus, was wahrscheinlich daran liegt, dass sie tot ist. Meine Augen wandern zu ihrem Bein, oder dorthin, wo ihr Bein hätte sein müssen. Doch es ist nichts mehr da, außer ein nicht behandelter Stumpf. Sie haben ihr das Bein amputiert und sie dann verbluten lassen. Bei dem Anblick hat sich ein Schalter in mir umgelegt.
An ihrer Hand trägt sie ein Armband, das ich so nur bei Patienten aus Krankenhäusern kenne. Doch es steht nicht ihr Name darauf, sondern ihr Distrikt. Distrikt 12. Sie haben mich hungern lassen und mir dann das Fleisch eines Kindes aus Distrikt 12 wortwörtlich auf dem Silbertablett serviert.
Keine Sekunde später habe ich meinen Magen auf dem Boden entleert. Dafür brauche ich mir nicht mal den Finger in den Mund zu stecken. Lieber verhungere ich.
oOo
Ich setze mich vor den Tisch und warte, bis man mich findet. Sie brauchen überraschend lange. Irgendwann bin ich wohl ohnmächtig geworden, denn ich höre ihre schweren Stiefel wie in Trance durch die Lagerhalle rennen. Es kostet mich die letzte Kraft, meine Augen zu öffnen. Mein Rücken brennt und mein Brustkorb schmerzt, als würde mir jemand ein Messer hineinbohren. Vermutlich muss er mir bei dem Versuch aufzustehen eine oder mehrere Rippen gebrochen haben.
Als ich hochschaue, sehe ich, dass sie auf Adrian starren, der tot und ausgeblutet auf dem Boden liegt. Dem Mädchen schenken sie keinerlei Beachtung. Am liebsten würde ich jedem von ihnen eine Kugel in den Kopf jagen.
Eigentlich hätte ich erwartet, dass sie mich bestrafen, doch das tun sie nicht. Sie sperren mich nur in meine Zelle und lassen mich in Ruhe. Auf dem Weg dorthin wechsele ich zwischen Ohnmacht und Bewusstsein. Sie wissen, dass ich innere Verletzungen habe, aber nachdem was ich einem von ihnen angetan habe, werden sie sich freuen, mich ohne Arzt hier drinnen verrotten zu lassen. Die Schmerzen bringen mich beinahe um den Verstand und ich habe Mühe, nicht aufzuschreien. Sobald sie mich in meiner Zelle zurücklassen, werde ich wieder bewusstlos.
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Ich bin ehrlich gespannt was ihr denkt. Habe ich übertrieben? Das Kapitel ist bereits mehrere Jahre alt und der Inhalt ist an einer Geschichte inspiriert, die einer Mutter beim Islamischen Staat passiert ist, nachdem sie gefangen genommen wurde. Angeblich hat man ihr ihren Sohn zu Essen gegeben und es wurde ihr dann im Nachhinein mitgeteilt. Wirklich schrecklich. Ich hoffe, ich habe da jetzt niemanden traumatisiert oder so.
Was haltet ihr von Effies Reaktion? Effie hat nun ihren ersten Menschen getötet, damit wird sie jetzt auch leben müssen.
Liebe Grüße
Skyllen
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