21. Phase 2: On The Rack

Phase 2: On The Rack

Man packt mich an den Armen. Ich höre ein metallisches Ächzen und plötzlich verschwindet der Druck, der bisher auf meinem Körper gelastet hat. Ich habe bis jetzt nicht einmal gemerkt, dass er da war. Ich werde aus meinem Bett gerissen. Ein neuer Traum, beinahe schlimmer als die Realität. Es ist immer noch dunkel, ich kann nicht einmal die Personen sehen, die mich festhalten. Wie können sie mich sehen?

Erst als meine Füße den Boden berühren und sie zu schwach sind, um mein eigenes Gewicht zu halten, wird mir klar, dass das hier vielleicht doch kein Traum ist. Meine Hände federn den Sturz kaum ab und mein Kiefer kracht auf den harten kalten Boden. Ein völlig neuer Schmerz jagt mir den Rücken hoch und ein erschöpftes Stöhnen verlässt meine Kehle. Ich bin zu schwach, um meinen Kopf zu heben, also bleibe ich einfach liegen, sollen sie mich doch aufheben, schließlich wollen sie ja etwas von mir.

Tatsächlich spüre ich daraufhin ihre Finger, die sich in meine Oberarme bohren und mich grobschlächtig auf die Beine zwingen. Ich versuche mich aufzurichten, aber das ist angesichts meines Zustandes unmöglich. Kälte fährt durch meine Glieder, aber diesmal ist es mein eigener Körper, der versucht, mir das hier zu ersparen. Als mein Kopf diesmal auf dem Boden aufschlägt spüre ich nichts. Nur ein dumpfer Stoß ist zu hören, der sich in der Dunkelheit verliert.

oOo

Der Druck in meinem Rücken nimmt zu. Ich höre ein ersticktes Poltern, es fühlt sich an, als würde ich taumeln und gleich das Gleichgewicht verlieren. Eine Hand packt mich an der Schulter und zerrt daran. Endlich schaffe ich es, die Augen aufzureißen und im nächsten Augenblick schreie ich auf vor Schmerz, denn das Licht ist so unfassbar hell. So hell, ich erinnere mich nicht mehr an eine andere Farbe als Schwarz.

Es tut so unfassbar weh und doch spüre ich diese Erleichterung, die sich in meinem Körper breit macht. Heiße Tränen rinnen mir über die Wangen und ich wische sie mit meiner Hand weg.

Dann versuche ich ein zweites Mal, die Augen aufzuschlagen, langsam diesmal. Das Licht brennt in meinen Augen, es lässt sie tränen und ich muss die Zähne zusammenbeißen, um kein weiteres Mal aufzukeuchen. Es dauert lange, bis ich mich mit einem Seufzen nach vorne lehne und die Augen richtig aufschlage. Das Licht blendet immer noch, so wie die Sonne einen blendet, wenn man an einem hellen Sommertag das dunkle Haus verlässt.

Dann schaue ich auf, kneife die Augen zusammen und erkenne eine Gestalt, die mir gegenübersitzt. Ich sitze ebenfalls, meine Finger klammern sich in den Sitz. Ich wiege meinen Kopf hin und her. Jetzt, wo der Schmerz meiner Augen erträglich geworden ist, bringt mich jedes Pochen meines Kopfes ein bisschen näher zur Ohnmacht. Ich habe eine Ewigkeit nicht mehr geschlafen.

„Hast du dich endlich gefangen, Püppchen?", kommt es von dem Mann gegenüber. Seine dunklen Augen stechen mir entgegen. Aber würde er fortgehen und in fünf Minuten wiederkommen, könnte ich mich gewiss nicht an ihn erinnern. Seine Gesichtszüge sind unscharf, alles um mich herum ist verschwommen. Meine Augen haben nicht die Kraft, die Dinge klarzustellen.

Seine Stimmlage passt mir nicht und dass er mir einen Kosenamen gibt, erst recht nicht. Mit den letzten Kraftreserven, die ich in mir trage, hebe ich trotzig den Kopf und tue so, als könnte ich ihn klar und deutlich sehen. „Mit wem habe ich die Ehre?", frage ich, will ich fragen, doch meiner Kehle entspringt kein Laut. Mein Hals ist so trocken wie Schmirgelpapier. Im nächsten Augenblick muss ich husten, weil ich fürchte zu ersticken. Durch Schlucken versuche ich meinen Hals zu befeuchten, aber es hilft nicht viel.

Der Mann mir gegenüber reicht mir etwas, ohne groß darüber nachzudenken greife ich danach. Es handelt sich um eine Flasche mit Flüssigkeit darin, die sich schnell als Wasser herausstellt, als ich sie in mich hineinkippe und mit gierigen Zügen trinke. Als auch der letzte Tropfen meine Kehle herunter gerinnt ist, lasse ich die Flasche von den Lippen sinken und schaue ihn an. Wieso hat er mir etwas zu trinken gegeben?

Diesmal räuspere ich mich, bevor ich meine Stimmbänder belaste. „Danke." Meine Stimme klingt unsicherer, als ich gehofft habe.

Er antwortet nicht, er nimmt nur die Flasche zurück und stellt sie auf den Boden. „Man wird dir einen Raum zuweisen, wo du schlafen kannst", sagt er nach einer Weile. Er ist vollkommen ruhig und seine Stimme klingt beständig. „Wir sehen uns erst morgen wieder."

oOo

Man lässt mich wirklich schlafen und langsam glaube ich, dass ich vielleicht doch hier rauskomme. Sie könnten mich ein letztes Mal befragen und dann laufenlassen.

Trotzdem habe ich nicht viel geschlafen. Ich kann das Licht in meinem Raum selbst betätigen, doch sobald ich die Augen schließe, ist die Dunkelheit wieder da. Zu meinem Glück ist mein Körper bei weitem zu müde, um zu träumen. Aber auch zu müde, um zu essen. Sie bringen mir etwas, doch ich kriege keinen Bissen herunter. Ich fühle mich immer noch benommen.

Irgendwann holen mich Friedenswächter ab. Ich kann mittlerweile wieder klar sehen, aber die Kopfschmerzen haben sich nicht gebessert. Ich habe immer noch das Gefühl, als würde meine Schläfe jeden Augenblick explodieren. Aber man gewöhnt sich an den Schmerz, so wie man sich an jeden Schmerz gewöhnt.

Es sind keine klassischen Friedenswächter wie in den Distrikten. Sie tragen andere Uniformen, aber sobald man sie sieht, weiß man einfach, dass sie Friedenswächter sind.

Man bringt mich in denselben Raum wie vor einigen Stunden. Oder Tagen? Ich habe mein Zeitgefühl verloren. Ich setze mich wieder. Ich weiß nicht, ob der Mann mir gegenüber derselbe ist, wie gestern. Erst als er spricht bestätigt sich meine Vermutung. „Du siehst besser aus als gestern", sagt er. „Trotzdem, sie hätten dir eine längere Pause gewähren sollen. Ich weiß nicht, ob ich in diesem Zustand mit dir arbeiten kann."

Ich verstehe kein Wort von dem, was er sagt. Ich weiß nur, dass es mir nicht gefällt, dass er mich duzt. Er dringt damit in meine Privatsphäre ein, als hätte er das recht dazu.

Als ich nicht antworte lächelt er freundlich. Jetzt wo ich ihn wirklich betrachten kann, sehe ich, dass er um die Fünfzig sein muss, wenn nicht jünger. Das Alter zeigt sich langsam, aber die Aktivität als Friedenswächter scheint seiner Haut gutgetan zu haben. Er hat ein kantiges Gesicht und wenn er lächelt, sieht man eine Lücke zwischen seinen vorderen Schneidezähnen. Ich versuche mein Schaudern so gut es geht zu unterdrücken. Ich weiß nicht recht, was ich von ihm halten soll. Bisher ist meine Meinung zu ihm ziemlich wertfrei, auch wenn mir seine Art mit mir zu reden nicht gefällt.

„Nun, Effie, wir werden eine ganze Weile miteinander zu tun haben, deswegen denke ich wäre es nur angebracht, wenn du auch meinen Namen kennst. Schließlich weiß ich ja auch deinen. Ich bin Adrian. Bis gestern hat man dich in einem besonderen Raum verwahrt." Er, Adrian, macht eine kurze Pause, damit ich die Zeit habe, mich zu erinnern. Es schmerzt und ich spüre eine kleine Welle von Panik, doch ich kann sie unterdrücken. Ich lehne mich im Stuhl zurück und presse meine verschwitzten Hände zu Fäusten zusammen. „Was glaubst du, wie lange warst du dort?"

Meine Anspannung lässt kein bisschen nach und doch stelle ich mir diese Frage selbst. Am Anfang konnte ich noch zählen, aber es gab keine Verbindung zur Außenwelt, weshalb ich nur vermuten konnte. Und desto länger ich dort gefangen war, desto länger kam mir die Zeit schließlich vor.

Ich lasse mir Zeit mit meiner Antwort und Adrian drängt mich auch nicht dazu. „Zwei Monate?"

Sein Gesicht verzieht sich kein wenig, ich kann nichts herauslesen, also warte ich, bis er seinen Blick von dem Datapad in seiner Hand löst und mich anschaut. „Zwei Monate", er scheint die Wörter auf seiner Zunge zu rollen und sieht aus, als würde er nachdenken. „Nein, es waren keine zwei Monate, Effie. Es waren zwei Wochen."

Verblüfft starre ich ihn an. Zwei Wochen? Nein, niemals, es kam mir doch unerträglich lang vor ...

„Ich weiß, es ist verwirrend am Anfang, aber zwei Monate? Das könnten wir uns doch gar nicht leisten, sei doch mal realistisch. Vor knapp drei Wochen sind die Sieger aus der Arena geflüchtet. Es herrscht Krieg und du bist zu entscheidend, um dich ganze zwei Monate dort versauern zu lassen", erklärt Adrian völlig offen, als wäre alles vollkommen logisch.

Bei seinen Worten läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Es herrscht Krieg und du bist zu entscheidend, um dich ganze zwei Monate dort versauern zu lassen. Die Hoffnung von heute Morgen verpufft auf der Stelle. Sie werden mich nicht gehen lassen, sie werden alles nur noch schlimmer machen.

Ich bin unfähig etwas zu sagen, die Panik hat mich wieder unter Kontrolle. Also starre ich ihn einfach an, wie ein verletztes Tier.

„Ich werde dir jetzt Fragen stellen und es wäre am einfachsten für dich, wenn du sie einfach beantworten würdest. Das würde uns einiges ... an Zeit ersparen, verstehst du?" Seine Augen mustern mich eindringlich.

Ich nicke. Das Blut pulsiert durch meine Ohren, ich höre nicht mehr als ein Rauschen.

„Wann hast du Haymitch Abernathy zum letzten Mal gesehen?"

Ich atme tief ein. Ich weiß nicht, weshalb es so ein Schock ist, seinen Namen zu hören und doch lähmt es mich. „Am Abend als Katniss das Kraftfeld zerstört hat", sage ich langsam, meine Stimme schwankt, ich muss sie unter Kontrolle halten!

Adrian mustert nicht jede meiner Bewegungen, so wie Corporal Cullen es getan hat. Ihn scheint es weniger zu interessieren, was ich sage, denn er hakt nicht weiter nach Details nach. „Wo ist Haymitch jetzt?"

„Ich weiß es nicht", antworte ich ehrlich. „Corporal Cullen sagte zu mir, er wäre mit den Rebellen geflohen."

„Ja das ist er, aber das meinte ich nicht", bemerkt Adrian und schaut mich mit einem kleinen Schmunzeln an. „Ich fragte, wo sind die Rebellen?"

Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß es nicht."

Adrian nickt und sein Schmunzeln verschwindet. „Effie, geh in dich, denk noch einmal scharf über die Frage nach. Wo ist Haymitch? Wo sind die Rebellen?"

Woher sollte ich das bitte wissen? Haymitch hat nie mit mir über solche Dinge geredet, geschweige denn überhaupt ansatzweise erwähnt. „Ich weiß es wirklich nicht."

„Ganz sicher?"

„Ja verdammt", fahre ich ihn an und zucke im selben Moment zusammen, weil mein Kopf wehtut.

„Alles gut", sagt Adrian und hebt beschwichtigend die Hände. „Alles gut, ich glaube dir. Nur leider reicht das nicht. Meine Vorgesetzten wollen Antworten und sie werden sich nicht damit zufriedengeben."

Fragend schaue ich ihn an. „Was heißt das?"

„Das heißt, dass wir dir wehtun müssen, um ganz sicher zu gehen, dass du uns nicht doch etwas verschwiegen hast", sagt er und legt das Datapad auf den Tisch Im selben Moment geht die Tür auf und Cullen steht vor mir. Er nickt in meine Richtung.

„Bringt sie in Sektor Sieben."

oOo

Sektor 7 ist, wie sich herausstellt, nichts anderes als Teil des Gefängnisses, in dem die Insassen gefoltert werden. Er ist riesig und in mehrere Bereiche, je nach Folter unterteilt. Das vermute ich, weil in jedem Bereich andere Werkzeuge stehen. Es gibt hier ebenfalls Zellen und mir fällt auf, dass ich die letzten zwei Wochen bereits in genau diesem Sektor verbracht habe. Wir gehen an Bereichen vorbei, die nur aus Wohnquartieren bestehen, also müssen sie die Insassen teilweise in ihren eigenen Zellen foltern.

Die Friedenswächter zerren mich durch verschlissene Gänge bis hin zu einer metallischen Tür, die sich nach Eingabe eines Codes in die Wand mit einem Ächzen öffnet. Es ist einer dieser Korridore in dem sich Zelle an Zelle reiht und ich hoffe, dass sie mich vielleicht doch einfach in Ruhe lassen werden.

Doch als sie mich hereinschleifen und Adrian uns folgt, schnürt sich meine Kehle zu. Sie drücken meinen Körper mit Gewalt an die gegenüberliegende Wand und drehen meine Hände auf den Rücken, um mir Handschellen anzulegen. Mein Gesicht ist ebenfalls gegen die Wand gepresst und ich spüre die unheimliche Kälte, die gegen meine Wange drückt. Für einen Moment frage ich mich, wie dick die Wand ist und ob sich vielleicht in wenigen Zentimetern Entfernung ein anderes Lebewesen befindet, dem sich vielleicht gerade dasselbe Schicksal ereignet wie mir.

Aber der Gedanke ist sofort vergessen, als sie mich herumreißen. Ich erwarte das schlimmste, doch sie tun nichts außer die Handschellen an einem Haken an der Wand festschrauben. Ich drücke mich gegen die Wand und zerre an meinen Händen, doch sie haben mich sicher festgekettet. Es besteht keine Möglichkeit mich loszureißen.

Und erst jetzt begreife ich, wie schutzlos ich hier vor ihnen dastehe. Die Hände hinterm Rücken gefesselt, keine Möglichkeit mich zu wehren. Ich kann mich nicht einen Schritt in eine beliebige Richtung bewegen. Mein Herz beginnt zu rasen und ich schaue nervös zu Adrian, der einen Stuhl in den Raum schiebt und sich zwei Meter vor mich hinsetzt. Die Friedenswächter postieren sich hinter ihm. Ich wünschte ich könnte ihre Gesichter sehen, um in ihren Augen abzulesen, ob sie das hier auch noch mit Freude tun.

„Nun", beginnt Adrian und mustert mich diesmal genauer. „Ich kann mir vorstellen, wie unschön deine Lage gerade sein muss. Deshalb schlage ich dir immer noch vor, dass du dich zusammenreißt und die Wahrheit sagst. Denn nur einzig allein die Wahrheit kann dich noch aus dieser Situation retten."

Ich starre ihn wortlos an und frage mich, ob er wirklich denkt, ich würde etwas verheimlichen oder ob er einfach den Befehl hat, so vorzugehen. Dann senke ich den Blick zu Boden und lehne mich nach vorne.

„Wo sind die Rebellen?" Seine Stimme klingt beinahe gelangweilt, als wüsste er, was meine Antwort darauf sein wird.

Ich zögere und denke über den Abend nach. Es war ein Abschiedskuss, weil er wusste, dass er mich vielleicht nie wieder sehen würde. Weil er wusste, dass ich wahrscheinlich hier unten sterben würde. Ich hebe meinen Kopf nicht, als ich antworte. „Ich weiß es nicht."

Stille. Adrian sagt nichts. Ich kann nur aus dem Augenwinkel erkennen, wie er den Kopf zur Seite dreht.

Es folgt ein Knall, der mich zur Seite stößt. Mein Kopf prallt mit voller Wucht gegen den Beton der Wand und meine Haut wird seitlich der Handschellen gefühlt auseinandergerissen, so stark fliege ich zur Seite. Dann erst spüre ich den ungeheuren Schmerz in der linken Wange und höre das laute Piepen in meinem Ohr.

Als würde ich wissen was mir bevorsteht, ducke ich mich zur Seite weg und presse die Lippen aufeinander, um ja keinen Laut von mir zu geben. Es bringt nichts. Der Friedenswächter packt meinen Hals und zieht mich nach vorne, um mich mit seiner Rechten ein zweites Mal auf die Wange zu schlagen.

Ich will nach ihm treten, aber er ist so groß, dass er mich vom Boden hebt und ich mein Gleichgewicht verliere. Sobald er mir eine verpasst hat, lässt er mich fallen und ich stürze zu Boden. Meine Hände sind immer noch gefesselt und somit verdrehen sich meine Arme, während der Rest meines Körpers an den Fesseln herabhängt. Meine Knie berühren den Boden, ich versuche mit meinen Füßen Halt zu finden, doch der Schmerz ist so stark, dass ich fürchte, mir einen Arm gebrochen zu haben. Wenn nicht sogar beide.

Ich versuche mich aufzurichten, aber ich schaffe es nicht. Meine Arme schmerzen nur noch mehr, wenn ich versuche aufzustehen und in die alte Position zurückzukehren. Also bleibe ich in der Hocke und senke wieder meinen Kopf. Ich spüre die heißen Tränen, die mir das Gesicht herunterlaufen, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich kann sie mir nicht einmal mit den Händen wegwischen.

Als der Friedenswächter wieder einen Schritt auf mich zu macht, ahne ich was mir blüht. Er packt mich an den Schultern und richtet mich auf. Ich schreie los, der Schmerz in meinen Armen ist unerträglich. Meine Füße treten nach ihm, aber die Uniform macht ihn unantastbar. Wahrscheinlich hat es mir mehr wehgetan als ihm.

Ich wehre mich gegen seine Berührung, versuche zu entkommen, aber es gibt kein Entkommen für ein unerfahrenes Tribut, das vor seinem bewaffneten Killer steht. Ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Ich habe verloren.

Die Knochen in meinen Armen knacken und mein Kopf schießt in die Höhe, nach Luft schnappend. Vor lauter Schmerz beiße ich mir auf die Zunge und schmecke kurz darauf das Blut in meinem Mund. Im nächsten Augenblick spüre ich den Boden unter meinen Füßen und dann lösen sich die Hände ganz überraschend von meinen Schultern.

Erstaunt halte ich inne und Blicke auf den Friedenswächter, der sich rückwärts von mir entfernt und wieder hinter Adrian postiert. Mein Blick wandert fragend zu Adrian. Er zögert, seine Gesichtszüge zeigen einen erschrockenen Mann, dem die Worte fehlen. Doch seine Augen offenbaren Gleichgültigkeit und boshaftes Vergnügen. Ich stehe vor ihm wie ein geprügelter Hund vor seinem Peiniger.

Seine Augen richten sich auf das Datapad in seinen Händen. Er seufzt einmal und hebt dann den Kopf wieder. Das gespielte Mitleid von eben verschwunden. „Was haben die Rebellen als nächstes geplant?"

Er stellt mir eine Menge solcher Fragen. Fragen die ich gar nicht beantworten kann, weil ich ja nicht mal weiß, wer die Rebellen überhaupt sind. Aber das interessiert niemanden. Es kommt mir so vor, als würden sie wirklich Spaß daran finden, mich zu schlagen, zu treten und zu würgen. Sie interessieren sich nicht wirklich für meine Antworten.

Wenn sie genug haben, verlassen sie meine Zelle, aber sie kommen jeden Tag wieder. Am Anfang lassen sie mich nach jeder Sitzung festgekettet hängen. Wenn sie wiederkommen, sind meine Glieder reglos und starr. Die Schmerzen sind in diesen Zustand noch schlimmer als gewöhnlich.

Gewöhnlich. Als hätte ich mich an den Schmerz gewöhnt. Früher habe ich mir immer gesagt, dass man sich an jeden Schmerz gewöhnt. Aber damals kannte ich solchen Schmerz nicht. An solchen Schmerz kann man sich nicht gewöhnen.

oOo

Irgendwann machen sie mich von der Wand los, wahrscheinlich weil sie glauben, ich würde mich auch so nicht gegen sie wehren. Sie behalten recht, denn das tue ich nicht.

Ich denke wieder oft an Haymitch. Ob er lebt und was er gerade macht und ob er vielleicht ab und zu auch an mich denkt. Früher habe ich immer eine Verbindung zu ihm gespürt, weil ich mich teilweise für ihn verantwortlich gefühlt habe, aber jetzt spüre ich nichts dergleichen mehr. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich nicht weiß, wo er ist. Ich weiß nicht, wie viele Mauern uns trennen oder wie viele Distrikte zwischen uns liegen.

Solche Gedanken sollten mich traurig stimmen, aber das tun sie nicht, denn ich habe schon vor einer langen Zeit begriffen, dass Haymitch Abernathy kein Mensch ist, dem man sein Vertrauen schenken sollte. Im Gegenteil, man sollte genau das nicht tun. Schau wohin es mich gebracht hat, denke ich dann. Es hat keinen Sinn, um ihn zu trauern, denn er würde es nicht für mich tun.

Die einzige Erinnerung die mich verwirrt ist der Kuss. Er wusste, dass er geht. Er wusste, dass ein Krieg ausbrechen würde. Ich stand in dem Glauben, dass ich ihn nach diesen Spielen nie wiedersehen würde, weil ich vom Amt als Eskorte zurücktreten würde. Ich habe nicht gewusst, dass alles im Chaos enden würde. Er wusste, dass sie mich wegsperren und foltern würden. Und trotzdem hat er mich geküsst. Er hätte mich nicht küssen müssen. Also muss es eine Bedeutung gehabt haben, oder nicht?

Wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich ihn im Trainingscenter vor mir stehen. Das traurige Lächeln auf seinen Lippen. „Denk daran, das hier ist die Wahrheit." Seine Worte.

Das hier ist die Wahrheit. Was wollte er mir damit sagen? Der Kuss? Hat er den Kuss womöglich ernst gemeint? Besteht die Chance, dass er mich vielleicht doch nicht völlig kaltblütig an das Kapitol ausgeliefert hat?

Ich habe ihn an dem Abend nur fragend angeschaut, weil ich zu müde war, um zu verstehen. Daraufhin hat er abgewunken. Hätte ich nachgehakt, hätte er mir womöglich davon erzählt, er hätte mir irgendetwas erzählt. Ich würde nicht im Dunkeln stehen, so wie jetzt.

Wobei das nicht ganz stimmt. Etwas hat er zum Schluss noch gesagt. Etwas, was ich bisher gar nicht realisiert oder weiter beachtet habe. Wir sehen uns schon bald wieder.

Ein frustrierter Laut entweicht meiner Kehle. Ich liege auf dem eiskalten Boden meiner Zelle, aber das stört mich nicht. Es fühlt sich gut an. Der Boden kühlt die zahlreichen Blessuren und Blutergüsse, die meinen Körper zieren. Einige haben schon begonnen zu eitern, andere sind entzündet.

Ich mache nicht viel, die meiste Zeit liege ich einfach auf dem Boden, denn jede Bewegung tut weh. Ich schließe die Augen und versuche zu schlafen, aber anstelle des Schlafs drifte ich meistens in meine Gedanken ab, die nicht aufhören wollen, in meinem Kopf herumzuschwirren.

Wir sehen uns schon bald wieder. Haymitchs letzten Worte. War er sich da wirklich so sicher? Ich zweifele daran. Wahrscheinlich hat er selbst daran gezweifelt.


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Hi Leute und willkommen zurück,

ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen, auch wenn es wieder ein sehr dunkles Kapitel war. Wie findet ihr Adrian? Was haltet ihr von Effies Gedanken zu Haymitch? Wendet sie sich langsam von ihm ab? Eure Gedanken interessieren mich wie immer sehr!

Liebe Grüße

Skyllen :)

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