18. Days of Future Past

Days of Future Past

Der Raum, in den man mich führt, ist nicht groß. Er sieht aus wie ein Quadrat mit einem breiten Tisch in der Mitte und einem Stuhl auf je beiden Seiten. Ein Friedenswächter bedeutet mir, mich hinzusetzen. Der Mann mit den braunen harten Augen setzt sich mir gegenüber. Hinter ihm ist ein Spiegel in die Wand eingerahmt.

Ich kenne ihn. Es handelt sich um denselben Friedenswächter, der mir am Abend der Interviews den Weg versperrt hat, als ich mit Haymitch und den Kindern zurück ins Penthouse gehen wollte.

„Nun Miss Trinket", beginnt er und mustert mich ohne einen Hauch von Emotion. Ich kann nicht sagen, worauf er aus ist. Noch weniger weiß ich, wieso ich überhaupt hier sitze. „Ich bin Corporal Cullen und werde, solange Sie hier sind, für Sie verantwortlich sein. Am Anfang werde ich Ihnen einige Fragen stellen und wie es dann weitergeht, entscheidet sich dann."

Ich schlucke und schaue auf. „Wo sind wir?"

„Örtliche Behörden", antwortet er knapp. „Keine Fragen mehr. Wie Sie wahrscheinlich bereits wissen, hat ihr Schützling Katniss einigen Schaden angerichtet." Er hält einen Moment Inne und schaut mich an, als warte er auf eine Reaktion oder ein Zeichen meinerseits. Ich nicke, schließlich haben sie es in den Nachrichten gezeigt.

„Was ist mit Katniss?", kommt es aus meinem Mund. „Und Peeta? Geht es ihnen gut?"

Cullen lächelt dünn. „Schön zu wissen, wo Ihre Prioritäten stehen, Miss Trinket. Es hätte ihnen gut gehen können, aber nun haben wir Krieg, also glaube ich nicht, dass es einem von ihnen gut gehen wird."

Es ist wie ein Schlag in die Magengrube. Krieg? „Sir?"

„Sie müssen nicht alle Fakten kennen, aber nur so viel: Eine Gruppe von Revolutionierten haben sie geholt, bevor wir es konnten. Haymitch Abernathy scheint sich ihnen angeschlossen zu haben, genauso wie einige andere im Kapitol angesehene Leute." Er beäugt mich scharf. Plötzlich wird mir schlecht.

„Haymitch?", bringe ich hervor. Revolutionierte? „Wo ist er?"

„Stellen Sie sich nicht dumm, Miss Trinket", sagt er plötzlich schärfer.

„Entschuldigen Sie bitte?", gebe ich entrüstet zurück und beäuge ihn wütend. Ich weiß nicht was er von mir will. Wieso sollte ich mich dumm stellen?

Als er den Tonfall in meiner Stimme vernimmt fixiert er mich mit seinen Augen, doch nun da er mich wütend gemacht hat, scheue ich mich nicht davor, seinem Blick standzuhalten. Wir schauen uns einige Minuten an. Dann winkt er plötzlich eine der Wachen zu sich und flüstert ihr etwas ins Ohr. Diese nickt und verschwindet.

Er schaut mich an und seufzt. „Wir können das hier auf zwei Wegen machen, entweder Sie kooperieren, oder ich muss zu anderen Mitteln greifen, um zu kriegen was ich will." Er schaut nicht böse, sondern beinahe gelangweilt, als würde er sowas jeden Tag machen. Langsam grault es mir.

Kooperieren? Was meint er damit? Ich hebe meinen Kopf und schaue ihn verdutzt an.

Cullen nutzt meine Verwirrung und beugt sich mit beiden Händen über den Tisch als er die nächste Frage stellt. „Wann haben Sie Haymitch Abernathy das letzte Mal gesehen?" Langsam wird mir klar, dass das hier ein Verhör sein muss.

„Letzte Nacht", sage ich und beobachte ihn, wie er sich mit der Hand übers Gesicht streicht.

„Geht das auch genauer?"

„An die genaue Uhrzeit kann ich mich nicht mehr erinnern, aber die Sonne ging gerade unter."

Er mustert mich. „Sie können sich nicht mehr an die Uhrzeit erinnern", wiederholt er langsam. „Das bedeutet, Sie haben es mal gewusst."

„Wie bitte? Nein, so habe ich das nicht gemeint", antworte ich, verärgert, was er sich aus meiner Wortwahl zusammenreimt.

„Wie haben Sie es dann gemeint?", fragt er.

Ich seufze und werfe ihm einen genervten Blick zu, als ich mich in den Stuhl zurücklehne. „Ich habe gemeint, dass ich es nicht weiß. Und auch nie gewusst habe." Der Ton in meiner Stimme sagt ihm, dass ich genug von seinen Fragereien habe.

„Ist das nicht komisch", sagt Corporate Cullen zu niemand Bestimmtem und geht die wenigen Schritte bis zur Wand. Dann dreht er seinen Kopf in meine Richtung. „Effie Trinket, die doch immer so viel Wert auf Pünktlichkeit legt weiß nicht wie viel Uhr es war, als sie eine Besprechung mit Abernathy hatte." Etwas in seinen Augen funkelt. Ich kann nicht sagen was es ist, aber es gefällt mir nicht.

„Ich habe nie etwas von einer Besprechung gesagt", kommt es von mir wie aus der Pistole geschossen.

„Aha!" ruft er und dreht sich zu mir um. „Wenn es keine Besprechung war, was haben Sie und Abernathy dann gemacht?"

Perplex wie ich bin, bleibt mir der Mund offenstehen. Ich starre ihn für eine Sekunde an und fasse mich dann sofort. Plötzlich weiß ich, worauf er die ganze Zeit hinaus wollte. Er hat die Fragen gezielt gestellt, um mich in eine Falle zu locken und ich Idiotin habe angebissen wie ein Fisch im Teich! „Wir haben uns zusammen die Spiele angeschaut."

Er nickt und setzt sich wieder. „Und wieso haben wir dann nur Sie heute Morgen im Penthouse gefunden? Hat Abernathy sich etwa einfach in Luft aufgelöst?"

„Nein– Nein, ich habe mich später zurückgezogen. Er ..."

„Ja?"

Ich hole tief Luft. „Er sagte, ich solle schlafen gehen und dass er mich wecken würde, sobald sie mit Beetees Plan beginnen."

Cullens Augen verengen sich zu Schlitzen und er beobachtet mich. Dann nach einiger Zeit nickt er und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Ihre Schilderungen stimmen mit unseren Aufzeichnungen überein."

„Aufzeichnungen?"

Cullen nickt wieder. „Aber ja, wussten Sie etwa nicht, dass das Kapitol jeden Winkel des Trainingscenters überwachen lässt? Das hätte man sich aber auch denken können, oder etwa nicht?" Ein Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht.

Um die Wahrheit auszusprechen, können sich wahrscheinlich die wenigsten Kapitoler denken, dass die Regierung sie überwachen lässt. So etwas würde einem normalen Menschen von hier niemals in den Sinn kommen. Wenn aber stimmt was er sagt und sie wirklich alles aufzeichnen, dann werden sie von meinen Albträumen wissen. Sie werden wissen, was ich zu Haymitch gesagt habe, was Haymitch zu mir gesagt hat. Alles. Plötzlich zieht sich mein Magen zusammen und zum ersten Mal denke ich darüber nach, ob ich mich hier in etwas reingeritten habe, wo ich so bald nicht mehr herauskommen werde. Ich habe Dinge gesagt, Dinge gegen das Kapitol. Ich habe Sachen gesagt, mit denen sie mich belasten können. Ein Hauch von Zweifel wird für sie ausreichen.

„Angst?" Cullens Augen scheinen jede Regung in meinem Gesicht registrieren und abspeichern zu wollen. Ich muss meine Rolle besser spielen. Heute besser als jemals zuvor.

Ich richte mich gerade auf, setze meine Maske auf und schüttele den Kopf.

Cullen, der wohl gemerkt haben muss, dass er mit mir kein einfaches Spiel zu spielen haben wird, steht auf und beugt mich über den Tisch hinweg. „Dann ein letztes Mal: Wo ist Haymitch Abernathy?"

„Ich weiß es nicht", antworte ich ehrlich.

„Sie wissen es also nicht."

Ich nicke.

„Ich kann Ihren Aussagen leider keinen Glauben schenken", sagt Cullen. „Wir wissen, dass Abernathy Sie nicht einfach so im Kapitol zurücklassen würde. Er weiß, was wir mit Menschen tun, die ihm nahestehen." Beinahe mitleidig schaut er mich an. Denn was er sagt, ist nichts anderes als Hättest du ihm wirklich was bedeutet, hätte er dich mitgenommen.

Ich schlucke und verbanne jegliche Emotion von meinem Gesicht. Er darf nicht sehen, dass er mich zur Verzweiflung bringt. Denn was er sagt stimmt. Schließlich hat Haymitch mich schon einmal im Stich gelassen.

Aber noch etwas anderes erweckt meine Aufmerksamkeit. Er weiß, was wir mit Menschen machen, die ihm nahestehen.

oOo

Nachdem Corporal Cullen mir noch ein Dutzend anderer Fragen gestellt hat, schickt er mich mit den Wachen fort und erklärt, dass morgen mein Prozess anstehen werde. Als ich ihn mit Fragen bombardieren will, reißen mich die Wachen aus dem Verhörzimmer.

Prozess. Aber was habe ich getan? Wie lautet die Anklage? Die Gedanken schwirren in meinem Kopf, während mich die beiden Friedenswächter den gefliesten Flur entlang geleiten. Doch egal wie viele Fragen ich an die beiden stelle, sie ignorieren mich und drücken meine Oberarme nur noch fester.

Keine Ahnung was das hier für eine Behörde sein soll, aber uns läuft kein einziger Beamter über den Weg. Lauter Friedenswächter. Die Flure sind weiß und kahl und ich habe das Gefühl eingeengt zu sein. Die Gänge sind wirr ineinander verschlungen, schon nach drei Abbiegungen bin ich mit meinem Orientierungssinn verloren. Das Gebäude muss sich über eine sehr große Fläche erstrecken, so viel ist sicher.

Irgendwann gelangen wir zu einem Aufzug. Keiner von den luxuriösen wie im Trainingscenter, sondern ein massiver, ganz aus Stahl und Metall und groß genug, um eine Eskorte von Friedenswächtern zu transportieren. Als die gewaltigen Türen sich schließen, fühle ich mich noch kleiner als ich sowieso schon bin. Ich starre auf mein Spiegelbild. Das schwarze Kleid das ich heute Nacht auf die Schnelle angezogen hab sieht im Spiegel völlig verzerrt aus. Neben den beiden Soldaten wirke ich fehl am Platz.

Die folgenden Fragen die Cullen mir gestellt hat, hatten weniger mit Haymitch persönlich, sondern mehr mit meiner Rolle als Betreuerin von Distrikt 12 zu tun. Wieso ich Betreuerin wurde, wie ich am Anfang mit Haymitch klargekommen bin und wie ich es geschafft habe, ihn unter Kontrolle zu halten. Ich habe versucht so gut wie möglich auf sie zu antworten, ohne mich selbst in noch größere Gefahr zu begeben.

Ich frage mich, wohin sie mich bringen. Wir fahren nach unten. Als wir auf einem niedrigeren Level aussteigen, führen mich die Friedenswächter durch einen langen Gang, der exakt so aussieht, wie die anderen zuvor auch, nur dass es eine Reihe von Türen gibt. Türen, die man alle von außen abschließen kann. Langsam dämmert es mir, was dieser Ort hier wirklich sein muss. Meine Handflächen beginnen zu schwitzen, als wir vor einer der Türen halten.

Perplex starre ich erst auf die Tür, dann auf die beiden Friedenswächter, die mir bedeuten den Raum dahinter zu betreten. „Ist das– Ist das etwa eine Gefängniszelle?", frage ich und meine Stimme schrillt zwei Oktaven in die Höhe vor Entsetzen. Ich mache einen Schritt rückwärts, von der Tür weg. Mein Herz hämmert in meiner Brust und nun kann ich die Panik nicht mehr zurückhalten.

Einer der Wärter kommt auf mich zu und für einen Augenblick schießt ein irrsinniger Gedanke durch meinen Kopf. Was für eine Chance hätte ich, wenn ich jetzt die Flucht ergreifen würde? Wenn ich mich einfach umdrehen und wegrennen würde, in die Richtung, aus der wir gekommen sind, in der Hoffnung, dass ich den Weg hier raus finde. Aber dann fällt mein Blick auf ihre Maschinengewehre und mir wird klar, dass ich es wahrscheinlich nicht mal um die Ecke schaffen würde.

Stattdessen zucke ich nur zurück, als der Friedenswächter meinen Arm packt. „Das hier ist nur zu Ihrer eigenen Sicherheit", sagt er durch seinen Helm hindurch und zieht mich in seine Richtung. Stolpernd bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm auf wankenden Beinen zu folgen.

Sobald ich das Zimmer betrete, wird mir bewusst, dass es sich wirklich um eine Zelle handelt. Doch ich höre die Tür hinter mir ins Schloss fallen, noch bevor ich mich umdrehen kann. Ich stürze zur Tür und hämmere mit aller Kraft dagegen, als sie die Tür abschließen. Falls sie mich hören, ignorieren sie mich. Fassungslos lehne ich mich an die Tür und sinke langsam auf den Boden. Dabei versuche ich meine Atmung in den Griff zu kriegen, denn nun überrollt mich die Angst.

Tränen laufen über mein Gesicht. Ich sitze alleine in einer Gefängniszelle. Abseits von der Welt, ohne zu wissen was ich getan habe. Jedes menschliche Wesen abseits meiner Reichweite. Haymitch.

Die Stunden verstreichen und desto mehr Zeit vergeht, desto mehr Angst habe ich, dass sie mich vergessen. Hier unten, wo dutzende Korridore und Türen mich von der Außenwelt trennen, könnte man mich leicht vergessen. Ich bin nicht ihr größtes Problem.

Mit letzter Kraft schiebe ich diese Gedanken von mir. Zum ersten Mal, seitdem ich hier angekommen bin, hebe ich den Kopf und versuche jeden Winkel der Zelle in mich aufzunehmen. Um ehrlich zu sein, sie sieht nicht so aus, wie ich mir eine Gefängniszelle vorgestellt hätte. Dieser Gedanke, sich eine Gefängniszelle überhaupt vorzustellen, ist schon irrsinnig genug. Für uns ist Gefängnis ein Fremdwort.

In der Ecke steht ein einfaches Bett, mit Kissen und Bettbezug. Dann gibt es noch eine Toilette, ein Waschbecken und sogar einen Spiegel und eine kleine Kommode neben dem Bett.

Mit einem weinerlichen Schniefen wische ich mir einmal übers Gesicht und finde dann endlich die Kraft aufzustehen. Zitternd und etwas benommen taumele ich auf das Bett zu und lasse mich langsam auf die Matratze fallen. Sie ist bei weitem nicht so weich wie zuhause, aber ich bin froh wenigstens etwas zu haben, wobei ich doch eigentlich mit gar nichts gerechnet habe.

Als man mir sogar etwas Warmes zu Essen bringt, schaffe ich es mein verzweifeltes Ich so weit in den Hintergrund zu rücken, damit die enthusiastische Effie wieder einen klaren Gedanken fassen kann. Sie werden mich nicht vergessen, ich scheine für sie von Bedeutung zu sein, sonst wäre ich nicht hier. Egal was passiert, ich werde morgen aus dieser Zelle rauskommen.

oOo

Ich weiß nicht wie viel Zeit bisher vergangen ist, aber es kommt mir so vor, als hätte man mich schon vor einer Ewigkeit hier eingesperrt. Zusammengekauert und mit der Decke bis zum Kinn liege ich im Bett und wiege mich hin und her, versucht die Müdigkeit abzuschütteln.

Hier einzuschlafen würde die Hölle auf Erden bedeuten. Ich würde kurz darauf schweißgebadet aufwachen, verraten von meinem eigenen Gehirn, welches mir diese Gespinste einnistet, weit ab von irgendeiner Menschenseele, die meine Schreie hören könnte. Hier unten wird mich niemand hören. Man hat mich von allem isoliert.

Im Dunkeln der Zelle setze ich mich auf, ziehe die Knie unters Kinn und presse meinen Rücken gegen die kalte Wand. Mit weiten Augen versuche ich einen unsichtbaren Punkt in der Dunkelheit zu fixieren. Ich kann die Wand auf der anderen Seite nicht erspähen und es sieht so aus, als würde der Raum weiter in die Dunkelheit gehen. Aber ich weiß, dass die Wand nur vom Schwarz verschluckt wird.

Mit aufeinander gepressten Lippen verlangsame ich meinen Atem, um vielleicht ein Geräusch von Draußen wahrnehmen zu können. Angestrengt lausche ich, doch da ist nichts. Als wäre ich ganz alleine hier unten. Dabei muss doch ein Friedenswächter da sein. Irgendjemand.

Irgendwann als ich mich an der Schwärze sattgesehen habe schließe ich die Augen und lasse meine Gedanken zu Haymitch wandern. Geht es ihm gut? Wo ist er? Wieso hast du mich schon wieder zurückgelassen?

Es gibt so viele Fragen, die ich nicht beantworten kann. Wer sonst soll sie mir beantworten? Hier werden sie auf jeden Fall nicht bereit dazu sein.

Es ist so viel passiert. Mein Kopf kann nicht alles parallel verarbeiten. Er braucht Zeit. Während die Nacht voranschreitet versuche ich Verbindungen herzustellen und Beziehungen zu knüpfen zwischen Erinnerungen, die mir nur noch vage und verschwommen vorkommen, als wären sie eine Ewigkeit her. Dabei ist unser Kuss keine 24 Stunden her.

Der Kuss. Ein Bild flackert vor meinem Auge auf und es wirkt so echt, dass ich mir bei dem Versuch zu fliehen den Kopf an der Wand stoße.

Ich sehe Haymitch, Jahre jünger als jetzt, doch der Ausdruck des Schmerzes hat sich über die Jahre hinweg nicht verändert. Ein Lächeln ziert seine Lippen. Du bist wunderschön. Seine Stimme klingt anders. Lebendiger, kräftiger. Ein jüngeres Abbild meiner selbst schenkt ihm ein strahlendes Lächeln. Dann streckt er die Hand nach mir aus. Der maßgeschneiderte Anzug sitzt perfekt. Ihre zierliche Hand ist kleiner als seine, doch das scheint sie nicht zu stören, als er sie sanft zu sich zieht. Mit einer Hand stabilisiert er sie an der Hüfte als er ihr den Hauch eines Kusses auf die Lippen drückt. Dann hebt er den Kopf und seine grauen Augen funkeln.

Ein Laut entfährt meiner Kehle. Ich springe aus dem Bett, auf die beiden zu und will mein jüngeres Ich von ihm reißen, mich zwischen die beiden stellen, doch als ich ihre Schulter berühre ist da nicht mehr als Luft. Ich verliere das Gleichgewicht und muss zusehen, wie die beiden sich vor meinen Augen in Nichts auflösen.

„Nein", rufe ich, meine Stimme klingt verstört und verwirrt. „Lass sie in Ruhe." Ein Zittern erfasst meinen Körper und ich schlinge mir die Arme um die Brust. Heiße Tränen rollen über meine Wangen. Erst als sie den Boden berühren wird mir klar, dass ich halluziniere.

Was ich gesehen habe war nichts weiter als eine Erinnerung meiner selbst. Etwas das Jahre zurück liegt, ganz am Anfang. Etwas worüber Haymitch und ich niemals wieder ein Wort verloren haben. Totschweigen. Ein kleiner Teil von mir hasst ihn immer noch dafür. Aber ein anderer Teil sagt mir, dass ich das hier hätte kommen sehen müssen. Das erste Mal hat er mich auch von sich gestoßen.

Die Wut, die in dieser Sekunde in mir aufflammt, kommt völlig überraschend. Ich hatte mich in ihn verliebt. Ich war eine junge naive Frau. Er ließ mich in dem Glauben, dass er mich auch mögen würde und dann, von heute auf morgen verlor er das Interesse. Als wäre ich ein Kleidungsstück, das er einfach ablegen konnte, wenn er wollte.

Aber es ist Jahre her, währenddessen ist viel passiert. Desto mehr er trank desto kälter wurde unsere Beziehung. Ab dem Jahr nach unseren ersten Spielen hat er mich wie einen Fußabtreter behandelt, hat mich nicht einmal eines Blickes gewürdigt als er mit mir sprach. Doch irgendwann mussten wir wohl doch die Kurve gekriegt haben.

Jahre nach dieser Sache fingen wir langsam an, uns endlich wie Erwachsene zu verhalten. Manchmal glaubte ich, dass er das zwischen uns vergessen hatte, so wie er auch seine Vergangenheit versuchte zu vergessen. Doch desto mehr Gras über die Sache wuchs, desto öfter ertappte ich seine Blicke, die er mir in Sekunden zuwarf, als er wohl dachte ich würde sie nicht bemerken. Ich weiß nicht was er sich dabei dachte, ich fand nie die Kraft seine Blicke zu erwidern, sondern tat immer so als bemerkte ich sie nicht.

Und nun schau sich einer an was aus uns geworden ist. Katniss und Peeta haben alles verändert. Ich weiß nicht wie Haymitch geendet wäre, wenn die beiden nicht in unsere Leben getreten wären. Sie haben ihn berührt, tief in seinem Herzen haben sie etwas wachgerüttelt. Und nun ist er ein völlig anderer Mensch. Und doch erinnert er mich ein wenig an den alten Haymitch, an den alten jungen Haymitch.

Obwohl die Erinnerungen an damals immer noch wehtun, muss ich lächeln.

Hättest du ihm wirklich was bedeutet, hätte er dich mitgenommen.


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Vielen Dank für die Kommentare, die ich für mein letztes Kapitel erhalten habe! Ich habe mich sehr darüber gefreut :) Hoffentlich hat euch dieses Kapitel auch wieder gefallen!

Liebe Grüße

Skyllen

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