12. I'd Be Safe And Warm
I'd Be Safe and Warm
Für einen Moment überlege ich, wieder auszugehen, vielleicht den Mann von gestern wiederzutreffen. Doch ich schlage mir die Idee sofort wieder aus dem Kopf. Ich kann mir keine schöne Nacht machen. Nicht nach all dem was passiert ist. Nicht wenn Katniss und Peeta morgen in die Arena müssen.Ich hasse es zu weinen. Ich hasse es mich so unglaublich schwach zu fühlen, aber ich kann meinen Tränen keinen Einhalt gewähren. Und ein kleiner Teil meines Verstandes will mir klar machen, dass ich es nicht anders verdient habe. Schließlich sind sie meinetwegen hier. Nur meinetwegen.
Anstatt mich in mein Zimmer zu verkriechen, setze ich mich an die Bar. Keine gute Idee. Ist es wirklich nicht, aber ich will einfach nur noch vergessen. Der Avox wirft mir weder einen neugierigen noch einen mitleidigen Blick zu. Irgendwie bin ich ihm dafür dankbar. Er reicht mir einfach nur das Glas mit der blauen Flüssigkeit. Was auch immer es ist.
„Wenn ich ehrlich bin, hätte ich dich nicht hier erwartet", höre ich seine Stimme und vor Schreck ich hätte beinahe das Glas fallen lassen. Doch ich drehe mich nicht um. Der Alkohol kann die Erinnerungen nicht zurückhalten, die plötzlich alle auf einmal auf mich einstürzen. Sie werden mich unter sich begraben.
Mit einer Handbewegung, die ich nur aus dem Augenwinkel mitkriege, schickt Haymitch den Avox fort. Er setzt sich auf den Barstuhl neben mir und nimmt mir das Glas aus der Hand. Er hat es in einem Zug geleert und stellt es wieder auf den Tresen. „Das Zeug ist nichts für dich."
„Was geht dich das an?", erwidere ich schwach. Ich habe nicht einmal die Kraft ihn anzuschauen.
Haymitch greift nach meiner Hand. Ich bin zu überrascht, um sie wegzuziehen. Ich hätte sie wirklich wegziehen sollen. „Du- Ich hätte nicht- Wenn es um die beiden geht, dann geht es mich sehr wohl etwas an."
Abrupt entreiße ich ihm meine Hand und hebe meinen Kopf. „Wieso jetzt? Sonst hast du dich auch nie für mich interessiert." Das stimmt nicht ganz, flüstert eine leise Stimme in meinem Kopf. Es gab eine Zeit, als die Dinge anders waren. Eine längst vergangene Zeit.
„Du liebst sie", sagt er ruhig und lächelt leicht. „Du liebst sie mehr, als es für jemanden aus dem Kapitol zu erwarten ist. Du kümmerst dich wirklich um sie. Sie sind dir wichtig. Hätte mir das jemand vor zehn Jahren gesagt, hätte ich ihm nicht geglaubt." Seine Stimme klingt bestimmt, als würde er sich sicher sein, dass er über Tatsachen spricht.
„Na und?", frage ich und lächele ihn übertrieben an. Im selben Augenblick laufen mir Tränen über die Wangen. Er soll aufhören. „Meine Tribute waren mir immer wichtig und das weißt du besser als jeder sonst. Es ist doch jetzt sowieso egal, oder nicht? Wir können nichts für sie tun und wenn einer von beiden doch rauskommen sollte, dann werden sie nicht mehr mit uns leben können. Weißt du wieso? Weil sie alles an ihren Partner erinnern wird. Wir werden sie daran erinnern. Distrikt Zwölf. Das Dorf der Sieger. Sie werden gebrochen zurückkehren, unfähig, sich davon zu erholen. Unfähig, weil ein Teil ihrer selbst tot ist. Tot. Man kann einen toten Körper nicht zum Leben erwecken, man kann nur lernen, mit der Leere zu leben. Die Vergangenheit ist vergangen, doch sie holt einen immer ein, Haymitch." Meine Unterlippe zittert und ich presse meinen Mund zusammen, um den Schmerz nicht Überhand gewinnen zu lassen. Langsam stehe ich auf und fahre mir übers Gesicht. Die Vergangenheit ist vergangen, doch sie holt einen immer ein. Das gilt nicht nur für die beiden. Wir beide waren auch schon immer schlecht in diesem Spiel.
Noch bevor ich aus dem Raum flüchten kann, greift er meinen Arm und dreht mich zu sich um. Sein Gesicht ist näher als erwartet und seine grauen Augen bohren sich förmlich in meine. Aber sie sind weich und sanft. Ein trauriges Lächeln ziert seine Lippen. Für einen Augenblick denke ich, dass er mich küssen wird. Zum Glück tut er es nicht.
Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Die gesamte Situation heute überfordert mich. Ich habe meine Gefühle so sehr verdrängt, dass sie mich jetzt alle auf einmal übermannen. Am liebsten würde ich schlafen, nur um zu vergessen. Doch Schlafen würde mir nur neue Ängste bringen. Ich stehe einfach nur da, hin und hergerissen von meinen eigenen Gedanken. Aus weiter Ferne höre ich Haymitch irgendetwas murmeln, aber ich höre die Worte nicht.
Haymitch hebt seine Hand und wischt mir sanft die Tränen von der Wange. Er kommt einen Schritt näher, überbrückt den letzten Abstand zwischen uns und im nächsten Augenblick liege ich in seinen Armen. Mein Herz setzt für einen Schlag aus und mein Körper gefriert. Haymitch hat seine Arme fest um meinen Rücken geschlungen und lehnt sein Kinn auf meine Stirn, so weit es ihm mit der Perücke möglich ist. Ich frage mich, ob er mich tröstet, oder ich vielleicht ihn. Er redet nie über seine Gefühle, aber ich weiß, dass die Kinder ihm viel zugemutet haben. Sie haben ihn in einen völlig anderen Menschen verwandelt. So wie mich.
Als ich meine Arme um seine Mitte schlinge, beginnt mein Herz zu rasen. Ich drücke mein Gesicht an seine Brust, damit er die aufsteigende Röte in meinen Wangen nicht sehen kann. Langsam wird das hier wohl zur Routine, aber es tut gut. Alles was ich will ist, dass Haymitch mich festhält und das tut er. Er redet nicht, fragt mich nichts und dafür bin ich ihm dankbar. Seine Anwesenheit ist genug, um mich zu beruhigen. Wir stehen das gemeinsam durch. Doch nicht einmal er kann mich völlig von meinen Problemen ablenken. Ich denke an Katniss und an Peeta und an Cinna. Werden wir einen von ihnen jemals wiedersehen? Nicht einmal Haymitch kann die Dämonen zurückhalten.
Plötzlich schallt ein Krachen durch die gesamte Etage. Wir zucken zusammen und sein Griff wird fester. Es folgen Schritte und Gelächter und im nächsten Augenblick sind Haymitchs Arme verschwunden und ein Windstoß rauscht an meinen Ohren vorbei. Haymitch hat mir den Rücken zugedreht und steht der Bar gegenüber. Keinen Augenblick später platzt Chaff durch die Tür, dicht gefolgt von Finnick und Johanna Mason.
Haymitch wirft Chaff über seine Schulter einen Blick zu. „Wir dachten, wir könnten auf unseren Tod anstoßen", meint er gelassen und grinst.
Finnick kommt auf mich zu und begrüßt mich mit einem breiten Lächeln und Johanna lehnt sich einfach in die Tür. „Du meintest, Kapitol freie Zone." Ihr Ton ist scharf, wie immer und ihre irritierenden Augen bleiben an mir hängen.
„Effie gehört zu uns", sagt Finnick bestimmt und zieht mich mit einem Arm um meine Schultern zu sich heran. „Sei nicht so gemein." Doch er lächelt, während er sie zurechtweist. Johanna zuckt mit den Achseln und wirft sich in meinen Sessel.
„Ich hab mich schon gewundert, dass ihr nicht früher aufgekreuzt seid", bemerkt Haymitch spöttisch und dreht sich um, dabei wirft er sein Glas in Chaffs Richtung.
Chaff steht bereits hinterm Tresen und fischt Flaschen von unterschiedlichen Getränken aus den Schränken, fängt das Glas jedoch mühelos auf. „Jetzt ist mein T-Shirt nass" stellt er fest und schaut auf die blauen Punkte auf seinem weißen T-Shirt. „Vielen Dank."
Finnick führt mich zum Sofa, immer noch einen Arm um meine Schulter und wir lassen uns seufzend auf die Kissen fallen. Über Johannas Kopf hinweg beobachten wir Chaff, der ziemlich zufrieden dreinschaut. „Aber deine Sammlung hier ist wirklich bereichernd!" Er wirft uns einen Blick zu und wackelt grinsend mit den Augenbrauen.
Haymitch packt sich eine Flasche Wein und setzt sich auf seinen üblichen Platz. Er nimmt einen großen Schluck.
„Tja, also wenn wir unserem Schicksal einmal alle entgegenblicken, dann können wir mit Sicherheit behaupten, dass die meisten von uns bis Ende nächster Woche tot sein werden", meint Chaff und lacht heiser, bevor er sich auf dem zweiten Sofa ausstreckt. „Außer Finnick natürlich."
Finnicks Körper neben mir bebt und sein Grinsen wird breiter. „Natürlich, schließlich muss ich doch zu meiner Effie zurückkehren."
Ich lache und stupse ihn spielerisch mit meiner Stirn an. „Wie edel von Ihnen, Mister Odair." Es ist einfach zu entspannen, wenn Finnick in der Nähe ist. Seine Jugend gibt mir das Gefühl, wieder an der Uni zu sein und lässt mich Manieren und Regeln für eine Weile vergessen. Er hat diesen Effekt auf Menschen.
„Du musst gar nicht so tun, als würde ich dir nichts bedeuten", sagt Finnick und lächelt in die Runde. Chaff reicht ihm über den Tisch hinweg ein Glas mit irgendeinem Zeug, jedoch darauf bedacht ihm nicht in die Augen zu schauen. Nicht einmal Johanna kann sich ein Schmunzeln verkneifen.
Noch bevor Chaff mir ein Glas reichen kann, hebt Finnick die Hand. „Vielen Dank, aber ein Glas wird reichen", stellt er fest und nickt dankbar, doch in seinen Augen funkelt Amüsement. Dann hebt er das Glas an seine Lippen, trinkt einen Schluck und gibt es weiter an mich.
Ich werfe ihm einen gespielt ernsten Blick zu, nehme das Glas und bedanke mich ebenfalls mit einem Nicken, bevor ich selbst trinke. Während ich schlucke, verzieht sich sein Mund. Der Alkohol brennt wie Feuer. Ich stoße einen nicht ladyhaften Laut aus und beginne zu husten. Tränen steigen mir in die Augen und ich muss mit einer Hand vor meinem Gesicht herumfuchteln, um sie wieder verschwinden zu lassen. Die Sieger brechen in schallendes Gelächter aus.
„Was ist denn los, Liebste? Stimmt etwas nicht?" Finnicks riesige grüne Augen werfen mir einen unschuldigen Blick zu.
Ich boxe ihm spielerisch in die Seite, bevor ich ihm das Glas zurückgebe. „Idiot", murmele ich, so laut, dass es trotzdem alle hören können. Ihr Gelächter wird lauter und ich kann mich nicht zusammenreißen. Mein Mund zuckt und ich kichere kopfschüttelnd. Meistens sind die Sieger genießbare Gesellschaft. Mit den Jahren habe ich es geschafft, ein halbwegs positives Verhältnis mit den meisten von Haymitchs Freunden aufzubauen. Aber besonders zu Finnick. Wir kommen einfach zurecht und im Gegensatz zu den anderen war er nie misstrauisch oder abweisend, nicht einmal zu Beginn.
Wir wechseln uns mit dem Glas ab und nach einigen Schlucken ist es gar nicht mehr so schlimm, aber ein Glas reicht, um mich ein wenig zu benebeln. Ich greife danach und Finnick reicht es mir wortlos. Resigniert werfe ich ihm einen Blick zu, denn das Glas ist leer. Er lächelt einfach nur charmant zurück und spielt das Spielchen weiter.
Lächelnd mache ich es mir etwas bequemer und drücke meinen Rücken gegen seine Seite, damit ich meinen Kopf an seine Schulter lehnen kann. Dabei begegne ich Haymitchs Blick. Die Weinflasche baumelt in seiner Hand und er hat sich ein wenig nach vorne gebeugt. Seine Augen mustern mich zusammengekniffen. Ich weiß nicht, ob er meinen Blick sofort bemerkt, denn als sich unsere Augen treffen, verschwindet der unzufriedene Ausdruck aus den Seinen. Ich hebe eine Augenbraue, aber er tut so, als hätte er es nicht gesehen. Was auch immer.
„Und was, wenn er doch nicht zurückkommt?", feixt Johanna und fixiert Finnick mit einem verhöhnenden Blick.
Verdutzt setzt er sich auf und führt sich eine Hand an die Brust. „Ich?" Er deutet auf sich selbst und weitet erschrocken die Augen. Dann dreht er sich mit ernstem Gesicht zu mir, die Lippen beinahe verzweifelt aufeinandergepresst. „Möge Gott mich vor diesem Schicksal bewahren. Ich würde dich niemals zurücklassen, Effie Trinket, Liebe meines Lebens." Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht in Gelächter auszubrechen, als er mein Gesicht in seine Hände nimmt und näherkommt. „Ich werde für dich zurückkommen, koste es, was es wolle."
Einzig seine Augen funkeln verschmitzt und ich lehne mich ein wenig näher in seine Richtung, hebe meine Hand und fahre ihm liebevoll durchs Haar. „Ich weiß." I sehe Finnicks Lippen beben, im Versuch, sein Lachen zurückzuhalten. Wir können unser Theater kaum aufrechterhalten.
Chaffs verrücktes Lachen beendet unser kleines Theater und er klatscht in die Hände. „Vergessen wir die beiden", meint er und deutet zu den Schlafzimmern. „Hier haben wir unser neues tragisches Liebespaar!"
Johanna prustet los und wirft angeekelt ihr Kissen in seine Richtung. Er fängt es spielerisch auf und wirft es auf uns. Finnick wirft sich in übertriebener Geste vor mich, um das Kissen abzufangen und öffnet dabei seinen Mund, als würde er schreien wollen. Mein Kichern wird von Chaffs Lachen übertönt.
"Lass Trinket in Ruhe, Odair", kommt es plötzlich von Haymitch. Aus dem Augenwinkel werfe ich ihm einen erstaunten Blick zu. Er funkelt Finnick über meine Schulter hinweg an und beißt die Zähne zusammen.
Für einen Augenblick herrscht Stille. Haymitch weicht meinem Blick aus und starrt weiter zu Finnick. Dann kann Chaff sich nicht mehr halten und prustet los. Lauter, als ich es jemals von ihm gehört habe. Er muss so sehr lachen, dass er sich auf die Oberschenkel schlägt und die Flasche auf den Tisch stellt, damit der Alkohol nicht ausläuft.
„Da scheint aber jemand zugetan zu sein", spottet Johanna sofort belächelnd und schüttelt angewidert den Kopf.
Haymitch ignoriert sie alle einfach und blitzt Finnick weiter an. Dieser lächelt nur provozierend, nimmt mein Gesicht wieder in seine Hände und er zieht mich näher an sich heran. Unsere Lippen könnten sich beinahe berühren, aber ich weiß, dass Finnick sich nur einen Spaß aus Haymitch macht, genauso wie die anderen Sieger.
„Reiz ihn lieber nicht, wenn du morgen in einem Stück in der Arena erscheinen willst", meint Chaff amüsiert, fügt jedoch hinzu: „Dann würdest du bessere Chancen auf eine Rückkehr haben." Dabei zwinkert er mir zu.
Sanft tätschele ich seine Wange, rücke aber ein Stück von ihm ab, während ich ihn lächelnd betrachte. „Ich werde für immer auf dich warten, Liebster, und wenn du nicht zurückkommst, dann werde ich dir folgen..."
„Sie war schon immer eine Dramaqueen", sagt Johanna in einem spitzen Tonfall und hebt die Augenbrauen in Haymitchs Richtung. „Da hast du's."
„Oh, ich glaube, jetzt läuft er schon rot an vor Zorn, wir sollten es lieber auf später verschieben. Mein Zimmer ist immer für dich offen", wirft Finnick ein und fährt sich durchs Haar.
„Genug jetzt", zische ich und versetzte ihm einen sanften Schlag auf den Arm. Haymitch scheint sich ein wenig zu entspannen, als Finnick seine Hände wegnimmt, auch wenn sein Grinsen nicht verschwindet. Meinem Blick weicht er immer noch aus.
„Ich kann nicht glauben, dass jetzt alles vorbei sein wird", platzt es plötzlich aus Finnick heraus. Die anderen Sieger schauen auf und mustern ihn argwöhnisch. „Ich meine ... all die Jahre haben wir nichts anderes getan als Mentoren zu spielen und unser Leben zu ... genießen, sosehr es eben möglich war."
Johanna gibt ein grausiges Lachen von sich. „Das war doch alles nur Kapitolkacke. Du hast es vielleicht genossen, weil du von Anfang an ihr Liebling warst." Plötzlich setzt sie sich auf und schaut Finnick direkt in die Augen. In ihren funkelt blinde Wut. „Wir waren schon immer Sklaven, das haben sie uns von Anfang deutlich gemacht." Während sie spricht, richtet sich ihr Blick auf mich.
„Vielleicht hättest du dich einfach mal benehmen sollen", gibt er harsch zurück.
„Du von allen sagst das. Du hast dich gut benommen und sie haben dich trotzdem fertiggemacht. Wieso soll ich Menschen, die mich zum Sterben in eine Arena stecken, respektieren? Sie haben es nicht anders verdient als wir-" Sie bricht mitten im Satz ab und ihre Augen bohren sich in meine. Doch ich halte ihrem Blick stand.
Ich verfolge ihre Diskussion schweigend, genauso wie Haymitch, der sich müde in seinen Sessel gelehnt hat. Allerdings scheint keiner von uns sich wirklich einmischen zu wollen.
„Weißt du was Finnick?", sagt Johanna irgendwann. „Ich bin verdammt nochmal glücklich, zurück da rein zu können, weil es sich Zuhause auch nicht besser lebt." Wütend spielt sie mit dem Glas in ihrer Hand und eine rote Haarsträhne fällt ihr ins Gesicht, aber sie macht sich nicht die Mühe, sie wegzustreichen. Sie muss es nicht aussprechen, denn wir alle wissen, was mit ihrer Familie passiert ist. Der offizielle Grund ist ein schrecklicher Unfall gewesen, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. „Ich bin es einfach so satt nach Snows Spielregeln zu spielen", zischt sie wütend. Ich erwarte einen warnenden Blick von Haymitch, wie er es immer tut, wenn sie sich verhaspelt, oder zu weit geht, doch er tut nichts. Er starrt sie einfach nur an, ohne jegliche Regung in seinem Gesicht.
„Das Bündnis wird nicht ewig halten", meint Haymitch schließlich. „Sobald es losgeht, werden sie über euch herfallen." Ich verstehe nicht, wovon er redet.
„Natürlich", spottet Chaff und hebt seine Augenbrauen. „Cashmere und Gloss werden nicht kampflos untergehen." Die Karrieros. Na klar, ich hatte sie völlig vergessen.
„Ihre Nummer war so widerwärtig, wie können diese Leute bloß so blöd sein?", schnaubt Johanna mit einem herablassenden Lächeln auf den Lippen.
„Hoffnungslose Fälle", murmelt Haymitch. „Ihr wisst doch wer die sind. Menschen, die Wetten auf die Lebensdauer von Kindern abschließen."
Plötzlich fängt Johanna an zu lachen. Es hört sich schrecklich an. „Wir könnten so viel kämpfen, wie wir wollen, sie werden uns so oder so nicht zu Siegern küren. Dafür sind wir eine zu große Gefahr für sie. Sie brauchen jemanden, den sie kontrollieren können." Sie nickt in Finnicks Richtung.
Der zuckt nur mit den Schultern. „Wir werden sehen."
„Hört auf damit, es interessiert sowieso keinen", lallt Chaff und nimmt einen weiteren Schluck aus der Flasche, bevor er sie dann versucht an Johanna weiterzureichen und sich dabei sein T-Shirt restlos ruiniert. „Nimm einen Drink, Johanna, würde dir guttun."
„Halt die Klappe", erwidert sie und lässt sich zurück in den Sessel fallen. Anstatt die Kissen zur Seite zu tun, hat sie sich auf sie draufgesetzt, sodass sie jetzt völlig platt sind.
„Ach kommt schon, Leute", seufzt Finnick und plötzlich stiehlt sich ein amüsiertes Lächeln auf sein Gesicht. „Wenn ihr die Chance hättet, noch eine einzige Sache zu tun, bevor ihr in die Arena müsst, was würdet ihr tun?"
Chaff lacht auf. „Snow einen Besuch abstatten und ihn zwingen mit uns zu trinken."
Haymitch muss bei dem Gedanken schmunzeln. „Mich ein letztes Mal volllaufen lassen, wahrscheinlich." Typisch Haymitch.
Finnick wirft Johanna einen erwartenden Blick zu. Sie zuckt leicht mit den Schultern und seufzt genervt. „So vielen Kapitolern meine Axt in den Kopf rammen, wie nur möglich." Mein Blick ist auf sie geheftet und sie erwidert ihn selbstgefällig. Selbst die anderen werfen ihr Blicke zu. Wütend presse ich die Lippen aufeinander, um ihr nicht irgendein dummes Argument an den Kopf zu werfen, weil ich weiß, dass das bei ihr sowieso zu nichts führen würde. Johanna ähnelt in vielerlei Hinsicht Haymitch. Beide sind unglaublich stur und würden ihren Standpunkt für nichts in der Welt ändern. Nicht, wenn sie dabei sogar falsch liegen. Einfach nur, weil sie dickköpfig sind und stolz und es hassen nachzugeben.
„Wow, ihr seid wirklich überaus inspirierend", spottet Finnick kopfschüttelnd. „Ich sitze hier mit einer wirklich überzeugenden Gruppe von Pessimisten zusammen, wie konnte es bloß so weit kommen?"
„Vielleicht sind wir einfach nur Realisten, während du ... ein hoffnungsloser Fall eines Idealisten bist", kontert Johanna und zieht sich ihre Schuhe aus, um es sich in meinem Sessel gemütlich zu machen.
„Ich würde an den Strand gehen", meint er dann. Seine Augen sind in die Ferne gerichtet. „Mit Annie einen schönen Tag verbringen."
Es ist regelrecht spürbar, wie die Stimmung kippt. Haymitchs Augen blitzen und er wendet den Blick ab, als fürchte er, wir könnten die Erinnerungen aus seinen Augen ablesen. Ihn hat es von den dreien wahrscheinlich am schlimmsten getroffen. Mutter und Bruder in den Flammen verloren, nur um kurz darauf die Hinrichtung seines Mädchens mitansehen zu müssen, die sich nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Distrikt heraus geschlichen hatte. Offiziell.
Finnick merkt schnell, dass er etwas Falsches gesagt hat, denn plötzlich dreht er sich zu mir. „Und was würdest du tun, Effie?" Seine grünen Augen leuchten traurig.
Johanna stößt ein Schnauben aus. „Das ist doch jetzt nicht dein Ernst, Finnick."
Ohne sich nur einen Moment um ihre Worte zu kümmern, nickt er mir zu. Ich spüre Haymitchs Blick förmlich auf mir. „Ich weiß nicht ... ich-" Ja? Was würde ich denn tun? „Hoch aufs Dach, um die Stadt ein letztes Mal zu sehen, glaube ich." Blöde Antwort. Chaff prustet los und ich werfe ihm einen gereizten Blick zu. Finnick wiegt den Kopf hin und her, wahrscheinlich ein improvisiertes Nicken und lehnt sich dann wieder gegen das Sofa. Verlegen wende ich meinen Blick auf den Tisch und spiele mit dem Saum meines Kleides.
Sie schlagen ein neues Thema ein, doch ich höre ihnen kaum zu. Es ist komisch zu wissen, dass sie morgen in die Arena zurückmüssen. Ich kann ihrem Hochgefühl nicht folgen, jetzt, wo nur einer von ihnen lebend zurückkehren wird. Dass ich sie nie wieder sehen werde. Und plötzlich wird mir klar, dass Katniss und Peeta nicht die Einzigen sind, um die ich mich sorge. Sie sind keine schlechten Menschen, ihre Vergangenheit hat sie nur zu dem gemacht, die sie heute sind.
Chaff, Haymitchs bester Freund, der bei Haymitchs und meinen Streitereien schon immer zu gerne zugeschaut hat. Der immer einen lustigen Kommentar auf den Lippen hatte und der mich gerne aufgezogen hat, nur weil er es amüsant fand. Auch wenn unsere Anfänge holprig waren. Oder Finnick, der mit den Jahren zu einem sehr vertrauten Freund geworden ist. Ein Mann, mit dem man einfach immer Spaß haben kann, weil er versucht, positiv in die Zukunft zu gehen. Ich werfe Johanna einen Blick aus dem Augenwinkel zu. Selbst sie tut mir leid, die doch nie etwas anderes als Spott für mich übrighatte. Nicht einmal sie hat dieses Schicksal verdient. Niemand hat dieses Schicksal verdient.
„Ich glaube, wir haben uns für heute genug ausgelaugt", bringt Finnick die Sache irgendwann auf den Punkt. Die anderen nicken abwesend. Sie wissen, was jetzt kommt. Ihre Augen sind weit in die Ferne gerichtet, abwesend. Wahrscheinlich schwelgen sie gerade in alten Erinnerungen. Ja, sie sind zu einer Bande zusammengewachsen. Mit den Jahren sind sie Freunde geworden. Familie sogar.
Chaff erhebt sich mit einem Ächzen. Die anderen tun es ihm gleich. Es ist beinahe seltsam, wie wir sie schweigend zu den Aufzügen begleiten. Sie trotten vor uns wie niedergeschlagene Tiere, gebrochen und hoffnungslos mit hängenden Köpfen.
Haymitch zieht Chaff in eine brüderliche Umarmung und mir kommt es plötzlich so intim vor, dass ich mich schnell zu Finnick umdrehe und ihm beinahe um den Hals falle.
Er streicht mir beruhigend über den Rücken. „Pass auf dich auf, Effie", höre ich ihn sagen. Dann senkt er seine Stimme, damit nur ich ihn verstehen kann. „Und pass auf ihn auf."
Ich lehne mich nach hinten, um ihm in die Augen schauen zu können. Ich spüre die Tränen, die sich anzubahnen drohen und nicke schnell. „Versprochen."
„Gut", sagt Finnick und wiegt wieder seinen Kopf hin und her. „Und wenn wir in der Arena sind, denk daran, dass es nichts weiter als eine Show ist, hast du mich verstanden?" Seine grünen Augen bohren sich mit einer Intensität in meine, dass ich nicht anders kann, als stumm zu nicken, wie ein kleines Kind. Sein Blick wird sanfter und er streicht mir einmal über die Wange. „Ich bin wirklich überaus dankbar, für alles was du für mich getan hast, Effie. Vergiss das nie."
Finnick tritt von mir fort und ich brauche einen Moment, um meine Gedanken zu ordnen, bevor ich einen Blick zu Haymitch werfen kann. Er unterhält sich leise mit Johanna. Ich nutze die Chance, um Chaff zu verabschieden. „Chaff."
Ich schnappe erschrocken nach Luft, als er mich in eine vollkommen unerwartete Umarmung schließt. „Pass auf, dass er keine Dummheiten macht", flüstert er und schon sind seine Arme wieder verschwunden. Er grinst verschmitzt auf mich herunter. „Du bist wirklich kein schlechter Mensch, Trinket. Lass dir von ihnen nicht den Kopf verdrehen." Ich nicke und presse ernst die Lippen aufeinander. Ich weiß, dass er mich mehr geschätzt hat als die anderen Eskorten hier. Seine Worte reichen.
Johanna und ich beäugen uns einen Augenblick skeptisch, bevor sie ein hysterisches Lachen ausstößt. „Ich werde dich ganz sicher nicht umarmen."
Ich kann nicht anders, als zu lächeln. „Ich habe auch nichts minderes erwartet."
„Im Ernst, ich weiß nicht, was zwischen euch beiden läuft, aber aus einem mir unerklärlichem Grund, scheint er dich zu mögen", meint sie abgeneigt. Haymitch wirft ihr einen undefinierbaren Blick zu. „Aber es scheint, als würdest du nun zum Team gehören, ob ich will oder nicht." Sie seufzt und zuckt mit den Schultern.
Mein Lächeln verwandelt sich in ein Strahlen, denn Johanna Mason wird mich wohl nie richtig mögen, aber man kann behaupten, dass sie mich nicht mehr hasst. Und das genügt. Als sie meinen Gesichtsausdruck sieht, taumelt sie benommen zum Aufzug. „Das bedeutet noch lange nicht, dass ich damit einverstanden bin." Aber ich habe ihre Worte verstanden.
Chaff folgt Johanna, nur Finnick steht noch eine Sekunde bei Haymitch, bevor er uns ebenfalls den Rücken zukehrt. Als er im Aufzug steht, dreht er sich ein letztes Mal zu uns um und winkt uns zu.
Das ist der Moment, der mein Herz bricht. Der Moment, in dem ich endlich begreife. Die Tränen brennen in meinen Augen, aber sie könnten auch nichts ändern. Ich habe sie gehen sehen, nachdem sie endlich irgendwie wieder ins Leben zurückgefunden haben. Nur um es ein weiteres Mal aufgeben zu müssen. Jedes Jahr sind sie ein bisschen mehr zusammengewachsen. Haymitch kennt Chaff seit fünfundzwanzig Jahren. Er ist sein erster Freund, den er nach den Hungerspielen gewonnen hat. Niemand kennt Haymitch besser als Chaff. Es gibt nichts Schlimmeres ...
Ich weiß nicht, wie lange ich vor den Aufzügen stehe. Als ich aus meiner Starre erwache, hängen die Arme schlaff an meinem Körper herunter. Ich schaue mich nach Haymitch um, doch er ist schon lange fort. Auch wenn du weißt, dass es kommt, bist du niemals darauf vorberietet, wie es sich anfühlt.
oOo
Um die übliche Zeit klopfe ich an Haymitchs Tür, um ihn zu wecken. Katniss und Peeta sind schon lange fort. Cinna und Portia haben sie bereits im Morgengrauen abgeholt. Bei dem Gedanken daran wird mir mulmig zu Mute, aber ich darf nicht so darüber denken. Schließlich beginne heute die Hungerspiele. Das Jubeljubiläum. Ich muss glücklich sein.
Während ich alleine durch den Flur gehe, übe ich mein Lächeln für später, wenn all die Kameras auf uns gerichtet sein werden. Es ist komisch, sein eigenes Lächeln zu trainieren. Irgendwann ziehe ich es ins lächerliche, beiße die Zähne aufeinander und reiße meine Mundwinkel auseinander. Als ich an einem Spiegel vorbeilaufe und mein Gesicht erspähe, breche ich beinahe in lautes Gelächter aus. Wenigstens kann ich mich immer noch selbst zu guter Laune bringen. Mit vielen Jahren Übung ist es beinahe ein Kinderspiel, Gedanken, an die man nicht denken möchte, zurückzuhalten. Man tut einfach so, als hätte man sie vergessen. Solange, bis man sie wirklich vergessen hat.
Ich bin bereits vollständig gekleidet. Das Kleid besteht aus zwei Schichten. Die untere ist aus weißer Seide, mit kleinen Details am unteren Ende bestickt und geht ziemlich voluminös in die Breite, zieht sich jedoch nur bis zu den Knien hoch. Dort zieht sich ein schwerer goldener Stoff fort, der mich ein wenig an Cinnas Federkleid für Katniss erinnert, weil es ebenfalls aus sehr vielen Facetten besteht, die meine Hüfte betonen. Der Stoff zieht sich hoch bis zu meinem Nacken, dort wurde er nach vorne geschnitten und bildet sich steif über mein Ohr, bis zu meiner Brust. Es ist ein wahres Meisterwerk! Nur kann ich meinen Kopf kaum zu Seite bewegen, weil der Stoff so schwer ist.
Das Frühstück heute fällt eher dürftig aus, denn wir haben nicht viel Zeit zu verlieren. Sobald wir fertig sind, wird man uns zur Sponsorenlounge fahren. Ins wahre Herz der Hungerspiele. Haymitch lässt sich nicht blicken. Ich glaube, er braucht seine Zeit, um mit dem Abschied fertig zu werden. Schließlich waren sie seine Familie. Und nun wird er schon wieder gezwungen, zuzuschauen, wie seine Familie hingerichtet wird.
Nach dem Frühstück trage ich noch einmal angemessen mein Make-Up auf, bevor ich mich zu Haymitchs Tür begebe, um ihn zu holen. Die Zeit drängt und er hat sich immer noch nicht sehen lassen. „Haymitch?", rufe ich, während ich vorsichtig klopfe, damit er nicht komplett ausrastet, falls er seinen Rausch ausschläft. Es erinnert mich ein wenig an die Zeit vor Katniss und Peeta.
Aber den Geräuschen nach zu urteilen, ist dies heute zum Glück nicht wieder der Fall. Einen Augenblick später streckt er mir seinen Kopf entgegen. Er sieht tatsächlich müde aus, aber er ist bereits angezogen. Ich seufze erleichtert auf. „Wir müssen los", sage ich bestimmt und trete einen Schritt zurück, um ihn besser mustern zu können. Er trägt einen etwas schlichten dunkelblauen Smoking, aber er steht ihm wirklich gut. Sein blondes Haar ist ordentlich gekämmt.
Haymitchs Blick bleibt an meinem Kleid hängen und ich warte einfach. „Ging es vielleicht noch unauffälliger?", fragt er und schmunzelt verschmitzt, bevor er herauskommt und die Tür hinter sich schließt.
„Wie bitte?" Meine Stimme schellt zwei Oktaven in die Höhe und ich fixiere ihn. „Das Kleid ist teurer als dein gesamter Besitz, ein bisschen mehr Respekt bitte!" Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehe ich mich auf dem Absatz um und bedeute ihm mit einer harschen Handbewegung, mir zu folgen.
Während wir durch die Flure laufen, höre ich ihn hinter mir lachen. Er macht sich nicht einmal die Mühe, es zu verbergen. „So war das nicht gemeint", meint er und ich drehe mich zu ihm um, als wir die Aufzüge erreichen. Haymitch sieht sichtlich amüsiert aus und das kann ich gar nicht leiden. Entrüstet verschränke ich die Arme vor der Brust und warte. Entweder darauf, dass der Aufzug kommt, oder dass er zu reden anfängt. Ich bin mir noch nicht ganz sicher.
Der Aufzug lässt auf sich warten. „Ich meine nur, dass es nicht so auffällig ist wie sonst. Wo ist das knallige Pink, oder die riesigen Blumen, die die Hälfte deines Gesichts verdecken?" Haymitch kneift seine Augen zusammen, lehnt sich gegen das Geländer und mustert mich unbefangen.
Ich schaue an mir herunter und zucke dann leicht mit den Schultern. Er hat schon recht, dass es nicht wirklich auffällig ist, im Gegensatz zu dem, was ich sonst trage, aber ... was interessiert ihn das denn? Er hat doch sowieso keine Ahnung von Mode. „Es nennt sich Rüsche und nicht Blume", fahre ich ihn stattdessen an, unfreundlicher als eigentlich von mir gedacht.
„Du weißt was ich meine", erwidert er einfach und steigt dann in den Aufzug, der in diesem Augenblick ankommt. Seufzend folge ich ihm, denn er hat recht. Natürlich weiß ich, was er meint. Ich mag das Kleid trotzdem und seine Meinung ist mir egal.
Die Stille verwandelt sich schnell in ein unangenehmes Schweigen und ich bin mehr als glücklich, als ich in die schwarze Limousine steigen kann, die uns zur Sponsorenlounge bringt. Der Fahrerbereich ist von uns abgetrennt, nur ein kleines Fenster ermöglicht das Sprechen mit dem Fahrer.
Ich habe mich bereits angeschnallt, als Haymitch ins Auto steigt und sich dabei fast den Kopf stößt. Ich muss die Lippen aufeinanderpressen, damit sich kein Grinsen auf mein Gesicht stiehlt. Er stößt sich jedes Jahr. Und jedes Jahr kommentiert er es mit einem genervten Fluch. Als er meinen Gesichtsausdruck sieht, kann er sich wohl erahnen, was mir durch den Kopf geht, denn er grinst leicht und lässt sich dann auf den Sitz fallen.
„Ein wenig größer als dein Auto", bemerkt er, streckt die Beine auf das Sitzpolster uns gegenüber und will sich schon den Wein schnappen, den sie immer in Autos dieser Art lagern. In Limousinen ist genug Platz dafür.
Ich schlage ihm sanft auf den Handrücken. „Kein Alkohol." Es hört sich mehr an wie eine Bitte als wie ein Befehl.
„Ja, Ma'am." Er salutiert und sein Gesicht wird ernst. Kopfschüttelnd versuche ich, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Eigentlich will ich in seiner Gegenwart nicht lachen.
„Schnall dich lieber an, sonst-" In diesem Augenblick setzt sich der Wagen in Bewegung und Haymitch, der sich mir zugewendet hat, wird unsanft in den Sitz gedrückt. Ich schaue ihn einfach nur an und lächele zufrieden vor mich hin. Das wird ihm sicherlich nicht schaden. Haymitch murmelt irgendwas und schnallt sich schweigend an, nachdem er sich richtig hingesetzt hat.
Während wir fahren, starren wir gedankenverloren aus den getönten Fenstern. Es ist unglaublich viel los. Die Leute treffen letzte Vorbereitungen, gehen schnell noch vergessene Sachen einkaufen oder fahren zu Familie und Freunden, um sich den Beginn des Jubeljubiläums gemeinsam anzusehen.
In diesem Moment taucht die Sponsorenlounge unmittelbar vor uns auf. Es scheint, als würde auf einmal der gesamte Horizont erstrahlen. Meine Augen versuchen vergeblich, jedes Detail in sich aufzunehmen und abzuspeichern, doch ich habe das Gefühl, als würde ein Paar Augen dafür nicht ausreichen.
Das Gebäude wurde extra zu Ehren des Jubeljubiläums errichtet und besteht aus zwei ineinander verschränkten Säulen, die sich in mehreren Windungen dem Himmel entgegenstrecken. Ich weiß nicht, wie die Architekten und Ingenieure es hinbekommen haben, aber der gesamte Wolkenkratzer scheint das Sonnenlicht so stark zu reflektieren, dass es aussieht wie ein sonderbarer Stern, der kurz davor ist, mit der Erde zu kollidieren. Und je nach Blickwinkel schimmern die Fenster in unterschiedlichen Farben. Es ist einfach unglaublich.
„Beeindruckt?", fragt Haymitch, als er mein überraschtes Aufatmen hört. Seine Augen sind auf das Gebäude geheftet, genauso wie meine. Keiner von uns scheint es zu wagen, wegzuschauen, als würden wir sonst etwas unheimlich Wichtiges verpassen.
„Es ist unfassbar ... wunderschön", versuche ich es in Worte zu fassen, auch wenn es mir nicht wirklich gelingen mag.
Aus dem Augenwinkel sehe ich ihn nicken. „Unfassbar. Aber nicht wunderschön", sagt er bestimmt und reißt sich schließlich von dem Anblick los. „Es ist nur ein weiteres Symbol, das den Unterschied zwischen Kapitol und den Distrikten verdeutlichen soll."
„Wie bitte?", schnappe ich schon beinahe genervt, jedoch ohne meinen Blick abzuwenden, während wir auf das Gelände auffahren.
Haymitch zuckt grimmig mit den Schultern. „Es ist doch nur ein weiteres Symbol dafür, dass sie die Mächtigen sind, dass sie die Macht haben, solche Dinge zu erschaffen."
Wütend schnalze ich mit der Zunge und schüttele empört den Kopf. „Liegt es vielleicht einfach nur daran, dass du alles, was aus dem Kapitol kommt, von Natur aus verachtest?" Für eine Sekunde drehe ich mich um und starre ihm in die Augen. Ich weiß nicht, was er in meinen Augen sieht, doch plötzlich ist er derjenige, der den Blick abwendet. Verbitterung steigt in mir auf. Er reduziert mich immer noch.
Haymitchs Mund öffnet sich, als würde er irgendetwas sagen wollen und in diesem Augenblick öffnet sich die Tür auf meiner Seite und der Fahrer streckt mir seine Hand entgegen. Noch bevor er irgendetwas sagen kann, bin ich ausgestiegen und trete in das Blitzlichtgewitter.
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Wie hat euch das neue Kapitel gefallen? Was denkt ihr über Effies Beziehung zu Finnick? Sie ist natürlich nur freundschaftlich, aber das scheint Haymitch ja egal zu sein, ihn stört es trotzdem. Ich stelle mir vor, dass Haymitchs Freundeskreis aus diesen verschiedenen Siegern besteht, die alle irgendwie zerbrochen sind und doch das beste daraus versuchen zu machen, jeder auf seine eigene Weise. Wie seht ihr das?
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