10. It's Really Alright Pt. 2

Dem Schrei folgt die Flucht. Keine Sekunde, nachdem ich aufgewacht bin, liege ich auf dem Boden. Mein ganzer Körper zittert vor Anstrengung. Das Atmen fällt mir schwer, er geht nur stoßweise. Und anstatt mich zusammenzureißen, wie ich es eigentlich immer tue, lasse ich mich einfach gehen. Ich krümme mich zusammen und wiege mich hin und her. Das Beben will nicht aufhören, genau so wenig, wie die Tränen und das Schluchzen. Wenigstens sind die abstoßenden Schreie verstummt.

Langsam wird mir klar, dass sie nicht tot sind. Keiner von beiden. Sie leben und sind wohlauf, denn wir sind nicht in Distrikt 12, sondern im Kapitol und hier geht es jedem gut. Mit zitternden Beinen versuche ich aufzustehen, doch mein Körper macht nicht mit. Also bleibe ich liegen. Das Einzige, was die Stille durchbricht, ist mein Keuchen.

Ich kann meinen Wecker nicht sehen, aber es muss noch mitten in der Nacht sein, denn von draußen scheint der Mond in mein Zimmer. Ich strecke meine Hand aus und bekomme einen meiner Schuhe zu fassen. Mit einem wütenden Schluchzen schmeiße ich ihn quer durch den Raum. Mit einem lauten Krachen fegt er irgendetwas von der Kommode.

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür. Ich bleibe einfach liegen, es ist sowieso zu dunkel, um irgendetwas erkennen zu können. „Muss schon komisch sein, Effie Trinket mitten in der Nacht hier auf dem Boden rumliegen zu sehen, habe ich recht?"

„Ein wenig", gibt Haymitch zurück und kniet sich neben mich. Mein Unterbewusstsein muss gewusst haben, dass er es ist.

„Du kannst gehen, ich komme super alleine klar", sage ich. Meine Stimme verrät alles.

Haymitch nickt zustimmend. „Das sehe ich." Im nächsten Augenblick hat er mich hochgehoben und trägt mich zurück aufs Bett. „Ich habe dich bis in mein Zimmer gehört."

Meine Wangen flammen auf vor Scham. „Tut mir leid", murmele ich und schluchze.

„Es ist alles gut", verspricht Haymitch und lächelt mich sanft an.

„Nichts ist gut." Im nächsten Augenblick bin ich ihm um den Hals gefallen. Ich spüre seine Arme in meinem Rücken, als er mich näher an sich heranzieht. Ich bette meinen Kopf an seiner Brust.

„Es ist alles gut, Prinzessin. Nur ein Traum."

Bestürzt schüttele ich den Kopf an seiner Brust und beiße die Zähne aufeinander. Es geht mir weniger um den Traum, aber das muss er nicht wissen. Ich weiß nicht, ob Haymitch mein Kopfschütteln verstanden hat. Er ist verstummt und wiegt mich einfach nur hin und her. Das Zittern meines Körpers ist so stark, dass ich Angst habe auseinanderzufallen. Haymitch scheint dasselbe zu fürchten, denn er schlingt seine Arme noch enger um mich und zieht mich auf seinen Schoß.

„Du musst dich ihnen stellen, um sie unter Kontrolle zu kriegen", flüstert er an meinem Ohr. Seine Stimme ist rau und hört sich viel zu weit weg an. Schmerzlich.

Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich sie. Höre ihre Schreie. „Wieso ist es so schwer?" Ich bin eine Frau aus dem Kapitol, viele halten mich für eine kalte und unberechenbare Puppe, aber das stimmt nicht. Man würde mir nicht zutrauen zu lieben, keinem von uns Kapitolern. Und doch liebe ich meine Familie, egal wie gemein und egoistisch sie manchmal sein mögen.

„Liebe macht uns blind", erwidert er, als zitiere er etwas. „Sie blendet uns, spielt uns etwas vor. Und wenn sie dann verschwindet, dann ist man geblendet und unfähig die Dinge jemals wieder so zu sehen, wie sie vorher waren." Haymitch ist kein Optimist. Um das zu verstehen, braucht man nur die Flasche in seiner Hand zu sehen.

Auf einmal mache ich mir Sorgen um ihn. Mit verschwommener Sicht lehne ich mich zurück, um ihm in die Augen schauen zu können. Dabei fahre ich mir mit zitternden Fingern übers Gesicht, um die Tränen zurückzuhalten. Es ist immer noch dunkel, aber der Mond spendet ein wenig Licht, sodass ich seine Augen im Dunkeln erkennen kann. Er schaut zu mir herunter und für eine Sekunde sehe ich etwas in ihnen aufblitzen. Doch es ist so schnell wieder verschwunden, dass es genauso gut eine Reflektion des Lichtes gewesen sein könnte. Er wendet den Blick ab und löst sich vorsichtig aus der Umarmung, darauf bedacht meinem Blick auszuweichen. Behutsam schiebt er mich von sich und ich komme mir plötzlich unglaublich dumm vor.

Was habe ich bitte gedacht? Dass Haymitch mich trösten wird? Dass er mich im Arm hält, nur damit ich mich ausheulen kann? Er wollte nur nachschauen, ob mit mir alles okay ist. Mehr nicht. Und doch habe ich es gedacht. Für einen Moment spüre ich den Stich in meiner Brust und frage mich im nächsten, wieso ich so empfinde. Ich verstehe mich selbst nicht mehr.

Ich denke an unser erstes Treffen, all die Jahre zurück. Ich beiße mir brutal auf die Lippen, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. Ohne ein einziges Wort zu sagen, geht Haymitch zur Tür und für einen Augenblick denke ich darüber nach, ihn bitten, zu bleiben. Doch bevor ich meinen Mund öffnen kann, macht er das Licht an und drückt die Tür lautlos ins Schloss.

Ich sitze einfach nur da und schaue ihm dabei zu. „Vielleicht hilft es, darüber zu reden", überlegt er skeptisch. Aber ich starre ihn einfach nur weiter an, zu überwältigt von meinen Gefühlen. Dass er doch nicht gegangen ist, wie ich gedacht habe. Er hebt fragend eine Augenbraue und ich schüttele den Kopf.

„Haben wir das nicht schon?", sage ich vorsichtig und lenke meinen Blick auf die Bettdecke. Er setzt sich zurück auf das Bett und scheint nachzudenken. Sein Gesicht ist hilflos verzerrt.

Ich will nicht, dass er sich um mich sorgt. Er soll sich nicht um mich sorgen. Plötzlich wünsche ich mir, er wäre doch gegangen. Dann hätte er wenigstens klar gemacht, dass er nur gucken wollte, was mit mir los ist. Jetzt habe ich keine Ahnung, was ich machen soll. Ich will weg.

Im nächsten Moment bin ich vom Bett gesprungen. Meine bebenden Beine geben mir kaum Halt, sodass ich mich an der Tür festhalten muss. Haymitch streckt schnell seine Hand aus, lässt sie dann jedoch wieder sinken. „Ich gehe aus", verkünde ich mich fester Stimme.



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Wie findet ihr das Kapitel?

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