Kapitel 9


Wir haben jetzt noch ein paar Tage. Gestern Abend waren wir noch draußen und sind einfach gelaufen. Ich hatte keine Lust wieder auf diese mörderische Tussie zu treffen. Da erschien mir das passender. Und jetzt bin ich wach. Es ist kurz nach sechs, was blöd ist. Um diese Uhrzeit ist niemand wach. Und mir ist langweilig. Ich habe keine Lust auf nichts. Es fehlt mir, vor der Gesellschaft wegzulaufen. So blöde es sich auch anhört. Ich möchte natürlich nicht vor einer Gesellschaft weglaufen, die mich umbringen will, sondern vor einer, die mich jagt um mich nicht zu töten.

Ich schwinge mich aus meinem Bett und ziehe mir meine üblichen Klamotten an. Dann gehe ich auf den Balkon und schaue raus. Von hier ist Lorcan reingekommen. Respekt. Ist nicht einfach hier hinzukommen.

Sein Balkon ist zu weit entfernt, also muss er an der Wand hochgeklettert sein. Leitern gibt es hier ja nicht.

,,Morgen", ertönt es.

Ich schaue in die Richtung wo es hergekommen ist.

Lorcan steht auf seinem Balkon. ,,Ich frage mich gerade, ob es bekloppt ist, dass ich als Junge hier rausgucke, wenn du keiner bist", teilt er mir seine Gedanken mit.

Okay ... das heißt es ist bekloppt! Allerdings finde ich es nicht schlimm rauszugucken. Ich schwinge mich auf die Brüstung und lasse meine Beine baumeln. Von hier sind es vier Meter bis nach unten, da die Straße auf der andere Seite höher gelegen ist. Ich schaue in den Himmel. Die Wolken ziehen schnell vorbei.

Mir fällt auf, dass es einen Haken über mir gibt. Also stelle ich mich hin und springe um anzukommen. Dann ziehe ich mich hoch und lege mich auf das Dach. Erst jetzt fällt mir auf dass es ein Flachdach ist. Unnützlich bei Regen. Ich gehe weiter auf das Dach und lege mich hin. Es ist warm, von der Sonne. Angenehm warm.

Ich höre Lorcan und zwei Sekunden später kommt er in mein Sichtfeld. Schnell setze ich mich auf und richte meine Kapuze.

,,Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn ich wüsste wer du bist?", fragt er nach. Ich seufze leise.

Er will sich wirklich unterhalten.

Ich mache Handzeichen, aber er versteht sie nicht. Während ich sie machen treten Tränen in meine Augen. Gebärdensprache. Meine Mutter war taubstumm. Durch sie habe ich gelernt. Ich öffne meinen Screen und wische mir unauffällig eine Träne weg. Dann schreibe ich.

Ich: Du würdest mich an irgendwen verraten und das würde nicht gut für mich enden.


Lorcan ließt die Nachricht. ,,Und was wenn nicht?" Er schaut mich fragend an. ,,Warte mal. Jessie und Thomas wissen wer du bist, oder?"

Ich schaue betreten auf den Boden. Woher weiß er es?

Lorcan verschränkt die Arme. ,,Gut, wir belassen es dabei. Aber ich ..." Er hält inne. Dann tippt er in der Luft herum.

Ich warte.

,,Du bist der oder die Einzige, welche sich nicht bekanntgegeben hat. Und damit bist du bei den Zuschauern an ..." Er scrollt etwas durch ,, ... erster Stelle von Symphatie." Seine Stimme ist düster. ,,Sie mögen es zu raten und Wetten abzuschließen."

Wetten? Wegen mir? Das wollte ich jetzt wirklich nicht. Ist aber nicht mein Problem. Ich nicke, damit Lorcan weiß dass ich zuhöre.

,,Wann treten wir nochmal an?", fragt er nach.

Ich zeige eine vier mit meinen Händen. In vier Tagen. Und dann geht es entweder weiter, oder wir sind raus. Mich würde beides nicht stören. Allein hier mitzumachen ist eine Ehre. Natürlich fände ich es schön wenn wir weiterkommen, aber wenn nicht ist es so.

,,Okay, was sind deine Schwächen?", fragt er weiter.

Plauderstunde. Ich schaue der Sonne zu, welche langsam weiterwandert. Dann schreibe ich erneut.

Ich: Ich bin Einzelgänger/in und höre nicht auf andere. Was ist mit dir?

Er nimmt die Nachricht zur Kenntniss. ,,Ich bin auch Einzelgänger und höre ebenfalls nicht auf andere. Das heißt wir werden uns wohl noch sehr oft streiten."

Ich zucke mit den Schultern. Ist mir auch egal. Die Sonne ist jetzt so wie ich es sehe, einen Zentimeter über dem Horizont. Ich bin aber auch weit entfernt.

,,Einer von uns wird aber auf den anderen hören müssen", bemerkt Lorcan.

Ich verschränke ebenfalls meine Arme vor der Brust.

,,Da einigen wir uns noch."

Ich nicke zustimmend. Das werden wir eindeutig nicht jetzt machen.

Ich: Wehalb hast du gestern eigentlich gebacken?

Lorcan liest meine Nachricht. Einmal, zweimal, dreimal. Dann schaut er zu mir auf. ,,Da ich es kann", entgegnet er.

Auf einmal habe ich das Gefühl eine Grenze überschritten zu haben. Unsicher rutsche ich ein Stück zurück. Die Frage scheint zu persönlich zu sein.

,,Ich habe nicht vor dich zu vergiften", sagt Lorcan mit einem bitteren Unterton in der Stimme.

Das habe ich jetzt nicht gedacht, aber ist schon gut zu wissen.

Er steht auf und ich ebenfalls. ,,Du solltest mich nicht einfach etwas fragen, ohne dass du weißt wie ich darauf reagiere", stellt er klar.

Ich zucke nur mit den Schultern. Ist sein Problem wenn er so verbissen ist!

Lorcan geht zu der Stelle, wo sein Balkon ist.

Ich ebenfalls. Allerdings warte ich bis er in seinem Zimmer ist, da mir meine Kapuze wahrscheinlich runterutschen wird. Ich lasse mich runterfallen und richte meine Kapuze wieder. Dann gehe ich durch mein Zimmer, bis in den Flur.

Lorcan steht ebenfalls da. Er schaut düster drein.

Und plötzlich komme ich mir schuldig vor. Wahrscheinlich ist das mit dem Backen etwas, was ihn an jemanden erinnert, den er verloren hat. Allerdings habe ich auch drei Leute verloren. Noch dazu meine Familie. Ich gehe an Lorcan vorbei, nach unten.

Hinter mir höre ich Schritte, die von ihm stammen.

Ich höre ein Pling in meinen Ohren. ,,Unsichtbarer Screen", flüstere ich und schaue nach.

Sie haben eine Nachricht von King_Perfect, blinkt es mir entgegen. Ich schaue nach und verdrehe die Augen. War ja klar.

King_Perfect: Wie geht es denn heute mit dem verehrten Prinzen vorran?

Typisch Thomas halt. Was habe ich auch anderes erwartet? Also schreibe ich zurück, dass er gebacken hat. Interessiert zwar niemanden, aber dann hat er eine Antwort. Nach meiner Antwort ist Thomas still und ich möchte gar nicht wissen was er macht.

Ich gehe in den Roboterraum und hole mir eine Scheibe Brot und ein Glas Wasser. Mit beidem setze ich mich in das Wohnzimmer und warte auf Lorcan. Nur da ich ihn nicht mag, heißt es nicht, dass ich kein Benehmen habe. Naja, wenn Geld stehlen okay ist bei meinem Benehmen, dann ist irgend etwas falsch gelaufen, aber egal.

Nach einer Minute kommt Lorcan und schaut mich verwundert an.

Ich ignoriere seinen Blick und greife nach meinem Teller mit dem Brot. Vorsichtig entferne ich die Maske von meinem Gesicht und fange an zu essen.

,,Nimmst du eigentlich freiwillig hier dran teil, oder da du gezwungen wurdest von Familie und so?", fragt Lorcan nach.

Ich schaue bitter zu ihm auf. Das war auch bei mir eine falsche Frage. Ich zeige ihm einen Finger und esse weiter.

,,Hat deine Familie sich darüber gefreut?", hakt er weiter nach.

Ich fauche wütend. Dann stelle ich meinen Teller ab und öffne meinen Screen wieder.

Ich: Falsche Frage!

Lorcan schaut mich verwundert an, nickt dann aber.

Gut. Dann ist ja alles geklärt.

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