Kapitel 7
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Wie kann jemand glauben, was sie da redet?, fragt sich Narie als sie Glimmers Interview über den Bildschirm ansieht. Irritiert beobachtet sie, wie Glimmer immer wieder künstlich auflacht und sich die blonden Haare um den Finger wickelt. Die Karrieros scheinen begeistert zu sein. Verständlich. Sie sehen ja, wie die Bewohner des Kapitols innerlich schon für sie spenden. Die Tribute aus Distrikt 1 und 2 sind den Kapitolbewohnern am ähnlichsten, finden die Spiele genau so toll wie die Bewohner des Kapitols, der einzige Unterschied ist, dass wohl niemand aus dem Kapitol in der Lage wäre die Spiele zu gewinnen. Umso einfacher ist es, die Bewohner für sich selber zu begeistern, schließlich sind diese froh, wenn sie Wetten abschließen können und dabei am Ende vielleicht sogar noch Gewinn machen können. Das Wettengeschäft hier in Panem ist schließlich jedes Jahr sehr aktiv. Narie fragt sich ob sie selber wetten würde, wenn sie aus dem Kapitol kommen würde. Aber was bringt es ihr?
Nach Glimmer ist Marvel an der Reihe. Er unterhält die Menschen mit ein paar Witzen, die ihn aber für Narie nicht verändern. Er ist ein Karriero, wenn auch mit einem lustigen Charakter. Trotzdem wird er alles daran setzen zu gewinnen und wird sobald die Spiele beginnen seinen Humor gegen Mordlust eintauschen. Dennoch gibt sich Marvel nicht wie einer der Karrieros, nein, er wirkt keineswegs gefährlich, wenn man mal von seiner Größe absieht. Narie kann sich vorstellen, dass er in seinem Distrikt äußerst beliebt war, vielleicht hat er sogar eine kleine Schwester, sie kann sich gut vorstellen, dass er den liebevollen Bruder spielen könnte. Aber dennoch hat er sich freiwillig gemeldet, das würde man seinen Geschwistern niemals antun.
Cato und Clove sind beide wild entschlossen zu gewinnen. Das könnte allerdings schwierig werden, denn mindestens einer muss sterben. Narie tippt darauf, dass von den Beiden eher Cato gewinnen würde, allerdings hat sie auch Hoffnungen, dass Thresh gewinnen wird. Der hätte es auf jeden Fall mehr verdient als einer der Karrieros. Clove wiederum ist zu hinterlistig und vergleichsweise wahrscheinlich auch zu schwach.
Ehe Narie sich versieht ist sie dran. Ihre Hände schwitzen und schnell wischt sie diese am Kleid ab. Aufgeregt geht sie auf die Bühne. Die Scheinwerfer blenden sie und die vielen Jubelrufen der Zuschauer sind sehr irritierend. Doch trotzdem strahlt sie eine Selbstsicherheit aus die Caesar, der Interviewer, heute nur bei den Karrieros gesehen hat. Caesar Flickerman hat seine Haare und seine Augenbrauen dieses Jahr in einem dunklen Lila-Ton gefärbt, das wiederum ändert sich jedes Jahr wieder. Er schüttelt ihre Hand und hat den Anstand seine Hand nicht sofort an seinem Anzug abzuwischen. Geradewegs geht sie auf den Stuhl gegenüber von Caesar zu und nimmt Platz. Narie atmet einmal kurz durch um sich wieder selbst zu beruhigen. Sie setzt ihre gewohnte Maske auf und sucht im Publikum nach Blight. Sie muss beim Reden einfach nur ihn angucken. An seinem Gesichtsausdruck wird sie dann ablesen können ob ihr Auftritt gut ist, oder ob ihr gerade alle Sponsoren davon laufen. Schnell wird sie fündig. Er sitzt neben Finnick. Innerlich stöhnt Narie auf. War das sein Ernst? Hatte sie nun wirklich einen Freund mehr und Finnick würde jetzt immer in ihrer oder Blights Nähe sein? Sie hofft nicht. Narie und Caesar warten geduldig bis der Applaus verstummt wobei Narie sich fragt, wieso sie so viel Applaus bekommt. Hatte sie etwas Besonderes getan von dem sie nichts wusste?
»Also Narie. Das war ja ein starker Auftritt den du bei deiner Ernte hingelegt hast. Was hast du in diesem Moment gedacht?«, Caesar stellt die erste Frage, ohne sich lange von den Kapitolbewohnern stören zu lassen. Naries Stimme klingt überraschend stark als sie antwortet.
»Ich war geschockt. Aber ich habe versucht stark zu bleiben. Für meine Mutter und für meine Freunde. Ich möchte meinen Distrikt ehrenvoll vertreten.«, gibt sie zu und sieht einmal durch die Menge. Auf den Gesichtern vieler Leute entstehen freundliche Grimassen, anders kann Narie es nicht beschreiben. Caesar nickt verstehend. Wahrscheinlich hört er diese Antwort jedes Jahr mehrmals.
»Ich denke wir alle haben die Reaktion deines Mentors gesehen, als dein Name verkündet wurde. Verrat uns doch mal, was so besonders an deinem Namen war.« Unsicher sieht Narie zu Blight. Dieser nickt allerdings nur mit dem Kopf, als Zeichen, dass sie es ruhig erzählen kann. Narie holt einmal tief Luft, bevor sie zu sprechen beginnt.
»Er ist mein bester Freund. Wir hatten uns damals nach seinen Spielen kennen gelernt und wurden von da an beste Freunde.«, gibt sie nur als Antwort. Sie möchte den Zuschauern auch nicht zu viel verraten, denn bei allem was sie in letzter Zeit und in den nächsten Wochen von sich preisgeben muss, ist ihr ein kleines Stück Privatsphäre wichtig. Sie sieht in Blights Gesichtsausdruck, dass sie alles richtig gemacht hat und lächelt flüchtig. Wieder nickt Caesar, dieses Mal aber mit einem sanften Lächeln.
»Wie hast du vor die Spiele zu gewinnen?«, fragt Caesar dann sofort seine nächste Frage. Narie überlegt. Sollte sie das jetzt wirklich von sich preisgeben?
»Wenn ich ihnen das jetzt sagen würde, dann wäre mein Vorteil verloren.«, sagt sie ohne lange zu überlegen. Es gibt Sachen, die gehen auch einen Caesar Flickermann nichts an. Er lacht einmal kurz, aber das Lachen ist nicht echt.
»Das stimmt. Nun gut, dann die letzte Frage. Wie hast du es geschafft diese hohe Punktzahl zu erreichen? Was hast du vorgeführt?« Narie muss sich ein Lachen verkneifen. Unsicher ob sie das erzählen sollte blickt sie zu den Spielmachern. Sie sieht zu Heavensbee, der vor Schreck rückwärts in eine Schüssel voller Punsch gefallen war, als sie den Pfeil abgeschossen hatte.
»Was meinen sie? Soll ich?«, fragt sie frech. Diese schütteln panisch die Köpfe. Vereinzelt rufen sie noch
»Oh Gott, bloß nicht.« Ist ihnen die ganze Sache etwa peinlich, oder wieso machen sie jetzt so einen Aufstand?
»Schade. Aber deine Minuten sind nun auch vorbei. Danke für dein Interview.«, Caesar steht auf und reicht Narie die Hand. Diese lächelt ihn einmal an. Sie ist froh, dass es vorbei ist. Aber sie ist auch froh, dass sie die Leute gut aufgenommen haben, denn während des ganzen Interviews war sie so, wie sie sonst auch immer ist.
Mit sicheren Schritten verlässt Narie die Bühne. Sie ist heilfroh, dass sie es hinter sich hat. Als sie an den restlichen Tributen vorbei geht, sieht sie Jade und bleibt stehen. Sie weiß nicht wieso, aber das kleine Mädchen hatte in ihr das Gefühl ausgelöst, als müsste sie sie beschützen, auch wenn sie nur zwei Jahre jünger ist als sie.
»Viel Glück bei dem Interview. Euch allen.«, erst sieht Narie nur Jade an, dann alle anderen auch. Rue, das kleine Mädchen aus Distrikt 11 kommt langsam auf Narie zu, fast als hätte sie Angst.
»Ist es sehr schlimm da draußen?«, fragt sie und blickt zu Narie hoch.
»Nein, nicht wirklich. Caesar gibt sein bestes uns aus peinlichen Situationen zu retten. Ich glaube du wirst das bestimmt schaffen.«, gibt sie zurück.
»Okay.«, meint sie fröhlich, fast so als hätte sie neuen Mut gefunden. Narie bemerkt, dass Thresh ihr einmal dankend zunickt und erwidert das Nicken.
»Bist du wirklich mit Blight befreundet?«, harkt Rue jetzt noch nach und Narie sieht wieder zu ihr.
»Rue. Jetzt lass sie doch mal in Ruhe.«, hört sie eine tiefe Stimme brummen, die sich aber leicht belustigt anhört. Sofort weiß sie, dass es Thresh ist.
»Nein, ist schon in Ordnung. Ja, bin ich. Blight ist wirklich ein klasse Typ. Damals, als er von den Spielen zurück kam, war er psychisch total am Ende. Er meinte zu mir, dass ich ihm Halt gegeben habe.«, antwortet Narie auf die Frage der Kleinen.
»Du bist gar nicht so fies wie die anderen gesagt haben. Ich mag dich.«, Rue guckt sie an und lächelt. Davon muss Narie auch lächeln. Rue gibt ihr ein Zeichen sich zu ihr runter zu beugen und schnell tut sie das auch.
»Ich werde Thresh sagen, dass er dich in Ruhe lassen soll.«, flüstert sie der Schwarzhaarigen ins Ohr.
»Das musst du nicht, aber danke. Und ich mag dich auch, Rue.«, sanft guckt Narie der Kleinen direkt in die Augen.
Zusammen mit Blight geht Narie zu den Aufzügen. Die Stimmung ist ziemlich niedergeschlagen, denn beide wissen, dass es der letzte Abend ist, den beide zusammen verbringen können.
»Wir machen gleich noch etwas, oder?«, fragt sie und mittlerweile ist nicht mehr viel von dem starken Mädchen aus Distrikt 7 übrig. Sie wird morgen alle Menschen verlieren die sie liebt. Blight, Jade, ihre Eltern, vielleicht Rue...
»Natürlich.«, kommt es schwach von Blight zurück. Auch er steht kurz vor einem Heulkrampf. Er kann nicht glauben, dass sie morgen früh schon in die Arena muss. Keine Chance mehr etwas mit ihr zu machen, keine Chance auf weitere Momente mit seiner besten Freundin. Blight weiß ganz genau, dass ihr Tod auch sein Tod sein wird, zumindest seelisch. Er wird in ein tiefes Loch fallen, in das Loch aus dem sie ihn damals wieder mühselig heraus geholt hatte. Er wird panische Angstzustände, Albträume, wahrscheinlich sogar Depressionen bekommen. Und diesmal ist niemand da, der Abends für ihn da ist. Wie oft ist er noch mitten in der Nacht zu Familie Summers gegangen und wurde dort von Mutter, Tochter und Vater mit offenen Armen empfangen. Und jetzt kann er der Familie nicht einmal etwas zurück geben. Er glaubt an Narie, aber er weiß auch, wie hart die Hungerspiele sind. Und für den Fall, dass sie da raus kommen sollte und überlebt, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr das Selbe passiert ziemlich groß. Vielleicht sollten sie ihren Kummer in Alkohol ertränken, so wie Haymitch und Chaff, vielleicht sollten sie sich so wie Finnick ablenken. Aber ist das ein dauerhafter Zustand mit dem man leben kann? Kann man so glücklich sein?
»Ich gehe mich umziehen und abschminken, dann komme ich zu dir, ja?«, Narie sieht zu Blight, der ziemlich in Gedanken versunken ist. Trotzdem scheint er sie gehört zu haben, denn er nickt. Während er weiter zu seinem Zimmer läuft, zieht Narie sich in ihrem Zimmer um und tauscht das Kleid gegen eine bequeme Hose und ein lockeres Oberteil. Nach dem Abschminken geht sie sofort rüber zu Blights Zimmer. Die Tatsache, dass sie ihre Bettdecke dabei hat zeigt Blight sofort, dass er das Bett heute Nacht wohl nicht für sich alleine haben wird, aber auch, dass er eine Nacht ohne Albträume verbringen kann, die erste seit langem. Sie legt sich zu ihm auf das Bett und kuschelt sich an ihn, so wie er an sie. So fühlt es sich fast wieder so an, als wären sie zurück in Distrikt 7, aber leider auch nur fast.
»Es tut mir so Leid, dass dir das passieren muss.«, flüstert Blight. Narie richtet sich auf und sieht die Umrisse seines Gesichts im Mondschein.
»Es musste irgendwann passieren. Ich habe mein Glück schon zu oft heraus gefordert. Wenn ich nicht mehr bin, dann versprich mir, dass du weiter lebst. Dass du nicht aufgibst zu kämpfen und ein schönes, erfülltes Leben hast, ja? Du brauchst mich nicht um glücklich zu sein.«, sanft sieht sie zu ihm und muss schwer schlucken.
»Doch. Ich brauche dich. Du bist das Einzige, was mir geblieben ist, sie können mir dich nicht einfach weg nehmen.«, Blight steigen Tränen in die Augen, genau wie Narie.
»Es gibt nichts mehr, was wir tun können. Ich werde morgen in die Arena gehen. Du bist bei mir zu Hause immer noch willkommen. Bitte, kümmere dich um meine Eltern, besonders um Mum. Du bist wie ein Sohn für sie, sie würde es nicht ertragen dich auch noch zu verlieren.«, Narie kuschelt sich wieder in seine Arme, beiden laufen Tränen die Wangen herunter.
»Ich verspreche es dir.«, meint er und versucht sich zu beruhigen, doch er schafft es nicht. Es macht ihn zu sehr fertig, dass er Narie heute das letzte Mal in seinen Armen hält. Und es macht ihn fertig, dass er ihr nicht helfen kann, nach allem was sie für ihn getan hat. Er ist ein schlechter bester Freund. Narie richtet sich erneut auf und sieht zu ihm. Sie versucht irgendeine Emotion in seinem Gesicht abzulesen, aber bis auf Trauer kann sie nichts sehen. Trauer und Schmerz. Es tut ihr weh, dass sie ihm das antut, auch wenn sie prinzipiell nichts dafür kann, es ist Snows Schuld.
»Meinst du es stimmt, dass alle Erinnerungen an einem vorbeiziehen, wenn man stirbt? Wenn ja, dann werde ich mit schönen Erinnerungen an uns von dieser Welt gehen.«
»Du wirst nicht von uns gehen. Ich glaube an dich.«
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