Kapitel 3

3

Später an diesem Tag, am frühen Nachmittag erreicht der Zug aus Distrikt 7 endlich das Kapitol. Im Zug hatten alle bereits zu Mittag gegessen und so machen sie sich jetzt auf den Weg zu den Vorbereitungsteams.
Narie war seit gerade Mal einer halben Stunde im Kapitol und hatte jetzt schon genug von den Menschen hier. Nicht nur, dass sie selber aus sahen, als hätten sie die Trends der letzten Jahrzehnte alle kombiniert, nein. Sie sehen Narie an, als wäre sie eine Schaufensterpuppe in einem der schlechten Modeläden hier im Kapitol. Anfangs hatte Narie den Leuten ihren Todesblick zugeworfen, der zumindest in Distrikt 7 immer dafür gesorgt hatte, dass die Leute sich peinlich berührt abwandten, aber offenbar haben die Menschen hier kein Schamgefühl. Dass Lorena vielen Leuten fröhlich winkt und auf ihre Tribute zeigt, macht die Sache nicht gerade angenehmer, auch nicht für Ian. Sie mussten sich durch die Menschenmassen drängeln, wurden teilweise sogar festgehalten und Narie ist sich ziemlich sicher, dass sie einer Kapitolbewohnerin ein blaues Auge mit ihrem Ellbogen verpasst hat, wenn auch aus Versehen. Doch schlecht fühlt sie sich deswegen nicht.
Die beiden Tribute sind froh, als sie endlich dem Vorbereitungsteam gezeigt werden, allerdings missfällt es beiden, dass sie wieder wie Anschauungsobjekte betrachtet werden. Beide werden getrennt und jeder in einen Abschnitt gebracht. Dort müssen sie sich aus ziehen. Widerwillig machen das beide, nicht wissend, dass sie genau gleich handeln. Als sie dann auf der Liege liegen, denken sie an Distrikt 7. Auch wenn man vom Charakter und vom Auftreten der Beiden keine Ähnlichkeit sieht, so sind die beiden gar nicht so verschieden wie alle immer denken. Beide sind dem Kapitol über misstrauisch und wollen am liebsten wieder verschwinden. Es gefällt ihnen nicht zu wissen, dass man in wenigen Tagen sterben wird und man nichts dagegen machen kann. Doch im Gegensatz zu Narie glaubt Ian daran, dass es dieses Jahr einen Gewinner aus Distrikt 7 geben kann. Ian glaubt fest daran, dass Narie es schaffen kann, dass sie genug Stärke hat um diese Spiele zu gewinnen. Er glaubt allerdings auch, dass sie ein Problem mit ihrer Art haben wird. Ob sie Verbündete findet? Ob sie weiterhin daran fest hält, dass sie keine Verbündeten braucht? Die einzige, große Gefahr neben den Karrieros ist Naries Sturheit. Das kann manchmal von Vorteil sein und wahrscheinlich würde sie nicht so gut auf die Spiele vorbereitet sein, wenn sie nicht so stur gewesen wäre und die Sieger dazu gezwungen hätte sie auszubilden, aber jetzt in der Arena könnte diese Sturheit ein großes Problem für sie werden. Auf welche Art und Weise wird sich noch zeigen.
Nach über einer Stunde und unzähligen schmerzenden Körperteilen, verflucht sei die Person die auf die Idee kam den Körper zu enthaaren indem man alle Haare raus reißt, werden beide Tribute in getrennte Räume weiter geschickt. Narie weiß, was jetzt kommt. Sie hatte schon viel von Johanna und Blight gehört. Jetzt würde ein Bewohner des Kapitols, ein Stylist in diesem Raum auftauchen und sie verkleiden. Im Fall von Distrikt 7 als Baum. Das Merkmal von dem Distrikt war nun mal die Holzfällerei und da die Stylisten hier scheinbar so unkreativ sind geht jeder Tribut in Distrikt 7 seit mehreren Jahren als Baum. Als Narie das Kostüm anhat und sich im Spiegel betrachtet stellt sie fest, dass sie Recht hat. Sie sieht aus wie ein lebender, weiblicher Baum. Wenig motiviert läuft sie die große Halle mit den anderen Tributen und den Streitwägen. Doch schon als sie die ersten Tribute sieht ist sie froh, dass sie es getan hat. Als sie die beiden Tribute aus Distrikt 1, Glimmer und Marvel, sieht, beginnt sie laut zu lachen. Die beiden tragen pinke Plüschjacken! Und wäre das nicht noch genug tragen sie unter diesen Jacken silber glitzernde Oberteile. Sie fragt sich sofort, ob deren Stylisten der Meinung sind, dass sie weniger furchteinflößend aussehen sollen, oder ob sie einfach genau so unfähig sind wie Naries Stylistin. Durch Naries lautes Lachen werden ein paar Tribute auf sie Aufmerksam. Zum einen der Grund wieso Narie überhaupt lacht, der Junge in der Jacke aus Distrikt 1, welcher sie jetzt grimmig anschaut, aber ein kleines Schmunzeln nicht verstecken kann, der Junge aus Distrikt 11 der jetzt zu grinsen beginnt und das Mädchen aus Distrikt 9, welche fröhlich auf Narie zuschlendert und dabei immer wieder leicht auf und ab hüpft.
Narie hat sich inzwischen von ihrem Lachkrampf erholt und lehnt am Wagen mit den Pferden, welche sie bei der Parade ziehen werden.
Noch bevor das Mädchen aus Distrikt 9 bei Narie angekommen ist, hört sie es und sieht es aus dem Augenwinkel. Innerlich grinst sie. Danke Blight, dass du mir so was beigebracht hast, denkt sie und dreht sich zu dem Tribut.
»Hallo. Narie, richtig?«, fragt das Mädchen mit den dunkelbraunen Haaren fröhlich.

»Ja. Du bist Jade, oder?«, Narie sieht sie an und bemüht sich freundlich zu wirken.

»Ja, genau. Wenn du keine Lust auf ein Gespräch hast, dann kann ich auch wieder gehen.«, Jade sieht verunsichert zu dem schwarzhaarigen Mädchen vor sich.

»Nein, bleib hier. Ich bin nur nicht in der Laune fröhlich zu wirken. Bin ich nie.«, gibt Narie zurück.

»Oh, das musst du nicht.«, Narie ist sich nicht sicher, ob Jade wirklich so fröhlich ist wie sie tut und in allem das Beste sehen will, oder das nur eine Fassade ist. Die beiden Mädchen unterhalten sich noch kurz, reden über ein paar Belanglosigkeiten, doch sie bekommen so die Zeit rum bis es los geht und so langweilt sich keiner von beiden. Sie reden über alles mögliche, Narie erzählt von Distrikt 7 und ihrer Arbeit im Wald, Jade hingegen erzählt von der Arbeit in ihrem Distrikt.

»Tribute auf die Wägen!«, ertönt plötzlich eine Stimme und Jade verabschiedet sich, wie immer fröhlich, dann geht sie wieder mit den gleichen hüpfenden Schritten wie eben zu ihrem Wagen zurück, wo sie sogleich von ihrem Mittribut in ein Gespräch verwickelt wird.
Ian taucht zeitgleich neben ihr auf und beide steigen auf den Wagen.
Sie werfen sich einen kurzen Blick zu und nicken. Durch dieses kurze Nicken haben sie abgemacht, dass sie nicht winken werden, sondern gerade nach vorne sehen. Der Wagen mit den Tributen aus Distrikt 1 setzt sich gerade in Bewegung.
Die Jubelrufe der Menschen ertönen. Ein Gemisch aus Beifall und vereinzeltem Klatschen der Leute, welches aber stärker wird sobald der erste Wagen komplett aus der Halle verschwunden ist.
Kurze Zeit später setzt sich auch der Wagen aus Distrikt 7 in Bewegung.
Narie sieht stur gerade aus, doch sie sieht im Augenwinkel und vor ihr die Menschen auf den Tribünen die voller Freude die Tribute anfeuern.
Plötzlich rastet die Menge aus. Verwirrt sieht Narie in einen der Spiegel die an der Decke angebracht sind. Wieso hängen da Spiegel? Damit die selbstverliebten Tribute aus 1 und 2 sich selber bewundern können?
Narie sieht im Spiegel die Ursache der Aufregung. Die beiden Tribute aus Distrikt 12, Katniss und Peeta, brennen! Sie tragen schwarze Anzüge und an ihren Rücken tanzen rote Flammen entlang. Narie muss zugeben, dass das wirklich sehr beeindruckend aus sieht. Beeindruckender als die Pinken Jacken aus Distrikt 1.
Die Wagen sind mittlerweile am Ende des Platzes angekommen und Narie erblickt Präsident Snow auf einer Art Balkon. Hass durchfährt ihren Körper. Er könnte das Alles, die ganzen Hungerspiele abschaffen, aber nein, er findet das Ganze wahrscheinlich auch noch toll. Wie es wohl wäre, wenn er in den Hungerspielen um sein Leben kämpfen müsste? Ob alle Tribute sich gegen ihn verbünden würden?
Präsident Snow macht eine begrüßende Handbewegung die in Naries Augen einfach nur lächerlich aus sieht.
»Willkommen... Willkommen. Tribute, willkommen im Kapitol.«, fängt er an.
Soll uns das häufige Wiederholen des Wortes Willkommen zeigen wie sehr er sich freut, dass wir alle hier sind um zu sterben?, denkt Narie sarkastisch.
»Wir verneigen uns vor eurem Mut und dem Opfer das ihr bringt. Und wir wünschen euch fröhliche Hungerspiele, Tribute. Und möge das Glück stets mit euch sein.«, gegen Ende dieses Satzes rastet die Menge jubelnd aus und Snow grinst zufrieden. Dann endlich setzten sich die Pferde wieder in Bewegung und sie fahren zurück. Narie ist froh, dass es endlich vorbei ist, denn sie mag die Menschen dort draußen nicht. Natürlich, nicht jeder hat etwas mit den Hungerspielen zu tun, aber jeder Bürger im Kapitol guckt zu, feuert seine Favoriten an und weint wenn sie sterben.
Sobald die Pferde anhalten steigt Narie von dem Wagen und seufzt erleichtert. Eine weitere Sache, die sie geschafft hat.
Blight, Johanna und Lorena kommen auf sie zu. Narie sieht sich kurz um und stellt fest, dass der Junge aus Distrikt 2, Cato, das Mädchen aus 12 mit seinen Blicken erdolcht.
Wahrscheinlich ist er einfach nur sauer, dass sie ihm die Show gestohlen hat.
»Na kommt, lasst uns gehen.«, meint Blight und legt seine Hand zwischen Naries Schulterblätter um sie vorwärts zu schieben, denn genau in diesem Moment fällt Catos Blick auf Narie.
Gemeinsam gehen die fünf zu einem der Aufzüge.
Als einer vor ihnen die Tür öffnet treten sie ein und Narie lehnt sich genervt an die Wand. Sie wäre so gerne wieder in Distrikt 7. Hier im Kapitol ist es schrecklich langweilig. Wenn sie schon bald stirbt, wieso kann sie dann nicht wenigstens noch etwas erleben? Aber nein, stattdessen muss sie jedem Befehl hier folgen, und wartet quasi darauf zu sterben.
Auf einmal sieht sie nur noch pink. Irritiert sieht sie auf. Blight und ein weiterer Mentor unterhalten sich, Ian redet mit Johanna und Lorena, Glimmer und eine Frau reden auch miteinander. Wo kommen die denn alle auf einmal her?
Die schwarzhaarige sieht zu der pinken Fläche vor ihr. Der Junge aus Distrikt 1, Marvel, steht leicht genervt, mit der pinken Jacke in der Hand vor ihr. Sie versucht sich das Lachen zu verkneifen, denn genau in dem Moment wo sie hoch guckt, guckt auch er hoch. Er sieht das Grinsen auf ihrem Gesicht als ihr Blick auf die Jacke fällt.
Er muss aber auch grinsen, denn er selbst findet diese Jacke wohl genau so schlimm wie sie. Er hatte die Aufmerksamkeit der Leute genossen, aber die Jacke war zu viel des Guten. Zum Glück musste er nicht noch so eine schreckliche Kopfbedeckung tragen, die von Glimmer hatte ihm während der Fahrt fast dreimal ins Auge gestochen. Zudem sah das Ding wahnsinnig schwer aus.
Marvel hatte während der Parade alle möglichen Modetrends hier im Kapitol gesehen und einige davon waren echt schräg, so wie zum Beispiel die rosafarbene Haut, die bunten Perücken, oder die mindestens zehn Zentimeter langen Wimpern.
Narie grinst in sich hinein. Die Anderen sind alle mit etwas Anderem beschäftigt, also bekommt das niemand mit. Doch sie muss sich zusammenreißen nicht zu lachen. Es gefällt ihr, dass dem Karriero durch das alberne Kostüm die Brutalität genommen wurde, denn sie weiß ganz genau, dass er das nicht gut findet.
Mit einem leisen Rumpeln schließen sich die Türen des Aufzugs und langsam setzt er sich in Bewegung.
»Die Jacke war schrecklich, ich weiß.«, ertönt die leise Stimme von Marvel. Erschrocken sieht Narie auf. Seine Stimme klingt weich und angenehm, nicht so, wie sie erwartet hätte, aber es passt zu ihm. Er sieht sie freundlich an und das alles passt so gar nicht zu dem Jungen den sie bei der Ernste gesehen hat, doch sie ist sich sicher, dass das täuscht. Er wird ihr Vertrauen gewinnen wollen um sie später leichter zu töten, genau das muss es sein.
»Naja, ich gehe als lebender Baum, also sollte ich dich wohl eher nicht wegen einer pinken Plüschjacke auslachen.«, gibt sie zurück, muss dabei aber wieder lachen. Diese Jacke ist schlimmer als das Kostüm als Baum.
»Ich fand die Jacke deutlich schlimmer. Der Baum steht dir.«, sagt er, grinst und tritt aus der jetzt wieder geöffneten Tür in sein Appartement.
Glimmer und die Mentoren folgen ihm und die Türen gehen wieder zu.
»Hat der gerade mit mir geflirtet? Der Baum steht dir.«, sie äfft ihn sarkastisch nach. Na klar, der Baum steht mir, was auch sonst, denkt sie sarkastisch.
Im Appartement angekommen zieht sie das schreckliche Kostüm aus, geht duschen, macht sich fertig um schlafen zu gehen und legt sich ins Bett.
Sofort schläft sie ein.

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