Kapitel 17

Wir gingen in Stile durch das Haus, bis wir auf der Terrasse standen. Hier war die Aufsicht auf den Wald und Natur noch einmal ein ganz anderes Erlebnis. Ich konnte die Luftfeuchtigkeit auf meiner Haut spüren. Die Vögel singen hören. 

Es war schon am Dämmern und die ganze Umgebung hatte einen grauen Stich. Eine Vorahnung auf Regen. Wieso waren wir draußen?

"Es ist hier normal, dass es nachts kalt und nass wird. Das liegt an den Bäumen. Aber wir haben noch etwas Zeit, bis es so weit ist", erklärte er auf meinen fragenden Blick hin. Nur, dass ich dadurch nicht wirklich mehr wusste.

Bei genauerem Hinblick erkannte ich, dass nicht alles selbständig gewachsen sein musste. Einige Bäume waren schwer mit Birnen waren. Auch war die ein oder andere Blume zu bunt, für den Wald im Hintergrund. Doch die Harmonie stimmte.  Wäre da nicht der Glaskasten von Haus hinter uns.

"Du solltest Hanbin lieber nicht auf das mit Jinhwan ansprechen. Er ist da noch etwas empfindlich." Jiyong schaute mich nicht an, doch ich wusste, dass seine Aussage kein nett gemeinter Hinweis war. Stattdessen eine Warnung, die mich daran erinnern sollte, wo ich stand. Was bestimmt keine Position war, in der ich mich in das Privatleben seiner Bodyguards einmischen durfte.

"Ich hätte es irgendwie nie von ihm erwartet", erwiderte ich dennoch. 

"Das hat niemand, aber es ist nun einmal so. Und solange er nicht wieder denselben Scheiß, wie damals abzieht und ich ihm keine Kugel durchs Knie jagen muss, ist alles in Ordnung."

Verwirrt schaute ich zu ihm.

"Durchs Knie? Hast du das damals gemacht?" Mein Schock war kaum zu überhören. Meinte Jinhwan das vorhin, als er mir erzählt hatte, dass Jiyong sich Hanbin vorgenommen hatte?

"Schätzt du mich so grausam ein?"

"Ja." Ich zögerte nicht einmal.

Amüsiert wand er sein Gesicht zu mir. Die Augenbraue dabei arrogant gehoben.

"Das hast du ausnahmsweise mal recht. Außer dass die Kugel damals durch seine Handfläche ging."

Mich überraschte das wirklich nicht. Tatsächlich fand ich diese Bestrafung passend. Hanbin hatte das auf jeden Fall verdient. Dennoch verdrehte sich mein Magen. Wenn man sich auf die Typen hier einlässt, wurden einem sehr surreale Sachen erzählt.

"Was natürlich verdient war", setzte er fort. "Schließlich hat er diese Hand ja für den Scheiß benützt. Ich erwische ihn immer wieder dabei, wie er die Narbe nachdenklich anschaut." Jiyong klang ziemlich stolz. "Er scheint verstanden zu haben, was sie zu bedeuten hat."

"Er hat bloß eine Narbe davon erhalten? Wie konnte das heilen?"

"Entweder durch Faden und Nadel oder durch Feuer. Das haben die Männer von meinem Dad immer gemacht. Eisen ins Feuer und darauf damit. Dadurch ist die Narbe deutlich sichtbarer."

"Du hast doch etwa nicht ... Hast du?"

Das Zucken seiner Lippen verriet ihn. Mir wurde nun wirklich schlecht. Mit zittrigen Händen stütze ich mich auf das Gerüst ab. Dass ich mir den Geruch und die Schmerzen versuchte vorzustellen, half auch nicht wirklich.

"Er hat seinen Kameraden misshandelt. Jemand der unter seinem und meinem Schutz steht. Er kann glücklich sein, dass er noch atmet." Sein amüsierter Ton machte die schweren Worte nicht besser. Auch nicht, dass seine dunklen Augen kalt wie Eis erschienen.

"Und dennoch ist er noch da." Meine Stimme war nicht mehr als Hauch. Ob das an der Tatsache lag, dass ich Hanbin inzwischen mit anderen Augen sag, oder dass mir noch schlecht war, wusste ich nicht.

"Ich mag sie alle zu sehr. Sie sind meine Brüder. Wenn nicht sogar meine Kinder. Und ob du es glaubst oder nicht, mir ist das manchmal sehr unangenehm." 

Jiyong ging plötzlich die Treppen zum Garten herunter und bog scharf rechts ab. Unschlüssig folgte ich ihm. Noch immer unsicher, was ich mit den neuen Informationen anfangen sollte.

"Aber was mich mehr interessiert, ist, wieso wir über Hanbin reden, wenn wir alleine sind. Der Junge geistert sowieso zu oft in meinem Kopf herum, da braucht er auch nicht jetzt zwischen uns zu sein." 

Seine Augen trafen meine, als er über seine Schulter nach hinten schaute. Wahrscheinlich um sicherzugehen, dass ich ihm auch wirklich folgte. Kurz erwiderte ich seinen Blick, dann wand ich ihn ab. 

Mir fiel erst jetzt auf, dass sich der Wald langsam lichtete. Wir zielten eine Stelle an, die verglichen zu der Umgebung, kaum bewachsen war.  Bei genauerer Betrachtung handelte es sich dabei um  eine Wiese voller Wildblumen und hohem Gras. In der Mitte befand sich ein Stein. Jiyong blieb  davor stehen, was mich wiederum zum Stillstand zwang. Neugierig blickte ich über seine Schulter.

Der Stein stellte sich als Grabstein heraus. Ein schlichtes Modell mit einem Blumenstrauß und Kerzen davor. Ich entzifferte die Buchstaben und Zahlen, die auf ihm standen und hatte das Gefühl, dass mein Herz stehen blieb.

Plötzlich war mir warm und meine Haut fühlte sich an, als würde sie brennen. Meine Hände zitterten. Aus Angst, dass das Erbeben auf meine ganzen Körper übergehen würde, ballte ich sie zusammen. Meine Augen brannten und ich hatte Schwierigkeiten zu schlucken. 

"Ich hab damals gelogen, da ich deine Reaktion sehen wollte." Er hatte sich zu mir umgewandt. Beobachtete mich ganz genau. Jede meiner Reaktionen fiel ihm auf. "Die Jungs haben sie zwar verbrannt, aber die Asche mitgenommen."

Ein Wimmern kam über meine Lippen. Eilig presste ich meine Hand darauf. Was ein Fehler war, da ich einfach nicht aufhören konnte zu zittern. Wir standen vor dem Grab meiner Mutter. Wenn Jiyong gerade wirklich mit mir ehrlich war, hatte er sie hier begraben lassen. 

Tränen rollten über meine Wangen. Ich war von meinen Emotionen zu überfordert, um gegen sie anzukämpfen. 

"Danke", brachte ich nach einer Weile heraus.

Auf dem Grabstein stand ihr Name, wie der Geburts- und Todestag meiner Mutter.

Ich wusste nicht, ob ich innerlich noch darauf gehofft hatte, diesen Anblick jemals sehen zu können, doch er zerriss mich. Nun konnte ich nicht mehr an alles, was geschehen war zweifeln. 

Meine Mutter war tot. 

Jiyong sagte nichts. Starrte mich bloß an. Doch er gab mir auch keinen Raum, um alleine zu sein. 

Ich wusste nicht wie lange wir so standen, doch als das Weinen vorüber war, herrschte bereits Dunkelheit.

Hier, irgendwo im Nirgendwo hatte ich meinen Abschied von meiner Mutter machen können. Mehr als ich erwartet hatte, aber dennoch nicht genug. Wie unfair. Dieser Moment war Chance um abzuschließen. Hinzunehmen, was geschehen war. Dass nie wieder etwas wie früher sein wird. Nun musste ich für mich leben und kämpfen. Und versuchen, das ganze zu überleben.

"Geht es?", fragte Jiyong sanft. Es war kaum hörbar.

Ich nickte knapp. Ich war ein Chaos. Wusste nicht, wo ich anfing und wo ich endete. Doch gleichzeitig wusste ich, dass ich war. Meine Sterblichkeit soeben vor dem Grab meiner Mutter bewusster als jemals zuvor.

"Du kannst jederzeit hierherkommen. Sag einfach Bescheid und der Jet gehört dir."

Ich spürte, wie mich Dankbarkeit erfüllte und wand mich zu ihm. Er hatte seine dunklen Augen auf mein Gesicht fixiert.

"Danke, Jiyong." Meine Stimme war noch schwer von den Tränen. Tatsächlich meinte ich meine Worte ernst. Ich war dankbar, dass er mir diese Möglichkeit gab.

Ein Grinsen erschien in seinem Gesicht. 

"Alles für mein Kätzchen."

Immer noch von der Situation überfordert, lächelte ich kurz. Doch wir beide wussten, dass es nicht ehrlich gemeint war. 

"Wir sollten zurückgehen. Nicht mehr lange und die Temperatur sinkt zu Minusgraden."

Schweigend machten wir uns auf den Rückweg. Er wieder vor mir und ich folgsam hinterher.

Meine Mutter war tot. Ich saß bei einem Mafioso fest. In einer Welt in der ich keine Rechte oder Ansprüche hatte. Den Launen eines Mannes ausgesetzt, der zwar behauptete mich zu kennen, mir jedoch fremd war. 

Bei der Feststellung durchfuhr mich ein Schauer. Diesmal jedoch schmerzhafter als zuvor. Denn ich war mir bewusst gewesen, dass es nur eine Möglichkeit zu überleben gab. Und zwar indem ich genau das tat, was Jiyong von mir wollte. Auch wenn er mir klarmachen wollte, dass er mir die Welt zu den Füßen legen würde – ich war dennoch eine Gefangene.

Und Jiyong war mein Schlüssel in die Freiheit.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top