Kapitel 11

Ich war alleine.

Niemand sah nach mir.

Niemanden sprach mit mir.

Niemand nahm mich wahr.

Nicht einmal Taeyang kam zur Kontrolle. Jiyong hatte sein Wort gehalten.

Ich litt.

Wenn ich nicht im Bett lag und schlief, saß ich am großen Fenster und schaute auf das Treiben der Stadt hinunter.

Ich vermied es nachts zu schlafen, da ich dann meistens die Albträume hatte.

Die Erinnerungen.

So konnte ich die Leute sehen, wie sie heiter und wunderschön aus den Hochhäusern kamen, doch dann auch wieder betrunken und durcheinander hineingingen.

Ich wollte noch nie so gerne in meinem Leben ein Teil davon sein, wie wenn ich im Dunklen auf dem Boden saß und mein Kopf an die kalte Scheibe lehnte.

Ich habe mir auch alle Schränke und Kommoden angeschaut. Es war das Übliche. Nichts was mir hilfreich sein konnte.

Die teuren Lippenstifte nahm ich her, um auf die Scheiben zu schreiben. Es war alles, was mir einfiel.

Der Name meiner Mutter.
Meiner Freunde.
Nachbarn.
Mitschülern.
Lehrern.
Jede Person, die ich schon einmal getroffen und gesehen habe.

Meine größte Angst, neben dem Schlafen und dass ich verrückt werde, war, dass ich vergesse.

Es schien, als würde jedes Gesicht mit jeden weiteren Minuten verblassen und jeder Name verschwinden.

Selbst mein Gesicht wurde mir fremd.

Doch seine Worte schwirrten standhaft in meinem Kopf herum.
Hell und laut, wie eine Reklame.
Sie wurden jedes Mal lauter, wenn ich mich nicht mit den Namen ablenkte.

Ich konnte nicht seine versprochene Frau sein.

Wie denn auch?

Es war eine Lüge.

Er ist ein Mafioso. So etwas ist für ihn normal.

Alleine unser Alter, unsere Herkunft, unsere Eltern ließen es nicht zu.

Wie könnte ich so einen Menschen heiraten?

Doch ich hätte auch nie gedacht, dass meine Mutter solch eine Vergangenheit hätte. Wieso also sollte nicht auch solch ein Versprechen existieren?

Und dieser kleine Funke an Zweifel ließ mich lichterloh brennen. Wie ein trockener Wald im Hochsommer.

Wütend biss ich mir erneut auf die Lippe, um mich abzulenken. Um auf andere Gedanken zu kommen. Doch es half nichts. Die Wut ließ mich zu stark aufdrücken und den roten Lippenstift abbrechen. Ein kleiner fetter Fleck war nun das Ende eines Namen.

Das war der letzte gewesen.

Verzweifelt schaute ich auf das Plastik in meiner Hand.

Was nun?

Mir stiegen Tränen in die Augen. Zuerst versuchte ich sie zu ignorieren, doch es war zu viel.

Meine Seele wollte einfach nicht mehr.

Deswegen schmiss ich es wütend weg und fing laut zu weinen an. Immer wieder fuhr ich mir durchs Haar und versuchte aufzuhören, doch es ging nicht. Es war einfach zu viel. Einfach zu viel ...

Es war wie in Trance.

Hektisch rappelte ich mich auf und lief mit nackten Füßen über den weichen Teppich, welcher mich mittlerweile vor Ekel erschaudern ließ.

Plötzlich war ich an dem Schminktisch und fuhr mit meinen Armen über die Fläche. Glas zerbrach. Inhalte verteilten sich auf dem Boden.

Als Nächstes war der Schrank dran.
Danach die Vasen und Bilder.

Draußen waren Stimmen zu hören.

Ich ignorierte sie, wie sie mich auch.

Meine Wut ließ nicht nach und das Chaos wurde immer größer.

Ich riss die Badezimmertür auf und ließ auch dort alles raus. Hier gab es mehr an zerbrechlichen Zeug.

Lautes Scheppern war bald das einzige Geräusch, außer meinem lauten Atem, was ich hören konnte.

Ich nahm eine Schüssel mit Badesalz und schmiss sie gegen den großen Spiegel, welcher die Wand einnahm.

Das Glas zersprang und Risse fuhren durch die spiegelnde Oberfläche. Laut fielen die Scherben zu Boden und reflektierten das Licht.

Schwer atmend starrte ich in die Überreste des Spiegels.

Ich war dünn. Fast schon mager.
Hatte das Essen nicht einmal angeschaut. Nun konnte man es sehen.

Meine Haare waren durcheinander und sahen stumpf und kaputt aus. Jegliche Farbe schien aus ihnen gewichen zu sein.

Genauso wie in meinem Gesicht. Ich war blass und die dunklen Augenringe ließen es nicht besser werden.

Die Wangen eingefallen und die Lippen rissig.

Doch am schlimmsten waren meine Augen.

Sie waren leer und glanzlos.

Die Augen einer Toten.

Die Erkenntnis traf mich hart.

Schluchzen fiel ich auf den Boden und klammerte mich an mich selbst fest.

Ich kippte durch meine Haltung fast nach vorne, doch konnte mich noch mit den Armen abfangen.

Kurz stach es. Dann war es fort und langsames Rot zu sehen.

Ein lauter Knall ertönte und dann hektische Stimmen und Schritte. Mein Name wurde gerufen.

Dann wurde ich gefunden.

Verzweifelt blickte ich auf.

Hanbin, Bobby und zwei andere Jungs standen an der Tür. Alle schockiert und wie in Starre.

"Es tut mir leid ... I-Ich werde mich benehmen-Aber lasst mich nicht mehr alleine ...", brachte ich  hervor.

Alle vier sahen aus, als hätte man sie geschlagen.

Hanbin reagierte als erster und kam schnell auf mich zu. Wie damals nahm er mich in den Arm und trug mich raus. Doch nicht in das mir bekannte Zimmer, sondern raus auf den Flur, runter und dann zu einer Tür.

Dabei bellte er Befehle, die ich nicht wahrnahm, da ich mich an ihm festhielt und immer noch weinte.

"Bobby! Du fährst!"

Die Tür wurde aufgerissen und ein Raum zu einem Aufzug erschien. Doch Hanbin ignorierte ihn und öffnete den Notausgang. Mit Bobby rannte er die Treppen herunter.

In einer Tiefgarage eilten sie auf einen großen Wagen zu und öffneten ihn.
Zusammen mit mir setzte er sich nach hinten. Bobby nach vorne.

"Fahr zu Taeyang! Sie braucht Hilfe!"

Schon ertönten die quietschenden Reifen.

Hanbin drückte mich an sich und fuhr mir dabei übers Haar. Er sprach auf mich ein, doch ich verstand nicht.

Ich wusste nur eins.

Ich war aus dem Zimmer draußen.

Und trotzdem fühlte ich mich leer.

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