Kapitel 4 I Pest oder Cholera

Mein Handywecker riss mich aus dem Schlaf.

Ich griff nach meinem Iphone und ließ den nervigen Ton verstummen. Mein Handy zeigt genau 08:00 Uhr an.

Ich musste erst um 12 Uhr in der Uni sein, also hatte ich noch Zeit entspannt etwas zu essen und mich in Ruhe fertig zu machen.

Ich wälzte mich noch ein paar Mal hin und her und dachte an Maxim. Der ganze Abend kam mir vor wie ein sehr realer Alptraum, doch ein Pochen an meiner Schläfe erinnerte mich daran, dass ich nichts davon nur geträumt hatte.

Verschlafen tapste ich ins Badezimmer, um mein Gesicht unter die Lupe zu nehmen und mir zu überlegen, wie ich möglichst realistisch die blauen Flecken und Schrammen kaschieren konnte. Entschlossen knotete ich meine langen, braunen Haare zu einem lockeren Dutt zusammen, wusch mein Gesicht und begann mich zu schminken, bevor meine Mutter Verdacht schöpfen konnte.

Anschließend ging ich in die Küche und machte mir eine große Tasse Kaffee. Morgens bekam ich nie was runter, außer schwarzen Filterkaffee. Ein kurzer Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es schon wieder regnete.

Ich ließ mich mit meinem Kaffee auf das weiche Sofa im Wohnzimmer fallen und schaltete die Nachrichten an. Noch im Halbschlaf lehnte ich mich zurück und nippte an meinem Kaffee.

Und nun zu den aktuellen Meldungen des Tages." trällerte die Nachrichtensprecherin. „Der international gesuchte Kartell-Anführer Maxim Renardy ist vor zwei Tagen aus seiner dreijährigen Haft entlassen worden und nun wieder auf freiem Fuß. Wie genau weiterhin mit dem Drogenboss verfahren wird, wird sich in der heutigen Anhörung bei Gericht zeigen." berichtete die Nachrichtensprecherin weiter und ein Bild wurde eingeblendet. Wie in Trance starrte ich auf den Bildschirm des Fernsehers.

Jegliche Farbe wich aus meinem Gesicht und beinahe hätte ich die Tasse fallen gelassen. Manchmal ergibt es vielleicht doch Sinn, auf sein Bauchgefühl zu hören, dachte ich. Mir war schon klar, dass der Typ etwas zu verbergen hatte, schließlich hatte er einen nagelneuen BMW vor der Tür stehen, aber wohnte dann in einem Wohnwagen, der so aussah als hätte er nichtmal 10 Euro gekostet, mitsamt der Innenausstattung. Aber dass er dann direkt ein international gesuchter Drogenboss war, hätte ja wohl keiner ahnen können.

Ich hoffe der kommt wieder hinter Gitter, ist ja gruselig wenn so einer frei draußen rumläuft." schimpfte meine Mutter und humpelte ins Wohnzimmer.

Mhm. Wenn du wüsstest.

Morgen Mama." Sagte ich, lächelte sie an und hoffte nicht auszusehen wie jemand, der gerade ein Gespenst gesehen hatte. Obwohl ich mich so fühlte.

Ich sah aus dem Augenwinkel, wie sie in ihrer Bademanteltasche nach irgendetwas rumfischte und dann endlich nach gefühlt zehn Minuten ihr Tablettendöschen auf den Tisch legte und sich neben mich auf das Sofa fallen ließ. Nach ihrer Chemotherapie war sie sehr schwach geworden und konnte kaum noch Dinge eigenständig erledigen. Ihr vorher seidiges, blondes Haar war einem matten grau gewichen und auch ihre Haut hatte einen blassen, gräulichen Unterton bekommen. Zudem war sie bestimmt 10 Kilo leichter geworden. Zweimal am Tag kam der Pflegedienst vorbei, sodass ich mich nur um den Rest kümmern musste. Zum Beispiel Wäsche waschen oder die Wohnung sauber halten. Es war manchmal schon traurig mit anzusehen, wie schwach sie geworden war, aber andererseits war ich froh, dass sie überhaupt noch da war und es ihr den Umständen entsprechend gut ging. Meine Mutter war unkaputtbar, das hatte ich wohl von ihr geerbt.

Soll ich dir Frühstück machen?" fragte ich.

Das wäre lieb." Antwortete sie und ihre glasigen Augen sahen mich vergnügt an.

Nach dem Frühstück mit meiner Mutter war es schon etwas spät geworden, also zog ich mir schnell eine Jeans, ein paar weiße Nike Sneakers und einen schwarzen Oversize Hoodie an, schnappte mir einen Schirm und nahm den Bus zur Uni.

Heute hatte ich vier Vorlesungen und die letzte endete erst um 20:00 Uhr, sodass ich danach noch den Stoff nachbereiten und wahrscheinlich wieder erst im Dunkeln nach Hause musste. Eigentlich mochte ich den Herbst und den Winter lieber als den Sommer, da ich Hitze nicht ausstehen aber dafür Kakao und endlose Tage im Bett, während es draußen regnete, sehr gut leiden konnte. Der Nachteil war nur, dass es immer so früh dunkel wurde und die Dunkelheit dumme Menschen anzieht, wie Motten das Licht.

In der Uni wartete schon meine Freundin Bianca auf mich.

Lunes, hier!" rief sie energisch und winkte mir zu. Ich ging zu ihr rüber und umarmte sie.

Na du." Grinste ich sie an.

Den Blick kenne ich." Stellte sie fest und musterte mich mit ihren Rehaugen. Ihr rotes, glattes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, der fröhlich wippte als sie sich zu mir drehte.

Ich weiß nicht was du meinst." Log ich.

Du verbirgst was." Sagte sie und grinste mich verschmitzt an. Verrückt, wie gut sie mich doch kannte. Aber ich war nie gut darin gewesen, meine Gefühle zu verstecken. Wenn mich etwas bewegte, konnte man mir das auch ansehen. Wenn ich wütend war, sah ich wütend aus und wenn ich traurig war – dann heulte ich. So einfach konnte das sein, aber so schwierig ist es auch manchmal.

Nein, wieso sollte ich?" antwortete ich und versuchte das Thema zu wechseln.

Hast du schon für die Strafrecht Klausur gelernt? Ich komme da überhaupt nicht weiter. Das ist einfach unzumutbar!" sagte ich gespielt wütend, aber ich wusste, dass ich ihr früher oder später diese komische Story mit dem Typ von gestern Abend erzählen musste. Aber alles zu seiner Zeit. Ich musste wirklich erstmal schauen, dass ich die nächste Klausur nicht in den Sand setzte. Außerdem gab es ja eigentlich kaum was zu erzählen, außer eben, dass er mir geholfen hatte und zufälligerweise der attraktivste Mann war, den ich jemals gesehen habe.

Hey!" rief jemand hinter uns und wir drehten uns beide im selben Moment um. Es war Hektor, mein bester Freund und ständiger Begleiter in der Uni. Er sah aus wie 80% der Leute in meinem Studiengang. Polohemd, Brille, Bootsschuhe und Mac Book in der Hand. Erstaunlicherweise aber verhielt er sich nicht so hochnäsig und nahm sich nicht so ernst, wie der Rest der meisten Leute hier. Er war eben der perfekte Schwiegersohn, aber man konnte auch sehr gut mit ihm Lachen. Gutes Timing, dachte ich, da er eine ziemliche Labertasche war und Bianca wohl nicht mehr dazu kommen würde, mich auszufragen.

Der restliche Tag verlief ziemlich unspektakulär. Meine Gedanken konzentrierten sich auf den Nach Hause Weg heute Abend. Ich hatte Schiss, dass Esther wieder auf mich warten würde. Was dann? Lasse ich mich zusammenschlagen oder suche ich Schutz bei einem Drogendealer?

Beide Optionen schienen mir nicht unbedingt optimal.

Was wird passieren?

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