22. Die Ruhe nach dem Sturm
Starr blickten die saphirblauen Augen Fideas auf die undurchdringliche Schwärze vor dem hohen und zugleich kunstvoll verzierten Bogenfenster ihres Schlafsaals im Ravenclawturm. In kauernder Haltung hatte sie auf dem kühlen steinernen Fenstersims Platz genommen, da der Schlaf trotz aller Müdigkeit einfach nicht über sie kommen wollte. Fest hatte die Ravenclaw die Arme um ihre angewinkelten Beine geschlossen, während sie ihren Kopf erschöpft auf den Knien abgelegt hatte.
Ein warmer schwarzer Umhang war eng um ihre sitzende Gestalt geschlungen, um die Kälte, welche sich in gefühlt sämtlichen Gliedern ihres Körpers breitgemacht zu haben schien, allmählich zu vertreiben. Das sonst so helle klare Blau ihrer Augen wirkte fast schon schwarz in der Dunkelheit der Nacht, während Fidea in den Tiefen ihrer Gedanken immer wieder aufs Neue alles Geschehene Revue passieren ließ. Wie ein auf Wiederholung gestellter Film, sah sich das Mädchen mit den andauernd wiederkehrenden Szenen der heutigen Nacht konfrontiert.
Die Furcht ob ihrer Erkenntnis von Myrtes späterer Identität und Schicksal als übel-launiger, in einer Mädchentoilette hausender Geist, die ihre eilenden Füße beflügelt hatte, während sie alle Vorsicht in den Wind schlagend, durch die nächtlichen Korridore der Zauberschule gerannt war. Das beklemmende Gefühl von Schuld, welches ihren Atem erschwert zu haben schien, sowie die unweigerliche Ohnmacht, als Fidea erkennen musste, dass sie trotz aller Hast und Eile zu spät gewesen war. Das nachfolgende Empfinden von Verzweiflung und Wut gegen Ihn, die ihren zitternden Körper wie die aufbrausende Gischt des Oceans durchströmt zu haben schien. Das Mädchen schüttelte ihren, von goldenen Locken umrahmten Kopf um Ihn aus ihren Gedanken zu vertreiben, doch nur noch schärfer erschien Tom Riddles von Hohn und Spott gezeichnetes Gesicht vor ihrem geistigen Auge.
Eine einzige kühle Träne verließ ihre, für den Moment geschlossenen Augenlider und bahnte sich über ihre blassen Wangen hinweg, den Weg über das müde Gesicht Fideas. Ob jene Träne nun für Myrte, Fidea selbst oder gar den ihr so schrecklich verhassten Slytherin war, vermochte das Mädchen im Augenblick nicht recht zu sagen. So sehr sie Tom für all die Geschehnisse dieser Nacht verabscheute, konnte sie das aufkeimende Gefühl von Mitleid nicht ganz unterdrücken. Die Ravenclaw wusste nur zu gut, was einmal aus dem klugen, gut-aussehenden Erben Slytherins werden würde. Das Bild einer hochgewachsenen, mageren Gestalt mit fahler weißer Haut, schlangen-ähnlichen Nüstern und unheilvollen roten Augen, die gleichsam glühender Kohlen in den düsteren Hallen des Zaubereiministeriums funkelten, bahnte sich seinen Weg aus den Tiefen ihres Gedächtnisses. Nie würde sie die Schrecken jener Nacht im Ministerium vergessen können, von der sich das Mädchen sicher gewesen war, dass sie sie nicht überleben würde. Nie hätte sie gedacht, dass es tatsächlich noch schlimmer kommen könnte, nach allem was sie über die Jahre mit Harry, Ron und Hermine durchgestanden hatte. Doch hier saß sie nun, mit noch mehr Finsternis konfrontiert, als Fidea lieb gewesen wäre und noch hinzukommend war sie vollkommen allein.
Ein Seufzen entwich ihren Lippen, während sich der Blick ihrer müden Augen wieder der Dunkelheit vor dem Bogenfenster zuwandte. Hätte sie es nicht erahnen sollen, als Dumbledore sie auf diese Reise geschickt hatte? Tatsächlich war es weniger das Geschehene selbst, als vielmehr die Tatsache, dass sich das Vergangene offensichtlich nicht ändern ließ, was das Mädchen so unsäglich bedrückte. Hatte sie wahrhaftig angenommen, dass sie alles zum Besseren wenden konnte? Oder eher noch, dass sich Tom Riddle zu etwas anderem als dem grauenhaften Monster entwickeln würde, das sie aus der Zukunft kannte? Natürlich hatte er schon viel früher Tendenzen eines boshaften und grausamen Charakters offenbart, wie Harrys Erzählungen aus seinen Lernstunden mit Dumbledore offengelegt hatten. Konnte der Charakter eines Menschen schon von Kindesbeinen an, dermaßen verdorben sein, dass absolut nichts eine Änderung desselbigen herbeizuführen vermochte? Inwieweit war man dann eigentlich wahrhaftig der Herr oder auch die Herrin über das eigene Schicksal?
Diese Frage hatte sich Fidea bereits schon öfters gestellt, als sie wieder einmal mit dem Erbe ihrer Familie und den allesbestimmenden Entscheidungen ihrer Mutter für sie selbst konfrontiert gewesen war. War sie selbst tatsächlich das Ergebnis all ihrer eigenen Entscheidungen, oder doch viel mehr ein Sammelsurium von unterschiedlichen äußeren Einflüssen? Wie alle Ravenclaws faszinierten sie speziell besonders komplexe oder gar paradoxe Sachverhalte und die Frage nach dem Einfluss auf das eigene Schicksal gehörte ganz gewiss dazu. Hatte sie nicht selbst bereits maßgebliche Entscheidungen gefällt, indem sie sich beispielsweise für Ravenclaw und nicht für Slytherin entschieden hatte, wie es der sprechende Hut vor einer gefühlten halben Ewigkeit angeraten hatte? Oder aber auch als das Mädchen beschlossen hatte, dem dringlichen Anliegen von Dumbledore Folge zu leisten und sich auf eine recht ungewisse Reise in die Vergangenheit begeben hatte. Und doch konnte Fidea das leise und fast schon heimtückische Flüstern ihrer inneren Stimme nicht ganz unterdrücken, welches nicht zum ersten Mal, nach dem eigentlichen Grund für die Präferenz des sprechenden Hutes fragte. Was hatte der sprechende Hut damals nur gesehen, dass ihr so überhaupt gar nicht bewusst zu sein schien?
„Dunkelheit und Licht",
die raue kehlige Stimme von Professor Trelawney kam dem Mädchen dabei sogleich wieder in den Sinn. Dunkel waren nicht nur die Ereignisse der heutigen Nacht gewesen, sondern auch irgendetwas im Innern des Mädchens. Auch jetzt noch konnte sie die unglaubliche Wut auf den jungen dunklen Lord nachempfinden, die sie im vergangenen sämtlicher Logik beraubt zu haben schien. Wut hatte die Ravenclaw zwar schon häufiger wahrgenommen, schließlich handelte es sich dabei um ein ganz gängiges Gefühl, doch zum ersten Mal hatte Fidea jemandem wirklich wehtun wollen. Tatsächlich hatte sie Ihm die gleichen, wenn nicht sogar noch größere Schmerzen zufügen wollen, als sie selbst in jenem Moment empfunden hatte. Diesen Umstand konnte das Mädchen sich erst jetzt allein und in aller Stille selbst eingestehen. Dumbledore selbst hatte sie nur das Nötigste anvertraut, als sie voller Verzweiflung und totaler Desorientierung zu der einzigen Person geeilt war, von der das Mädchen Hilfe in dieser ganzen Situation zu erwarten hatte. Die einzige Person die wusste wer sie wirklich war und wie eventuell weiter mit Tom Riddle zu verfahren sei.
Wie ein Gespenst musste Fidea rückblickend ausgesehen haben, als sie geradezu totenbleich und mit tropfnasser Kleidung an der Bürotür des Verwandlungslehrers angeklopft und fast schon verzweifelt um Einlass gebeten hatte. Dumbledore hatte sogleich eine dicke Wolldecke herbeigezaubert und die Ravenclaw ausgestattet mit einer dampfenden Tasse heißen Kakaos -ein angebliches Wundermittel gegen so manche körperlichen und geistigen Gebrechen- zu einem der gemütlichen Sessel am Kamin geschickt. Die Hände zitternd von der Kälte ihrer durchnässten Kleider, hatte Fidea mit ausdruckslosem Blick in die unablässig zündelnden Flammen des Kaminfeuers geblickt. Wie die gierigen Flammen die Holzscheite einem nach dem anderen verschlangen, um lediglich Glut und Asche zurückzulassen, hatten die dunklen Schatten in den Gedanken der Ravenclaw einzig und allein Angst und Verzweiflung als Überbleibsel zurückgelassen. Nur noch als ein Schatten ihres einstigen Selbst war sie sich vorgekommen, während sie unverändert und fast schon gleichgültig dem Spiel der gelb-orangenen Flammen gefolgt war. Das Mädchen hätte bis in alle Ewigkeit so verharren können, zufrieden damit das zündelnde Feuer zu betrachten, aus welchem Fidea eine fast schon unheilvolle Ruhe zu schöpfen schien. Doch die Realität ließ sich nicht gern in den Hintergrund drängen und holte die Ravenclaw mit der festen Stimme Dumbledores alsbald wieder ein.
„Bitte sprechen Sie mit mir, was genau ist geschehen?"
Der eindringliche Blick seiner klaren himmelblauen Augen war erkennbar besorgt gewesen, als Fidea sich langsam von dem Anblick der munter zündelnden Flammen gelöst und mit ungewohnt schwacher Stimme, alles Geschehene zu erzählen begonnen hatte. Am Ende ihrer Erzählungen angelangt, hatte der grauhaarige Zauberer sie schließlich nach einem kurzen Schweigen zurück in ihren Schlafsaal geschickt, um wie er meinte, nicht noch unnötiges weiteres Aufsehen um ihre Person zu erwecken. Würde man Fidea mit den Ereignissen der heutigen Nacht in Verbindung bringen, wären die Konsequenzen wohl von kaum absehbarer Natur. Dumbledore selbst würde zu Dippet gehen und ihm von der Nachricht des Erben Slytherins berichten, welche er auf seinem nächtlichen Rundgang durch die Schule bemerkt haben wolle. Alles Weitere blieb jedoch abzuwarten. Da ähnliche Angriffe bereits im letzten Schuljahr erfolgt waren und es nun zu einem Todesfall gekommen war, würde Dippet wohl das Schließen der Zaubererschule in Erwägung ziehen müssen. Fidea, welche noch genau in Erinnerung hatte, welche Bedeutung Hogwarts für Tom Riddle zu haben schien und welche List er anwenden würde um die Schließung der Schule zu verhindern, legte einem überraschten Dumbledore nahe, den Drittklässler Rubeus Hagrid unbedingt zu beschützen. Vielleicht ließ sich zumindest ein trauriges Schicksal abwenden.
An diesem, zugegebenermaßen kleinen Funken Hoffnung festhaltend, schlief das Mädchen schließlich ungeachtet des unbequemen Fenstersimses auf dem sie sich befand, von Erschöpfung übermannt, ein.
Ihr Lieben,
Ich weiß, lange ist es bereits her, dass ich das letzte mal für diese Geschichte etwas verfasst habe. Da ich auch länger nicht mehr auf Wattpad war, habe ich viele eurer lieben Nachrichten leider verpasst und möchte mich an dieser Stelle noch nachträglich ganz herzlich bei euch bedanken!
Einer augenblicklichen Phase von Nostalgie folgend, habe ich das obige Kapitel (welches leider nur ein 'Füllkapitel' ist) in meinen alten Unterlagen gefunden. Es ist leider nicht viel, aber vielleicht gibt es mir in der nächsten Zeit wieder einen kleinen Anstoß, meine ursprünglichen Handlungsskizzen in vollständige Kapitel einfließen zu lassen.
Wie immer mit den besten Grüßen!
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