Kapitel 80
Draußen war es bereits dunkel, als ich wieder wach wurde. Und trotzdem saß nicht Pete neben meinem Bett, sondern Ben. "Na, ausgeschlafen?"
"Wo ist Pete?"
"Ich hab deine Sachen mitgebracht." er wühlte in einer Tasche. "Ich hoffe die sind richtig."
"Wo ist Pete?" wiederholte ich meine Frage. Vielleicht hatte er sie ja nur nicht verstanden. "Ben?"
"Im Club. Er... er säuft schon seit Nachmittag."
"Ich muss zu ihm."
"Chelsea..." mein Blick, der keine Widerworte duldete, ließ ihn schweigen. Also stand ich auf. Ganz so wackelig fühlte es sich nicht mehr an. Und doch brauchte ich eine Weile um mich anzuziehen. Ben hatte sich zwar umgedreht, aber ich wusste genau, dass er mich im Spiegelbild der Fensterscheibe beobachtete. Für wie blöd hielt er mich eigentlich? "Und, hat dir gefallen, was du gesehen hast?" stichelte ich, als ich angezogen war. Er wurde rot. Verlegen lächelte er mich an. Irgendwie war das ja schon etwas schnuckelig. Doch Zeit über irgendwas nachzudenken blieb mir nicht. Ich musste hier weg. Musste in den Club. "Kommst du?'
Ben räusperte sich. Versuchte die Verlegenheit damit wohl abzuschütteln. Aber er folgte mir zur Zimmertür. Folgte mir bis in den Bereich, in dem die Bar war. Joe schüttelte den Kopf, als er mich sah. "Du bist nen oller Sturkopf." lächelte er mich an. "Versprich mir, dass du dich noch schonst. Ok?"
"Hm, mach ich. Danke für alles." Ich ließ seine kurze Umarmung zu. Dann verließ ich dieses Vereinsheim. Die herrlich kühle Luft, ließ für kurze Minuten klare Gedanken zu. Ben hatte mir seinen Helm gereicht, denn einen zweiten hatte er nicht bei. Ich war hinter ihm auf die Harley gestiegen. Ließ mich von ihm, durch die von Schneefahrzeugen geräumten Straßen, zum Club fahren.
Ich atmete tief durch, als wir auf dem Hof standen. Ein Blick in den dunklen Himmel. Nur ein Stern - ganz hell! Ich lächelte, denn dieses Licht war ein Zeichen meiner Prinzessin. Das wollte ich zumindest glauben und andere Gedanken ließ ich im Moment nicht zu. "Sie ist wunderschön." hörte ich Ben, der ebenfalls in den Himmel schaute.
"Ja, das ist sie." er hatte einen Arm um mich gelegt. "Danke Ben." Ich wusste nicht, ob er verstanden hatte, wofür ich mich bedankt hatte. Es interessierte mich aber auch nicht, denn ich musste zu Pete.
Ben hielt mir die Tür auf, als ich das Vereinsheim betrat. Evelyna kam angestürmt. Drückte mich mütterlich an sich. "Es tut mir so leid für euch Chelsea."
Ein gezwungenes Lächeln. "Hm." ich löste mich aus ihrer Umarmung, wurde aber sofort von Sam an die Brust gezogen.
"Mir tut es auch leid."
"Pete..." zu ihm wollte ich doch.
"Ihm geht's richtig scheiße." endlich ließ Sam mich los. Ließ mich zu Pete an den Thresen. Ich griff nach der Flasche Bier, aus der er gerade trinken wollte. Reichte sie Max, der sie mir mit fragendem Blick abnahm.
"Pete..." er schaute zu mir. Ich sah, wie innerlich zerrissen er war. Nahm sein Gesicht in meine Hände und küsste ihn einfach. Wollte ihn spüren lassen, wir sehr ich ihn immer noch liebte.
"Baby, das mit uns..." sein Kopf lehnte an meiner Stirn, während meine Augen sich mit Tränen füllten. Nein, er durfte nicht das sagen, was ich gerade dachte.
"Pete, ich liebe dich!"
Er ignorierte meinen Satz. "Es kann nicht funktionieren."
"Pete..."
"Ich kann dich nicht beschützen. Du... du hast was besseres verdient, als mich."
Ich griff nach seinen Händen. "Du bist alles was ich will." Tränen liefen über unser beider Wangen. "Wir haben unser Kind verloren. Lass nicht zu, dass wir uns auch noch verlieren. Bitte Pete!" meine Worte, nur noch gehauchtes Flehen.
"Du bist unglaublich Baby."
"Ich brauch dich Pete. Nimm mir nicht noch das letzte bisschen Luft zum atmen." Mir war schwindelig. Alles drehte sich leicht. Winzige Schweißperlen traten auf meine Stirn. Ich fühlte regelrecht, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich. Pete war von dem Barhocker gerutscht. Hatte mich auf seine starken Arme gehoben, noch bevor meine Beine nachgaben und ich umfiel. Erst als ich in seinem Zimmer auf dem Bett lag, ließ er mich los. Strich mir eine meiner blonden Locken aus dem Gesicht. "Und du bist dir sicher, dass du mir all das verzeihen kannst?"
"Ich muss nicht die irgendwas verzeihen, sondern dem Club. Du allein trägst keine Schuld an all dem."
"Chelsea..."
"Du bist nicht Schuld an dem, was Andere mir angetan haben." ich hatte nach dem Kragen seines T-Shirts gegriffen. Ihn zu mir gezogen und ihn einfach mal wieder geküsst. Sein Atem, der schrecklich nach Alkohol roch, ließ die Übelkeit in mir zu. Aber ich stieß ihn nicht weg. Wollte seine Nähe. Wollte diesen Kuss und die Arme, die sich danach um mich legten. An seinem gleichmäßigen, ruhigen Atem hörte ich, dass er eingeschlafen war. Plötzlich war da wieder so viel Platz für Gedanken. Nicht unsere Tochter machte sich in ihnen breit, sondern die Minuten in diesem lagerähnlichen Raum. Das Blut, dass warm gegen mein Gesicht gespritzt war. Die toten Augen, der beiden Männer. Sie waren mir egal. Sie hatten nichts anderes verdient, als zu sterben. Es erschütterte mich etwas, dass sie mir so egal waren. Damals, bei Sascha und den anderen Beiden, war ich noch schockiert gewesen. Aber dieses Gefühl blieb diesmal aus. Plötzlich verstand ich Pete sogar. Verstand, weshalb er Menschen tötete. Verachtete ihn für dieses Verhalten nicht mehr. Wünschte mir, selbst den Abzug gedrückt zu haben. Die hatten Pete und mir unser Baby genommen. Den Hass, den ich in mir spürte, war kaum zum aushalten. Ich fragte mich, ob er genauso stark wäre, wenn ich einen der Beiden getötet hätte. Ob es einem besser ging, wenn man für Person verletzen durfte, die einem das genommen hatte, was man über alles liebte? Pete hatte danach zumindest nicht mehr so angespannt und voller Hass gewirkt. Das Wahnsinnige in seinem Blick war weg.
Ich hatte mich hingesetzt. Lehnte mit dem Rücken gegen die Wand. Pete war im Halbschlaf mit seinem Kopf, auf meinen Schoß gerutscht. Sanft streichelte ich über seine blonden Haare. Ihm wurde seine Herz, durch den Tod unserer Prinzessin, raus gerissen. So wie heute, hatte ich ihn nur einmal gesehen und das war in der Zeit unserer Trennung. Und doch war damals etwas anders. Damals war da die Hoffnung in seinen blauen Augen, dass alles gut werden konnte.
"Chelsea?" Pete blinzelte mich an. "Es... es tut mir leid, dass ich vor dir getötet hab."
"Schon ok."
Er rappelte sich auf. Saß nun mit dem Rücken zu mir. "Nein, nichts ist ok."
"Hör auf dir nen Kopf zu machen."
"Du solltest mich so nicht kennen lernen."
Ich rutschte etwas an ihn heran. "Es macht keinen Unterschied..." legte meine Arme von hinten um ihn. Mein Kopf lehnte an seinem Rücken. "Ob ich dabei war oder nicht. Ich wusste, dass du Menschen tötest."
"Für mich macht es einen Unterschied Baby." er löste meine Hände auf seinem Bauch und zog mich in seine Arme. "Du solltest so was schreckliches nie sehen."
"Weißt du Pete, seit ich dich kenne, hat sich mein Leben komplett verändert. Es gibt Nichts, was mich wirklich noch erschüttert. Sie haben unsere Prinzessin getötet." mir stockte kurz der Atem. "Ich... ich wünschte, ich hätte abgedrückt."
Pete guckte mich schockiert an. "Was habe ich aus dir gemacht?"
"Nichts! Es ist das, was in Jedem schlummert, wenn man ihm das nimmt, was man über alles liebt."
"Chelsea..."
"Sei froh, dass ich bereit bin abzudrücken, wenn es drauf ankommt." zwinkerte ich ihm frech zu. Brachte ihn damit zum lächeln. Ein wenig von der Hoffnung, die er immer hatte, blitzte in seinen Augen auf. Langsam beugte er sich zu mir. Hauchte mir einen zarten Kuss auf die Lippen. So, als wollte er heraus finden, wie stark unsere Liebe zueinander immer noch war. Meine zu ihm war stärker, als je zuvor. Alles Schreckliche, was uns widerfuhr, zeigte mir um so mehr, wie sehr wir zusammen gehörten. Er war alles, was ich brauchte, um weiter leben zu können. Eine Umarmung von ihm schenkte mir so viel Kraft, dass es reichte, um einen Tag zu überleben. Ein Kuss, um es auch über die Nacht zu schaffen. Mir war klar, dass nichts mehr so werden konnte, wie es mal war. Diese Leichtigkeit, mit der wir wieder durch's Leben gegangen waren, würde nie wieder zurück kommen. Denn diesmal wurden wir Beide verletzt.
"Ist der Hass weg, den man fühlt, wenn man den Menschen tötet, der den, den man am meisten liebt verletzt hat?"
"Baby..." er schüttelte den Kopf, als wolle er mir die Frage nicht beantworten. Zog mich ganz nah an sich.
"Beantworte mir die Frage bitte."
"Es fühlt sich gut an. Ja Chelsea. Aber ich will nicht, dass du tötest." seine Stimme bebte bei jedem einzelnen Wort. "Es macht dich nicht glücklicher." Ah ja, das wollte er wissen? Also ich hatte jetzt ehrlich gesagt nicht vor, durch die Gegend zu rennen und wahllos zu töten. Nee, das sicher nicht. Aber ich wusste, dass ich keine Sekunde zögern würde, wenn es um Pete gehen würde. Erinnerte mich daran, wie die Panik aus mir gewichen war, als Pete die Knarre am Kopf hatte. Wie egal mir plötzlich alles war. Das Einzige was ich wollte war zu diesem Zeitpunkt, dass Pete überlebte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top