Kapitel 62
Wir hatten diese Nacht im Vereinsheim verbracht. Waren einfach in seinem Bett eingeschlafen und erst am späten Vormittag aufgewacht. Pete war aufgestanden, ohne mir ein Küsschen geschenkt zu haben oder mir einen guten Morgen gewünscht zu haben. Er verließ, nur in Boxershort bekleidet sein Zimmer. Ließ mich zurück mit wirren Gedanken. Warum verhielt er sich so? Hatte ich irgendwas falsch gemacht? Ich überlegte, aber mir fiel nichts ein. Gestern Abend war zumindest noch alles in bester Ordnung.
"Hey Baby, was is'n los?" hörte ich seine Stimme, als er mit zwei Tassen Kaffee das Zimmer betreten und sich wieder zu mir auf's Bett gesetzt hatte.
Mal wieder heulte ich ohne Grund. "Weiß nicht." zuckte ich mit den Schultern. "Ich hab nen Kuss vermisst."
Er stellte lächelnd die Tassen auf das Nachtschränkchen. "Oh je Baby, das ist doch kein Grund zu weinen." sein Gesicht war meinem sehr nahe gekommen. Sanft trafen seine Lippen die Meinen und ließen mich lächeln. "Wieder gut?" fragte er nach dem Kuss, als er mir vorsichtig die Tränen von den Wangen wischte. Ich nickte nur. Nahm die Tasse mit dem Kaffee, die er mir reichte. Verlegen nippte ich daran. Gott, wie bekloppt ich war. Zu heulen, nur weil er mir nicht sofort einen Kuss geschenkt hatte. Was war nur los mit mir?
"Ich möchte nach Hause." sagte ich kaum hörbar.
"Lass uns unseren Kaffee in Ruhe austrinken, dann machen wir uns fertig und dann fahren wir los. Ok?" damit war ich einverstanden. Ich weiß nicht warum, aber ich vermisste unser Haus plötzlich total. Vermisste den Garten, mit den tollen, bunten, herrlich duftenden Blumen. Vermisste den See, an dem die Frösche quakten. Aber was ich am allermeisten vermisste, war dieses normale Leben, welches Pete und ich dort lebten. Es fühlte sich an, als wären wir eine kleine Familie. Alles war so toll. Es gab nur uns und nicht den Club, der unser Leben ab und zu dramatisch auf den Kopf stellte.
"Geht's dir nicht gut?" er schaute mich skeptisch an. "Du bist schon wieder ganz blass."
"Doch, alles bestens. Vielleicht war das mit Cora nur etwas viel in den letzten Tagen." Ja, daran musste es liegen, dass ich im Moment im Gefühlschaos schwebte. Sie hatte mich dermaßen enttäuscht, dass es wirklich schmerzte. Es verletzte mich, dass sie Pete und mein Glück zerstören wollte und das obwohl sie wusste, was wir zusammen durchgestanden hatten. Selbst Evelyna akzeptierte unsere Beziehung mittlerweile, obwohl ich ihr am Anfang nicht gut genug für ihren Sohn war. Ich schaute auf die Bilder, die am Spiegel von uns hingen. Wir kannten uns jetzt etwas über ein Jahr. Auf den Fotos wirkten wir immer glücklich, auch wenn einige von ihnen aufgenommen wurden waren, wo wir durch die Hölle gegangen waren. Wir lächelten, obwohl unsere Augen eine andere Sprache sprachen. Meinen Kaffee hatte ich ausgetrunken. Die Tasse auf das Schränkchen gestellt. Mich dann einfach in Pete's Arme gedrängt. Ich brauchte grad eine Umarmung von ihm. Sehnte mich nach dem trauten Gefühl von Geborgenheit. Im Augenblick fühlte ich mich depressiv. Ich hasste es. Hatte Angst davor wieder diesen Drang nach Freiheit zu spüren. Nie wieder wollte ich zur Klinge greifen und damit nicht nur mich, sondern symbolisch auch Pete verletzen. Nie wieder sollte ein anderer Mann mich an Stellen berühren, die nur für Pete bestimmt waren. Nie wieder wollte ich mich so dreckig fühlen, wenn sie mit mir fertig waren.
"Du lässt mich wirklich nie allein. Oder?"
"Och Chelsea, natürlich nicht." er drückte mich noch fester an sich. "Ich kann mir vorstellen, dass es dir nach allem, was passiert ist, schwer fällt Vertrauen zuzulassen."
"Hm..."
"Aber versuche wenigstens mir zu vertrauen. Ich werde dich nicht enttäuschen oder verletzen." Vertrauen, welch kleines Wort, mit einer so großen Bedeutung. Klar vertraute ich ihm und doch drängten sich immer mal wieder Zweifel auf. Was wäre, wenn er eine Andere kennen lernen würde? Eine die hübscher, schlanker, einfach toller war als ich? Eine, mit der er es einfacher hatte, als mit mir. Eine die immer glücklich war und nie in ein schwarzes Loch fiel. Eine mit der die Welt immer rosarot war und das Schweben auf Wolke sieben nie ein Ende hatte. Ich weiß nicht, ob Pete wusste was ich dachte, aber er begann mich ganz leicht zu küssen. So, als wollte er mich in eine heile Welt tragen, in der er glaubte zu leben. Aber damit belog er sich selbst. Seine Welt war noch viel kaputter als meine. Er hatte nur das Talent mit all den kranken Dingen die passierten, anders umzugehen. Er hatte es eben von klein auf so gelernt. Für ihn zählte nicht, dass er Menschen tötete. Für ihn zählte nur, dass er lebte. Er sah nicht, dass er die Familien der Opfer ins Unglück stürzte. Das ihre Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, Frauen oder Kinder traurig waren. Das sie einen geliebten Menschen für immer vermissten. Aber anders rum, was sollte er auch machen? Wenn er sie nicht tötete, dann töteten sie ihn. Dann würde ich die Jenige sein, die einen geliebten Menschen vermissen würde.
"Hör auf zu grübeln." flüsterte er. Immer noch küsste er mich. Mittlerweile etwas fordernder. Seine Hände vergruben sich unter meinen Haaren. "Es ist alles gut und genau so wird es bleiben."
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